L 6 VK 1846/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 VK 783/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VK 1846/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichte Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt in materiell-rechtlicher Hinsicht die Feststellung weiterer beziehungsweise die Präzisierung der bereits festgestellten Schädigungsfolgen und die Gewährung von Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II ab 01.06.1998.

Der am 17.07.1922 geborene und zuletzt als selbständiger Rechtsanwalt tätig gewesene Kläger erlitt im Jahr 1941 eine kriegsbedingte Schussverletzung, die zu einem Verlust des linken Oberarmes führte. Seine Versorgungsbezüge betrugen 2009 zuletzt 789,00 EUR (Beschädigtenrente 684,00 EUR, Schwerstbeschädigtenzulage Stufe 1.74,00 EUR und Pauschbetrag 31,00 EUR).

Es wurden diverse Verwaltungsverfahren durchgeführt. Sie fanden unter anderem durch die Bescheide vom 22.12.1978 (Neufeststellung von Schädigungsfolgen; Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 vom Hundert [v. H.]), 12.02.1981 (Neufeststellung von Schädigungsfolgen; MdE um 100 v. H.), 16.02.1981 (Ablehnung der Neufeststellung von Gesundheitsstörungen, insbesondere von "Überbeanspruchung der Gelenke am rechten Ellenbogen, rechten Handgelenk und Daumengelenk mit Beschwerden" als Schädigungsfolgen), 10.10.1984 (Ablehnung der Neufeststellung von Schädigungsfolgen), 02.09.1996 (Neufeststellung von Schädigungsfolgen; MdE um 100 v. H.) und 21.07.1998 (Neufeststellung von Schädigungsfolgen; MdE um 100 v. H.) ihren Abschluss.

Im Rahmen eines beim Sozialgericht Mannheim (S 9 V 249/99) anhängigen Klageverfahrens wurden unter anderem von Amts wegen das Gutachten des Orthopäden, Rheumatologen und Sportmediziners Dr. P., vom 28.04.1999 samt Stellungnahme vom 05.11.1999 und auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Orthopäden und Rheumatologen Prof. Dr. R., Universitätsklinik H., vom 16.02.2000 (MdE 80 v. H. für das Organsystem "linker Arm und Schultergürtel", MdE 50 v. H. für das Organsystem "Stamm", MdE unter 10 v. H. für das Organsystem "Gehör", MdE unter 10 v. H. für das Organsystem "Kreislauf", keine MdE-Einschätzung in Bezug auf die Stumpf- und Phantombeschwerden) eingeholt. Hierzu hatte Dr. R. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.04.2000 dargelegt, bei einer Gesamtpunktzahl von 130 resultiere eine Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I.

Daraufhin stellte der Beklagte in Ausführung des von ihm am 27.04.2000 abgegebenen und vom Kläger am 08.05.2000 angenommenen Anerkenntnisses mit Ausführungsbescheid vom 26.05.2000 als Schädigungsfolgen

" 1. Verlust des linken Oberarmes mit gebrauchsunfähigem Stumpf, zahlreiche Narben im Schultergürtelbereich und Gefühlsstörungen im Bereich der Narben und am Oberarmstumpf sowie Weichteilverschwielungen im Bereich der Brust- und Schultergürtelmuskulatur 2. Zwangsfehlstellung des Kopfes, fixierte Verbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule mit Funktionsbehinderung. Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule 3. Geringe Mittelohrschwerhörigkeit beidseits 4. Blutdrucksteigerung 5. Stumpf- und Phantomschmerzen"

fest und bewilligte Grundrente nach einer MdE um 100 v. H., Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I sowie einen Pauschbetrag für Kleider- oder Wäscheverschleiß.

Im weiteren Verlauf ergingen der Bescheid vom 15.01.2003 (Ablehnung der Neufeststellung von Schädigungsfolgen) und unter anderem nach Einholung des Gutachtens der Orthopädin Dr. S. vom 09.07.2003 der Bescheid vom 26.08.2003 (Ablehnung der Neufeststellung von "Spinalstenosen" als Schädigungsfolgen).

