L 8 AL 1652/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 4214/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 1652/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.04.2013 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 22.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2011 verurteilt, dem Kläger ab dem 28.11.2010 bis zum 27.02.2011 dem Grunde nach Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen weitergehenden Anspruch auf Insolvenzgeld (InsG; 01.10.2010 bis 31.12.2010 statt 11.02.2011 bi 10.05.2011) gegen die Beklagte hat.

Der Kläger, geboren 1975, war seit dem Jahr 2008 bei der Firma-B.-R., Inhaber G. B., in A. als Elektroniker beschäftigt. Im September 2010 fand im Betrieb Kurzarbeit statt (Blatt 107 der Beklagtenakte Teil Alg/FbW). Ab Oktober 2010 erhielt der Kläger kein Arbeitsentgelt ausbezahlt (Arbeitsbescheinigung vom 22.02.2011). Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.12.2010 (Blatt 12 der SG-Akte S 3 AL 21/11 ER) machte der Kläger die Zurückbehaltung seiner Arbeitskraft gegenüber dem Arbeitgeber geltend, sollte nicht bis 31.12.2010 das Arbeitsentgelt gezahlt sein. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.08.2011 aufgrund einer Kündigung des Insolvenzverwalters beendet (Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters vom 05.08.2011; Vergleich ArbG Heilbronn vom 02.08.2011, Aktenzeichen 1 Ca 277/11).

Dem Kläger wurde aufgrund von Bescheiden der Beklagten vom 17.01.2011 (Blatt 83, 88/89 der Beklagtenakte Teil Alg/FbW) vorläufig Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.01.2011 i.H.v. 29,81 EUR (Leistungsbetrag) kalendertäglich gewährt (insgesamt: 1.334,80 EUR). Am 21.03.2011 nahm der Kläger wieder eine Beschäftigung auf (Blatt 101 Beklagtenakte Teil Alg/FbW; zum Gehalt vgl. die Gehaltsabrechnung der Stadt R. vom April 2011 in der Beklagtenakte Teil InsG).

Auf Antrag des G. B. eröffnete das AG Crailsheim - Insolvenzgericht - mit Beschluss vom 11.05.2011 (Geschäftsnummer: IN 22/11 (Ho)) das Insolvenzverfahren über das Vermögen des G. B., der am 07.08.2011 verstarb. Mit Beschluss vom 29.08.2012 stellte das AG Crailsheim das Insolvenzverfahren mangels Masse ein.

Der Kläger beantragte am 28.12.2010 bei der Beklagten Insolvenzgeld. Zu seinem Antrag gab er an, die Betriebstätigkeit sei am 31.12.2010 vollständig beendet gewesen. Er sei persönlich vorbeigefahren und hab auch von Kollegen Kenntnis hiervon (Blatt 1 der Beklagtenakte Teil Insg). Mit Bescheid vom 22.09.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Insolvenzgeld für die Zeit vom 11.02.2011 bis zum 10.05.2011 unter Berücksichtigung des gezahlten Alg und des erzielten Arbeitsentgelts i.H. von insgesamt 666,80 EUR.

Mit seinem Widerspruch vom 29.09.2011 machte der Kläger u.a. geltend, die Betriebstätigkeit seines Arbeitgebers sei zum 31.12.2010 vollständig und tatsächlich eingestellt gewesen. Der Insolvenzzeitraum sei somit falsch festgelegt. Folglich müsse für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2010 InsG gewährt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Als Insolvenzereignis sei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers am 11.05.2011 anzusehen, weshalb der Insolvenzgeldzeitraum die Zeit vom 11.02.2011 bis zum 10.05.2011 umfasse. Die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit könne nur dann als Insolvenzereignis herangezogen werden, wenn von keiner Seite ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden sei und ein Insolvenzverfahren auch offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht komme. Vorliegend sei jedoch ein Insolvenzverfahren beantragt und auch eröffnet worden.

