Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 19 AL 192/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 56/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Verfahren bei dem Landessozialgericht nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) in der Zeit vom 15. März 2010 bis 6. Juni 2010 und die Aufhebung der Alg-Bewilligung mWv 7. Juni 2010.
Die Klägerin, die in der Zeit vom 1. August 2008 bis zum Eintritt krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit am 8. Oktober 2008 mitarbeitende Gesellschafterin der K & S K- und Sch V-GmbH (im Folgenden: K.S.) mit einer Beteiligung am Stammkapital iHv 100 % war, bezog vom 19. November 2008 bis 27. Februar 2010 Krankengeld. Am 15. März 2010 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 6. April 2010 Alg ab 15. März 2010 iH eines täglichen Leistungsbetrages von 23,62 EUR für 240 Kalendertage bis 13. November 2010. Der hiergegen eingelegte Widerspruch, mit dem die Klägerin höheres Alg geltend machte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2010). Da die Alg-Bewilligung schon dem Grunde nach rechtswidrig gewesen sei, komme ein höherer Anspruch nicht in Betracht. Hiergegen hat die Klägerin am 14. Juli 2010 Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 hatte die Beklagte die Bewilligung von Alg mWv 7. Juni 2010 mit der Begründung zurückgenommen, dass die Klägerin als Alleingesellschafterin nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Hiergegen erhob die Klägerin am 6. Oktober 2010 zum Aktenzeichen - S 19 AL 271/10 - ebenfalls Klage. Das Sozialgericht (SG) Cottbus wies diese Klage durch Urteil vom 23. Januar 2013 ab; die Berufung blieb erfolglos (Urteil des erkennenden Senats vom 12. Februar 2014 - L 18 AL 55 /13 -).
Das SG hat im vorliegenden Verfahren - S 19 AL 192/10 - die gegen den Bescheid vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 gerichtete Klage durch Urteil vom 23. Januar 2013 abgewiesen und dabei im Wesentlichen auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und sein Urteil vom selben Tag im Verfahren - S 19 AL 271/10 - Bezug genommen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Sie habe nach Eintritt ihrer Erkrankung die Leitung der Firma Herrn Lutz Lehmann übergeben, der eine entsprechende Handlungsvollmacht nach § 54 Handelsgesetzbuch gehabt habe. Sie habe auch bis 7. Juni 2010 nachweislich Alg erhalten. Auf die Schriftsätze der Klägerin, zuletzt vom 19. September 2013, wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 23. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 und Aufhebung des Bescheides vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 15. März 2010 höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 abzuweisen.
Sie meint, der Klägerin habe bereits von Anfang an kein Alg-Anspruch zugestanden, da sie Alleingesellschafterin der GmbH zu 100 % und damit nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten - auch die zum Verfahren S 19 AL 271/10 - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht für die Zeit ab 15. März 2010 kein höherer Alg-Anspruch als der von der Beklagten mit dem Bescheid vom 6. April 2010 zuletzt verlautbarte zu. Die Beklagte war zudem berechtigt, die Bewilligung von Alg mWv 7. Juni 2010 aufzuheben.
Gegenstand des Verfahrens sind sowohl der Alg-Bewilligungsbescheid vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 als auch der Aufhebungsbescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010. Der Aufhebungsbescheid vom 3. Juni 2010 ist gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Alg-Bewilligungsbescheid vom 6. April 2010 geworden, weil er diesen Bescheid mWv 7. Juni 2010 aufgehoben und damit die Bewilligung iSv § 86 SGG "geändert" hat. Er wurde damit auch kraft Gesetzes Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens - S 19 AL 192/10 -, in das gemäß § 96 Abs. 1 SGG auch der zu dem Bescheid vom 3. Juni 2010 ergangene Widerspruchsbescheid vom 7. September 2010 einzubeziehen war. Über die letztgenannten Bescheide hatte der Senat erstinstanzlich kraft Klage zu befinden, weil das SG - jedenfalls im hiesigen Verfahren - insoweit keine Entscheidung getroffen hat.
