L 2 AL 52/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 17 AL 525/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 52/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Juni 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Dauer des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld.

Vorgeschichte Der am xxxxx 1952 geborene Kläger war vom 1. März 1984 bis 30. Juni 2009 bei der Firma H. GmbH beschäftigt. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2008 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt außerordentlich unter Einhaltung der sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2009. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hamburg. Am 12. Juni 2009 meldete er sich mit Wirkung zum 1. Juli 2009 bei der Beklagten persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diese Leistung wurde ihm mit Bescheid vom 8. Juli 2009 für die Dauer von 540 Tagen ab dem 1. Juli 2009 bewilligt. Zeitgleich machte die Beklagte gegenüber der Arbeitgeberin und dem Kläger hinsichtlich etwaiger Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis einen Anspruchsübergang geltend und wies den Kläger darauf hin, dass sie ihm Arbeitslosengeld gemäß § 143 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zunächst ohne Berücksichtigung seiner noch offenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zahle (Schreiben vom 8. Juli 2009).

Das Arbeitsgericht Hamburg stellte mit Urteil vom 4. August 2009 (Az.: 25 Ca 32/09) fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 29. Dezember 2008 aufgelöst worden sei. Die hiergegen eingelegte Berufung der Arbeitgeberin wies das Landesarbeitsgericht Hamburg mit Urteil vom 1. Februar 2010 (Az.: 8 Sa 75/09) zurück. Während des Kündigungsschutzverfahrens hatte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 29. September 2009 erneut eine betriebsbedingte außerordentliche Kündigung unter Einhaltung der sozialen Auslauffrist zum 31. März 2010 ausgesprochen, die der Kläger mit einer weiteren Kündigungsschutzklage angriff. Das diesbezüglich vom Arbeitsgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 25 Ca 308/09 geführte Verfahren endete mit einem Vergleich vom 21. April 2010. Darin vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 29. September 2009 mit Ablauf des 31. März 2010 sein Ende gefunden habe. Im Gegenzug verpflichtete sich die Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der wegen Erkrankungen des Klägers eingeschränkt zu leistenden Entgeltfortzahlungen bis zum Beendigungsdatum ordnungsgemäß abzurechnen und abzuwickeln. Wegen diesbezüglicher und weiterer Einzelheiten des Vergleichs wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 21. April 2010 (Blatt 45 f. der Prozessakte 25 Ca 308/09 dieses Gerichts) Bezug genommen.

Während der genannten arbeitsgerichtlichen Verfahren bezog der Kläger aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 8. Juli 2009 sowie aufgrund eines weiteren, nach persönlicher Wiedermeldung zum 19. August 2009 erteilten Bewilligungsbescheides vom 25. August 2009 mit Unterbrechungen durch den Bezug von Krankengeld am 18. August 2010, vom 1. Juli bis 17. August 2009 und vom 19. August bis 7. Oktober 2009 für insgesamt 97 Leistungstage Arbeitslosengeld in Höhe von 3.069,08 EUR. Auf Anforderung der Beklagten vom 30. April 2010 zahlte die Arbeitgeberin mit Rücksicht auf den geltend gemachten Übergang der Entgeltansprüche des Klägers diesen Betrag an die Beklagte aus. In der Zeit vom 8. Oktober 2009 bis 24. Juni 2010 erhielt der Kläger erneut Krankengeld. Die Beschäftigung bei seiner bisherigen Arbeitgeberin nahm er nicht wieder auf.

Verwaltungsverfahren Am 25. Juni 2010 meldete sich der Kläger erneut persönlich arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld. Mit zunächst vorläufig erteiltem Bescheid vom 6. Juli 2010, später ersetzt durch endgültigen Bescheid vom 30. Juli 2010, wurde ihm diese Leistung ab dem 25. Juni 2010 für 540 Tage gewährt. Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er am xxxxx 2010 sein 58. Lebensjahr vollendet habe und ihm deshalb ein Leistungsanspruch für die Dauer von 720 Kalendertagen (24 Monaten) zustehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Dauer des Leistungsanspruchs sei durch den am 1. Juli 2009 entstandenen Neuanspruch auf Arbeitslosengeld bestimmt worden. Seitdem sei kein neuer Leistungsanspruch entstanden, weil der Kläger in der für ihn maßgeblichen Rahmenfrist vom 1. Juli 2009 bis 24. Juni 2010 nur für 359 Tage und nicht, wie für eine neue Anwartschaft nach §§ 123, 124 SGB III erforderlich, 360 Tage versicherungspflichtige Zeiten zurückgelegt habe. Der Umstand, dass die frühere Arbeitgeberin des Klägers der Beklagten Arbeitslosengeld für 97 Tage erstattet habe, mache die frühere Bewilligungsentscheidung nicht rechtswidrig, sondern führe nur dazu, dass die insoweit eigentlich verbrauchte Anspruchsdauer dem Kläger wieder gutgeschrieben werde. Die Anspruchsdauer von 540 Tagen sei deshalb zu Recht festgestellt worden.

