Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 201/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 269/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch eine Zweitausbildung (hier: Zweitstudium nach abgeschlossenem Erststudium) kann eine einen Anspruch auf Zahlung von Waisenrente begründende Berufsausbildung sein.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.04.2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die weitere Gewährung einer Halbwaisenrente an den Kläger nach erfolgreichem Abschluss eines Erststudiums.
Der Vater des 1985 geborenen Klägers ist am 10.04.2001 bei einem als Arbeitsunfall anerkannten Wegeunfall tödlich verunglückt. Mit Bescheid vom 18.12.2001 gewährte der Bayerische Gemeindeunfallversicherungsverband (BG), dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, dem Kläger erstmals Waisenrente. Mit Bescheiden vom 05.11.2003 und vom 01.10.2004 wurde eine Weiterzahlung der Rente bewilligt. Nach Abschluss der Fachoberschule nahm der Kläger am 04.10.2005 ein Studium an der Fachhochschule A-Stadt im Diplomstudiengang "Informatik" auf. Daraufhin erließ der BG am 12.10.2005 einen Bescheid, mit dem er dem Kläger die Weiterzahlung der Waisenrente für die Dauer des Studiums bewilligte. Die Rentenbewilligung endete laut Bescheid mit Ablauf des Monats, in dem das Studium abgebrochen oder unterbrochen wird, spätestens aber am 30.09.2009.
Am 18.03.2011 (Eingang beim BG) teilte der Kläger mit, dass er seine Diplomarbeit geschrieben und abgegeben habe. Um seine Qualifikationen zu steigern und die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern, studiere er ab dem Sommersemester Wirtschaftsinformatik. Da einige Fächer aus dem Informatikstudium angerechnet würden, könne er diesen Studiengang bereits im zweiten Semester beginnen. Er übersandte eine Studienbescheinigung für ein am 15.03.2011 begonnenes Studium der Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule A-Stadt. Am 02.05.2011 bekam der Kläger im Studiengang "Informatik" seine Diplomurkunde vom 14.04.2011 überreicht. Das Studium der Wirtschaftsinformatik hat der Kläger am 11.07.2013 abgeschlossen.
Der BG zahlte dem Kläger die Waisenrente zunächst bis Mai 2011 weiter aus. Am 02.05.2011 erließ er einen Bescheid, mit dem er dem Kläger die Rente mit Ablauf des Monats März 2011 entzog. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe mit der Beendigung des Studiums der Informatik und dem Erhalt des Diploms seine Ausbildung abgeschlossen und sei in der Lage, vollumfänglich erwerbstätig zu sein und für seinen Unterhalt selbst aufzukommen. Beim Studium der Wirtschaftsinformatik handele es sich um eine in sich geschlossene Zweitausbildung und nicht um eine im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Studium stehende Weiterbildung. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Zahlung von Waisenrente mehr. Aus technischen Gründen habe die Rentenzahlung nicht zum 31.03.2011 eingestellt werden können. Die Rentenüberzahlung für April und Mai 2011 in Höhe von insgesamt 2.400 EUR sei vom Kläger zurückzuerstatten.
Zur Begründung des gegen den Bescheid eingelegten Widerspruchs trug der Kläger u.a. vor, er plane in naher Zukunft mit seinen Kommilitonen eine Firma zu gründen. Hierfür seien die im Studiengang "Wirtschaftsinformatik" erworbenen Kenntnisse unerlässlich.
Der BG erließ am 08.07.2011 den Widerspruchbescheid, mit dem er den Bescheid vom 02.05.2011 dahingehend abänderte, dass Waisenrente nunmehr bis Ablauf des Monats April 2011 gewährt wurde. Im Übrigen wurde dem Widerspruch des Klägers nicht abgeholfen, da ein Anspruch auf Weitergewährung der Waisenrente über den 30.04.2011 hinaus nicht bestünde.
Hiergegen hat der Kläger am 20.07.2011 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Mit Urteil vom 11.04.2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 verurteilt, dem Kläger Halbwaisenrente bis einschließlich 07.12.2012 (Vollendung des 27. Lebensjahres) zu gewähren.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Der Senat hat eine Auskunft der Hochschule A-Stadt - Fakultät für Informatik eingeholt. Danach stellt der Studiengang "Wirtschaftsinformatik" einen eigenständigen Studiengang dar, der keinen anderen Studienabschluss voraussetzt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.04.2013 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 abzuweisen, soweit der Kläger einen Anspruch auf Halbwaisenrente über den 30.04.2011 hinaus geltend macht.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.04.2013 zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des BG - dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist - vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2011. Mit diesem Bescheid hat es der BG abgelehnt, dem Kläger über den 30.04.2011 hinaus Halbwaisenrente zu gewähren.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Weitergewährung der Waisenrente über den 30.04.2011 hinaus bis zum 07.12.2012 verpflichtet.
Gem. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 SGB VII haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfall eingetreten ist. Dabei erhalten Kinder von verstorbenen Versicherten eine Halbwaisenrente, wenn sie noch ein Elternteil haben (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).