Am 28.02.2008 beantragte der Kläger erneut die Neufeststellung von Schädigungsfolgen und höhere Versorgungsleistungen. Er legte dabei diverse ärztliche Unterlagen vor. Daraufhin holte der Beklagte den Befundbericht des Internisten, Hausarztes und Gastroenterologen Dr. S. vom 05.08.2008 ein und zog über ihn ärztliche Unterlagen bei. Sodann holte der Beklage ein erneutes fachorthopädisches Gutachten der Dr. S. vom 01.09.2008 ein. Die Gutachterin führte aus, die Oberarmamputation habe zu einer lang andauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt, so dass eine Beeinträchtigung im rechten Schultergelenk anzunehmen und plausibel sei. Es liege eine Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes mittlerer Ausprägung vor, die mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 20 zu berücksichtigen sei. Unter Berücksichtigung des Gutachtens des Prof. Dr. R. seien hinsichtlich der Einstufung der Schwerstbeschädigtenzulage für den Bereich "linker Arm und Schultergürtel" ein GdS von 80 und damit 80 Punkte sowie für den Bereich "Stamm, Wirbelsäule, Kopffehlhaltung" ein GdS von 50 und damit 50 Punkte und damit eine Gesamtpunktzahl von 130 zu vergeben, so dass es bei der Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I verbleibe. Dr. S. schloss sich in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.09.2008 dem Gutachten an.

Mit Bescheid vom 23.09.2008 stellte der Beklagte als Schädigungsfolgen

" 1. Verlust des linken Oberarmes mit gebrauchsunfähigem Stumpf, zahlreiche Narben im Schultergürtelbereich und Gefühlsstörungen im Bereich der Narben und am Oberarmstumpf sowie Weichteilverschwielungen im Bereich der Brust- und Schultergürtelmuskulatur. 2. Zwangsfehlstellung de Kopfes, fixierte Verbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule mit Funktionsbehinderung. Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule. 3. Geringe Mittelohrschwerhörigkeit beiderseits. 4. Blutdrucksteigerung. 5. Stumpf- und Phantomschmerzen. 6. Degenerativ versursachte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes mittleren Ausmaßes."

fest, führte aus, durch diese Gesundheitsstörungen betrage der GdS nach wie vor 100, auch wenn die neu festgestellte Gesundheitsstörung im Bereich des rechten Schultergelenkes mit einem GdS von 20 zu berücksichtigen sei. Eine Änderung der Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage und damit der laufenden Zahlung der Versorgungsbezüge trete daher nicht ein.

Hiergegen legte der Kläger am 26.09.2008 Widerspruch ein. Der Beklagte holte den Befundbericht des Orthopäden, Rheumatologen und Sportmediziners Dr. H. vom 12.11.2008 ein. Daraufhin schlug die Allgemeinmedizinerin L. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24.11.2008 eine Neufeststellung der Schädigungsfolgen vor.

Sodann stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 10.12.2008 als Schädigungsfolgen

" 1. Verlust des linken Oberarmes mit gebrauchsunfähigem Stumpf und Versteifung des linken Schultergelenkes nach Oberarmamputation wegen Gefäß- und Nervenverletzung sowie Infektion. Zahlreiche Narben im Schultergürtelbereich und Gefühlsstörungen im Bereich der Narben und am Oberarmstumpf sowie Weichteilverschwielungen im Bereich der Brust- und Schultergürtelmuskulatur. 2. Zwangsfehlstellung des Kopfes, fixierte Verbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule mit Funktionsbehinderung. Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule sowie Verspannungen der paravertrebralen Muskulatur der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. 3. Geringe Mittelohrschwerhörigkeit beiderseits. 4. Blutdrucksteigerung. 5. Stumpf- und Phantomschmerzen. 6. Degenerativ verursachte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes mittleren Ausmaßes."

fest und führte aus, durch diese Gesundheitsstörungen betrage der GdS nach wie vor 100 und eine Änderung in der laufenden Zahlung der Versorgungsbezüge trete damit nicht ein.

Mit Bescheid vom 11.12.2008 lehnte der Beklagte den im Widerspruchsschreiben zusätzlich gesehenen Überprüfungsantrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, bei dem geltend gemachten Überlastungsschaden des rechten Daumens handele es sich um keine Schädigungsfolge. Bereits mit Bescheid vom 16.02.1981 sei festgestellt worden, dass diese Gesundheitsstörung weder durch schädigende Einwirkungen hervorgerufen oder verschlimmert worden sei noch mit den anerkannten Schädigungsfolgen in ursächlichem Zusammenhang stehe. Hiergegen legte der Kläger am 29.12.2008 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2009 wies der Beklagte den gegen den Bescheid vom 23.09.2008 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 10.12.2008 eingelegten Widerspruch zurück. Eine weitere Präzisierung der Bezeichnung der anerkannten Schädigungsfolgen sei nicht notwendig. Bezüglich der geltend gemachten Spinalkanalstenosen sei bereits mit Bescheid vom 26.08.2003 festgestellt worden, dass diese nicht als mittelbare Schädigungsfolgen anerkannt werden könnten. Generelle Gehbeschwerden und -einschränkungen könnten nicht als Schädigungsfolgen anerkannt werden, weil solche Beschwerden nicht allein auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen seien, da am gesamten Bewegungsapparat auch andere degenerative Veränderungen vorlägen. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 02.03.2009 wies der Beklagte den gegen den Bescheid vom 11.12.2008 eingelegten Widerspruch zurück. Eine Rücknahme des Bescheides vom 16.02.1981, mit dem entschieden worden sei, dass die Beschwerden am rechten Daumen keine Schädigungsfolgen seien, komme nicht in Betracht, da der Kläger keine neuen rechtserheblichen Tatsachen oder Gesichtspunkte vorgebracht habe, die nicht bereits bei Erteilung dieses Bescheides berücksichtigt worden seien.