Klageverfahren erster Instanz Der Kläger hat am 25. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg (SG) erhoben und sein Begehren weiter verfolgt: Aus § 127 SGB III ergebe sich für ihn ein Leistungsanspruch von 24 Monaten, weil er die Anspruchsvoraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld erstmals am 25. Juni 2010 erfüllt habe. Die für die Zeit ab 1. Juli 2009 erteilten Bewilligungsbescheide seien aufzuheben, weil der Kläger wegen des erfolgreichen Kündigungsschutzverfahrens über diesen Tag hinaus bis zum 31. März 2010 nicht arbeitslos gewesen sei, sondern in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden habe. Die beitragspflichtige Beschäftigung sei deshalb fortgesetzt worden (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Juni 1989 – 7 RAr 15/87, SozR 4100 § 65 Nr. 7). Er sei deshalb zur Arbeitsleistung und die Arbeitgeberin ungeachtet dessen, dass sie die Arbeitsleistung nicht angenommen habe, zur Entgeltzahlung verpflichtet gewesen. Da er das ihm zustehende Entgelt erhalten habe, seien auch die Voraussetzungen für eine Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III nicht erfüllt.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Sie hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 4. August 2010 verwiesen und ergänzend vorgetragen, dass auch die nachträgliche Verlängerung des Arbeitsverhältnisses an der ab 1. Juli 2009 bestehenden faktischen Arbeitslosigkeit nichts habe ändern können.

Mit Urteil vom 4. Juni 2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Zu Recht habe die Beklagte dem Kläger gemäß § 127 SGB III ab dem 25. Juni 2010 für 540 Tage Arbeitslosengeld gewährt. Sein Leistungsanspruch sei bereits vor Vollendung seines 58. Lebensjahres am 1. Juni 2009 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt sei das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich beendet gewesen, auch wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbestanden habe (Hinweis auf Urteil des BSG vom 29. September 1987 – 7 RAr 59/86, juris). Entsprechend sei dem Kläger das ihm aufgrund seiner Anwartschaft zustehende Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung gemäß § 143 Abs. 3 SGB III rechtmäßig gezahlt worden. Eine spätere Rückabwicklung des Leistungsfalles sehe das Gesetz auch für den Fall nicht vor, dass der Arbeitgeber der Beklagten deren Aufwendungen für den Versicherungsfall ersetzt habe; vielmehr dürften in diesem Fall lediglich die entsprechenden Anspruchstage nicht als verbraucht gelten. Auch in einem solchen Fall könne die Rahmenfrist aber nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreichen, in der der Arbeitslose die zur Gleichwohlgewährung führende Anwartschaft erfüllt habe. Bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft bleibe infolgedessen die Dauer des bisherigen Anspruchs maßgeblich. Einen Neuanspruch auf Arbeitslosengeld habe der Kläger mit seiner Meldung am 25. Juni 2010 indessen nicht erworben.

