L 11 SF 256/13 E

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 SF 256/13 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.06.2013 geändert. Die an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf insgesamt 26.786,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkt über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2012 festgesetzt. Die Kosten des Verfahrens werden auf 12.846,29 EUR festgesetzt. Die Kosten der Klägerin im Erinnerungsverfahren trägt die Beklagte.

Gründe:

I.

In dem dem Kostenfestsetzungsbeschluss zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren wandte sich die Klägerin - eine gesetzliche, zwischenzeitlich geschlossene Krankenkasse - gegen einen Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamtes, mit dem dieser zur Prüfung eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht die Klägerin zur Beantwortung verschiedener Fragen im Hinblick auf die Einführung von Zusatzbeiträgen aufgefordert hatte. Nach Veröffentlichung der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Hessen vom 15.09.2011 - L 1 KR 89/10 KL - in einem Parallelverfahren hat die Beklagte mit einem während des laufenden Klageverfahrens direkt an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 28.11.2011 gegenüber dieser erklärt, sie stelle das Verfahren ein und leite aus dem Auskunftsbeschluss keinerlei Rechte mehr her. Dieses Schreiben hat sie anschließend mit Schriftsatz vom 02.12.2011 dem Gericht übersandt und darin zugleich erklärt, sie schließe sich der zu erwartenden Erledigungserklärung der Klägerin an. Daraufhin hat die Klägerin mitgeteilt, sie nehme das im Schriftsatz vom 02.12.2011 enthaltene Anerkenntnis der Beklagten an. Hilfsweise für den Fall, dass der erkennende Senat die Voraussetzungen eines Anerkenntnisses durch die Beklagten als nicht erfüllt ansehen sollte, erkläre sie den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Schreiben vom 16.11.2012 beantragte die Klägerin die Rechtsanwaltskosten auf 26.786,90 EUR festzusetzen. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

1,3 Verfahrensgebühr §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV 11.694,80 EUR
1,2 Terminsgebühr §§ 2, 13 RVG, Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV 10.8975,20 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV 20,00 EUR
Umsatzsteuer (MwSt) Nr. 7008 VV (19 %) 4.276,90 EUR
Summe 26.786,90 EUR

Die Beklagte widersprach dem Ansatz der 1,2fachen Terminsgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV. Nach dieser Regelung falle eine Terminsgebühr auch ohne mündliche Verhandlung an, sofern im Verfahren vor den Sozialgerichten nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt, denn es fehle an einem Anerkenntnis. Im vorliegenden Fall habe sie den klägerischen Anspruch bewusst nicht anerkannt. Stattdessen habe sie lediglich erklärt, aus der angefochtenen Verfügung keine Rechte mehr herzuleiten. Damit habe sie eindeutig eine materielle Erklärung im Hinblick auf den angefochtenen Verwaltungsakt abgegeben, und keine prozessuale Erklärung im Hinblick auf den Streitgegenstand. Zwischen Prozesshandlung der Partei und sachlich-rechtlichen Erklärungen sei streng zu trennen.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass der Rechtsstreit durch ein mindestens konkludentes Anerkenntnis der Beklagten, das die Klägerin angenommen habe, beendet worden sei. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV auch dann erfüllt, wenn man in der Erklärung der Beklagten kein Anerkenntnis durch schlüssiges Verhalten, sondern lediglich eine Erledigungserklärung sehen würde. Denn auch dann sei die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV zumindest analog anwendbar.

Mit Beschluss vom 14.06.2013 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Höhe der zu erstattenden Kosten auf 13.940,61 EUR fest.

Die Kosten setzten sich im Einzelnen wie folgt zusammen:

1,3 Verfahrensgebühr §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV 11.694,80 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV 20,00 EUR
Umsatzsteuer (MwSt) Nr. 7008 VV (19 %) 2.225,81 EUR
Gesamt 13.940,61 EUR

Zur Begründung führte sie aus, die Streitsache sei am 22.02.2012 durch übereinstimmende außerterminliche Erledigungserklärung und nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis erledigt worden.