Der Kläger hat am 24.11.2011 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Die Betriebstätigkeit sei bereits Ende des Jahres 2010 vollständig eingestellt worden. Im Rechtsstreit vor dem ArbG Heilbronn habe sich herausgestellt, dass die Betriebs- und Geschäftsausstattung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwertet worden seien und das Insolvenzverfahren masselos sei. Daher liege es auf der Hand, dass die Beklagte von Oktober 2010 bis Dezember 2010 InsG zu zahlen habe. Zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung sei ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht gekommen. Der erst Monate später gestellte Insolvenzantrag stelle ein neues Insolvenzereignis dar. Ihm stehe aber schon aufgrund des ersten Insolvenzereignisses InsG zu.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09.04.2013 abgewiesen. Der Kläger habe in den Monaten Oktober bis Dezember 2010 keinen Anspruch auf InsG. Da ein Insolvenzereignis i.S.d. § 183 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 SGB III (Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland) nicht vorliege, sei maßgeblicher Insolvenzzeitpunkt i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III der 11.05.2011 gewesen, an dem das AG Crailsheim das Insolvenzverfahren eröffnet habe. Das hier nicht einschlägige Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III beinhalte als Auffangtatbestand drei Merkmale, die kumulativ vorliegen müssten: die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im Inland, das Fehlen eines Eröffnungsantrages und den Umstand, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht komme. Dahinstehen könne, ob die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im Inland schon zum 31.12.2010 erfolgt sei, wogegen zumindest die Angaben des Insolvenzverwalters in der Insolvenzgeldbescheinigung vom 05.08.2011 spräche, als dort als Tag der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit der 28.02.2011 angegeben sei. Jedenfalls habe eine offensichtliche Masselosigkeit seinerzeit nicht vorgelegen. Dies folge bereits aus der späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 11.05.2011. Werde bei unveränderter Sachlage das Insolvenzverfahren eröffnet, zeige sich damit, dass ein Anschein für Masseunzulänglichkeit objektiv nicht bestanden habe. Unschädlich sei, dass im Protokoll des ArbG Heilbronn vom 07.12.2011 ausgeführt sei, es müsse von Massearmut ausgegangen werden, da spätere Änderungen nach Eintritt des zeitlich ersten Insolvenzereignisses unbeachtlich seien. Sowohl der Insolvenzgeldzeitraum (11.02.2011 bis 10.05.2011) als auch das darin zu zahlende InsG seien zutreffend berechnet.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 12.04.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.04.2013 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Er vertrete weiterhin die Auffassung, dass ihm InsG von Oktober bis Dezember 2010 zustehe. Falsch sei die Annahme des SG, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III seien nicht erfüllt. Die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit sei zum 31.12.2010 erfolgt. Falsch sei auch die Annahme, dass eine offensichtliche Masselosigkeit seinerseits nicht vorgelegen habe. Offensichtliche Masselosigkeit könne am 31.12.2010 vorgelegen haben und am 11. Mai 2011 nicht mehr. Diesem Umstand versuche das SG dadurch Rechnung zu tragen, dass es auf eine unveränderte Sachlage Bezug nehme. Weshalb aber von einer "unveränderte Sachlage" ausgegangen werden soll, erschließe sich nicht. Es sei auch keineswegs unschädlich, dass im Protokoll des ArbG Heilbronn vom 07.12.2011 ausgeführt sei, es müsse von einer Massearmut ausgegangen werden. Denn das "erste" Insolvenzereignis sei gerade nicht der 11.05.2011, sondern das Insolvenzereignis vom 31.12.2010. Das SG habe es auch unterlassen, abzuklären, ob Ende Dezember 2010 ein erstes Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III vorgelegen habe. Auch werde heute ein Insolvenzverfahren auch dann eröffnet, wenn überhaupt keine Masse vorhanden sei. Letztendlich komme es lediglich darauf an, ob zum Ende 2010 die Tatbestandsvoraussetzungen des § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III vorgelegen hätten oder nicht. Zu dieser Frage habe das SG die notwendigen Feststellungen ermitteln und treffen müssen. Auch sei das SG nicht darauf eingegangen, dass die Beklagte verpflichtet sei, bei Beantragung von InsG die notwendigen Maßnahmen gegenüber der Arbeitgeberin zu treffen - gegebenenfalls notfalls einen Insolvenzantrag zu stellen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.04.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 22.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2011 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld für 3 Monate in einem Zeitraum ab 01.10.2010 zu gewähren.