Berufungsverfahren Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 12. September 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Oktober 2013, einem Montag, Berufung eingelegt, mit der er weiter an seiner Auffassung festhält, dass ihm Arbeitslosengeld ab dem 25. Juni 2010 für 24 Monate zustehe. Die Entscheidungen des SG, des BSG vom 29. September 1987 (Az.: 7 RAr 59/86), vom 9. August 1990 (Az.: 7 RAr 104/88) und spätere hierauf gestützte Gerichtsentscheidungen seien nicht schlüssig und stünden im Widerspruch zu dem sich aus dem Gesamtzusammenhang der sozialrechtlichen Vorschriften ergebenden Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 143 Abs. 3 SGB III und zu anderen Entscheidungen des BSG in vergleichbaren Fällen. Werde der Agentur für Arbeit das im Wege der Gleichwohlgewährung gezahlte Arbeitslosengeld nachträglich erstattet, sei der Arbeitslose – entsprechend dem tatsächlichen Verlauf der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, der tatsächlichen Beitragsleistung und dem erhöhten Schutzbedürfnis bei höherem Alter – durch Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides gemäß § 48 Abs. 1 Satz und Satz 2 Nrn. 1 und 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III so zu stellen, als sei er nicht bereits arbeitslos gewesen. Die Annahme des BSG, dass in einem solchen Fall der Arbeitgeber nicht das Arbeitslosengeld erstatte, sondern nur den (durch den gesetzlichen Anspruchsübergang nunmehr der Bundesagentur für Arbeit zustehenden) Anspruch auf Arbeitsentgelt erfülle, stehe nicht im Einklang mit der im Gesetz ebenfalls vorgesehenen Pflicht des Arbeitnehmers zur Erstattung von Arbeitslosengeld für den Fall, dass der Arbeitgeber eine Zahlung mit befreiender Wirkung geleistet habe. Zwar treffe zu, dass diese Erstattungspflicht keine Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides voraussetze, doch habe die Bundesagentur für Arbeit sowohl die Möglichkeit der Aufhebung nach §§ 48 SGB X, 330 SGB III als auch einen Erstattungsanspruch; sie sei deshalb doppelt abgesichert. § 48 SGB X setze auch nicht die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Leistungsbescheides voraus, die im Übrigen auch gegeben sei, weil der Kläger nicht mehr beschäftigungslos gewesen sei und das ihm zustehende Arbeitsentgelt auch erhalten habe. Damit seien zwei für die Gleichwohlgewährung erforderliche Voraussetzungen entfallen. Die Nichtaufhebung mit dem Ziel einer Verkürzung des Leistungsanspruchs sei nicht zulässig. Vorsorglich werde der frühere Leistungsantrag des Klägers zurückgenommen. Der Zweck des § 143 Abs. 3 SGB III bestehe einerseits in der Sicherung des Lebensunterhalts bei (noch) fehlender Entgeltzahlung. Andererseits werde durch die Rückzahlungsverpflichtung gewährleistet, dass der Arbeitslose nicht besser gestellt werde, als er bei pflichtgemäßer Zahlung des Arbeitsentgelts gestanden hätte. Beide Zielsetzungen würden aber in jeder Hinsicht erfüllt, wenn der ursprüngliche Bewilligungsbescheid nach Erstattung des Arbeitslosengeldes und nach erfolgter Beitragszahlung zur Arbeitslosenversicherung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werde. Dass es sich bei § 48 SGB X um eine Sollvorschrift handele, begründe kein Restermessen der Beklagten zur Aufrechterhaltung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides zu Lasten des Klägers. Dementsprechend habe das BSG in der Entscheidung vom 21. März 1996 (BSGE 78, 109 ff.) unter Hinweis auf sein Urteil vom 20. Juni 1995 (BSGE 76, 162) und verfassungsrechtliche Gesichtspunkte, die Auswirkungen auf die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und im Rentenrecht hätten, die Beklagte für verpflichtet gehalten, den ursprünglich ergangenen Bewilligungsbescheid über Arbeitslosengeld gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufzuheben und nachträglich zugeflossene Vergütungszahlungen bei der Neuberechnung des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen. Die gleichen Gesichtspunkte müssten auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung zum Tragen kommen. Folge man der Rechtsauffassung des SG, werde der Kläger im Hinblick auf die erbrachten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und mit Folgen für seine Rentenansprüche durch die Unwirksamkeit der Kündigung dauerhaft geschädigt. Dieser Schädigung stehe weder ein berechtigtes Interesse der Beklagten gegenüber, noch sei sie vom Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen zum Kündigungsschutz und der Arbeitslosenversicherung gedeckt. Der Kläger könne wegen der unwirksamen Kündigung keine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Es gehe nicht an, dass er auf Grund einer unwirksamen Kündigung unwiderrufliche und nicht wiedergutzumachende Nachteile im Hinblick auf seinen Arbeitslosengeldanspruch erleide. Dies entspreche auch nicht der Gesetzessystematik. Die Anwendung von § 48 SGB X gefährde die Erstattungsansprüche der Beklagten nicht, weil sie erst nach Zahlung des Arbeitsentgelts an den Arbeitnehmer zum Tragen komme. Für eine Verpflichtung zur Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides in Fällen der vorliegenden Art spreche auch, dass nach einer weiteren Entscheidung des BSG (Urteil vom 24. Juli 1986 – 7 RAr 4/85, SozR 4100 § 117 Nr. 16) die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes nicht gekürzt werden dürfe, soweit das gemäß § 143 Abs. 3 SGB III gewährte Arbeitslosengeld erstattet werde. Eine solche Entscheidung könne nicht aus bloßen Billigkeitsgründen in das Ermessen der jeweils zuständigen Arbeitsagentur gelegt werden. Es sei auch nicht einzusehen, weshalb die Billigkeit die Gutschrift der Monate, für die Leistungen erstattet worden seien, erfordere, nicht aber die Wiederherstellung des Status, den der Arbeitslose ohne die erhaltenen und erstatteten Leistungen gehabt hätte. Schließlich verletze die Rechtsauffassung der Beklagten und des SG den Kläger auch in seinem Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Grundgesetz (GG). Allein wegen einer unwirksamen Kündigung und des ihr nachfolgenden vorübergehenden Bezugs von Arbeitslosengeld dürfe er bei gleicher Beitragsleistung im Hinblick auf die Anspruchsdauer nicht schlechter gestellt werden als ein ungekündigter Arbeitnehmer, bei dem die Beklagte vor dem Ende des Versicherungs(pflicht)verhältnisses keine Aktivitäten entwickelt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2010 zu verurteilen, die Bescheide vom 8. Juli 2009 und 25. August 2009 aufzuheben und dem Kläger ab dem 25. Juni 2010 Arbeitslosengeld für die Dauer von 24 Monaten (720 Tagen) dem Grunde nach zu gewähren, hilfsweise, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihren bisherigen Vortrag und die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Klägers stünden der gefestigten Auffassung in Rechtsprechung und Literatur entgegen, wo seit langem anerkannt sei, dass sich die nachträgliche Anerkennung von Arbeitszeiten nicht auf die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld auswirke, sondern die Dauer des Bezuges dieser Leistung nur um die Zeit nach hinten schiebe, für die im Nachhinein die Aufwendungen der Agentur für Arbeit durch den Arbeitgeber oder den Bezieher der Leistung erstattet würden. Es entspreche einem allgemeinen Grundsatz der Sozialversicherung, die Verhältnisse zur Zeit des Eintritts eines Versicherungsfalles für die gesamte Leistungsgewährung zugrunde zu legen. Dem Kläger sei aufgrund des am 1. Juli 2009 eingetretenen Versicherungsfalles rechtmäßig Arbeitslosengeld für die ihm zu diesem Zeitpunkt zustehende Anspruchsdauer bewilligt worden. Diese Bewilligung werde nicht durch die spätere Feststellung rechtswidrig, dass das Arbeitsverhältnis über den genannten Zeitpunkt hinaus angedauert habe; sie sei deshalb auch nicht aufzuheben und die maßgebliche Rahmenfrist nicht neu zu bestimmen gewesen.