Nach § 118 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung und vorliegend anwendbaren Fassung (aF) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, die 1. arbeitslos sind, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Die Klägerin hatte sich am 15. März 2010 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet. Es kann offen bleiben, ob sie zu diesem Zeitpunkt arbeitslos iS des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III aF war - sie selbst hat vorgetragen, infolge einer Erkrankung bereits seit 2008 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen zu können, träfe dies zu, wäre sie nicht verfügbar iSv § 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III aF gewesen -, denn jedenfalls hatte sie die Anwartschaftszeit (§§ 118 Abs. 1 Nr. 3, 123 Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF) nicht erfüllt.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate (360 Tage, § 339 Satz 1 SGB III aF) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Klägerin meldete sich mit Wirkung vom 15. März 2010 arbeitslos gemeldet (§ 122 Abs. 1 SGB III aF). Damit lief die zweijährige Rahmenfrist vom 14. März 2010 bis zum 15. März 2008. In dieser Zeit war die Klägerin ab 1. August 2008 bei der K.S. als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Bei dieser Beschäftigung handelte es sich jedoch nicht um eine ein Versicherungspflichtverhältnis begründende Tätigkeit.
Gemäß § 25 Abs. 1 SGB III aF sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 = SozR 3-2400 § 7 Nr 11).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächlich Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, so lange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30704 R - juris).
Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben einer gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft auf Grund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte. Dies ist jedenfalls bei Alleingesellschaftern wie der Klägerin grundsätzlich der Fall, und zwar auch dann, wenn sie von der ihr zustehenden Rechtsmacht tatsächlich keinen Gebrauch machen und die Entscheidungen - wie vorliegend - anderen überlassen (vgl BSG SozR 3-4100 § 168 Nrn 5 und 8). Derartige Gesellschafter haben auf Grund ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer und unterliegen damit nicht ihrerseits dessen Weisungsrecht. Wer aber kraft seiner Gesellschafterrechte die für das Arbeitnehmerverhältnis typische Abhängigkeit von seinem Arbeitgeber vermeiden kann, kann nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein. Ein - versicherungspflichtiges - Beschäftigungsverhältnis iS des § 7 Abs. 1 SGB IV bestand deshalb in der maßgeblichen Rahmenfrist in der Zeit vom 14. März 2010 bis 1. August 2008 jedenfalls nicht, so dass die Anwartschaftszeit nicht erfüllt war und der Klägerin ab 15. März 2010 kein Anspruch auf Alg und damit erst recht kein höherer Alg-Anspruch als der von der Beklagten verlautbarte zustand. Auch der Bezug von Krankengeld in der Zeit vom 19. November 2008 bis 27. Februar 2010 stellt keinen Versicherungspflichttatbestand dar, weil die Klägerin unmittelbar vor Beginn des Krankengeldbezugs - wie dargelegt - nicht versicherungspflichtig gewesen war, keine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen und auch keine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt hatte (vgl § 26 Abs. Nr. 1 SGB III aF).
Die Aufhebung der Alg-Bewilligung mWv 7. Juni 2010 durch den Rücknahmebescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weshalb die hiergegen erhobene Klage abzuweisen war.
Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung der Beklagten ist § 45 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter Einschränkungen ganz oder teilweise mW für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X), wobei Schutzwürdigkeit in der Regel dann vorliegt, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darf ua nach Abs. 2 bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 gegeben sind. Nach Abs. 4 Satz 2 derselben Vorschrift muss die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die Alg-Bewilligung war - wie bereits dargelegt - anfänglich objektiv rechtswidrig. Vertrauensschutzgesichtspunkte, die einer - hier nur für die Zukunft erfolgten - Aufhebung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Auch hat die Beklagte die Fristen des § 45 SGB X für die Rücknahme eingehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Verfahren bei dem Landessozialgericht nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) in der Zeit vom 15. März 2010 bis 6. Juni 2010 und die Aufhebung der Alg-Bewilligung mWv 7. Juni 2010.