Im Übrigen hat er angeregt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen und diesem Gelegenheit zu geben, die notwendigen Feststellungen zu treffen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Kläger trage die Beweislast für die offensichtliche Masselosigkeit in dem behaupteten Zeitpunkt der Betriebseinstellung. Vorliegend sei nicht geklärt, ob beim Arbeitgeber Zahlungsunfähigkeit oder lediglich Zahlungsunwilligkeit bestanden habe. Könne nicht festgestellt werden ob das Eine oder Andere vorliege, gehe dies zu Lasten des Klägers.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt E., als sachverständigen Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 33/44 der Senatsakte) Bezug genommen. Rechtsanwalt E. hat in seiner Auskunft vom 26.08.2013 unter Vorlage seines Berichts für das AG Crailsheim vom 27.07.2011 u.a. ausgeführt, die Betriebstätigkeit des Unternehmens sei schon längere Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens endgültig eingestellt worden. Bei seinem ersten Besuch vor Ort am 18.05.2011 habe er festgestellt, dass keine Betriebsräume mehr vorhanden gewesen seien, weil das Betriebsgrundstück bereits vor Insolvenz-Antragstellung verkauft und von der neuen Eigentümerin bezogen worden sei. Er habe auch keine geordneten betrieblichen Unterlagen mehr vorfinden können. Wann tatsächlich die Betriebseinstellung erfolgt sei, habe er im Rahmen seiner Tätigkeit nicht überprüft. Wann die Betriebsmittel und -einrichtungen veräußert worden seien, sei ihm nicht bekannt, ebenso nicht, wann letzte Aufträge abgearbeitet worden seien. Die tatsächliche und wirtschaftliche Situation Ende Dezember 2010 entziehe sich seiner Kenntnis. Im Bericht an die Gläubigerversammlung hat der Insolvenzverwalter ausgeführt, der Betrieb sei am 28.02.2011 endgültig und vollständig eingestellt worden.

Hierzu hat die Beklagte (Schreiben vom 09.09.2013, Blatt 45/46 der Senatsakte) ausgeführt, selbst wenn man unterstelle, dass der 28.02.2011 das Datum der vollständigen Betriebseinstellung sei, bleibe weiterhin zu klären, ob zu diesem Zeitpunkt "offensichtliche Masselosigkeit" vorgelegen habe. Zwar teile der Insolvenzverwalter mit, der Schuldner habe seine Zahlungen zum Jahresende 2010 eingestellt, es bleibe aber weiterhin offen, weshalb er dies getan habe. Es könne jedenfalls aus dieser Tatsache nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass zu diesem Zeitpunkt das Vermögen des Schuldners nicht mehr ausgereicht habe um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken.

Der Kläger hat u.a. ausgeführt (Schreiben vom 28.10.2013, Blatt 48/50 der Senatsakte), dass die vorliegenden Fakten keine Zweifel daran zuließen, dass der Betrieb nicht erst Ende Februar 2011 vollständig und endgültig eingestellt worden sei, sondern schon Ende Dezember 2010. Laut Insolvenzverwalter habe der Schuldner seine Zahlung zum Jahresende 2010 eingestellt. Aus dem Bericht des Insolvenzverwalters an das AG Crailsheim lasse sich unter anderem entnehmen, dass 54 Forderungsanmeldungen über insgesamt 1.209.054,69 EUR vorgelegen hätten. Auch die Aufstellung der Kündigungs- und Austrittsdaten der Arbeitnehmer lasse erkennen, dass von den 14 Arbeitnehmern 9 Arbeitnehmer spätestens zum 31.12.2010 ausgeschieden seien und auch er sowie die Mitarbeiterin A. nichts mehr gearbeitet hätten. Ein Betrieb, bei dem zu einem bestimmten Zeitpunkt 11 von insgesamt 14 Mitarbeitern nicht mehr tätig seien, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht mehr fortgeführt worden, zumal auch bei den restlichen drei Mitarbeitern sehr viel dafür spreche, dass diese mit Ablauf des 31.12.2010 beschäftigungslos geworden seien.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG) über die Berufung des Klägers entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt hatten und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich war.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, und teilweise begründet. Doch kommt einer Zurückverweisung nach § 159 SGG nicht in Betracht, da schon dessen Voraussetzungen nicht vorliegen, weshalb der Senat auch keine entsprechende Ermessensentscheidung zu treffen hatte.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2011 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Denn dem Kläger steht statt des InsG im Zeitraum vom 11.02.2011 bis 10.05.2011 - insoweit unter Anrechnung der in diesem Zeitraum bereits gezahlten InsG-Leistungen - InsG für den Zeitraum vom 28.11.2010 bis zum 27.02.2011 zu.