Gegen beide Bescheide hat der Kläger am 12.03.2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim erhoben. Der Kläger hat in seinen nahezu 30 mit diversen Anlagen und ärztlichen Unterlagen versehenen Schriftsätzen in materiell-rechtlicher Hinsicht unter anderem die Gewährung von Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II ab 01.06.1998 sowie die Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen, insbesondere eine Wirbelkanalverengung, eine Veränderung der rechten Hand, eine Gehbeeinträchtigung sowie Schmerzen im linken Kniegelenk als Schädigungsfolgen geltend gemacht.

Das Sozialgericht hat von Amts wegen das Gutachten des Orthopäden Dr. W. vom 10.03.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, beim Kläger sei von einer Veranlagung zu einer Daumensattelgelenksarthrose auszugehen, die sich im Laufe eines langen Lebens allmählich herausgebildet habe und jetzt zu Funktionseinschränkungen führe. Ein direkter Zusammenhang mit der Kriegsverletzung sei nicht ersichtlich. Für die Gang- und Standunsicherheit des Klägers gebe es vielfältige Ursachen. Dabei sei die Schwäche des Herzens bei hypertensiver Herzkrankheit, diastolischer Relaxationsstörung und Vorhofflimmern zu berücksichtigen. Erkennbar sei die Minderfunktion des Herzens gerade an den deutlichen Unterschenkel- und Knöchelödemen. Mit ursächlich für den beim Kläger bestehenden Schwindel seien mit großer Wahrscheinlichkeit die Blutdruckstörung, die hypertensive Herzerkrankung, das Vorhofflimmern und die nachgewiesene arteriosklerotische subkortikale Encephalopathie. An den unteren Extremitätengelenken fänden sich keine vorauseilenden degenerativen Veränderungen wesentlicher Ausprägung oder Funktionseinschränkungen. Am Rücken zeige sich ein erheblicher Verschleiß der untersten Lendenwirbelsäule und es liege eine spinale Stenose vor. Auch hier sei kein ursächlicher Zusammenhang mit der Kriegsverletzung festzustellen. Dass die Wirbelkanalverengung nicht auf die Armamputation zurückzuführen sei, ergebe sich daraus, dass es nicht zu einer schweren Fehlstellung der Lendenwirbelsäule gekommen, ein Zusammenhang zwischen einer Torsion und Verdrehung der Hals- und oberen Brustwirbelsäule und einer Verengung des Wirbelkanals an der Lendenwirbelsäule wissenschaftlich nicht gegeben sei, sondern hierfür vielmehr das Lebensalter und eine Veranlagung ursächlich seien. Auch seien die rezidivierenden chronischen Magenbeschwerden und Netzhautschädigungen an beiden Augen nicht auf die Kriegsverletzung zurückzuführen. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, im Wesentlichen sei dem Teil-Abhilfebescheid vom 10.12.2008 hinsichtlich der Schädigungsfolgen zuzustimmen. Die auf die Kriegsverletzung zurückzuführenden Erkrankungen seien hierin vollständig erfasst. Zu diskutieren wäre lediglich, ob die degenerativ verursachte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter tatsächlich auf das Kriegsereignis zurückzuführen sei oder im Rahmen eines Alterungsprozesses bei einer inneren Veranlagung auch ohne Kriegsschädigung eingetreten wäre. Dies ändere jedoch nichts Wesentliches an der Gesamteinschätzung.