Der Kläger, der mit Ablauf des 07.12.2012 das 27. Lebensjahr vollendet hat, ist Sohn des am 10.04.2001 bei einem Verkehrsunfall verunglückten Dr. G. A. ist. Der Unfall ist als Versicherungsfall anerkannt. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Unfalls noch seine Mutter als Elternteil.
Halb- oder Vollwaisenrente wird gem. § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt, wenn die Waise sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet. Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert (S. 2).
Nach den Feststellungen des Senats hat der Kläger zunächst erfolgreich das Studium der Informatik an der Hochschule A-Stadt absolviert. Die Diplomurkunde vom 14.04.2011 wurde ihm am 02.05.2011 ausgehändigt. Bereits im März 2011 hat der Kläger - ebenfalls an der Hochschule A-Stadt - ein Studium der Wirtschaftsinformatik aufgenommen, das er am 11.07.2013 erfolgreich abgeschlossen hat. Das Studium war im streitgegenständlichen Zeitraum (01.05.2011 bis 07.12.2012) auch mit einem zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden verbunden, wie aus den glaubhaften Angaben des Klägers und der vorgelegten Stundenaufstellung vom 07.02.2014 hervorgeht.
Zur Überzeugung des Senats steht daher fest, dass das Studium der Wirtschaftsinformatik die Arbeitskraft des Klägers im Zeitraum 01.05.2011 bis 07.12.2012 überwiegend i.S.d. § 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII in Anspruch genommen hat und er im Sinne der Vorschrift an der Ausübung einer (unterhaltenden) Erwerbstätigkeit gehindert war.
Dem Anspruch des Klägers auf Halbwaisenrente ab Mai 2011 steht nicht entgegen, dass er zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums bereits erfolgreich die Berufsausbildung zum Diplominformatiker abgeschlossen hatte.
Bei dem vom Kläger im März 2011 begonnenen Studium der Wirtschaftsinformatik handelte es sich - ebenso wie beim vorangegangenen Studium der Informatik - nach den Feststellungen des Senats um eine Berufsausbildung, d.h. um eine geregelte, zu einem qualifizierten beruflichen Abschluss führende Ausbildung, bei der von der Hochschule A-Stadt für den gewählten Beruf notwendige Kenntnisse vermittelt wurden (siehe zum Begriff der Berufsausbildung BSG, Urteil vom 31.08.2000, B 4 RA 5/00 R zu § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -; BSG, Urteil vom 07.02.2006, B 2 U 3/05 R zu § 90 SGB VII).
§ 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII enthält seinem unmittelbaren Wortsinn nach keine Beschränkung, wonach ein Anspruch auf Waisenrente nur solange besteht, als die Waise noch keine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Vielmehr setzt ein solcher Anspruch dem Wortlaut nach lediglich voraus, dass sich die Waise in Berufsausbildung befindet, worunter auch eine Zweitausbildung verstanden werden kann (so auch Keller in Hauck/Noftz SGB VII, Stand 03/12, § 67 Rn. 33; vgl. auch BSG, Urteil vom 07.02.2006, B 2 U 3/05 R zu § 90 SGB VII, wonach Berufsausbildung nicht nur die erste, sondern jede zu einem beruflichen Abschluss führende Bildungsmaßnahme ist). Durch die grammatische Auslegung der Vorschrift lässt sich somit ein Wegfalls des Anspruchs des Klägers auf Halbwaisenrente nach Beendigung seines Erststudiums trotz begonnen Zweitstudiums nicht begründen.
Auch die historische Auslegung der Vorschrift führt zu keinem anderen Ergebnis. Weder der Vorgängernorm § 595 Abs. 2 S. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 11/4124, S. 106, 164, 214 zu § 595 Abs. 2 RVO und zur Parallelvorschrift § 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VI) können Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass der Gesetzgeber unter dem Begriff "Berufsausbildung" nur eine Erstausbildung verstanden hätte (vgl. Keller a.a.O.). Nach Auffassung des Senats spricht vielmehr einiges dafür, dass eine dem Wortlaut nicht zu entnehmende Beschränkung des Anspruchs auf Waisenrente vom Gesetzgeber nicht gewollt war bzw. der Gesetzgeber hierauf bewusst verzichtet hat. Denn wie sich aus der im Gesetz verankerten Beschränkung des Anspruchs auf den Zeitraum bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs (§ 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a)) einerseits und der Beschränkung auf Ausbildungen mit einem tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden (§ 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII) andererseits ergibt, war dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer Anspruchsbegrenzung gegenwärtig. Hätte er neben den beiden genannten Einschränkungen eine weitere gewollt, wäre es ihm ohne weiteres möglich gewesen, dies im Wortlaut des § 67 Abs. 3 SGB VII ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, zum Beispiel durch Einfügung des Wortes "angemessener" (vgl. § 1610 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) vor "Schulausbildung oder Berufsausbildung".
