L 13 AS 1993/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 2943/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1993/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. April 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob nachträglich für die Vergangenheit gezahltes Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) - Alg I - in den Monaten Oktober und November 2010 als Einkommen bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Einkommen anzurechnen ist.

Der 1976 geborene Kläger bezieht - mit Unterbrechungen - seit 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung).

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 23. Juli 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26. Juli 2010 für die Zeit vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2011 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 703,53 EUR (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts [inklusiv Mehrbedarfe] in Höhe von 359,00 EUR und Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 344,53 EUR).

Der Kläger erhielt danach von der Agentur für Arbeit Nachzahlungen von Alg I in Höhe von 21,73 EUR für den 7. Juni 2008 am 11. August 2010 und in Höhe von 912,66 EUR für die Zeit vom 30. Oktober bis 10. Dezember 2007 am 17. August 2010, insgesamt 934,39 EUR. Am 3. September 2010 erhielt er weitere Nachzahlungen von Alg I für die Zeit vom 12. bis 29. Oktober 2007 in Höhe von 391,14 EUR und für die Zeit vom 8. bis 10. Juni 2008 in Höhe von 65,19 EUR, insgesamt 456,33 EUR.

Mit Bescheid vom 14. September 2010 änderte der Beklagte den Bescheid vom 26. Juli 2010 und bewilligte für Oktober 2010 - unter Anrechnung von Einnahmen in Höhe von 665,37 EUR - lediglich noch 38,16 EUR und für November 2010 - unter Anrechnung von Einnahmen in Höhe von 198,17 EUR - lediglich noch 505,36 EUR. Bei der Nachzahlung von Alg I handle es sich um eine einmalige Einnahme. Einmalige Einnahmen seien von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zuflössen. Wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden seien, sei eine Berücksichtigung der Einnahmen ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folge, zulässig. Einmalige Einnahmen seien, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt sei, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.

Mit seinem Widerspruch vom 13. Oktober 2010 machte der Kläger geltend, bei der Nachzahlung von Alg I durch die Bundesagentur für Arbeit handle es sich um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, die nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei. Im Übrigen sei die Nachzahlung nicht im streitigen Zeitraum erfolgt.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2010 zurück. Bei den Nachzahlungen handle es sich um einmaliges anzurechnendes Einkommen, das auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen sei. Dessen Bestimmung stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Grundsicherungsträgers. Vorliegend sei die im August 2010 zugeflossene Nachzahlung von Alg I in Höhe von 934,39 EUR auf zwei Monate aufgeteilt und im September und Oktober 2010 jeweils mit 467,20 EUR berücksichtigt worden. Die Nachzahlung im September 2010 in Höhe von 456,33 EUR sei ebenfalls auf zwei Monate aufgeteilt und für die Monate Oktober und November 2010 mit jeweils 228,17 EUR berücksichtigt worden. Von dem so errechneten Einkommen in Höhe von 695,37 EUR im Oktober 2010 und in Höhe von 228,17 EUR im November 2010 sei nach § 6 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) eine Pauschale in Höhe von 30,00 EUR abzusetzen. Damit ergebe sich für Oktober 2010 ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 665,37 EUR und für November 2010 in Höhe von 198,17 EUR, das vom Bedarf abzuziehen sei. Damit bestehe für Oktober 2010 lediglich ein Anspruch in Höhe von 38,16 EUR und für November 2010 in Höhe von 505,36 EUR.

Nachdem ihm auf den Antrag vom 12. Januar 2011 das Sozialgericht Karlsruhe (SG) für die beabsichtigte Klage wegen der genannten Entscheidungen mit Beschluss vom 4. April 2011 (Az S 5 AS 70/11 PKH), zugestellt am 7. April 2011, Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt hat, hat der Kläger am 6. Mai 2011 Klage erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung seiner Klage hat er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Der Beklagte hat an seinem Rechtsstandpunkt festgehalten, dass die Nachzahlung des Alg I kein laufendes, sondern ein einmaliges Einkommen darstelle und damit - wie entschieden - anzurechnen sei.

Mit Urteil vom 16. April 2012 hat das SG dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt, da er - im Hinblick auf den PKH-Antrag bis zu dessen Verbescheidung - ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Klagefrist einzuhalten, und den Bescheid vom 14. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2010 aufgehoben. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 26. Juli 2010 für den strittigen Zeitraum (§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) seien nicht erfüllt, denn der Kläger habe im strittigen Zeitraum kein anzurechnendes Einkommen erzielt. Bei der Nachzahlung von Alg I handle es sich zwar grundsätzlich um zu berücksichtigendes Einkommen. Allerdings sei dieses den Monaten August und September 2010 zuzuordnen und nicht dem streitigen Zeitraum. Entgegen der Auffassung des Klägers handle es sich bei den Nachzahlungen nicht um zweckbestimmte Einnahmen, die von einer Berücksichtigung ausgeschlossen seien. Sie seien jedoch nur in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie tatsächlich zugeflossen seien, nicht hingegen im streitigen Zeitraum. Während laufende Einnahmen ausschließlich für den Monat des Zuflusses zu berücksichtigen seien, könnten einmalige Einnahmen gegebenenfalls aufgeteilt und erst ab dem Monat, der dem Monat des Zuflusses folge, angerechnet werden. Laufende Einnahmen in diesem Sinne seien solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhten und regelmäßig erbracht würden. Bei einmaligen Einnahmen erschöpfe sich das Geschehen hingegen in einer einmaligen Leistung. Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rdnr.27) ändere sich die Qualifizierung als laufende Einnahme nicht dadurch, dass es sich um die erste, letzte oder gleichzeitig erst- und letztmalige Zahlung einer typischerweise regelmäßig erfolgenden Leistung handle. Alg I werde für Kalendertage berechnet und geleistet. Es handle sich um eine "laufende Geldleistung", unabhängig davon, ob sie regelmäßig monatlich nachträglich oder - wie im vorliegenden Fall - zu einem deutlich späteren Zeitpunkt gezahlt werde. Sie beruhe auf demselben Rechtsgrund. Insofern habe das BSG die einmalige Zahlung von Alg I für zehn Tage als laufende Einnahme im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V in der Fassung vom 20. Oktober 2004 gewertet. Da es sich bei der Nachzahlung mithin um eine laufende Einnahme im Sinne der Alg II-V handle, könnte Einkommen in der strittigen Zeit nur angerechnet werden, wenn es auch in diesen Monaten zugeflossen wäre, was hier nicht der Fall sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Urteil verwiesen.