Beide Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt, dass über die Berufung durch den Berichterstatter als konsentierten Einzelrichter entschieden wird.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den weiteren Inhalt der im Sitzungsprotokoll vom 26. März 2014 aufgeführten Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung gemäß § 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit dem Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als konsentierten Einzelrichter.

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zunächst der angefochtene Bescheid vom 30. Juli 2010, der die nur vorläufige Leistungsbewilligung vom 6. Juli 2010 gegenstandslos gemacht hat, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2010, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger über die bewilligte Anspruchsdauer hinaus Arbeitslosengeld für 24 Monate zu gewähren. Ebenfalls im Streit ist die Aufhebung der bindend gewordenen Bewilligungsbescheide vom 8. Juli und 25. August 2009, deren Fortbestand dem Begehren des Klägers zuwider laufen würde. Die Durchsetzung seines Prozessziels kann der Kläger im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage verfolgen (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG).

In der Sache folgt der Senat zunächst vollen Umfangs den Gründen der angefochtenen Entscheidung und sieht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die gegen die Auffassung des SG und der Beklagten gerichteten Angriffe der Berufung vermögen nicht zu überzeugen und können deshalb zu keiner abweichenden Beurteilung führen. Die Klägerseite verkennt, dass auch im Falle der sog. Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III in der hier maßgeblichen, bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (aF) das Stammrecht des Versicherten auf Arbeitslosengeld mit der Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere der bis zu diesem Zeitpunkt innerhalb der festliegenden Rahmenfrist erworbenen Anwartschaft entstanden ist und deshalb nicht davon abhängig sein konnte, ob nachträglich aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Streitverfahrens der rechtliche Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt wurde oder nicht. Dieser Umstand führte weder nach dem Gesetzeswortlaut noch aus systematischen, teleologischen oder verfassungsrechtlichen Überlegungen dazu, dass die Beklagte in Fällen der vorliegenden Art verpflichtet wäre, die Bewilligungsbescheide vom 8. Juli und 25. August 2009 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III zurückzunehmen und den Leistungsanspruch des Klägers unter Abänderung des Bescheides vom 30. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2010 so festzustellen, als hätte er die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld erstmals am 25. Juni 2010 erfüllt. Dieses Ziel kann auch mit der vorsorglich erklärten Rücknahme des Leistungsantrags vom 12. Juni 2009 nicht erreicht werden.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Voraussetzungen für eine nachträgliche Aufhebung der bindend gewordenen (§ 77 SGG) Bewilligungsbescheide vom 8. Juli und 25. August 2009 nicht erfüllt. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse u.a. aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt oder nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Satz 2 Nrn. 1 und 3). Im vorliegenden Fall fehlt es an der erforderlichen wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Vergleich zu den Verhältnissen, wie sie bei Erlass der Bewilligungsbescheide vom 8. Juli und 25. August 2009 bestanden haben. Wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X ist eine Änderung nur dann, wenn der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht hätte erlassen werden dürfen (vgl. nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, Randnr. 12 zu § 48).