Der mit der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgte InsG-Anspruch des Klägers gründet auf § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III in der vom 12.12.2006 bis 31.12.2012 geltenden Fassung. Danach haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden war und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam. Der InsG-Zeitraum umfasst die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

Ansprüche nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der vorliegend anzuwendenden Fassung scheiden aus, da der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mangels Masse abgelehnt worden war; vielmehr war ein solches Insolvenzverfahren gerade mit Beschluss des AG Crailsheim vom 11.05.2011 eröffnet worden. Dass das eröffnete Insolvenzverfahren dann im Jahr 2012 mangels Masse eingestellt wurde, begründet dann nicht mehr den Anspruch nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III. Auch kommt vorliegend ein Anspruch nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III, also ein InsG-Anspruch wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers, nicht in Betracht. Zwar wurde - wie ausgeführt - das Insolvenzverfahren am 11.05.2011 eröffnet, doch handelt es sich nach Überzeugung des Senats nicht um das erste Insolvenzereignis. Für die Begründung des InsG-Anspruchs ist jedoch - bei Auftreten mehrerer Insovenzereignisse i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III - immer das zeitlich erste Insolvenzereignis maßgeblich (Krodel in Niesel/Brandt, SGG, 5. Auflage, § 183 RdNr. 34). Vorliegend konnte sich der Senat davon überzeugen, dass bereits am 28.02.2011 das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III eingetreten und daher für die Berechnung des InsG-Anspruchs des Klägers maßgeblich ist.

Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass der Arbeitgeber des Klägers seine Betriebstätigkeit im Inland am 28.02.2011 vollständig beendet hat. Nach der gesetzlichen Konzeption genügt nicht jede Beendigung einer Betriebstätigkeit um ein Insolvenzereignis i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III mitauslösen zu können. Erforderlich ist vielmehr die vollständige Beendigung jeder dem Betriebszweck dienenden Tätigkeit (so aus neuerer Zeit z.B. Sächsisches LSG 10.03.2010 - L 1 AL 242/07 = juris RdNr. 33). Nur die dem Betriebszweck dienenden Tätigkeiten (Arbeiten) sind "Betriebstätigkeiten" im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III. Dienen Arbeiten innerhalb eines Betriebes dem mit dem Betrieb verfolgten Zweck nicht mehr, handelt es sich nicht mehr um insg-relevante Betriebstätigkeiten. Daher stehen insbesondere die der Auflösung, der reinen Abwicklung oder lediglich der Erhaltung von Betriebsanlagen dienenden Arbeiten der Annahme der vollständigen Beendigung einer Betriebstätigkeit nicht entgegen. Die Beurteilung, wann die Betriebstätigkeit vollständig beendet ist, richtet sich insbesondere nach der Art des Betriebes (BSG 05.06.1981 – 10/8b RAr 3/80BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr. 19; BSG 08.02.2001 – B 11 AL 27/00 R – juris RdNr. 17). Bei Betrieben, die nur produzieren, ist daher die endgültige Beendigung der Produktion maßgebend (LSG a.a.O. RdNr. 33).

Gegenstand des Betriebes war vorliegend nach dem Bericht des Insolvenzverwalters vom 27.07.2011 (Blatt 35/40 der Senatsakte, dort Blatt 37 = Seite 3 des Berichts) die Herstellung von - zunächst analogen, später ausschließlich digitalen - Röntgengeräten für die Tiermedizin. Dem entsprechen auch die Angaben des Arbeitgebers auf seinem betrieblichen Briefbogen (dazu das Kündigungsschreiben vom 21.01.2011 in der Beklagtenakte Teil Insg), auf dem lediglich der Röntgen-Apparatebau, nicht jedoch Wartungsarbeiten bzw. sonstige dienstleistende Betriebstätigkeiten genannt sind. Damit kann auch vorliegend angenommen werden, dass spätestens mit Einstellung der Produktion die Betriebstätigkeit beendet worden war. Auch wenn der Insolvenzverwalter gegenüber dem Senat mit Schreiben vom 26.08.2013 angegeben hatte (Blatt 33/34 der Senatsakte), nicht überprüft zu haben, wann tatsächlich die Betriebseinstellung erfolgt war, so hat er zeitnäher zum Insolvenzereignis gegenüber dem AG Crailsheim (Bericht vom 27.07.2011) und gegenüber der Beklagten (InsG-Bescheinigung, vgl. Beklagtenakte Teil Insg) ausgeführt, die Betriebstätigkeit sei per Ende Februar 2011 bzw. zum 28.02.2011 vollständig und endgültig beendet worden. Dem entspricht auch, dass das Betriebsgrundstück vor der Insolvenzverfahrenseröffnung am 11.05.2011 an die Fa. CEA Deutschland GmbH veräußert worden war und diese dort bereits vor dem 11.05.2011 ihren Betrieb aufgenommen hatte (Blatt 37 der Senatsakte = Seite 3 des Berichts vom 27.07.2011). Hinzu kommt, dass bereits vor dem 11.05.2011 die Betriebs- und Geschäftsausstattung zugunsten der Sicherungseigentümer veräußert worden war (Blatt 37 der Senatsakte = Seite 3 des Berichts vom 27.07.2011). Da der Senat aber jedenfalls zum 28.02.2011 weder Produktion noch ein Betriebsgrundstück feststellen konnte und über den 28.02.2011 hinaus von ursprünglich 14 Mitarbeitern nur noch der Kläger, der wegen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht mehr arbeitete, und zwei weitere Mitarbeiter verblieben sind - die Mitarbeiterin A., hatte vom klägerischen Bevollmächtigten vertreten seit 01.01.2011 von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht und daher nicht mehr gearbeitet bzw. die Mitarbeiterin B., die jedenfalls zum 23.03.2011 ausgeschieden ist (Blatt 41 der Senatsakte = Anlage zum Bericht vom 27.07.2011) - konnte sich der Senat davon überzeugen, dass die Betriebstätigkeit zum 28.02.2011 vollständig aufgegeben wurde.