Die Klägerin, die in der Zeit vom 1. August 2008 bis zum Eintritt krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit am 8. Oktober 2008 mitarbeitende Gesellschafterin der K & S K- und Sch V-GmbH (im Folgenden: K.S.) mit einer Beteiligung am Stammkapital iHv 100 % war, bezog vom 19. November 2008 bis 27. Februar 2010 Krankengeld. Am 15. März 2010 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 6. April 2010 Alg ab 15. März 2010 iH eines täglichen Leistungsbetrages von 23,62 EUR für 240 Kalendertage bis 13. November 2010. Der hiergegen eingelegte Widerspruch, mit dem die Klägerin höheres Alg geltend machte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2010). Da die Alg-Bewilligung schon dem Grunde nach rechtswidrig gewesen sei, komme ein höherer Anspruch nicht in Betracht. Hiergegen hat die Klägerin am 14. Juli 2010 Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 hatte die Beklagte die Bewilligung von Alg mWv 7. Juni 2010 mit der Begründung zurückgenommen, dass die Klägerin als Alleingesellschafterin nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Hiergegen erhob die Klägerin am 6. Oktober 2010 zum Aktenzeichen - S 19 AL 271/10 - ebenfalls Klage. Das Sozialgericht (SG) Cottbus wies diese Klage durch Urteil vom 23. Januar 2013 ab; die Berufung blieb erfolglos (Urteil des erkennenden Senats vom 12. Februar 2014 - L 18 AL 55 /13 -).
Das SG hat im vorliegenden Verfahren - S 19 AL 192/10 - die gegen den Bescheid vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 gerichtete Klage durch Urteil vom 23. Januar 2013 abgewiesen und dabei im Wesentlichen auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und sein Urteil vom selben Tag im Verfahren - S 19 AL 271/10 - Bezug genommen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Sie habe nach Eintritt ihrer Erkrankung die Leitung der Firma Herrn Lutz Lehmann übergeben, der eine entsprechende Handlungsvollmacht nach § 54 Handelsgesetzbuch gehabt habe. Sie habe auch bis 7. Juni 2010 nachweislich Alg erhalten. Auf die Schriftsätze der Klägerin, zuletzt vom 19. September 2013, wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 23. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 und Aufhebung des Bescheides vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 15. März 2010 höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 abzuweisen.
Sie meint, der Klägerin habe bereits von Anfang an kein Alg-Anspruch zugestanden, da sie Alleingesellschafterin der GmbH zu 100 % und damit nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten - auch die zum Verfahren S 19 AL 271/10 - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht für die Zeit ab 15. März 2010 kein höherer Alg-Anspruch als der von der Beklagten mit dem Bescheid vom 6. April 2010 zuletzt verlautbarte zu. Die Beklagte war zudem berechtigt, die Bewilligung von Alg mWv 7. Juni 2010 aufzuheben.
Gegenstand des Verfahrens sind sowohl der Alg-Bewilligungsbescheid vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 als auch der Aufhebungsbescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010. Der Aufhebungsbescheid vom 3. Juni 2010 ist gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Alg-Bewilligungsbescheid vom 6. April 2010 geworden, weil er diesen Bescheid mWv 7. Juni 2010 aufgehoben und damit die Bewilligung iSv § 86 SGG "geändert" hat. Er wurde damit auch kraft Gesetzes Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens - S 19 AL 192/10 -, in das gemäß § 96 Abs. 1 SGG auch der zu dem Bescheid vom 3. Juni 2010 ergangene Widerspruchsbescheid vom 7. September 2010 einzubeziehen war. Über die letztgenannten Bescheide hatte der Senat erstinstanzlich kraft Klage zu befinden, weil das SG - jedenfalls im hiesigen Verfahren - insoweit keine Entscheidung getroffen hat.