Dies ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Fall. Vielmehr erfüllte er, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, nicht nur am 1. Juli 2009 sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld mit der Folge, dass Höhe und Dauer des Leistungsanspruchs nach den an diesem Tage bestehenden Verhältnissen zu bemessen waren. Dies war vielmehr auch nach der späteren Abwicklung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. März 2010 der Fall.

Der Kläger war am 1. Juli 2009 arbeitslos im Sinne der §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nr. 1 und 119 Abs. 1 Nrn. 1-3, Abs. 4 Nrn. 1-3 und Abs. 5 Nrn. 1-4 SGB III aF. Er stand nach dem Ende seiner Beschäftigung bei der Fa. D+S am 30. April 2009 nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis. Ob dieses Merkmal erfüllt ist, richtet sich allein nach den tatsächlichen Verhältnissen; auf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis rechtlich, insbesondere im sozialversicherungsrechtlichen Sinne fortbesteht, kommt es nicht an. Allein maßgeblich ist der sog. leistungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses, der auf das tatsächliche Ende des Beschäftigungsverhältnisses abstellt und deshalb faktische Beschäftigungslosigkeit genügen lässt. Diese liegt vor, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist und seinen Weisungen nicht mehr unterliegt und der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer nicht mehr beansprucht (vgl. nur Brand in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, Randnrn. 10 16 zu § 119; ders. in Brand, SGB III, 6. Auflage 2014, Randnrn. 10 und 16 zu § 138 SGB III in der ab 1. April 2012 geltenden Fassung (nF)). So verhielt es sich im vorliegenden Fall, weil die Arbeitgeberin des Klägers das mit ihm bestehende Beschäftigungsverhältnis zum 30. Juni 2009 gekündigt hatte. Auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld lagen ab 1. Juli 2009 unstreitig vor. Der Kläger bemühte sich nach seinen Angaben um die Beendigung der Beschäftigungslosigkeit und stand den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit uneingeschränkt zur Verfügung. Er hat sich am 12. Juni 2009 persönlich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 122 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB III). Am 1. Juli 2009 hat er die Anwartschaftszeit (§ 118 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit §§ 123 Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 1 SGB III) erfüllt. Während der für ihn maßgeblichen zweijährigen Rahmenfrist vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2009 hat er als Beschäftigter im Sinne von § 24 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF für 24 und damit weit mehr als 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Die Dauer des Anspruchs von 18 Monaten folgt aus § 127 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB III aF. In der um drei Jahre erweiterten Rahmenfrist vom 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009 bestand für den Kläger für mehr als 36 Monate Versicherungspflicht, was mit Rücksicht auf das bei Entstehung des Leistungsanspruchs am 1. Juli 2009 vollendete 57. Lebensjahr des Klägers zu einem Leistungsanspruch von 18 Monaten, gemäß § 134 Sätze 1 und 2 SGB III aF umgerechnet auf 540 Kalendertage, führte. Der Leistungsanspruch des Klägers hat auch nicht gemäß § 143 Abs. 1 SGB III aF geruht, obwohl er Arbeitsentgelt zu beanspruchen hatte. Denn er erhielt dieses Entgelt tatsächlich nicht, weil die Arbeitgeberin seinen Entgeltanspruch nicht erfüllte. In einem solchen Fall bestimmt § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF unter ausdrücklichem Verweis auf § 115 Abs. 1 SGB X, dass das Arbeitslosengeld auch für die Zeit geleistet wird, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht (sog. Gleichwohlgewährung). Diesen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen hat die Beklagte mit dem Erlass der Bewilligungsbescheide vom 8. Juli und 25. August 2009 Rechnung getragen.