Der systematische Kontext, in dem die Regelung steht, liefert ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass unter einer Berufsausbildung i.S.d. § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII einschränkend nur Zeiten einer Erstausbildung zu verstehen wären. Einen Bezug auf die Regelungen der zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche, insbesondere auf § 1610 Abs. 2 BGB, findet sich in den Regelungen über den Anspruch auf Waisenrente (§§ 67 f. SGB VII) - anders als in § 66 Abs. 1 SGB VII (Witwen- und Witwerrente an frühere Ehegatten) - nicht. Bei der Regelung des § 67 Abs. 3 SGB VII handelt es sich vielmehr um eine typisierende und pauschalierende, sozialrechtlich eigenständige Regelung des Unterhaltersatzanspruches einer Waisen auf dem Gebiet der Unfallversicherung (vgl. Ziegler in Becker/ Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., § 67 Rn. 23; BSG, Urt. vom 07.07.1965, 12 RJ 180/62 zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO). Fast wortgleiche Formulierungen finden sich in § 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VI, der den Waisenrentenanspruch auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung regelt, und in § 45 Abs. 3 S. 1 lit. Bundesversorgungsgesetz (BVG), der den Waisenrentenanspruch im Rahmen der Kriegsopferversorgung regelt. Diese Vorschriften sehen ihrem Wortlaut nach ebenfalls keine weitergehende Beschränkung des Anspruchs auf Waisenrente auf Zeiten einer ersten Berufsausbildung vor, sondern enthalten gleichermaßen eine rein zeitliche Begrenzung auf den Zeitraum einer Berufsausbildung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs. Dabei liegt es nahe, in § 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII eine vom Gesetzgeber getroffene abschließende Regelung zur inhaltlichen Begrenzung der Begriffs "Berufsausbildung" zu sehen, wann eine Erwerbstätigkeit hindernde Ausbildung vorliegt und wann nicht, nämlich je nachdem, ob diese einen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert oder nicht.
Schließlich erfordert auch der Zweck der gesetzlichen Regelung der Waisenrente, nach dem Tod des Unfallversicherten den Unterhalt für die hinterbliebenen Kinder sicherzustellen, und somit ihre Funktion als Unterhaltsersatz (so die allgemeine Auffassung, vgl. u.a. Keller a.a.O. Rn. 1 m.w.N.; Rütenik in jurisPK-SGB VII, Stand 01.01.2009, § 67 SGB VII Rn. 1 m.w.N.; Marschner in BeckOK, Stand 01.12.2013, SGB VII § 67 Rn. 2; BSG, Urteil vom 18.06.2003, B 4 RA 37/02 R, zu § 48 SGB VI; BVerfG, Beschluss vom 18.06.1975, 1 BvL 4/74, zur Waisenrente aus der Angestelltenversicherung) kein einschränkendes Verständnis des Begriffs "Berufsausbildung" bzw. eine einschränkende Auslegung des § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a SGB VII. Denn es handelt sich um eine typisierende und pauschalierende Regelung, mit der der Gesetzgeber den im Allgemeinen anfallenden "typischen" Bedarf decken wollte, der durch den Ausfall väterlicher oder mütterlicher Unterhaltsleistungen entsteht (vgl. BVerfG a.a.O. m.w.N.; siehe auch Ziegler in Becker/Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., § 67 Rn. 23: eigenständige sozialrechtliche Regelung, die typisierend regelt, wann Anspruch auf Waisenrente besteht). Die Regelung zielt somit auf einen finanziellen Ausgleich dafür ab, dass der betroffenen Waisen infolge des Todes des Versicherten die Möglichkeit genommen wurde, Unterhalt zu erhalten. Ob im Einzelfall tatsächlich (nach den zivilrechtlichen Bestimmungen) ein individueller Unterhaltsanspruch bestehen würde, ist dagegen ohne Belang (so auch BVerfG a.a.O.). So hat der Gesetzgeber bei der Regelung des Waisenrentenanspruchs bewusst darauf verzichtet, an die Leistungsfähigkeit der überlebenden oder verstorbenen Unterhaltsverpflichteten oder an die Bedürftigkeit des hinterbliebenen Kindes anzuknüpfen (vgl. BT-Drucks. 11/4124, S. 164, 214). Andererseits hat der Gesetzgeber in § 67 Abs. 3 SGB VII auch abstrakt Altersgrenzen gesetzt, zu denen ein Anspruch auf Waisenrente endet, ohne dass es darauf ankommt, ob das hinterbliebene Kind beim Erreichen der Altersgrenze in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten. Dies erscheint insbesondere in den Fällen des § 67 Abs. 3 S. Nr. 2 lit. d) SGB VII fraglich.
