S 20 KR 1523/01

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 20 KR 1523/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Beitragspflicht zweier im Betrieb der Klägerin beschäftigten Studenten.

Bei der Klägerin fand am 27.06.2000 eine Betriebsprüfung statt, welche die Zeit vom 01.01.1996 bis 31.12.1999 umfasste. Hierbei stellte der Betriebsprüfer der Beklagten fest, dass
1. der Beigeladene zu 1., Herr C., seit dem 01.07.1996 bei der Klägerin mehr als geringfügig beschäftigt war; diese Beschäftigung war wiederholt für Zeiträume von ein bis drei Monaten unterbrochen, u. a. von Oktober bis ein schließlich Dezember 1996;
2. die Beigeladene zu 2., Frau D., vom 01.01.1996 bis 31.07.1998 bei der Klägerin mehr als geringfügig gearbeitet hatte; im Dezember 1996 und von Mai 1997 bis September 1997 hatte sie nicht gearbeitet.

Beide Beigeladenen waren im gesamten Beschäftigungszeitraum bei der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main als ordentlich Studierende eingeschrieben.

Nach erfolgter Anhörung teilte die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.2000 der Klägerin mit, sie habe Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten, weil Versicherungspflicht bestanden habe:
1. für Herrn C. in der Zeit vom 01.01. bis 30.04.1997, 01.06.1997 bis 30.06.1998, 01.08.1998 bis 31.10.1998, 01.02.1999 bis 30.04.1999 und 01.07.1999 bis 31.10.1999;
2. für Frau D. in der Zeit vom 01.10.1997 bis 31.07.1998, woraus sich insgesamt eine Nachforderung von 21858,26 DM ergab.

Die Klägerin widersprach am 09.08.2000. Nach § 230 Abs. 4 SGB VI blieben Personen, die am 01.10.1996 in einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit als ordentliche Studierende einer Fach- oder Hochschule versicherungsfrei gewesen seien, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei. Das betreffe sowohl Herrn C. als auch Frau D.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.12.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Seit dem 01.10.1996 unterlägen auch Studenten/innen, die eine mehr als nur geringfügige Beschäftigung ausübten, grundsätzlich der Rentenversicherungspflicht. Hiervon mache § 230 Abs. 4 SGB VI eine Ausnahme für Studenten/innen, die bereits vor dem 01.10.1996 eine rentenversicherungsfreie Beschäftigung ausgeübt hätten, diese blieben in dieser Beschäftigung weiterhin rentenversicherungsfrei. Diese Besitzstandsregelung gelte nach der gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 01.10.1996 bei Studenten, deren Arbeitseinsatz auf Abruf erfolge, nur dann, wenn ihr Arbeitsverhältnis bereits am 30.09.1996 bestanden habe und im Monat Oktober 1996 ein Arbeitseinsatz erfolge. Ergänzend hierzu habe die Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherte und Rente am 17.02.1998 beschlossen, dass die Besitzstandsregelung voraussetze, dass es sich weiterhin um dieselbe Beschäftigung handele. Das könne nur dann unterstellt werden, wenn nach dem 30.09.1996 in der Regel in jedem Kalendermonat mindestens ein Arbeitseinsatz erfolge; unschädlich sei es, wenn der kalendermonatliche Einsatz zwischenzeitlich wegen einer Arbeitsunfähigkeit oder Werks- oder Betriebsferien einmalig ausfalle. Ausweislich der vorgelegten Lohnunterlagen habe Herr C. in der Zeit von Oktober bis Dezember 1996 und Frau D. in der Zeit von Mai bis September 1997 nicht gearbeitet, so dass die weitere Anwendung des § 230 Abs. 4 SGB VI für die nachfolgende Arbeit ausgeschlossen sei.

Die Klägerin hat am 26.01.2001 Klage erhoben.