An diesen Verhältnissen hat sich durch den später festgestellten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und dessen Abwicklung nichts Wesentliches im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X geändert. Der Kläger irrt in seiner Auffassung, dass hierdurch die Voraussetzungen der Gleichwohlgewährung entfallen seien. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass der rechtliche Fortbestand des Arbeitsverhältnisses an der für die Gewährung von Arbeitslosengeld allein maßgeblichen faktischen Beschäftigungslosigkeit nichts zu ändern vermocht hat. Ebenso irrig ist seine Ansicht, dass er von seiner früheren Arbeitgeberin das Arbeitsentgelt in der Höhe des von ihm bezogenen Arbeitslosengeldes erhalten habe und der frühere Leistungsfall vollständig dadurch rückabgewickelt worden sei, dass die Arbeitgeberin der Beklagten das von ihr gezahlte Arbeitslosengeld in Höhe von 3.069,08 EUR erstattet habe. Mit dieser Zahlung hat die Arbeitgeberin vielmehr den gemäß § 115 Abs. 1 SGB X kraft Gesetzes auf sie übergegangenen Entgeltanspruch des Klägers erfüllt, der deshalb nicht mehr Inhaber des Anspruchs auf diesen Teil des Arbeitsentgelts war. Hieran ändert es nichts, dass nach § 143 Abs. 3 Satz 2 SGB III der Arbeitnehmer oder ein Dritter, an den der Arbeitgeber trotz des gesetzlichen Anspruchsübergangs Arbeitsentgelt mit befreiender Wirkung gezahlt hat, in Höhe der Zahlung zur Erstattung des Arbeitslosengeldes verpflichtet ist. In diesem Fall nämlich ist der Arbeitsentgeltanspruch erfüllt worden und damit erloschen, so dass die gesetzliche Regelung allein den Zweck verfolgt, den der Agentur für Arbeit entstandenen Schaden durch die Pflicht zur Erstattung des Arbeitslosengeldes zu beheben. Mithin hätten die genannten Bewilligungsbescheide mit Rücksicht darauf, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld zum 1. Juli 2009 unverändert erfüllt waren, auch unter Berücksichtigung der später eingetretenen Änderung der Verhältnisse genau so, wie es geschehen ist, erlassen werden müssen.

Der insbesondere der Klägerseite bekannten ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 29. September 1987 - 7 RAr 59/86, SozR 4100 § 117 Nr. 20), vom 9. August 1990 - 7 RAr 104/88, DBlR 3752a AFG/ § 117; beide Entscheidungen auch in juris veröffentlicht) ist deshalb uneingeschränkt darin zu folgen, dass das Gesetz bis heute in Fällen der vorliegenden Art eine Rückabwicklung des Leistungsanspruchs und seine Neubestimmung nicht vorsieht. Auch die rechtswissenschaftliche Literatur hat sich dieser Auffassung angeschlossen (vgl. außer den von der Beklagten zitierten Nachweisen im Schriftsatz vom 8. Januar 2014 Düe in Brand, SGB III, 6. Auflage 2014, Randnr. 30 f. zu § 157 SGB III nF; Schmitz in jurisPK-SGB III, 1. Auflage 2014, Randnrn. 19-23 zu § 157 SGB III nF). Die vom Kläger vertretene Auffassung lässt sich auch sonst mit der Gesetzessystematik nicht vereinbaren, knüpfte doch die Regelung des § 127 SGB III aF (§ 147 SGB III nF) die Anspruchsdauer sowohl an die Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse innerhalb der um drei Jahre erweiterten Rahmenfrist unter ausdrücklichem Verweis auf deren Begrenzung durch eine vorangegangene Rahmenfrist, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte, und damit an den Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 127 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 in Verbindung mit § 124 Abs. 1 und 2 SGB III aF, § 147 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 in Verbindung mit § 143 Abs. 1 und 2 SGB III nF) als auch an das Lebensalter, das der Arbeitslose bei Entstehung des Anspruchs vollendet hat (§ 127 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III aF, § 147 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III nF).

Nichts anderes ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Konzeption der Gleichwohlgewährung. Selbst wenn einer nachträglichen Aufhebung der vor Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ergangenen Bewilligungsbescheide schützenswerte Belange des Arbeitslosen oder der Bundesagentur für Arbeit nicht entgegenstünden, könnte dies am Fehlen eines Aufhebungsgrundes nichts ändern.