Dem Charakter der Vorschrift als abstrakter Regelung des Unterhaltsersatzes sowie dem bewussten Verzicht des Gesetzgebers auf eine Anknüpfung an die zivilrechtlichen Unterhaltsvoraussetzungen und der dadurch erfolgten Lösung vom bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht (vgl. BSG, Urt. v. 07.07.1965, 12 RJ 180/62 zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO) widerspräche es somit, wenn man im Einzelfall darauf abstellen würde, ob nach den zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 1601 ff., 1610 BGB) ein Anspruch auf Unterhalt gegenüber dem verstorbenen Versicherten (noch) bestünde (so auch Keller a.a.O. Rn. 33; BSG, Urt. v. 07.07.1965, 12 RJ 180/62 zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.03.2010, L 3 U 208/08, kritisch dazu Ziegler a.a.O. Rn. 22 ff.). Eines zu kompensierenden individuellen ohnehin nur rein fiktiv bestimmbaren Unterhaltsanspruchs bedarf es im Rahmen des Anspruchs auf Waisenrente daher nicht (a.A. wohl BSG, Urteil vom 18.06.2003, B 4 RA 37/02 R zu § 48 SGB VI). Auch kommt es, wie ausgeführt, nach der gesetzlichen Konstruktion grundsätzlich gerade nicht darauf an, ob die Waise in der Lage ist, aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Im Übrigen ist in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass auch eine Zweitausbildung z.B. bei geänderter Berufsplanung oder bei neu gewähltem Berufsziel oder die Wiederholung einer Prüfung zur Notenverbesserung oder die Ausbildung zu einer weiteren Berufsstufe (z.B. Meister) eine waisenrentenberechtigende Berufsausbildung darstellen können (siehe dazu u.a. Keller a.a.O. Rn. 33 u. 36a m.w.N.; Rütenik a.a.O. Rn. 45 u. 48 m.w.N.; Marschner a.a.O. Rn. 17; u.a. BSG, Urteile v. 07.07.1965, 12 RJ 180/62, und vom 30.03.1967, 12 RJ 590/63, zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO; BSG, Urteile vom 15.07.1992, 9a RV 7/91, und vom 26.11.1975, 10 RV 135/75, zu § 45 BVG; a.A. Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 80. EL 2013, § 67 SGB VII Rn. 4: grundsätzlich kein Anspruch auf Waisenrente bei Zweitausbildung; a.A. wohl auch BSG, Urteil vom 18.06.2003, B 4 RA 37/02 R, zu § 48 SGB VI). Auch in diesen Fällen ist es ohne Bedeutung, ob die Waise bereits imstande ist, sich ausreichend selbst zu unterhalten. Es wäre daher nicht begründbar, wenn man im vorliegenden Fall einen Anspruch des Klägers auf Waisenrente wegen der Aufnahme eines sinnvollen, seiner künftigen Berufsplanung dienenden Zweitstudiums verneinen würde. Die Möglichkeit einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Waisenrente durch Aufnahme einer Scheinausbildung wird im Übrigen durch die Regelung in § 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII erheblich erschwert. Für die Annahme eines Scheinstudiums finden sich im vorliegenden Fall aber schon deswegen keine Anhaltspunkte, weil der Kläger im Juli 2013 sein Zweitstudium erfolgreich abgeschlossen hat.
Da der Kläger aus den genannten Gründen einen rechtlichen Anspruch auf Gewährung der Waisenrente über den 30.04.2011 hinaus bis zum 07.12.2012 hat, lässt es der Senat dahin gestellt, ob sich ein Anspruch für Mai 2011 auch daraus ergeben könnte, dass der BG die Waisenrente für Mai 2011 vorbehaltlos an den Kläger ausgezahlt hat und hierin ein bestandskräftiger, nicht zurückgenommener Verwaltungsakt zu sehen wäre. Die Frage ist praktisch ohnehin bedeutungslos, da der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2014 auf eine Rückforderung ausgezahlter Waisenrentenleistungen insbesondere für Mai 2011 verzichtet hat.
Soweit der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren und nochmals in der mündlichen Verhandlung unter Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung der Hochschule A-Stadt - Fakultät für Informatik vom 24.11.2011 nach den Feststellungen des Senats zutreffend vorgetragen hat, dass aus dem zunächst absolvierten Diplomstudium "Informatik" 53 % der für das "Wirtschaftsinformatikstudium" notwendigen Creditpoints angerechnet werden konnten, was zu einer Verkürzung der Studiendauer von 7 auf 4 Semestern geführt hat, kommt es hierauf im Ergebnis nicht an. Zwar vermag diese Feststellung einen engen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den beiden Studiengängen zu belegen. Der Kläger hat aus den vom Senat genannten Gründen aber auch ohne einen solchen inhaltlichen Zusammenhang einen Anspruch auf Gewährung der Halbwaisenrente über den 30.04.2011 hinaus.
Nach alledem hat das SG im Ergebnis richtig entschieden. Ob die Beklagte im Hinblick auf § 73 Abs. 2 SGB VII zu verurteilen gewesen wäre, dem Kläger bis 31.12.2012 Waisenrente zu gewähren, ist nicht streitgegenständlich.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, da die Frage, ob der Anspruch auf Zahlung einer Waisenrente nach § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII nach erfolgreichem Abschluss einer (ersten) Berufsausbildung entfällt, über den vorliegenden Einzelfall hinaus Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die weitere Gewährung einer Halbwaisenrente an den Kläger nach erfolgreichem Abschluss eines Erststudiums.