Sodann hat das Sozialgericht auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Prof. Dr. S., Universitätsklinikum H., vom 05.07.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der erlittenen Kriegsverletzung mit der Spinalkanalstenose könne nicht hergestellt werden, vielmehr sei eine Entstehung aus innerer Ursache wahrscheinlich zu machen. Eine biomechanische Erklärung für das Vorliegen einer Spinalkanalstenose aufgrund einer Fehlstellung der Wirbelsäule existiere nicht. Die Verschleißerscheinungen, die bei einem 88-Jährigen zu einer Spinalkanalstenose führten, seien als altersbedingt einzustufen. Auch sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der erlittenen Kriegsverletzung mit der Daumensattelgelenksarthrose sowie der Handgelenksarthrose nicht herzustellen. Es handele sich hierbei um Veränderungen aus innerer Ursache. Es könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass die Mehrbenutzung des rechten Armes zu einem höheren Gelenkverschleiß geführt habe. Dies sei insbesondere aufgrund der fehlenden mechanischen Voraussetzungen nicht wahrscheinlich zu machen. Gleiches gelte für die Kniegelenksarthrosen beidseits. Es handele sich um innenseitig betonte Verschleißerscheinungen, die als altersbedingt einzustufen seien. Ein Zusammenhang mit der erlittenen Kriegsverletzung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, da die anerkannten Schädigungsfolgen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Beinstatik hätten. Insofern seien die Kniegelenksarthrosen als aus innerer Ursache entstanden zu bewerten. Von der Bezeichnung der Schädigungsfolgen im Bescheid vom 10.12.2008 sei insoweit abzuweichen, als die degenerativ bedingte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter nicht im Zusammenhang mit der anerkannten Erstverletzung zu sehen sei. Auch der Verschleiß des Schultergelenks folge dem Arthroseleiden aus innerer Ursache.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2011 hat das Sozialgericht, nachdem der Kläger das verspätete Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. S. zurückgenommen hat, die Klage nach vorangegangenen Anhörungen vom 30.07.2010 und 13.01.2011 abgewiesen.

Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger erreichen wolle, ihm ab 01.06.1998 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II zu gewähren. Losgelöst davon, dass der hierauf gerichtete Antrag in den streitgegenständlichen Bescheiden keinen Eingang gefunden habe und demnach eine angreifbare Verwaltungsentscheidung bisher nicht vorliege, sei dem Gericht eine inhaltliche Kontrolle des bestandskräftigen Ausführungsbescheides vom 26.05.2000 ohne Durchführung eines vorgeschalteten Überprüfungsverfahrens verwehrt. Mithin könne auch kein berechtigtes Interesse daran bestehen, feststellen zu lassen, mit welchen Punkten welche Schädigungsfolge zu taxieren sei. Unzulässig sei die Klage auch, soweit der Kläger aus seinem monokausalen Blickwinkel heraus im Laufe des Verfahrens immer wieder Gesundheitsstörungen beschrieben habe, die ebenfalls als Schädigungsfolge Anerkennung finden müssten. Insbesondere habe der Beklagte bisher keine Verwaltungsentscheidung dazu getroffen, ob funktionelle Beeinträchtigungen der Mittelgelenke der Finger 2 bis 5, des Hand- und Ellenbogengelenks, Schwindelbeschwerden sowie die Folgen von Sturzverletzungen als mittelbare Schädigungsfolgen zu werten seien. Dem Gericht sei es daher verwehrt, hierzu Feststellungen vorzunehmen. Gleiches gelte, soweit der Kläger erreichen wolle, dass Wirbelsäulenstenosen als Schädigungsfolge gewertet würden. Hierzu habe der Beklagte bereits mit Bescheid vom 26.08.2003 eine bestandskräftige Entscheidung erlassen.

Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Weder seien Schädigungsfolgen zu präzisieren noch weitere Schädigungsfolgen festzustellen. Es sei nicht in Zweifel zu ziehen, dass der Bescheid vom 13.02.1981 rechtmäßig sei. Er sei daher nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X aufzuheben. Denn die Daumensattelgelenksarthrose stelle keine mittelbare Schädigungsfolge dar. Hier sei den Bewertungen der Sachverständigen Dr. W. und Prof. Dr. S. zu folgen. Auch sei nicht erkennbar, dass seit dem Bescheid vom 26.05.2000 eine wesentliche Änderung der Sachlage eingetreten sei. Eine Abänderung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X komme daher nicht in Betracht. Es gebe zunächst keinen Anlass dafür, anerkannte Schädigungsfolgen anders beziehungsweise präziser zu formulieren. Es werde von niemanden bezweifelt, dass der Kläger an Stumpf- und Phantomschmerzen sowie weiteren erheblichen Beschwerden leide, die in erster Linie von der Wirbelsäule beziehungsweise deren Verbiegung ausgingen und im Tenor der Schädigungsfolgen hinreichend eingegangen seien. Darüber hinaus bestehe keine Veranlassung, vorgebrachte Myogelosen, Verspannungszustände, Verhärtungen von Sehnen- und Muskelsträngen im Rückenbereich, Hals-, Nacken- und Schulterbeschwerden, Rückenverschwar¬tungen, weitere Narben, eine Wirbelsäulenverbiegung beziehungsweise Rechtsverlagerung des Beckens, eine Plexusverletzung sowie einen Hochstand und eine Verkürzung der linken Schulter in den Tenor der Schädigungsfolgen aufzunehmen. Denn es würde hierdurch allenfalls eine Scheingenauigkeit erreicht, letztlich jedoch würde man die im Bescheid vom 10.12.2008 aufgeführten Schädigungsfolgen lediglich mit anderen Worten wiedergeben. Zudem begegne es keinen Bedenken, dass es der Beklagte unterlassen habe, den Bruch der 6. Rippe und der Skapula zu erwähnen. Denn beide Verletzungen seien seit nahezu 70 Jahren folgenlos ausgeheilt. In diesem Zusammenhang müsse sich der Kläger auch fragen lassen, warum der Zustand nach Operation eines Aneurysmas Beachtung finden solle. Diesem Aspekt komme allenfalls historische Bedeutung zu, Relevanz hingegen sei ihm nicht beizumessen. Der Kläger könne auch nicht mit seinem Anliegen, es sei eine Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks starken Ausmaßes zu berücksichtigen, durchdringen. Denn die von dem Sachverständigen beschriebenen Funktionsparameter bestätigten keinen weitgehenden Funktionsverlust des rechten Armes. Desweiteren seien auch funktionelle Einschränkungen der unteren Extremitäten, die zu einer Limitierung des Gehvermögens führten, nicht in den Tenor der Schädigungsfolgen aufzunehmen. Für die eingeschränkte Wegefähigkeit sei zum einen eine schicksalsmäßige Kniegelenksarthrose beidseits maßgeblich. Zum anderen sei die zunehmende allgemeine Schwäche nicht auf die Kriegsverletzung, sondern auf die Tatsache, dass der Kläger demnächst 89 Jahre alt werde, zurückzuführen. Zu keinem anderen Ergebnis würde man im Übrigen dann gelangen, wenn man sämtliche Gesundheitsstörungen dahingehend prüfen würde, ob es sich um mittelbare Schädigungsfolgen handele. Denn bezüglich der Handgelenks- und Ellenbogenarthrose ergebe sich keine Bewertung, die von derjenigen zur Daumensattelgelenksarthrose abweiche. Zudem gehe aus dem Tenor der Schädigungsfolgen bereits hervor, dass vorgebrachte Beschwerden und Bewegungseinschränkungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mitursächlich auf der Kriegsverletzung beruhten. Lediglich die Spinalkanalstenose stelle keine Schädigungsfolge dar. Auch hierbei handele es sich um eine altersbedingte Erscheinung, zumal das Kriegsereignis keine Verletzung der (Lenden-)Wirbelsäule bedingt habe.

Hiergegen hat der Kläger am 06.05.2011 Berufung eingelegt. Er rügt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid, also ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter, entschieden habe. In materiellrechtlicher Hinsicht vertritt er unter anderem die Ansicht, seine inzwischen erfolgten Stürze seien schädigungsbedingt. Der Kläger hat diverse ärztliche Unterlagen, insbesondere das in einer Schwerbehinderten-Angelegenheit für das Sozialgericht verfasste Gutachten des Internisten B. vom 31.08.2011, vorgelegt.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26. April 2011 aufzuheben und die Bescheide vom 23. September und 10. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2009 abzuändern, den Bescheid vom 11. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 1981 sowie Aufhebung des Bescheides vom 26. August 2003 mit Wirkung ab 1. Juni 1998 weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihm Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II zu gewähren, hilfsweise ein neurologisches Gutachten einzuholen und die weiter von ihm angetretenen Beweise zu erheben, hilfsweise das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung sei der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts nicht zu beanstanden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.

Eine Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheides und eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht nach § 159 SGG in der seit 01.01.2012 geltenden Fassung des Art. 8 Nr. 8a) des Vierten Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057), die mangels Schaffung einer Übergangsregelung in Art. 23 des vorgenannten Änderungsgesetzes nach dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts schon vor ihren Inkrafttreten anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst, hatte nicht zu erfolgen. Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückweisen wenn,

1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, 2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist.

Dass das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat, wie es der Kläger als Begründung vorträgt, begründet eine Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels nicht.

Denn das Sozialgericht durfte durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Voraussetzungen des § 105 SGG erfüllt sind. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Der Sachverhalt ist durch die eingeholten Gutachten des Dr. W. und des Prof. Dr. S. geklärt. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.

Der Senat hat den Antrag des Klägers nach § 106 Abs. 1 Nr. 3 SGG sachdienlich dahingehend ausgelegt, dass er neben der Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheides sowie der Aufhebung beziehungsweise Abänderung der streitgegenständlich angegriffenen Bescheide die Verurteilung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 16.02.1981 und Abänderung des Bescheides vom 26.05.2000 sowie die Neufeststellung von Gesundheitsstörungen als mittelbare Schädigungsfolgen und höhere Schwerstbeschädigtenzulage und hilfsweise die Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens von Amts wegen begehrt.

