S 1 U 1491/98

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 1491/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 176/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 3101 "Infektionskrankheiten" nach der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Die 1936 geborene Klägerin arbeitete von 1963 bis 1993, mit einer Unterbrechung von 1969 bis 1973, als medizinisch-technische Assistentin im Labor bzw. beim Röntgen im Kreiskrankenhaus A-Stadt. Aufgrund einer ärztlichen BK-Anzeige ihrer Hausärzte Dres. C./D., A-Stadt vom 29.08.1994 wegen der Lebererkrankung der Klägerin und eines Verdachtes auf Hepatitis B, der ein Befundbericht von Dr. E. vom 09.05.1994 mit der Diagnose "abgelaufene und ausgeheilte Hepatitis-B-Infektion" beigefügt war, nahm die Beklagte ihre Ermittlungen auf und zog bei: Das Vorerkrankungsverzeichnis der Klägerin von deren Krankenkasse, der Barmer Ersatzkasse, Auskünfte des Unternehmens und der Klägerin, Befundberichte der behandelnden Ärzte und Einrichtungen. Außerdem holte sie ein internistisches Gutachten von Prof. F. Dres. G./H., Städtische Kliniken Kassel, vom 30.10.1996 ein, die eine ausgeheilte berufsbedingte Hepatitis-B-Infektion bejahten und auf die zahlreichen anderen Erkrankungen der Klägerin hinwiesen, sowie eine Stellungnahme des Landesgewerbearztes, der sich für eine Anerkennung der BK Nr. 3101 ohne Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aus sprach. Nachdem die Beklagte der Klägerin mitgeteilt hatte, sie beabsichtige, vorbehaltlich der Entscheidung des Rentenausschusses, bei ihr die BK Nr. 3101 ohne Gewährung einer Verletztenrente anzuerkennen, antwortete die Klägerin, ihre Hepatitis Erkrankung sei nicht ausgeheilt, sie habe immer wieder "schlechte Werte". Nach Eingang eines Befundberichtes der Hausärzte holte die Beklagte eine Stellungnahme von Prof. J., Klinik Wartenberg, vom 23.09.1997 ein, der sich gegen eine Anerkennung der BK 3101 bei der Klägerin aussprach, da diese nicht an einer durch Hepatitis verursachten Erkrankung leide, sondern nur im Weg der sogenannten stillen Feiung eine lebenslange Immunität erworben habe.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.1997 die Anerkennung der BK Nr. 3101 bei der Klägerin und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, da sie nicht an einer Hepatits-Erkrankung leide, die bei ihr bestehenden Beschwerden und erhöhten Laborwerte würden nicht im Zusammenhang mit einer Hepatitis-Erkrankung stehen, sondern seien Folgen anderer Erkrankungen.

Der am 19.01.1998 eingelegte und mit den Aussagen anderer Ärzte begründete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03.07.1998 zurückgewiesen, weil die von der Klägerin erworbene Immunität keine Erkrankung sei, einer Behandlung nicht zugänglich sei und das körperliche und geistige Leistungsvermögen nicht beeinträchtige.

Mit der am 03.08.1998 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und hat insbesondere darauf hingewiesen, dass ihre Beschwerden und erhöhten Leberwerte auf die Hepatitis-Infektion zurückzuführen seien. Zur Begründung hat sie ein entsprechendes Attest ihres Hausarztes Dr. C. vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.1998 zu verurteilen, bei ihr die Berufskrankheit Nr. 3101 nach der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie insbesondere eine Stellungnahme von Prof. J. vom 31.01.2000 vorgelegt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Prof. K., Universitätsklinik Gießen, vom 30.04.1999 mit ergänzender Stellungnahme desselben vom 02.10.2000. Hinsichtlich des Sachverhaltes im übrigen wird auf die genannten Unterlagen in der Gerichts- und der Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet, weil bei der Klägerin die BK Nr. 3101 nicht anzuerkennen ist.

BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer versicherten Tätigkeit erleiden (seit 01.01.1997: § 9 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII; vorher inhaltsgleich: § 551 Abs. 1 S. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO). Als eine solche BK ist bezeichnet worden unter Nr. 3101: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war" (seit 01.12.1997: Anlage der Berufskrankheiten Verordnung vom 31.10.1997, BGBI. I S. 2623 - BKV -, die die vorhergehende Regelung insofern wörtlich übernahm).