Der Vater des 1985 geborenen Klägers ist am 10.04.2001 bei einem als Arbeitsunfall anerkannten Wegeunfall tödlich verunglückt. Mit Bescheid vom 18.12.2001 gewährte der Bayerische Gemeindeunfallversicherungsverband (BG), dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, dem Kläger erstmals Waisenrente. Mit Bescheiden vom 05.11.2003 und vom 01.10.2004 wurde eine Weiterzahlung der Rente bewilligt. Nach Abschluss der Fachoberschule nahm der Kläger am 04.10.2005 ein Studium an der Fachhochschule A-Stadt im Diplomstudiengang "Informatik" auf. Daraufhin erließ der BG am 12.10.2005 einen Bescheid, mit dem er dem Kläger die Weiterzahlung der Waisenrente für die Dauer des Studiums bewilligte. Die Rentenbewilligung endete laut Bescheid mit Ablauf des Monats, in dem das Studium abgebrochen oder unterbrochen wird, spätestens aber am 30.09.2009.
Am 18.03.2011 (Eingang beim BG) teilte der Kläger mit, dass er seine Diplomarbeit geschrieben und abgegeben habe. Um seine Qualifikationen zu steigern und die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern, studiere er ab dem Sommersemester Wirtschaftsinformatik. Da einige Fächer aus dem Informatikstudium angerechnet würden, könne er diesen Studiengang bereits im zweiten Semester beginnen. Er übersandte eine Studienbescheinigung für ein am 15.03.2011 begonnenes Studium der Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule A-Stadt. Am 02.05.2011 bekam der Kläger im Studiengang "Informatik" seine Diplomurkunde vom 14.04.2011 überreicht. Das Studium der Wirtschaftsinformatik hat der Kläger am 11.07.2013 abgeschlossen.
Der BG zahlte dem Kläger die Waisenrente zunächst bis Mai 2011 weiter aus. Am 02.05.2011 erließ er einen Bescheid, mit dem er dem Kläger die Rente mit Ablauf des Monats März 2011 entzog. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe mit der Beendigung des Studiums der Informatik und dem Erhalt des Diploms seine Ausbildung abgeschlossen und sei in der Lage, vollumfänglich erwerbstätig zu sein und für seinen Unterhalt selbst aufzukommen. Beim Studium der Wirtschaftsinformatik handele es sich um eine in sich geschlossene Zweitausbildung und nicht um eine im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Studium stehende Weiterbildung. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Zahlung von Waisenrente mehr. Aus technischen Gründen habe die Rentenzahlung nicht zum 31.03.2011 eingestellt werden können. Die Rentenüberzahlung für April und Mai 2011 in Höhe von insgesamt 2.400 EUR sei vom Kläger zurückzuerstatten.
Zur Begründung des gegen den Bescheid eingelegten Widerspruchs trug der Kläger u.a. vor, er plane in naher Zukunft mit seinen Kommilitonen eine Firma zu gründen. Hierfür seien die im Studiengang "Wirtschaftsinformatik" erworbenen Kenntnisse unerlässlich.
Der BG erließ am 08.07.2011 den Widerspruchbescheid, mit dem er den Bescheid vom 02.05.2011 dahingehend abänderte, dass Waisenrente nunmehr bis Ablauf des Monats April 2011 gewährt wurde. Im Übrigen wurde dem Widerspruch des Klägers nicht abgeholfen, da ein Anspruch auf Weitergewährung der Waisenrente über den 30.04.2011 hinaus nicht bestünde.
Hiergegen hat der Kläger am 20.07.2011 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Mit Urteil vom 11.04.2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 verurteilt, dem Kläger Halbwaisenrente bis einschließlich 07.12.2012 (Vollendung des 27. Lebensjahres) zu gewähren.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Der Senat hat eine Auskunft der Hochschule A-Stadt - Fakultät für Informatik eingeholt. Danach stellt der Studiengang "Wirtschaftsinformatik" einen eigenständigen Studiengang dar, der keinen anderen Studienabschluss voraussetzt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.04.2013 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 abzuweisen, soweit der Kläger einen Anspruch auf Halbwaisenrente über den 30.04.2011 hinaus geltend macht.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.04.2013 zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des BG - dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist - vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2011. Mit diesem Bescheid hat es der BG abgelehnt, dem Kläger über den 30.04.2011 hinaus Halbwaisenrente zu gewähren.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Weitergewährung der Waisenrente über den 30.04.2011 hinaus bis zum 07.12.2012 verpflichtet.
Gem. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 SGB VII haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfall eingetreten ist. Dabei erhalten Kinder von verstorbenen Versicherten eine Halbwaisenrente, wenn sie noch ein Elternteil haben (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).
