S 12 AL 1985/99

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 12 AL 1985/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der Gewährung von Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz (ATG).

Die Klägerin beantragte am 12.07.1999 die Gewährung von Leistungen nach § 4 ATG für die 1938 geborene und bei der Klägerin ab dem 01.10.1999 in Altersteilzeit beschäftigte C. Nach Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bestand für die Arbeitnehmerin C. mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Möglichkeit, bei Aufgabe der Beschäftigung eine abschlagsfreie Rente wegen Alters in Anspruch zu nehmen.

Ab dem 01.10.2001 besteht für die Arbeitnehmerin ein Anspruch auf ungekürzte Versorgungsrente der Zusatzversorgungskasse für die Gemeinden und Gemeindeverbände in Wiesbaden (ZVK).

Durch Bescheid vom 12.07.1999 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der Anspruch auf Leistungen nach § 4 ATG erlösche gemäß§ 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat. für den der Arbeitnehmer eine Rente wegen Alters beanspruchen könne.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, diese Handhabung führe dazu, dass Arbeitnehmer mit einer niedrigen gesetzlichen Rente an einer Altersteilzeit bis zum Beginn der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes gehindert würden. Hiervon seien vorzugsweise Frauen betroffen. Durch Widerspruchsbescheid vom 01.09.1999, eingegangen am 03.09.1999, wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf den Wortlaut des Gesetzes zurück.

Hiergegen richtet sich die am Montag, den 04.10.1999, eingegangene Klage.

Die Klägerin beantragt im Anschluss an ihre bisherigen Ausführungen,
den Bescheid vom 12.07.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz wegen Altersteilzeit ihrer Beschäftigten C. zu gewähren.

Die Beklagte verbleibt bei ihrem bisherigen Standpunkt und beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide vom 12.07.1999 und 01.09.1999 sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach § 4 ATG wegen Altersteilzeit ihrer Arbeitnehmerin C.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG erlischt der Anspruch auf Leistungen nach § 4 ATG nach Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, für den der Arbeitnehmer eine Rente wegen Alters oder, wenn er von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist, eine vergleichbare Leistung einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens beanspruchen kann; dies gilt nicht für Renten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Vom Wortlaut her sind damit Leistungen nach§ 4 ATG ausgeschlossen, weil die Arbeitnehmerin der Klägerin, C., bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres am xx.xxx.1998 eine abschlagsfreie Rente wegen Alters in Anspruch nehmen konnte. Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift (vgl. BT-Drucks. 13/4336, S. 18) lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Ausschlussgrund auch dann einschlägig ist, wenn die volle Versorgungsrente in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes erst mit Vollendung des 63. Lebensjahres beginnt. Der Zweck des ATG, im allgemeinen den Übergang von der Arbeit in die Rente zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 13/4336, S. 2ff.), verlangt eine weitere Differenzierung unter Einbeziehung einer solchen Zusatzversorgung nicht zwingend. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. aaO, S. 18) stellt dementsprechend klar, dass § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG lediglich bei Renten, die wegen vorzeitiger Inanspruchnahme gemindert wären, keine Anwendung finden soll.

Ein anderes Ergebnis ist auch nicht dem gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsverbot bei einem Verstoß gegen das Verbot mittelbarer Diskriminierung des Geschlechts (Art. 4 der Richtlinien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft [EWGRL] 79/7 vom 19.12.1978 - ABI. Nr. 6/24; Art. 5 EWGRL 76/207 vom 09.02.1976 ABI. Nr. L39/40) zu entnehmen. Ein solcher Verstoß kommt nur dann in Betracht, wenn an sich neutral formulierte mitgliedsstaatliche Gesetze tatsächlich einen höheren Prozentsatz an Frauen als Männer betreffen und schlechter stellen und dies durch objektive Faktoren nicht gerechtfertigt ist (vgl. BSG - Urteil vom 29.01.2000 - B 7 AL 98/99 R zu § 2 ATG). Dass der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG in einem wesentlich höheren Maße bei gewünschter oder tatsächlicher Altersteilzeit von Arbeitnehmerinnen statt Arbeitnehmern einschlägig ist, wird von der Klägerin so nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Der von der Klägerin vorgebrachte Mangel im System der Altersteilzeit besteht vielmehr darin, dass nach § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst (TV ATZ) vom 05.05.1998 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 15.03.1999 Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und auch sonst die Voraussetzungen für die Altersteilzeit erfüllen, einen verbindlichen Anspruch auf Vereinbarung eines Altersteilzeitverhältnisses haben und nicht lediglich auf eine Ermessensentscheidung des Arbeitgebers verwiesen werden können, wie dies bei jüngeren Arbeitnehmern der Fall ist (§ 2 Abs. 1 TV ATZ). Während dabei normalerweise das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, für den der Arbeitsnehmer eine Rente wegen Alters beanspruchen kann, endet, gilt dies nach der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ nicht für Arbeitsnehmerinnen, solange die Inanspruchnahme einer solchen Rente wegen Alters zum Ruhen der Versorgungsrente in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes führen würde. So verhält es sich auch nach der Satzung der ZVK. Auch in diesen Fällen ist also der Arbeitgeber zum Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses verpflichtet, obwohl er nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG die Leistungen nach § 4 ATG nicht mehr erlangen kann. Dementsprechend besteht in diesen Fällen das Risiko, dass der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 3 TV ATZ die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses wegen dringender dienstlicher bzw. betrieblicher Gründe ablehnen wird. Hiervon sind in der Tat allein Frauen betroffen. Das ist aber kein vorrangiges Problem des § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG, sondern in erster Linie eine Angelegenheit der Tarifvertragsparteien, die hier um eine verträgliche Regelung sowohl für die tarifunterworfenen Arbeitnehmerinnen als auch die tarifunterworfenen Arbeitgeber bemüht sein müssen. Dessen unbeschadet geht auch die Klägerin entsprechend ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die Zahl der mindestens 60jährigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Anwendungsbereich des ATG im Vergleich zur Zahl der mindestens 55jährigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ATG) sowieso eher gering sein dürfte und das Anliegen des Gesetzgebers, Arbeitszeitminderung aus Mitteln der Beitragszahler der Bundesanstalt für Arbeit (BA) nur zu fördern, wenn dies eine spürbare arbeitsmarktpolitische Wirkung entfaltet (vg. BT-Drucks. 13/4719 S. 14 zu Nr. 6; ferner BSG aaO zur Unterschreitung der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit), erst recht hinsichtlich des hier betroffenen Personenkreises ein hinreichendes Differenzierungskriterium darstellt.

Danach konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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