Sie meint, die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger, auf deren Verlautbarungen sich die Beklagte berufe, legten das Recht falsch aus. Die Voraussetzungen des § 230 Abs. 4 SGB VI lägen vor, denn beide Studenten hätten ihre Beschäftigung auf der Basis mündlicher Arbeitsverträge bereits vor dem 01.10.1996 aufgenommen und seien anschließend auf Abruf tätig geworden. Es habe sich - trotz wiederholter Unterbrechung - immer um ein und dasselbe Arbeitsverhältnis gehandelt. Die Lohnsteuerkarten der Beigeladenen seien in den Unterbrechungszeiträumen bei ihr verblieben. Ein neues Arbeitsverhältnis sei nicht gegründet worden, beide Studenten seien anschließend wieder auf den gleichen Arbeitsplätzen eingesetzt worden. § 230 Abs. 4 SGB VI stelle darauf ab, ob die Beschäftigung fortdauere, dies sei zivilrechtlich zu beurteilen danach, ob das Beschäftigungsverhältnis auch während der Unterbrechungszeiträume bestanden habe. So verhalte es sich im vorliegenden Fall, denn es sei keine Kündigung der Arbeitsverhältnisse nach dem Ende der jeweiligen Arbeitseinsätze erfolgt, es sei auch kein neues Arbeitsverhältnis nach den jeweiligen Unterbrechungen begründet worden sondern der Sache nach habe man den Beigeladenen lediglich im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnis gestattet, sich verstärkt ihrem Studium zu widmen, was man als unbezahlten Urlaub bezeichnen möge.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12.07.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 29.12.2000 aufzuheben, soweit darin Sozialversicherungsbeiträge für die Beigeladenen in Höhe von 21858,26 DM nachgefordert werden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. In der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der Bundesanstalt für Arbeit am 22./23.11.2000 sei die bisherige Position nochmals bestätigt worden.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer die Beigeladenen zu 1. und 2. persönlich zu ihren Beschäftigungsverhältnissen angehört. Diese haben mitgeteilt, sie seien bei der Klägerin als Kommissionierer (Verpacken von Textilien) eingesetzt worden. Der beigeladene Herr C. hat weiter erklärt, dass er seine Arbeit für die Klägerin in den Semesterzeiten, wenn er studieren müsse, gelegentlich unterbreche; es werde dann vereinbart, wann er wieder arbeiten könne. In den Zeiten der Arbeitsunterbrechung gebe es bei der Klägerin aber auch nichts zu tun, da das Verpacken der Textilien eine Saisonarbeit sei. Die Beigeladene zu 2. hat erklärt, ihre Beschäftigung bei der Klägerin sei wegen eines 4-monatigen Praktikums in Nigeria unterbrochen gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat die Beklagte von der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 21858,26 DM für die Beigeladenen nachgefordert.

Die Kammer nimmt insoweit zunächst auf die zutreffenden Darlegungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 20.12.2000 Bezug. Unstreitig waren die Beigeladenen im Nachforderungszeitraum bei der Klägerin gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Damit unterlagen sie, weil diese Beschäftigung mehr als geringfügig war, nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung; denn die Versicherungsfreiheit der ordentlich Studierenden einer Hochschule oder Fachhochschule während der Dauer ihres Studiums (§ 5 Abs. 3 SGB VI i. d. F. bis zum 30.09.1996) ist durch Artikel 1 Nr. 2 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.09.1996 mit Wirkung ab dem 01.10.1996 aufgehoben worden, so dass Studenten nunmehr hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung den übrigen Arbeitnehmern gleichgestellt sind.

Zutreffend hat die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 230 Abs. 4 SGB VI verneint. Nach dieser Vorschrift bleiben Personen, die am 01.10.1996 in einer Beschäftigung als ordentlich Studierende in einer Fachschule oder Hochschule rentenversicherungsfrei waren, in dieser Beschäftigung weiterhin rentenversicherungsfrei. Die Vorschrift beinhaltet damit eine Besitzstandsregelung für solche Studenten und Studentinnen, die bereits vor dem 01.10.1996 eine nach § 5 Abs. 3 SGB VI a. F. rentenversicherungsfreie Beschäftigung aufgenommen haben und diese Beschäftigung ab dem 30.09.1996 weiter ausüben.

Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Beigeladenen indes nicht vor. Denn § 230 Abs. 4 SGB VI setzt für die Fortdauer der Versicherungsfreiheit voraus, dass der Student in der bisherigen Beschäftigung weiter tätig ist. Der Begriff der Beschäftigung ist in § 7 Abs. 1 SGB IV definiert als die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Vorschrift enthält damit eine arbeitsrechtliche Komponente, weil sie auf den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses abstellt. Gleichzeitig knüpft der sozialversicherungsrechtliche Begriff aber auch immer an die Beschäftigung gegen Entgelt an. Grundsätzlich gehört zur Beschäftigung also die tatsächliche Arbeit gegen Entgelt (BSGE 68, 236, 240).