Der Kläger, der mit Ablauf des 07.12.2012 das 27. Lebensjahr vollendet hat, ist Sohn des am 10.04.2001 bei einem Verkehrsunfall verunglückten Dr. G. A. ist. Der Unfall ist als Versicherungsfall anerkannt. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Unfalls noch seine Mutter als Elternteil.
Halb- oder Vollwaisenrente wird gem. § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt, wenn die Waise sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet. Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert (S. 2).
Nach den Feststellungen des Senats hat der Kläger zunächst erfolgreich das Studium der Informatik an der Hochschule A-Stadt absolviert. Die Diplomurkunde vom 14.04.2011 wurde ihm am 02.05.2011 ausgehändigt. Bereits im März 2011 hat der Kläger - ebenfalls an der Hochschule A-Stadt - ein Studium der Wirtschaftsinformatik aufgenommen, das er am 11.07.2013 erfolgreich abgeschlossen hat. Das Studium war im streitgegenständlichen Zeitraum (01.05.2011 bis 07.12.2012) auch mit einem zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden verbunden, wie aus den glaubhaften Angaben des Klägers und der vorgelegten Stundenaufstellung vom 07.02.2014 hervorgeht.
Zur Überzeugung des Senats steht daher fest, dass das Studium der Wirtschaftsinformatik die Arbeitskraft des Klägers im Zeitraum 01.05.2011 bis 07.12.2012 überwiegend i.S.d. § 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII in Anspruch genommen hat und er im Sinne der Vorschrift an der Ausübung einer (unterhaltenden) Erwerbstätigkeit gehindert war.
Dem Anspruch des Klägers auf Halbwaisenrente ab Mai 2011 steht nicht entgegen, dass er zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums bereits erfolgreich die Berufsausbildung zum Diplominformatiker abgeschlossen hatte.
Bei dem vom Kläger im März 2011 begonnenen Studium der Wirtschaftsinformatik handelte es sich - ebenso wie beim vorangegangenen Studium der Informatik - nach den Feststellungen des Senats um eine Berufsausbildung, d.h. um eine geregelte, zu einem qualifizierten beruflichen Abschluss führende Ausbildung, bei der von der Hochschule A-Stadt für den gewählten Beruf notwendige Kenntnisse vermittelt wurden (siehe zum Begriff der Berufsausbildung BSG, Urteil vom 31.08.2000, B 4 RA 5/00 R zu § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -; BSG, Urteil vom 07.02.2006, B 2 U 3/05 R zu § 90 SGB VII).
§ 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII enthält seinem unmittelbaren Wortsinn nach keine Beschränkung, wonach ein Anspruch auf Waisenrente nur solange besteht, als die Waise noch keine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Vielmehr setzt ein solcher Anspruch dem Wortlaut nach lediglich voraus, dass sich die Waise in Berufsausbildung befindet, worunter auch eine Zweitausbildung verstanden werden kann (so auch Keller in Hauck/Noftz SGB VII, Stand 03/12, § 67 Rn. 33; vgl. auch BSG, Urteil vom 07.02.2006, B 2 U 3/05 R zu § 90 SGB VII, wonach Berufsausbildung nicht nur die erste, sondern jede zu einem beruflichen Abschluss führende Bildungsmaßnahme ist). Durch die grammatische Auslegung der Vorschrift lässt sich somit ein Wegfalls des Anspruchs des Klägers auf Halbwaisenrente nach Beendigung seines Erststudiums trotz begonnen Zweitstudiums nicht begründen.
Auch die historische Auslegung der Vorschrift führt zu keinem anderen Ergebnis. Weder der Vorgängernorm § 595 Abs. 2 S. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 11/4124, S. 106, 164, 214 zu § 595 Abs. 2 RVO und zur Parallelvorschrift § 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VI) können Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass der Gesetzgeber unter dem Begriff "Berufsausbildung" nur eine Erstausbildung verstanden hätte (vgl. Keller a.a.O.). Nach Auffassung des Senats spricht vielmehr einiges dafür, dass eine dem Wortlaut nicht zu entnehmende Beschränkung des Anspruchs auf Waisenrente vom Gesetzgeber nicht gewollt war bzw. der Gesetzgeber hierauf bewusst verzichtet hat. Denn wie sich aus der im Gesetz verankerten Beschränkung des Anspruchs auf den Zeitraum bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs (§ 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a)) einerseits und der Beschränkung auf Ausbildungen mit einem tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden (§ 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII) andererseits ergibt, war dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer Anspruchsbegrenzung gegenwärtig. Hätte er neben den beiden genannten Einschränkungen eine weitere gewollt, wäre es ihm ohne weiteres möglich gewesen, dies im Wortlaut des § 67 Abs. 3 SGB VII ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, zum Beispiel durch Einfügung des Wortes "angemessener" (vgl. § 1610 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) vor "Schulausbildung oder Berufsausbildung".