Fehl geht auch die Auffassung des Klägers, er dürfe wegen des Gleichheitsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht schlechter als ein Arbeitsloser behandelt werden, der nach einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis erstmals die Anspruchsvoraussetzungen für einen Leistungsanspruch erfüllt habe. Diese Ungleichbehandlung ist aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte gerechtfertigt. Anders als der genannte Arbeitslose hat der Kläger seinen Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung bereits in einer Lage in Anspruch genommen, als er die hierfür erforderlichen gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt hatte und nicht sicher sein konnte, ob er im Kündigungsschutzverfahren obsiegen würde oder nicht. Zugleich hat er sich der Arbeitsvermittlung der Beklagten uneingeschränkt zur Verfügung gestellt und damit auch seinen Anspruch auf Arbeitsvermittlung und weitere (mögliche) Leistungen der Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 1 SGB III aF), u.a. die Fortzahlung des Arbeitslosengeldes im Krankheitsfall nach § 126 SGB III aF zur Geltung gebracht. Durch den Bezug von Arbeitslosengeld ab 1. Juli 2009 ist der Kläger versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung geworden, ohne dass eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung oder eine Rückzahlung der Leistung hieran etwas hätte ändern können (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 20 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI)). Aus der Krankenversicherung der Arbeitslosen heraus hat er Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB V bezogen. Alles das wäre bei einer späteren Anspruchsentstehung nicht der Fall gewesen.

Insofern irrt der Kläger auch, wenn er meint, dass eine spätere Anspruchsentstehung notwendigerweise zu einer Begünstigung geführt hätte. Dies wäre zwar vorliegend der Fall, doch sind, insbesondere nach einer Insolvenz des Arbeitgebers oder bei längerer, die Bezugszeit von Krankengeld übersteigender Erkrankung, auch andere Entwicklungen denkbar, in denen die spätere Anspruchsentstehung nicht zu einer Begünstigung, sondern zu einer Belastung der Versicherten führen würde. Durch die dem Kläger zugeflossene Nachzahlung seines Gehalts treten im Übrigen auch in der Rentenversicherung für ihn keine Nachteile ein, weil die Nachzahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge auch die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung einschließt, die ihrerseits der Erfüllung rentenrechtlicher Wartezeiten dienen und zu weiteren, bei Eintritt eines Rentenversicherungsfalls mit Entgeltpunkten zu bewertenden Pflichtbeitragszeiten führen (§§ 54 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a), 55 Abs. 1 Satz 1, 64 Nr. 1, 66 Abs. 1 Nr. 1, 70 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)).

Zu Unrecht wendet der Kläger ein, dass die vom Sozialgericht und der Beklagten in Bezug genommene Rechtsprechung mit den von ihm zitierten Entscheidungen des BSG im Widerspruch stehe. Die in den Urteilen vom 28. Juni 1995 (Az.: 7 RAr 102/94, BSGE 76, S. 162) und vom 21. März 1996 (Az.: 11 RAr 101/94, BSGE 78, S. 109) entwickelte Rechtsprechung zur sog. modifizierten Zuflusstheorie, aufgrund derer die Nachzahlung von Arbeitsentgelt im Wege der nachträglichen Vertragserfüllung zu einem höheren als dem ursprünglich festgestellten Anspruch führte, knüpfte allein an die verfassungskonforme Auslegung des Wortes "erzielt" in § 112 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) an und sah in der Tatsache, dass eine solche Nachzahlung im Nachhinein zu einem höheren als dem der ursprünglichen Bewilligung zugrunde gelegten Bemessungsentgelt führte, eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X als gegeben an, aus der sich der Anspruch des dortigen Klägers auf eine rückwirkende Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X ergab. Maßgeblich hierfür war das für die Leistungsbewilligung maßgebliche materielle Recht. Dieses stand der Festsetzung einer Leistung in geringerer Höhe entgegen. Anders verhält es sich, wie ausgeführt, im vorliegenden Fall.

Auch dem vom Kläger weiter herangezogenen Urteil des BSG vom 24. Juli 1986 (Az.: 7 RAr 4/85, SozR 4100 § 117 Nr. 16) vermag der Senat nichts zu entnehmen, was die rechtsirrigen Ausführungen der Klägerseite stützen könnte. Nach dieser Entscheidung entfällt die gesetzlich vorgesehene Minderung der Anspruchsdauer aus Billigkeitsgründen, wenn und soweit die damalige Bundesanstalt für Arbeit (inzwischen: Bundesagentur für Arbeit) für das von ihr gezahlte Arbeitslosengeld Ersatz erlangt. Ein Ermessen ist der Bundesagentur für Arbeit hierbei gerade nicht eingeräumt. Im Übrigen hat das BSG auch in jener Entscheidung ausführlich dargelegt, dass auch das im Wege der Gleichwohlgewährung gezahlte Arbeitslosengeld rechtmäßig geleistet ist.