Nach § 118 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung und vorliegend anwendbaren Fassung (aF) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, die 1. arbeitslos sind, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Die Klägerin hatte sich am 15. März 2010 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet. Es kann offen bleiben, ob sie zu diesem Zeitpunkt arbeitslos iS des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III aF war - sie selbst hat vorgetragen, infolge einer Erkrankung bereits seit 2008 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen zu können, träfe dies zu, wäre sie nicht verfügbar iSv § 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III aF gewesen -, denn jedenfalls hatte sie die Anwartschaftszeit (§§ 118 Abs. 1 Nr. 3, 123 Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF) nicht erfüllt.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate (360 Tage, § 339 Satz 1 SGB III aF) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Klägerin meldete sich mit Wirkung vom 15. März 2010 arbeitslos gemeldet (§ 122 Abs. 1 SGB III aF). Damit lief die zweijährige Rahmenfrist vom 14. März 2010 bis zum 15. März 2008. In dieser Zeit war die Klägerin ab 1. August 2008 bei der K.S. als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Bei dieser Beschäftigung handelte es sich jedoch nicht um eine ein Versicherungspflichtverhältnis begründende Tätigkeit.
Gemäß § 25 Abs. 1 SGB III aF sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 = SozR 3-2400 § 7 Nr 11).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächlich Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, so lange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30704 R - juris).
Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben einer gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft auf Grund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte. Dies ist jedenfalls bei Alleingesellschaftern wie der Klägerin grundsätzlich der Fall, und zwar auch dann, wenn sie von der ihr zustehenden Rechtsmacht tatsächlich keinen Gebrauch machen und die Entscheidungen - wie vorliegend - anderen überlassen (vgl BSG SozR 3-4100 § 168 Nrn 5 und 8). Derartige Gesellschafter haben auf Grund ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer und unterliegen damit nicht ihrerseits dessen Weisungsrecht. Wer aber kraft seiner Gesellschafterrechte die für das Arbeitnehmerverhältnis typische Abhängigkeit von seinem Arbeitgeber vermeiden kann, kann nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein. Ein - versicherungspflichtiges - Beschäftigungsverhältnis iS des § 7 Abs. 1 SGB IV bestand deshalb in der maßgeblichen Rahmenfrist in der Zeit vom 14. März 2010 bis 1. August 2008 jedenfalls nicht, so dass die Anwartschaftszeit nicht erfüllt war und der Klägerin ab 15. März 2010 kein Anspruch auf Alg und damit erst recht kein höherer Alg-Anspruch als der von der Beklagten verlautbarte zustand. Auch der Bezug von Krankengeld in der Zeit vom 19. November 2008 bis 27. Februar 2010 stellt keinen Versicherungspflichttatbestand dar, weil die Klägerin unmittelbar vor Beginn des Krankengeldbezugs - wie dargelegt - nicht versicherungspflichtig gewesen war, keine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen und auch keine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt hatte (vgl § 26 Abs. Nr. 1 SGB III aF).
Die Aufhebung der Alg-Bewilligung mWv 7. Juni 2010 durch den Rücknahmebescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weshalb die hiergegen erhobene Klage abzuweisen war.
Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung der Beklagten ist § 45 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter Einschränkungen ganz oder teilweise mW für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X), wobei Schutzwürdigkeit in der Regel dann vorliegt, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darf ua nach Abs. 2 bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 gegeben sind. Nach Abs. 4 Satz 2 derselben Vorschrift muss die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die Alg-Bewilligung war - wie bereits dargelegt - anfänglich objektiv rechtswidrig. Vertrauensschutzgesichtspunkte, die einer - hier nur für die Zukunft erfolgten - Aufhebung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Auch hat die Beklagte die Fristen des § 45 SGB X für die Rücknahme eingehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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