Der systematische Kontext, in dem die Regelung steht, liefert ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass unter einer Berufsausbildung i.S.d. § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII einschränkend nur Zeiten einer Erstausbildung zu verstehen wären. Einen Bezug auf die Regelungen der zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche, insbesondere auf § 1610 Abs. 2 BGB, findet sich in den Regelungen über den Anspruch auf Waisenrente (§§ 67 f. SGB VII) - anders als in § 66 Abs. 1 SGB VII (Witwen- und Witwerrente an frühere Ehegatten) - nicht. Bei der Regelung des § 67 Abs. 3 SGB VII handelt es sich vielmehr um eine typisierende und pauschalierende, sozialrechtlich eigenständige Regelung des Unterhaltersatzanspruches einer Waisen auf dem Gebiet der Unfallversicherung (vgl. Ziegler in Becker/ Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., § 67 Rn. 23; BSG, Urt. vom 07.07.1965, 12 RJ 180/62 zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO). Fast wortgleiche Formulierungen finden sich in § 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VI, der den Waisenrentenanspruch auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung regelt, und in § 45 Abs. 3 S. 1 lit. Bundesversorgungsgesetz (BVG), der den Waisenrentenanspruch im Rahmen der Kriegsopferversorgung regelt. Diese Vorschriften sehen ihrem Wortlaut nach ebenfalls keine weitergehende Beschränkung des Anspruchs auf Waisenrente auf Zeiten einer ersten Berufsausbildung vor, sondern enthalten gleichermaßen eine rein zeitliche Begrenzung auf den Zeitraum einer Berufsausbildung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs. Dabei liegt es nahe, in § 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII eine vom Gesetzgeber getroffene abschließende Regelung zur inhaltlichen Begrenzung der Begriffs "Berufsausbildung" zu sehen, wann eine Erwerbstätigkeit hindernde Ausbildung vorliegt und wann nicht, nämlich je nachdem, ob diese einen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert oder nicht.
Schließlich erfordert auch der Zweck der gesetzlichen Regelung der Waisenrente, nach dem Tod des Unfallversicherten den Unterhalt für die hinterbliebenen Kinder sicherzustellen, und somit ihre Funktion als Unterhaltsersatz (so die allgemeine Auffassung, vgl. u.a. Keller a.a.O. Rn. 1 m.w.N.; Rütenik in jurisPK-SGB VII, Stand 01.01.2009, § 67 SGB VII Rn. 1 m.w.N.; Marschner in BeckOK, Stand 01.12.2013, SGB VII § 67 Rn. 2; BSG, Urteil vom 18.06.2003, B 4 RA 37/02 R, zu § 48 SGB VI; BVerfG, Beschluss vom 18.06.1975, 1 BvL 4/74, zur Waisenrente aus der Angestelltenversicherung) kein einschränkendes Verständnis des Begriffs "Berufsausbildung" bzw. eine einschränkende Auslegung des § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a SGB VII. Denn es handelt sich um eine typisierende und pauschalierende Regelung, mit der der Gesetzgeber den im Allgemeinen anfallenden "typischen" Bedarf decken wollte, der durch den Ausfall väterlicher oder mütterlicher Unterhaltsleistungen entsteht (vgl. BVerfG a.a.O. m.w.N.; siehe auch Ziegler in Becker/Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., § 67 Rn. 23: eigenständige sozialrechtliche Regelung, die typisierend regelt, wann Anspruch auf Waisenrente besteht). Die Regelung zielt somit auf einen finanziellen Ausgleich dafür ab, dass der betroffenen Waisen infolge des Todes des Versicherten die Möglichkeit genommen wurde, Unterhalt zu erhalten. Ob im Einzelfall tatsächlich (nach den zivilrechtlichen Bestimmungen) ein individueller Unterhaltsanspruch bestehen würde, ist dagegen ohne Belang (so auch BVerfG a.a.O.). So hat der Gesetzgeber bei der Regelung des Waisenrentenanspruchs bewusst darauf verzichtet, an die Leistungsfähigkeit der überlebenden oder verstorbenen Unterhaltsverpflichteten oder an die Bedürftigkeit des hinterbliebenen Kindes anzuknüpfen (vgl. BT-Drucks. 11/4124, S. 164, 214). Andererseits hat der Gesetzgeber in § 67 Abs. 3 SGB VII auch abstrakt Altersgrenzen gesetzt, zu denen ein Anspruch auf Waisenrente endet, ohne dass es darauf ankommt, ob das hinterbliebene Kind beim Erreichen der Altersgrenze in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten. Dies erscheint insbesondere in den Fällen des § 67 Abs. 3 S. Nr. 2 lit. d) SGB VII fraglich.