Dagegen konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Betriebstätigkeit schon zum 31.12.2010 vollständig beendet worden war. Zwar spricht - wie der Kläger ausführt - die Reduktion der Mitarbeiterzahl am 01.01.2011 von ursprünglich 14 auf noch fünf Arbeitnehmer (A., B, Bl., H.-B., M.) dafür, dass der Betrieb nicht mehr in vollem Umfang geführt wurde. Jedoch lässt sich bei noch verbleibenden fünf Mitarbeitern, auch wenn zumindest zwei davon wegen eines Zurückbehaltungsrechts nicht mehr arbeiteten, nicht ableiten, dass keine Produktion mehr erfolgt wäre. Auch dass die gefertigten Produkte fehlerhaft waren und deswegen der Betrieb letztlich Schwierigkeiten hatte, begründet nicht Annahme, dass der Betrieb daher schon zum 31.12.2010 vollständig beendet worden wäre. Soweit der Insolvenzverwalter mitgeteilt hat (Blatt 39 der Senatsakte = Seite 5 des Berichts vom 27.07.2011), dass ab November 2010 keine Lohnabrechnungen mehr erstellt worden seien, kann daraus - weder isoliert betrachtet, noch in der Zusammenschau mit den anderen Umständen des Einzelfalles - ebenfalls nicht abgeleitet werden, dass der Betrieb bereits am 31.12.2010 vollständig eingestellt worden wäre. Insoweit trägt aber der Kläger den Nachteil aus der Nichterweislichkeit dieses anspruchsbegründenden Umstandes.

Zum Zeitpunkt des 28.02.2011 war auch kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des G. B. gestellt; die Anträge datieren erst vom April bzw. Mai 2011 (Blatt 35 der Senatsakte = Seite 1 des Berichts vom 27.07.2011).

Am 28.02.2011 kam ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht. Masselosigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens im Sinne von §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 54 InsO zu decken. Sie muss vor oder gleichzeitig mit der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit eintreten. Zu diesem Zeitpunkt (28.02.2011) hatte der Betriebsinhaber B. weder Immobilienvermögen (das ursprünglich in seinem Miteigentum stehende Grundstück war bereits im Februar 2010 aufgelassen worden) noch so erhebliche sonstige Mittel, aus denen die Kosten des Insolvenzverfahrens i.S.d. § 54 InsO hätten gedeckt werden können. Diese Überzeugung stützt der Senat auf die vom Insolvenzverwalter aber auch die vom Kläger mitgeteilten Umstände. Zunächst waren bereits seit Oktober 2010 keine Gehälter mehr bezahlt worden. Seit November 2010 war keine Lohnabrechnung mehr erfolgt; die Buchführung war - wie der Insolvenzverwalter mitteilte - zusammengeworfen in einem Raum vorgefunden worden. Zumindest der Kläger hat (am 01.02.2011) ein Versäumnisurteil wegen ausstehendem Arbeitsentgelt erwirkt, Vollstreckungsversuche in Folge des Urteils waren erfolglos geblieben. Eintreibbare Forderungen des Arbeitgebers hatten nicht mehr bestanden. Die Betriebs- und Geschäftsausstattung samt Warenlager waren zur Sicherheit übereignet (die letzte Globalzession datierte vom 06.12.2010). Diese Umstände führen vorliegend bei einer kritischen Prüfung und Würdigung dazu, dass sich der Senat davon überzeugen konnte, dass am 28.02.2011 nicht mehr so viel Vermögen beim Arbeitgeber vorhanden war, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens hätten bestritten werden können. Insoweit durfte am 28.02.2011 aus Sicht eines objektiven Dritten dem äußeren Anschein nach angenommen werden (zum Maßstab Offensichtlichkeit vgl. BSG Urteil vom 04.03.1999 - B 11/10 AL 3/98 R, juris), dass mangels einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse ein Insolvenzverfahren nicht in Betracht käme. Angesichts der gesamten Umstände konnte sich der Senat auch nicht davon überzeugen, dass die Lohnzahlungen bzw. die Zahlungen auf sonstige Forderungen aus einem Unwillen des Arbeitgebers heraus unterblieben sind, sondern dieser hat - wie § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermutet - und vom Insolvenzverwalter dargelegt (Blatt 36 der Senatsakte = Seite 2 des Berichts vom 27.07.2011) - spätestens Ende 2010 seine Zahlungen eingestellt und zwar wegen Zahlungsunfähigkeit.