Gegen den ihr am 10.07.2013 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 07.08.2013 Erinnerung eingelegt. Der Kostenfestsetzungsbeschluss beruhe auf einer unzutreffenden Sachverhaltsbewertung. Die Erklärung der Beendigung des Kartellverwaltungsverfahrens habe sehr wohl die Erklärung eines Anerkenntnisses enthalten. Es hätte genau geprüft werden müssen, wie die Erklärung zu werten sei. Mit ihrem diesbezüglichen Vortrag im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens und der dazu bereits vorhandenen sozialrechtlichen Rechtsprechung habe sich die Urkundsbeamtin jedoch überhaupt nicht auseinandergesetzt. Zudem sei es für das Vorliegen eines Anerkenntnisses unerheblich, ob ausdrücklich das Wort "anerkennen" verwendet worden sei. Könne aber ein Anerkenntnis auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen und sei im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln, ob ein (konkludentes) Anerkenntnis vorliege, könne hier kein Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte ein schlüssiges Anerkenntnis abgegeben habe. Ihr Verhalten lasse keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie angesichts des Urteils des LSG Hessen ihre Rechtsauffassung geändert habe und auch für das vorliegende Parallelverfahren davon ausgegangen sei, dass der geltend gemachte prozessuale Anspruch auf Aufhebung des Auskunftsbeschlusses bestehe und eine weitere Verteidigung gegen den klageweise geltend gemachten Anspruch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspreche. Dabei habe die Beklagte durch die Erklärung, sie stelle das Kartellverwaltungsverfahren als Reaktion auf das Unterliegen vor dem LSG Hessen ein und werde keinerlei Rechte aus dem angefochtenen Beschluss mehr geltend machen, auch hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass sie den erhobenen prozessualen Anspruch vollumfänglich anerkenne.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass sie kein Anerkenntnis abgegeben habe. Ein Anerkenntnis sei auch nicht durch schlüssiges Verhalten dadurch abgegeben worden, dass sie ihr Schreiben vom 28.11.2011 an die Klägerin mit Schriftsatz vom 02.12.2011 in den Prozess eingeführt habe. Denn auch im Sozialrechtsweg liege ein Anerkenntnis nur vor, wenn es gegenüber dem Gericht abgegeben werde. Auch der Schriftsatz vom 02.12.2011 könne nicht als Anerkenntnis ausgelegt werden. Das Anerkenntnis stehe in einem Alternativverhältnis zur außergerichtlichen Klaglosstellung des Klägers. Daraus folge ein Vorrang der außergerichtlichen Klaglosstellung vor dem gerichtlichen Anerkenntnis. Zudem sei ein Anerkenntnis als Prozesserklärung im Zweifel nur dann anzunehmen, wenn positiv erkennbar sei, dass die Behörde eine die Wirkungen eines Anerkenntnisurteils auslösenden Erklärung überhaupt abgegeben wollte. Vorliegend fehle es erkennbar an einem Willen der Beklagten, durch eine gerichtliche Prozesserklärung einen prozessrechtlichen Vertrag zu schließen, mit dem sie sich der Vollstreckung durch die Klägerin unterwirft, da sie bewusst den außergerichtlichen Weg der Klaglosstellung beschritten habe. Die Ausnahmevorschrift zum Fälligwerden einer Terminsgebühr ohne mündliche Verhandlung könne auch nicht entsprechend herangezogen werden. Die Voraussetzungen für eine Analogie lägen nicht vor, weil es bereits an einer planwidrigen Gesetzeslücke fehle. Obwohl die Beendigung eines Rechtsstreits durch übereinstimmende Erledigungserklärung in § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 91a Zivilprozessordnung (ZPO) ausdrücklich geregelt sei, sei dieser Fall nicht in Nr. 3104 VV aufgenommen worden.

Mit Vermerk vom 08.08.2013 hat die Urkundsbeamtin in ihrer Nichtabhilfeentscheidung der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.06.2013 ist zulässig und begründet. Auf Seiten der Klägerin ist die Terminsgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 in Ansatz zu bringen.

Nach dieser Gebührenziffer entsteht die Terminsgebühr, wenn das Vorfahren vor dem Sozialgericht nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