Dem Charakter der Vorschrift als abstrakter Regelung des Unterhaltsersatzes sowie dem bewussten Verzicht des Gesetzgebers auf eine Anknüpfung an die zivilrechtlichen Unterhaltsvoraussetzungen und der dadurch erfolgten Lösung vom bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht (vgl. BSG, Urt. v. 07.07.1965, 12 RJ 180/62 zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO) widerspräche es somit, wenn man im Einzelfall darauf abstellen würde, ob nach den zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 1601 ff., 1610 BGB) ein Anspruch auf Unterhalt gegenüber dem verstorbenen Versicherten (noch) bestünde (so auch Keller a.a.O. Rn. 33; BSG, Urt. v. 07.07.1965, 12 RJ 180/62 zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.03.2010, L 3 U 208/08, kritisch dazu Ziegler a.a.O. Rn. 22 ff.). Eines zu kompensierenden individuellen ohnehin nur rein fiktiv bestimmbaren Unterhaltsanspruchs bedarf es im Rahmen des Anspruchs auf Waisenrente daher nicht (a.A. wohl BSG, Urteil vom 18.06.2003, B 4 RA 37/02 R zu § 48 SGB VI). Auch kommt es, wie ausgeführt, nach der gesetzlichen Konstruktion grundsätzlich gerade nicht darauf an, ob die Waise in der Lage ist, aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Im Übrigen ist in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass auch eine Zweitausbildung z.B. bei geänderter Berufsplanung oder bei neu gewähltem Berufsziel oder die Wiederholung einer Prüfung zur Notenverbesserung oder die Ausbildung zu einer weiteren Berufsstufe (z.B. Meister) eine waisenrentenberechtigende Berufsausbildung darstellen können (siehe dazu u.a. Keller a.a.O. Rn. 33 u. 36a m.w.N.; Rütenik a.a.O. Rn. 45 u. 48 m.w.N.; Marschner a.a.O. Rn. 17; u.a. BSG, Urteile v. 07.07.1965, 12 RJ 180/62, und vom 30.03.1967, 12 RJ 590/63, zu § 1267 Abs. 1 S. 2 RVO; BSG, Urteile vom 15.07.1992, 9a RV 7/91, und vom 26.11.1975, 10 RV 135/75, zu § 45 BVG; a.A. Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 80. EL 2013, § 67 SGB VII Rn. 4: grundsätzlich kein Anspruch auf Waisenrente bei Zweitausbildung; a.A. wohl auch BSG, Urteil vom 18.06.2003, B 4 RA 37/02 R, zu § 48 SGB VI). Auch in diesen Fällen ist es ohne Bedeutung, ob die Waise bereits imstande ist, sich ausreichend selbst zu unterhalten. Es wäre daher nicht begründbar, wenn man im vorliegenden Fall einen Anspruch des Klägers auf Waisenrente wegen der Aufnahme eines sinnvollen, seiner künftigen Berufsplanung dienenden Zweitstudiums verneinen würde. Die Möglichkeit einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Waisenrente durch Aufnahme einer Scheinausbildung wird im Übrigen durch die Regelung in § 67 Abs. 3 S. 2 SGB VII erheblich erschwert. Für die Annahme eines Scheinstudiums finden sich im vorliegenden Fall aber schon deswegen keine Anhaltspunkte, weil der Kläger im Juli 2013 sein Zweitstudium erfolgreich abgeschlossen hat.
Da der Kläger aus den genannten Gründen einen rechtlichen Anspruch auf Gewährung der Waisenrente über den 30.04.2011 hinaus bis zum 07.12.2012 hat, lässt es der Senat dahin gestellt, ob sich ein Anspruch für Mai 2011 auch daraus ergeben könnte, dass der BG die Waisenrente für Mai 2011 vorbehaltlos an den Kläger ausgezahlt hat und hierin ein bestandskräftiger, nicht zurückgenommener Verwaltungsakt zu sehen wäre. Die Frage ist praktisch ohnehin bedeutungslos, da der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2014 auf eine Rückforderung ausgezahlter Waisenrentenleistungen insbesondere für Mai 2011 verzichtet hat.
Soweit der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren und nochmals in der mündlichen Verhandlung unter Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung der Hochschule A-Stadt - Fakultät für Informatik vom 24.11.2011 nach den Feststellungen des Senats zutreffend vorgetragen hat, dass aus dem zunächst absolvierten Diplomstudium "Informatik" 53 % der für das "Wirtschaftsinformatikstudium" notwendigen Creditpoints angerechnet werden konnten, was zu einer Verkürzung der Studiendauer von 7 auf 4 Semestern geführt hat, kommt es hierauf im Ergebnis nicht an. Zwar vermag diese Feststellung einen engen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den beiden Studiengängen zu belegen. Der Kläger hat aus den vom Senat genannten Gründen aber auch ohne einen solchen inhaltlichen Zusammenhang einen Anspruch auf Gewährung der Halbwaisenrente über den 30.04.2011 hinaus.
Nach alledem hat das SG im Ergebnis richtig entschieden. Ob die Beklagte im Hinblick auf § 73 Abs. 2 SGB VII zu verurteilen gewesen wäre, dem Kläger bis 31.12.2012 Waisenrente zu gewähren, ist nicht streitgegenständlich.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, da die Frage, ob der Anspruch auf Zahlung einer Waisenrente nach § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a) SGB VII nach erfolgreichem Abschluss einer (ersten) Berufsausbildung entfällt, über den vorliegenden Einzelfall hinaus Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
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