Soweit die Beklagte ausführt, zum 28.02.2011 sei die Masselosigkeit noch nicht offensichtlich gewesen, so folgt ihr der Senat nicht. Denn Zweifel an der Masseunzulänglichkeit berechtigen die Beklagte nicht dazu, einen Antrag auf InsG abzulehnen. Insoweit ist das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit der Masselosigkeit so zu verstehen, dass kein gesteigerter Grad an Evidenz und Richtigkeit – etwa im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit – zu fordern ist, sondern in der am Schutzzweck orientierten Auslegung des BSG ist gerade von einem abgeschwächten Maßstab der Wahrscheinlichkeit auszugehen (so LSG a.a.O. RdNr. 40). Es muss sich lediglich aufgrund äußerer, tatsächlicher Umstände für den Dritten der plausible Anschein der Masselosigkeit ergeben (BSG a.a.O). Das ist nach Überzeugung des Senats jedenfalls am 28.02.2011 der Fall. Ob Masselosigkeit bereits am 31.12.2010 vorlag kann dabei offen bleiben, denn der Senat konnte am 31.12.2010 noch nicht feststellen, dass der Betrieb vollständig beendet war.

Auch war die Beklagte zur Stellung eines eigenen, früheren Insolvenzantrages (dazu vgl. BSG17.07.1979 - 12 Rar 15/78 - BSGE 48,269-277 = SozR 4100 § 141n Nr. 11 = juris) - entgegen den Forderungen des Klägers - nicht verpflichtet. Denn das BSG hat seine Rechtsprechung insoweit ausdrücklich aufgegeben (BSG 23.11.1981 - 10/8b Rar 6/80 - BSGE 53, 1-4 = SozR 4100 § 141b Nr. 21 = juris RdNr. 23).

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es am 28.02.2010 zu einem Insolvenzereignis i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III gekommen ist, aufgrund dessen der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf InsG hat; Ausschlussgründe nach § 184 SGB III in der bis 31.12.2012 geltenden Fassung liegen nicht vor.

Damit beläuft sich der InsG-Zeitraum vom 27.02.2011 zurück bis zum 28.11.2010. In diesem Zeitraum steht dem Kläger InsG in gesetzlicher Höhe zu; den konkreten Zahlungsbetrag hat die Beklagte zu errechnen, weshalb vorliegend im Sinne des klägerischen Antrags nur ein Grundurteil zu ergehen brauchte (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Auch wenn der Kläger ausdrücklich beantragt hatte, ihm InsG für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2010 zu gewähren, konnte vorliegend nicht nur bis Dezember 2010 eine Verurteilung erfolgen. Der Antrag des Klägers war seinem Vorbringen gemäß sachdienlich so auszulegen, dass er jedenfalls für einen früheren als von der Beklagten angenommenen Zeitraum InsG begehrt. Der Kläger hat damit Anspruch auf InsG in gesetzlicher - von der Beklagten noch auszurechnender - Höhe für den Zeitraum vom 28.11.2010 bis zum 27.02.2011. Insoweit war das Urteil des SG aufzuheben und der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2011 abzuändern. Bereits bezogene Leistungen hat sich der Kläger jedoch auf den von der Beklagten noch auszurechnenden InsG-Anspruch anrechnen zu lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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