L 19 AS 829/12 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 59 AS 2338/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 829/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2012 aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
 
Gründe:

I.
Der 1980 geborene Kläger bezog vom Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und bewohnte zusammen mit seiner Mutter eine Wohnung unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift. Aufgrund von Sanierungsarbeiten wurde ihm in diesem Haus eine Ersatzwohnung angeboten, in die der Kläger ohne seine Mutter umzog. Unter Hinweis auf § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II bewilligte der Beklagte dem Kläger ab 1. November 2008 nur noch Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUuH) in bisheriger Höhe von 163,61 EUR. Die Differenz zwischen den tatsächlichen und den bewilligten KdUuH führte zu Mietrückständen. Die Vermieterin des Klägers erwirkte ein Räumungs- und Zahlungsurteil gegen den Kläger (Versäumnisurteil des Amtsgerichts - AG - Neukölln vom 18. August 2010, 16 C 302/10). Mit Beschluss vom 16. September 2010 setzte das AG Neukölln die vom Kläger an seine Vermieterin zu erstattenden Kosten auf 947,57 EUR fest.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. November 2010 den Antrag des Klägers vom 17. August 2010 auf Übernahme der Mietrückstände ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte erhob mit Bescheid vom 22. Dezember 2010 seinen Bescheid vom 5. November 2010 auf und bewilligte mit sieben Änderungsbescheiden vom 22. Dezember 2012 höhere Leistungen für KdUuH für die Zeit vom 1. November 2008 bis 30. Juni 2011. Im Ergebnis wurde hierdurch die Differenz zwischen den ursprünglich bewilligten und den tatsächlichen KdUuH nachgezahlt.

Am 28. Januar 2011 hat der Kläger bei dem Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben mit dem Begehren, den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 6. November 2010 (gemeint: 5. November 2010) in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 22. Dezember 2010 zu verurteilen, ihm weitere Kosten in Höhe von 947,57 EUR zuzüglich Zinsen zu gewähren.
Das SG Berlin hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 20. Februar 2012 den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei den vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch handele es sich nicht um einen sozialrechtlichen Leistungsanspruch. Die begehrten Kosten des Rechtsstreits gehörten nicht zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II. Für die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Die streitwertunabhängige sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin folge aus § 71 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).

II.
Die nach § 17a Abs. 2, Abs. 4 Satz 3 GVG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des SG Berlin vom 20. Februar 2012 hat Erfolg.

Für die vorliegende Streitigkeit ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden nach § 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz (SGG) über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten (u.a.) in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Streitsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind.
Ob ein Rechtstreit öffentlich-rechtlicher oder bürgerlich-rechtlicher Natur ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Für die Rechtswegprüfung ist nicht erforderlich, dass sich die Streitigkeit als ausschließlich bürgerlich-rechtlich oder als ausschließlich öffentlich-rechtlich charakterisieren lässt. Für die Bejahung der Zulässigkeit des vom Kläger beschrittenen Rechtswegs reicht es vielmehr aus, wenn das Klagebegehren in einem Sachverhalt wurzelt, der jedenfalls kraft solcher Rechtsgrundlagen zu beurteilen ist, die in die (originäre) Rechtswegzuständigkeit des angerufenen Gerichts fallen. Trifft das zu, berührt es die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht, dass das Klagebegehren auch unter Berücksichtigung von Anspruchsgrundlagen, die zu einem anderen Rechtsgebiet gehören, zu prüfen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. April 2013, L 23 SO 272/12 B, mwN, juris).

Hiervon ausgehend ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Einen Amtshaftungsanspruch (Art. 34 Satz 3 Grundgesetz iVm § 839 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) hat der Kläger weder ausdrücklich noch konkludent geltend gemacht. Vielmehr leitet er seinen Klageanspruch aus dem SGB II her. Schon aus diesem Grund wäre der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Zudem können Kosten der Vermieterin, die nicht aus dem Mietverhältnis stammen, aber an die sie (nach Ablauf der in § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorgesehenen Fristen zur Abwendung einer Kündigung wegen Zahlungsrückständen zulässigerweise) die Fortführung bzw. den Neuabschluss des Mietverhältnisses geknüpft hat, zu den im Rahmen des § 22 Abs. 8 SGB II (§ 22 Abs. 5 SGB II aF) übernahmefähigen Kosten gehören (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2010, B 14 AS 58/09 R, Rn. 34, juris). Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass die geltend gemachten Kosten (der Rechtsverfolgung der Vermieter) als Mietschulden übernahmefähig sind.
Im Rahmen der Rechtswegbeschwerde bedarf es keiner Entscheidung, ob sich der Antrag des Klägers vom 17. August 2010 auf Übernahme der Mietrückstände auch auf die Rechtsverfolgungskosten iHv 947,57 EUR bezog, der Beklagte dem Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 5. November 2010 möglicherweise nur teilweise abgeholfen hat oder die Sachurteilsvoraussetzungen (Durchführung des Vorverfahrens) für die Klage vor dem SG Berlin erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Kläger klagt nicht als Versicherter, Leistungsempfänger etc. im Sinne des § 183 SGG. In Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde hat grundsätzlich eine Kostenentscheidung zu ergehen (vgl. BSG, Beschluss vom 1. April 2009, B 14 SF 1/08 R, juris). Die Verpflichtung des Beklagten, die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, ist darin begründet, dass er sich mit seiner Auffassung, die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit seien für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig, nicht durchgesetzt hat (siehe dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. April 2013, aaO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde an das BSG liegen nicht vor (§ 17a Abs. 4 Satz 4 und Satz 5 GVG).
Rechtskraft
Aus
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