Ein Anerkenntnis ist das ausdrückliche oder schlüssige Zugeständnis, dass der Klageanspruch ganz oder teilweise bestehe (Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 21.11.1961 - 9 RV 374/60 -). Der Beklagte gibt "ohne Drehen und Wenden" zu, dass sich das Begehren des Klägers aus dem von ihm behaupteten Tatbestand ergibt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 101 Rdn. 20). Es wird durch einseitige, prozess- und materiell-rechtliche Wirkung entfaltende empfangsbedürftige Erklärung abgegeben (Eschner in Jansen, SGG, 4. Auflage, 2012, § 101 Rdn. 31 m.w.N.). Dabei kommt es nicht allein auf die verwendete Bezeichnung an. Eine Anerkenntniserklärung braucht das Wort "anerkennen" nicht zu enthalten. Die Erklärung, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ganz oder teilweise bestehe, kann durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Ob ein Anerkenntnis vorliegt, ist bei bestehenden Zweifeln durch Auslegung zu ermitteln (BSG, a.a.O.). Eine solche Erklärung hat die Beklagte gegenüber der Klägerin in ihrem Schreiben vom 28.11.2011 abgegeben. "Ohne Wenn und Aber" hat sie zugestanden, dass die Klageforderung in vollem Umfang berechtigt war. Sie hat erklärt, dass sie aufgrund des rechtskräftigen Urteils des LSG Hessen vom 15.09.2011 - L 1 KR 89/10 KL -, mit dem ein gleichlautender Auskunftsbeschluss gegenüber einer anderen Krankenkasse aufgehoben wurde, das Kartellverwaltungsverfahren gegen die Klägerin einstelle und aus dem Auskunftsbeschluss vom 17.02.2010 keine Rechte mehr herleiten werde. Damit hat die Beklagte zwar nicht das Wort "Anerkenntnis" verwendet, gleichwohl aber die Klägerin in vollem Umfang klaglos gestellt (so in zwei Parallelverfahren auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.08.2013 - L 1 KR 575/11 KL - und Schleswig-Holsteinische LSG, Beschluss vom 13.02.2014 - L 5 SF 48/12 E -).

Zwar muss das Anerkenntnis grundsätzlich gegenüber dem Gericht abgegeben werden, eine Erklärung gegenüber dem Prozessgegner genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig, a.a.O., § 101 Rdn. 21; Eschner in Jansen, a.a.O., § 101 Rdn. 33). Allerdings ist es hier unschädlich, dass die Beklagte nur gegenüber der Klägerin in ihrem Schreiben vom 28.11.2011 erklärt hat, dass sie das Kartellverwaltungsverfahren einstelle und aus dem Auskunftsbeschluss vom 17.02.2010 keine Rechte herleite. Prozesshandlungen können auch durch schlüssiges Verhalten vorgenommen werden (Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdn. 11a vor 60). Vorliegend hat die Beklagte ihr Schreiben vom 28.11.2011 mit Schriftsatz vom 02.12.2011 an den Senat übersandt und somit zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Zudem beinhaltet auch dieser Schriftsatz vom 02.12.2011 selbst ein konkludentes Anerkenntnis. Zu Recht hat das LSG Niedersachsen in seinem Beschluss vom 05.08.2013 - L 1 KR 575/11 KL - ausgeführt:

"Als eine solche durch schlüssiges Verhalten abgegebene Prozesshandlung ist nach Überzeugung des Senats das Schreiben der Beklagten vom 28. November 2011, das mit Schriftsatz der Beklagten vom 02.12.2011 in den Prozess eingeführt wurde, zu werten. Durch den "Kunstgriff", die Position der Klägerin in einem außerhalb des regulären Verfahrensgangs übermittelten Schreibens anzuerkennen, kann die Beklagte das Entstehen der Terminsgebühr nicht vermeiden. Denn das Schreiben entfaltet prozessrechtliche Wirkung nicht nur insoweit, als es das Rechtsschutzinteresse der Klägerin hat wegfallen lassen, sondern auch insoweit, als dadurch zugleich ein (zumindest konkludentes) Anerkenntnis abgegeben wird."

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Beklagten, sie habe sich durch dieses Schreiben nicht prozessrechtlich binden wollen. Der Umstand, dass sie mit Schriftsatz vom 02.12.2011 ihr Schreiben vom 28.11.2011 an das Gericht übersandt hat, belegt gerade, dass sie eine prozessrechtliche Wirkung - nämlich den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin - zum Ausdruck bringen wollte.

Über die Kosten des Erinnerungsverfahrens ist eine Kostengrundentscheidung erforderlich, da die Kosten des Erinnerungsverfahrens von der Kostengrundentscheidung des Hauptsacheverfahrens nicht umfasst werden und Gebühren nach § 18 Nr. 3 RVG anfallen (Leitherer, a.a.O., § 197 Rdn. 10; Straßfeld in Jansen, a.a.O., § 197 Rdn. 13 m.w.N.) Diese folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Zinsanspruch folgt aus § 197 Abs. 1 Satz 2 SGG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Danach sind auf die Antrag die festgesetzten Kosten mit 5 % über dem Basiszinssatz ab Eingang des Festsetzungsantrags zu verzinsen. Der Verzinsungsanspruch entsteht erst mit dem Erlass der Kostengrundentscheidung.

Der Wert des Erinnerungsverfahrens orientiert sich an der hier allein streitigen Terminsgebühr.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 178 SGG).
Rechtskraft
Aus
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