Der Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 11.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2009 zutreffend eine solche Rücknahme des Bescheides vom 16.02.1981 abgelehnt. Rechtsgrundlage für die Rücknahme von rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakten ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Soweit sich danach im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X).

Ferner hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23.09.2008 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 10.12.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2009 die Schädigungsfolgen zutreffend festgestellt und zu Recht eine Änderung der Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage abgelehnt. Er hat damit rechtmäßig eine darüber hinausgehende Änderung des Bescheides vom 26.05.2000 abgelehnt. Rechtsgrundlage für eine Aufhebung von Verwaltungsakten wegen einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist § 48 SGB X. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Dass der Beklagte zu Recht eine Rücknahme des Bescheides vom 16.02.1981 nach § 44 SGB X abgelehnt hat, ergibt sich daraus, dass er bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht richtig angewandt hat und von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als richtig erweist. Ferner ist in den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 26.05.2000 zugrunde gelegen haben, eine über die vom Beklagten vorgenommene Neufeststellung der Schädigungsfolgen hinausgehende wesentliche Änderung nicht eingetreten, so dass eine darüber hinausgehende Abänderung nach § 48 SGB X mit der Folge, dass weitere Schädigungsfolgen festzustellen wären oder höhere Schwerstbeschädigtenzulage zu gewähren wäre, nicht zu erfolgen hatte.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Beurteilung von Schädigungsfolgen ist § 1 Abs. 3 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG), wonach zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügt.

Der Senat orientiert sich bei der Bewertung der Schädigungsfolgen bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) und seit 01.01.2009 an der an deren Stelle getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV). Da sich in Bezug auf die vorliegend zu beurteilende Problematik die VG gegenüber den AHP nicht wesentlich geändert haben, stellt der Senat im Folgenden allein auf die VG ab.

Als Schädigungsfolge wird im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).

Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).

Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).

Ein Nachschaden ist eine Gesundheitsstörung, die zeitlich nach der Schädigung eingetreten ist und nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Schädigung steht. Eine solche Gesundheitsstörung kann bei der Feststellung von MdE und GdS nach § 30 Abs. 1 BVG nicht berücksichtigt werden, auch dann nicht, wenn sie zusammen mit Schädigungsfolgen zu besonderen Auswirkungen führt, bei denen die Schädigungsfolgen eine gleichwertige oder überwiegende Bedeutung haben (VG Teil C Nr. 12 b). Wenn demgegenüber nach einer Schädigung eine weitere Gesundheitsstörung eintritt, bei der - vor allem nach ihrer Art - wahrscheinlich ist, dass die Schädigung oder deren Folgen bei der Entstehung dieser Gesundheitsstörung wesentlich mitgewirkt haben, so handelt es sich um einen Folgeschaden, der eine weitere Schädigungsfolge darstellt und daher mit seiner gesamten MdE beziehungsweise seinem gesamtem GdS zu berücksichtigen ist. Wenn ein solcher Folgeschaden erst viele Jahre nach der Schädigung in Erscheinung tritt, spricht man auch von einem Spätschaden (VG Teil C Nr. 12 c).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen. Der Senat stützt sich dabei auf das überzeugende Gutachten des Dr. W ...

Dr. W. hat nach ausführlicher Untersuchung schlüssig dargelegt, dass und warum die Daumensattelgelenksarthrose nicht schädigungsbedingt ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist diese Erkrankung anlagebedingt und hat sich im Laufe des langen Lebens des Klägers allmählich herausgebildet. Dies hat auch Prof. Dr. S. so gesehen. Diese Ausführungen gelten für alle vom Kläger für den Bereich der rechten oberen Extremität vorgebrachten Beschwerden. Mithin hatte der Beklagte bereits mit Bescheid vom 16.02.1981 zu Recht die Feststellung einer "Überbeanspruchung der Gelenke am rechten Ellenbogen, rechten Handgelenk und Daumengelenk mit Beschwerden" als Schädigungsfolgen abgelehnt. Eine Rücknahme dieses Bescheides gemäß § 44 SGB X hatte daher nicht zu erfolgen.