Die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser BK sind nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht an einer derartigen Infektionskrankheit leidet.

Als eine derartige Infektionskrankheit kann auch eine Virus-Hepatitis anerkannt werden (vgl. Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung unter II. A sowie dessen Anhang II, abgedruckt in Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheiten-Verordnung, Loseblatt, M 3101, S. 1 ff.; ebenso Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Rn. 7 ff., BI. 112.1 ff. SG-Akte; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. A. 1998, S. 718 ff., BI. 112.17 ff. SG-Akte). Voraussetzung für die Anerkennung einer Hepatitis als BK Nr 3101 ist jedoch, dass überhaupt eine Krankheit, also ein regelwidriger Körper- oder Gesundheitszustand (vgl. nur Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 3. A. 1995, S. 12) vorliegt (vgl. auch die Ausführungen im Merkblatt, a.a.O.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 718: "Infektiösen Erkrankungen der Leber"; Seimair u. a., Vorschläge zur Beurteilung ..., Med Sach 94 (1998) S. 132, BI. 112.27 SG-Akte: "Minimal-Hepatitis"). Denn nicht jede Infektion ist automatisch eine Krankheit, wie sich auch aus der von Prof. J. angeführten stillen Feiung mit lebenslänglicher Immunität ohne Krankheitszeichen und Behandlungsmöglichkeiten ergibt.

Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer Hepatitis-Erkrankung als Infektionskrankheit im Sinne der BK Nr. 3101 sind bei der Klägerin nicht erfüllt, weil bei ihr nur eine Hepatitis-B-Infektion ohne weitere Folgen vorliegt, nicht aber eine Hepatitis-B-Erkrankung. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der insofern übereinstimmenden medizinischen Beurteilung von Prof. K. und Prof. J. fest (vgl. insbesondere Stellungnahme von Prof. K. S. 3 = BI. 117 SG-Akte: " Die von Prof. J. vorgeschlagene Formulierung ... ist mit der von mir verwandten Bezeichnung ... synonym zu setzen."). Das Gericht schließt sich insbesondere dem Gutachten von Prof. K. an, der in diesem im Einzelnen ausgeführt hat, dass die erhöhten Leberwerte nicht Ausdruck einer chronischen Hepatitis-B-Erkrankung sind, sondern andere Ursachen haben und auch kein Anhalt für das Vorliegen eines akuten oder chronischen Entzündungsgeschehens gegeben ist (vgl. Gutachten K. S. 29 f. = BI. 51 f. SG-Akte). Das Gericht folgt diesem Gutachten, da es aufgrund vorangegangener körperlicher Untersuchung der Klägerin und unter Berücksichtigung der von ihr vorgetragenen Beschwerden sowie der vorliegenden Unterlagen der übrigen Ärzte erstattet wurde. Das Gutachten ist hinreichend wissenschaftlich begründet und lässt Widersprüche zwischen Befunderhebung und Beurteilung nicht erkennen. Durch das gegenteilige Attest von Dr: C. (BI. 105 SG-Akte) wird das Gutachten nicht erschüttert, da dieser nicht über eine vergleichbare Fachkompetenz auf diesem Gebiet verfügt und der Sachverhalt von ihm nicht derart ins Einzelne gehend wie von Prof. K. durchdrungen wurde.

An die abweichende juristische Bewertung von Prof. K., der für die Anerkennung der BK ist (vgl. dessen Stellungnahme S. 4 = BI. 118 SG-Akte), sowie die des Landesgewerbearztes ist das Gericht nicht gebunden; es folgt ihnen aus den obigen Gründen (nicht jede Infektion ist eine Krankheit) nicht.

Aus dem im Laufe des Verfahrens beigezogenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.05.1990 - 2 BU 29/90 und 30.07.1985 - 2 BU 83/85 sowie den dazugehörigen Entscheidungen des LSG München vom 24.10.1989 - L 3 U 243/87 sowie des LSG Celle vom 24.04.1985 - L 6 U 328/83 folgt ebenfalls nichts Anderes, weil die Versicherten in diesen Verfahren zumindest in der Vergangenheit im Gegensatz zur Klägerin an einer manifesten Hepatitis-Erkrankung gelitten hatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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