Das bereits in der Klagebegründung erster Instanz vom Kläger herangezogene Urteil des BSG vom 8. Juni 1989 (Az.: 7 RAr 15/87, SozR 4100 § 65 Nr. 7) betrifft die Auslegung einer völlig anderen Vorschrift, nämlich des § 65 Abs. 1 Satz 1 AFG, welche die persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld regelte. Anders als der in §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III aF verwendete Begriff der Arbeitslosigkeit, der das in ihm enthaltene Element der Beschäftigungslosigkeit unabhängig von einem rechtlichen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses allein an die tatsächlichen Verhältnisse knüpfte und deshalb die sog. faktische Beschäftigungslosigkeit für deren Bestehen im leistungsrechtlichen Sinne genügen ließ, hatte nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG u.a. Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wer nach Beginn des Arbeitsausfalls in einem Betrieb, in dem nach § 64 AFG Kurzarbeitergeld gewährt wurde, eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung (§ 168 Abs. 1 AFG) fortsetzte. Diese Voraussetzung hat das BSG auch für die Zeit als erfüllt angesehen, in der der Arbeitnehmer zwar tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht hat, der Arbeitgeber sich aber wegen einer rechtswidrig erfolgten Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Annahme- und Leistungsverzug befunden hat. Maßgeblich hierfür war indessen, wie der zitierten Entscheidung zu entnehmen ist, der beitragsrechtliche, d.h. der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses, der sich jedoch von dessen leistungsrechtlichen Inhalt anerkanntermaßen unterscheidet.

Der Kläger kann nicht verlangen, im Wege des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als hätte er die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld erstmalig nach Vollendung seines 58. Lebensjahres erfüllt. Ein derartiger Anspruch kommt zwar grundsätzlich in Betracht, wenn ein Leistungsträger es entgegen seiner Pflicht aus § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) unterlässt, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass ein verständiger Versicherter sie mutmaßlich nutzen würde. Eine solche offenkundig zweckmäßige Gestaltungsmöglichkeit kann u.a. darin bestehen, dass es für den Arbeitslosen vorteilhaft wäre, von dem ihm in § 118 Abs. 2 SGB III aF zuerkannten Bestimmungsrecht Gebrauch zu machen und zu bestimmen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll. Kommt der Leistungsträger seiner Beratungspflicht nicht nach und erleidet der Versicherte hierdurch einen rechtlichen Nachteil, hat er durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung den Zustand herzustellen, der bei einer ordnungsgemäßen Beratung eingetreten wäre (vgl. BSG, Urteile vom 5. August 1999 – B 7 AL 38/98 R, SozR 3-4100 § 110 Nr. 2 und vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/03 R, SozR 4-2600 § 58 Nr. 3; beide Entscheidungen auch in juris veröffentlicht).

Im vorliegenden Fall bestand für die Beklagte indessen kein Anlass, den Kläger auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Entstehung des zum 1. Juli 2009 geltend gemachten Anspruchs auf Arbeitslosengeld auf die Zeit nach Vollendung seines 58. Lebensjahres am xxxxx 2010 zu verschieben. Eine solche Gestaltung wäre nicht offensichtlich zweckmäßig gewesen und deshalb vom Kläger mutmaßlich auch nicht genutzt worden, denn bei ihrer Wahrnehmung hätte der Kläger für elf Monate auf die Leistung verzichten müssen, um einen um sechs Monate verlängerten Leistungsanspruch zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Beklagte weder von der später gezahlten Abfindung noch den diesbezüglichen Ansprüchen des Klägers Kenntnis hatte.

Schließlich hilft dem Kläger auch die vorsorglich erklärte Rücknahme seines Leistungsantrags vom 12. Juni 2009 nicht weiter. Diese ist nicht geeignet, die Wirksamkeit der beide Beteiligten bindenden (§ 77 SGG) Bewilligungsbescheide vom 8. Juli und 25. August 2009 rückwirkend zu beseitigen. Diese sind vielmehr solange wirksam geblieben, bis sie durch Zeitablauf erledigt waren (§ 39 Abs. 2 SGB X). Auch die Voraussetzungen für eine Ersetzung oder Nachholung des Leistungsantrags nach § 28 SGB X sind nicht erfüllt, weil es dem Kläger nicht um eine andere Sozialleistung im Sinne der Vorschrift geht (vgl. nur Siefert in von Wulffen/Schütze, a.a.O., Randnr. 7 zu § 28 SGB X).

Die Kostenentscheidung beruht, dem Ausgang des Verfahrens folgend, auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, denn ein Zulassungsgrund im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor. Insbesondere fehlt es an der vom Kläger angenommenen grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits, weil dieser keine klärungsbedürftigen Fragen aufwirft.
Rechtskraft
Aus
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