Ferner hat Dr. W. nachvollziehbar ausgeführt, aus welchen Gründen die Gang- und Standunsicherheit, der Schwindel sowie die Wirbelkanalverengung nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Kriegsverletzung stehen und dass an den unteren Extremitätengelenken keine vorauseilenden degenerativen Veränderungen mit wesentlicher Ausprägung oder Funktionseinschränkungen vorliegen. Überzeugend hat der Sachverständige dargelegt, dass die Gang- und Standunsicherheit sowie der Schwindel des Klägers auf die Schwäche des Herzens bei hypertensiver Herzkrankheit, diastolischer Relaxationsstörung, Vorhofflimmern, Blutdruckstörung und arteriosklerotischer subkortikaler Encephalopathie zurückzuführen ist. Dass die Wirbelkanalverengung nicht auf die Armamputation zurückzuführen ist, ergibt sich für den Senat insbesondere daraus, dass es nicht zu einer schweren Fehlstellung der Lendenwirbelsäule gekommen ist, ein Zusammenhang zwischen einer Torsion und Verdrehung der Hals- und oberen Brustwirbelsäule und einer Verengung des Wirbelkanals an der Lendenwirbelsäule wissenschaftlich nicht gegeben ist, sondern hierfür vielmehr das Lebensalter und eine Veranlagung ursächlich sind. Der Senat ist daher der Überzeugung, dass die auf die Kriegsverletzung zurückzuführenden Erkrankungen mit dem Bescheid vom 23.09.2008 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 10.12.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2009 vollständig erfasst sind und damit eine über die mit diesen Bescheiden vorgenommene Abänderung des Bescheides vom 26.05.2000 hinausgehende Abänderung nach § 48 SGB X ausscheidet, zumal das Gutachten des Dr. W. durch die gutachterliche Beurteilung des Prof. Dr. S. bestätigt worden ist. Auch in Bezug auf die über das orthopädische Fachgebiet hinaus geklagten Beschwerden des Klägers spricht nach den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen nicht mehr dafür als dagegen, dass diese schädigungsbedingt sind.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Höhe einer Schwerstbeschädigtenzulage ist § 31 Abs. 4 BVG, wonach Beschädigte mit einem GdS von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage unter anderem nach Stufe I in Höhe von 77 Euro und nach Stufe II in Höhe von 159 Euro erhalten (§ 31 Abs. 4 Satz 1 BVG), wobei die Bundesregierung ermächtigt wird, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen (§ 31 Abs. 4 Satz 2 BVG). Von dieser Ermächtigung wurde durch die Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (DVO) Gebrauch gemacht.