Gegen das am 19. April 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. Mai 2012 Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, es handle sich bei den Nachzahlungen von Alg I nicht um laufende Einnahmen, sondern um ein einmaliges Einkommen, das - wie vorgenommen - zu berücksichtigen sei. Bei der vom SG herangezogenen Entscheidung des BSG habe es sich um die erst- und gleichzeitig letztmalige Zahlung von Alg I gehandelt. Vorliegend handle es sich um eine Nachzahlung für einen lange zurückliegenden Zeitraum vor dem SGB II-Bezug und weit nach Fälligkeit. Wie der 7. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 9. August 2007 (L 7 AS 5695/06) entschieden habe, sei weit nach Fälligkeit nachgezahltes Arbeitsentgelt für mehrere Monate ein einmaliges Einkommen. Auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt habe in der Entscheidung vom 23. Februar 2011, L 2 AS 187/08, die Rechtsansicht geäußert, dass einmalige Einnahmen solche seien, die nicht regelmäßig wiederkehrten und lediglich einmal gewährt würden und habe dabei als Beispiel auch Lohnnachzahlungen, Nachzahlungen von Sozialleistungen wie Rente oder Leistungen nach dem SGB III für zurückliegende Zeiträume angeführt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. April 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet das angefochtene Urteil für rechtmäßig und hält an seinem bisherigen Standpunkt unter Wiederholung seiner Ausführungen fest.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil entscheidet, hat keinen Erfolg. Das SG hat zu Recht den angefochtenen Bescheid vom 14. September 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2010 aufgehoben, denn eine wesentliche Änderung, die den Beklagten berechtigt hätte, die Leistungsbewilligung für die Monate Oktober und November 2010 teilweise aufzuheben, liegt nicht vor.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Oktober und November 2010 - § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X - sowie für die Anrechnung des nachträglich gezahlten Alg I - § 11 SGB II und §§ 4 und 2 Alg II-V - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass eine wesentliche Änderung, die zur Anrechnung der Nachzahlungen von Alg I im strittigen Zeitraum nicht vorgelegen hat, weil es sich bei den Nachzahlungen um laufende Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V a.F. gehandelt hat. Insofern ist eine Anrechnung nur im Zuflussmonat zulässig. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Beteiligten, auch im Berufungsverfahren, uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass die nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 1. Januar 2007 grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigenden Nachzahlungen von Alg I hier nicht in den strittigen Monaten Oktober und November 2010 anrechenbar sind. Sie können hier gemäß § 2 Abs. 2 Alg II-V nur im Monat ihres Zuflusses, also in den Monaten August und September 2010, berücksichtigt werden, weil es sich bei ihnen nicht um einmalige Einnahmen handelt, die nach § 2 Abs. 4 Alg II-V ab bzw. nach dem Monat ihres Zuflusses auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen sind und insoweit angerechnet werden können. Das SG hat sich im angefochtenen Urteil zu Recht auf die Entscheidung des BSG vom 30. Juli 2008, B 14 AS 26/07 R (SozR 4-4200 § 11 Nr. 17) gestützt hat. Danach ist davon auszugehen, dass es sich bei Alg-Leistungen nach dem SGB III um laufende Leistungen handelt, deren Charakter sich insofern auch nicht dadurch ändert, dass es sich um eine letztmalige oder erst- und gleichzeitig letztmalige Leistung gehandelt hat. Für die Nachzahlungszeiträume handelte es sich um eine letztmalige bzw. erst- und gleichzeitig letztmalige Leistung. Im Übrigen hat das BSG auch mit Urteil vom 7. Mai 2009, B 14 AS 13/08, in Juris, für die Nachzahlung von Übergangsgeld entschieden, dass es sich hierbei um eine laufende Leistung handelt. Dass sich der Charakter als laufende Leistung nicht ändert, folgt auch aus dem Beschluss des BSG vom 28. Januar 1999, B 12 KR 51/98 B.

Soweit der Beklagte auf die Entscheidung des 7. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. August 2007, L 7 AS 5695/06, verweist, bezog sich diese zum einen auf Arbeitsentgelt, das nachgezahlt worden war, zum anderen ist diese Entscheidung durch die Entscheidungen des BSG, insbesondere vom 30. Juli 2008, B 14 AS 26/07, die später ergangen ist, überholt. Soweit er sich auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Februar 2011 beruft, ist festzustellen, dass dort die Anrechnung eines Lottogewinns streitig war und es sich bei der beispielhaften Aufführung von Leistungen nach dem SGB III für zurückliegende Zeiträume als einmalige Einnahme nicht um tragende Entscheidungsgründe gehandelt hat.

Da das SG sonach zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben hat, weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren obsiegt hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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