Hiervon hat die Rechtsprechung allerdings von jeher Ausnahmen anerkannt. Danach ist die tatsächliche Ausübung der Beschäftigung nicht stets notwendige Voraussetzung für den Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses, solange das Arbeitsverhältnis fortbesteht und Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Willen haben, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Deshalb hat die Rechtsprechung den Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses nicht nur bei bezahltem Urlaub, Krankheit oder bezahlter Freistellung von der Arbeit bejaht, sondern auch bei Streik und unbezahltem Urlaub, sofern diese Unterbrechungen von begrenzter Dauer waren (BSG a. a. 0.). Als zeitliche Höchstgrenze wurde insoweit früher eine Zeitraum von drei Wochen angesehen (BSGE 20, 156). Hieran knüpfte die weitere Rechtsentwicklung an. So wurde für den Bereich der Arbeitsförderung der Rahmen für unschädliche Unterbrechungen des Beschäftigungsverhältnisses auf 4 Wochen (§ 104 Abs. 1 Satz 3 AFG in der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung) und für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auf einen Monat (§ 192 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung) erweitert. Seit dem 01.01.1999 enthält § 7 Abs. 3 SGB IV nunmehr eine übergreifende Regelung für alle Sozialversicherungszweige: Danach gilt eine Beschäftigung als fortbestehend, solange das Arbeitsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat.

Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte und der dies aufgreifenden Gesetzgebung ein Beschäftigungsverhältnis nur vorliegt, wenn gegen Entgelt gearbeitet wird; ein Beschäftigungsverhältnis ist nicht mehr gegeben, wenn die Beschäftigung faktisch ein Ende gefunden hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis noch fortbesteht (BSGE 73, 90, 94 m. w. N.). Inhaltlich bedeutet § 7 Abs. 3 SGB IV damit eine Erweiterung der Rechtsposition der versicherten Arbeitnehmer, indem bei Wegfall der Entgeltzahlung das Beschäftigungsverhältnis für den Zeitraum von längstens einem Monat als fortbestehend fingiert wird. Gleichzeitig beschreibt § 7 Abs. 3 SGB IV damit aber auch die - schon nach bisherigem Recht - äußerste Grenze, für die trotz Wegfall von Arbeitsleistung und Entgeltzahlung das Fortbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses angenommen werden kann.

Es ist kein Grund ersichtlich, für § 230 Abs. 4 SGB VI einen hiervon abweichenden Beschäftigungsbegriff zu verwenden, also etwa ausschließlich auf den zivilrechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abzustellen (anderer Ansicht Zugmaier, Sozialgerichtsbarkeit 1997, 258, 259). Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er diesen rechtstechnischen Begriff auch verwendet und nicht den durch § 7 Abs. 1 SGB IV für alle Zweige der Sozialversicherung einheitlich definierten Begriff des Beschäftigungsverhältnisses (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Zudem würde das Abstellen auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses möglichen Manipulationen Vorschub leisten. Denn es wäre abzusehen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeitsverhältnisse formal über lange Zeiträume aufrechterhielten, nur um weiterhin Versicherungsfreiheit zu erreichen.

Hiernach lagen die Voraussetzungen für Versicherungsfreiheit bei dem beigeladenen Herrn C. ab Januar 1997 und bei der beigeladenen Frau D. ab Oktober 1997 nicht mehr vor. Zwar ist davon auszugehen, dass Herr C. seit dem 01.07.1996 in einem einheitlichen, unbefristeten Arbeitsverhältnis mit der Klägerin steht, welches lediglich wiederkehrend durch unbezahlten Urlaub unterbrochen wird, typischerweise in den Vorlesungszeiten. Dieser Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist jedoch aus den oben dargelegten Gründen unbeachtlich. Entscheidend ist vielmehr, dass das Beschäftigungsverhältnis des Herrn C. von Oktober bis einschließlich Dezember 1996, also für drei Monate, aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit der Klägerin ohne Entgeltzahlung unterbrochen war, so dass es an der für § 230 Abs. 4 SGB VI erforderlichen Fortsetzung des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses fehlt. Gleiches gilt für Frau D., bei der das Beschäftigungsverhältnis von Mai bis September 1997 unterbrochen war, weil sie in dieser Zeit ein 4-monatiges Praktikum in Nigeria absolvierte.

Hiernach war die Beklagte gemäß §§ 28e Abs. 1 Satz 1, 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV berechtigt, die Klägerin für die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge der Beigeladenen in Anspruch zu nehmen. Fehler in der Beitragsberechnung sind von der Klägerin weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf§ 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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