Danach erhalten Schwerstbeschädigtenzulage Beschädigte, deren Schädigungsfolgen allein auf Grund der Beurteilung nach § 30 Abs. 1 BVG mit einem GdS von 100 zu beurteilen sind, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen nach §§ 2 und 3 DVO mit wenigstens 130 Punkten zu bewerten sind oder wenn sie Anspruch auf Pflegezulage mindestens nach Stufe III haben (§ 1 DVO). Bei der Punktbewertung ist von der Höhe des GdS auszugehen, die die einzelnen anerkannten Schädigungsfolgen bedingen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 DVO). Dabei ist jedoch nur die Höhe des GdS maßgebend, die sich allein auf Grund der Beurteilung nach § 30 Abs. 1 BVG ergibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 DVO). Auswirkungen von Schäden eines Organsystems an Gliedmaßen oder an anderen Organsystemen werden bei den Gliedmaßen oder Organsystemen bewertet, die in ihrer Funktion geschädigt sind (§ 2 Abs. 2 Satz 1 DVO). Mehrere Schädigungsfolgen an einem Arm oder an einem Bein oder an einem Organsystem sind als eine Schädigungsfolge anzusehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 DVO). Organsysteme im Sinne der DVO sind Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnapparat, Geschlechtsapparat, Blut einschließlich blutbildendem Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion, Sehen, Gehör, Sprache, Geruch einschließlich Geschmack, Stamm (Funktion der Haltung und des Schutzes der inneren Organe), Kopf (Funktion der Prägung des Aussehens, der Bildung der Kopfhöhlen und des Schutzes des Gehirns), Gehirnbereich I (Funktion der Wesensbildung und der geistigen Leistung) und der Gehirnbereich II (zentral-nervale Funktion) (§ 2 Abs. 3 DVO). Liegen mehrere Schädigungsfolgen vor, so ist die Höhe des GdS für jede einzelne Schädigungsfolge zu ermitteln (§ 2 Abs. 4 Satz 1 DVO). Schädigungsfolgen, die einen GdS um weniger als 25 bedingen, bleiben außer Betracht (§ 2 Abs. 4 Satz 2 DVO). Die Bewertung erfolgt entsprechend dem GdS jeweils in ganzen Punkten; bei Schädigungsfolgen, die einen GdS von weniger als 45, aber mindestens 25 bedingen, erfolgt die Bewertung jeweils in halben Punkten (§ 2 Abs. 5 Satz 1 DVO). Ergeben zwei oder mehrere Schädigungsfolgen mit einem GdS von mindestens 45 zusammen mindestens 140 Punkte, erfolgt die Bewertung in ganzen Punkten bei Schädigungsfolgen mit einem GdS von weniger als 45, mindestens aber 25 (§ 2 Abs. 5 Satz 2 DVO). Die einzelnen Ergebnisse sind zusammenzuzählen; dabei ist § 30 Abs. 1 Satz 2 BCG entsprechend anzuwenden (§ 2 Abs. 5 Satz 3 DVO). Die nach § 2 DVO ermittelte Punktzahl ist, wenn Schädigungsfolgen an beiden Beinen zusammentreffen, um 10 Punkte, wenn jedoch beide Füße fehlen oder gebrauchsunfähig sind, um 20 Punkte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DVO), wenn Schädigungsfolgen an beiden Armen zusammentreffen, um 20 Punkte, wenn jedoch beide Hände fehlen oder gebrauchsunfähig sind, um 40 Punkte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 DVO), wenn eine Hand und ein ganzer Fuß fehlen oder gebrauchsunfähig sind, um 20 Punkte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 DVO), wenn Schädigungsfolgen an zwei oder mehreren inneren Organsystemen zusammentreffen, um 20 Punkte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 DVO), wenn Blindheit mit weiteren Schädigungsfolgen zusammentrifft, um 30 Punkte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 DVO), wenn Blindheit mit Ausfall oder nahezu völligem Ausfall eines oder mehrerer weiterer Sinnesorgane zusammentrifft, um 30 Punkte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 DVO) zu erhöhen. Das gilt, mit Ausnahme des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 DVO, nur, wenn die zusammentreffenden Schädigungsfolgen nach § 2 DVO zu berücksichtigen sind (§ 3 Abs. 1 Satz 2 DVO). Innere Organsysteme im Sinne des Absatzes 1 sind Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnapparat, Geschlechtsapparat, Blut einschließlich blutbildendem Gewebe und Immunsystem, die innere Sekretion sowie das Gehirn in seiner gesamten Funktion (ohne Aufteilung in Funktionsbereiche) (§ 3 Abs. 2 DVO). Schwerstbeschädigtenzulage wird unter anderem bei mindestens 130 Punkten nach Stufe I, bei mindestens 160 Punkten nach Stufe II erbracht (§ 5 Abs. 1 DVO).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen gewährt der Beklagte zutreffend eine Schwerstbeschädigtenzulage nur nach Stufe I und nicht schon nach Stufe II. Der Senat stützt sich dabei auch hier auf das Gutachten des Dr. W ... Er hat dargelegt, dass sich in Bezug auf den linken Oberarmstumpf seit dem Gutachten des Prof. Dr. R. vom 16.02.2000 keine richtungsweisende Verschlechterung ergeben hat. Auch ergeben sich aus dem Gutachten des Dr. W. keine Befunde, die eine Verschlimmerung der im Bereich der Wirbelsäule anerkannten Schädigungsfolgen rechtfertigen. Mithin ist für den Senat die von Prof. Dr. R. vorgenommene Bewertung des Organsystemns "linker Arm" mit einer MdE um 80 v. H. und damit 80 Punkten sowie des Organsystems "Stamm" mit einer MdE um 50 v. H. und damit 50 Punkten maßgebend, zumal auch Dr. S. in ihrem Gutachten vom 01.09.2008 zu demselben Ergebnis gekommen ist. Hieraus ergibt sich nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. R. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.04.2000 ein Punktwert von 130, der die Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I rechtfertigt. Die Einholung eines nervenheilkundlichen Gutachtens zur Bewertung der als Schädigungsfolgen anerkannten "Stumpf- und Phantomschmerzen" bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht. Dies haben Dr. W. und Prof. Dr. S. dargelegt. Denn diese Schmerzen sind bereits ausreichend in der für den linken Oberarmstumpf vergebenen Punktzahl abgebildet. Jedenfalls aber liegen keine Anhaltspunkte für eine Heraufsetzung des Punktwerts um mindestens 30 Punkte vor, was aber für die Gewährung einer Schwertbeschädigtenzulage nach Stufe II erforderlich wäre.

Nach alledem musste dem Hauptantrag der Erfolg versagt bleiben. Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens von Amts wegen war abzulehnen. Der Senat sah sich nicht zu einer weiteren Sachverhaltsermittlung gedrängt, zumal die gehörten Sachverständigen Dr. W. und Prof. Dr. S. aus nachvollziehbaren Gründen eine solche Begutachtung nicht für erforderlich erachtet haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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