L 6 VK 1111/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 VK 825/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VK 1111/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Waisenrente streitig.

Die am 08.09.1952 geborene Klägerin, die über die polnische und deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, ist Tochter eines am 06.05.1921 geborenen und am 06.06.1979 verstorbenen Landwirtes, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges der Deutschen Wehrmacht angehörte. Nach ihren Angaben besuchte sie von 1960 bis 1968 die Volks- und Hauptschule und war von 1969 bis 1970 als Spinnerin, von 1971 bis 1974 als Näherin, von 1977 bis 1993 als Kranführerin, 1994 als Gärtnerin sowie von 1996 bis 2006 als Kranführerin berufstätig. Ferner ist sie die Mutter der am 18.06.1972, 08.03.1975 und 25.12.1988 geborenen Kinder.

Die Klägerin beantragte am 24.05.2011 beim Beklagten die Gewährung einer Waisenrente. Sie führte zur Begründung aus, ihr Vater sei wegen einer psychischen Erkrankung aus der Kriegszeit nicht im Stande gewesen, die Familie zu ernähren, so dass sie von ihrer Kindheit an mit ihrer Mutter zusammen schwer habe arbeiten müssen. Eine Waisenrente wäre für sie eine Art Genugtuung für das Leiden in den Kinderjahren. Sie legte den Arztbericht des Woiwodschaftskrankenhauses für Nerven- und psychisch Kranke vom 28.02.2011 (paranoide Schizophrenie; bösartiger Bronchialkrebs in den linken Bronchien mit Lebermetastase als Ursache des Ablebens des Vaters der Klägerin am 06.06.1979) vor.

Mit Bescheid vom 26.07.2011 lehnte der Beklagte die Gewährung von Waisenrente ab. Er führte zur Begründung aus, Kinder eines Kriegsbeschädigten erhielten Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ohne weitere Voraussetzungen und nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn sie in Folge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außer Stande gewesen seien, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauere, über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte außer Stande sei, sie zu unterhalten. Die Prüfung des Antrages habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Waisenrente nicht gegeben seien. Das 18. Lebensjahr habe die Klägerin bereits am 07.09.1970 vollendet. Auch habe bei Vollendung des 27. Lebensjahres am 07.09.1979 keine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit vorgelegen, in Folge dessen die Klägern außer Stande gewesen wäre, sich selbst zu unterhalten. Zum einen sei von der Klägerin eine derartige Gebrechlichkeit bei Vollendung des 27. Lebensjahres nicht geltend gemacht worden. Zum anderen habe offensichtlich eine solche auch nicht vorgelegen. Dies ergebe sich daraus, dass die Klägerin von 1969 bis 1974, von 1977 bis 1994 und von 1996 bis 2006 beschäftigt gewesen sei. Sie habe daher bei Vollendung des 27. Lebensjahres voll im Erwerbsleben gestanden.

Hiergegen legte die Klägerin am 10.10.2011 Widerspruch ein. Sie führte aus, die traumatisierenden Erlebnisse aus der Kindheit hätten auf ihr ganzes Leben gewirkt und seien zu ihrem Lebensdrama geworden. Hierbei handele es sich um eine verborgene Behinderung. Ihr ganzes Leben lang habe sie die Hoffnung gehabt, dass sich dieser Zustand ändern würde. Jedoch seien alle Heilungsmethoden erfolglos geblieben. Sie legte die Arztberichte des Dr. S. vom 03.07.1992 (Morbus ulcerosus duodeni exacerbata, Gastritis biliaris, Pyelocystitis, Cystonia neurovegetativa), des Dr. K. vom 03.07.2000 (Hypolordosis cervicalis, Spondyloarthrosis et scoliosis thoracalis, Arthrosis articulationis acromiodavicularis utr. Minoris gradus, Cephalea ad obs. Neurosis, Morbus Ulcerosus duodendi in anamnesi) und des Psychiaters Dr. B. vom 02.09.2011 (die Klägerin leide an einer Borderline-Erkrankung) vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er hat zur Begründung ausgeführt, aufgrund der beruflichen Tätigkeit der Klägerin könne nicht festgestellt werden, dass sie bei Vollendung des 27. Lebensjahres gebrechlich gewesen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 13.02.2012 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben. Sie hat ausgeführt, die vom polnischen Rentenversicherungsträger gewährte Rente gebe ihr keine Möglichkeit, sich selbst zu unterhalten. Die Liste ihrer Erkrankungen sei lang. Sie müsse sich ihr ganzes Leben lang behandeln lassen, da ihre Nervenkrankheit ihre inneren Organe ruiniert habe. Sie hat die Arztberichte der Abteilung für Innere Krankheiten des S. Nr. in Z. (Behandlung vom 27.12.1991 bis zum 03.01.1992; Morbus ulcerosus duodeni exacerbata, Gastritis biliaris, Pyelocystitis, Cystonia neurovegatativa), der Entbindungs- und Gynäkologischen Station W. (Aufnahme am 11.12.2001; Schmerzen am Unterbauch, Mumps im Jahr 1998), des Humanmediziners P. (Behandlung vom 11.12.2001 bis zum 18.12.2001; Schmerzsyndrom des kleinen Beckens), von Dr. B. vom 11.09.2002 (Borderline-Störungen) und der Psychologin S. vom 29.08.2011 (Unvermögen, bei sexuellen Beziehungen eine Befriedigung zu erreichen; die Ursache der Störungen liege mit hoher Wahrscheinlichkeit in der inkorrekten Familien- und Gesellschaftsentwicklung; die Klägerin sei neurotisch), vorgelegt. Ergänzend hat die Klägerin ausgeführt, sie sei nervös, leide unter Kopfschmerzen und werde ständig mit Antidepressiva behandelt. Sie habe starke Brust- und Rückenschmerzen und leide an einem Zwölffingerdarmgeschwür sowie unter einer Infektion der Harnwege.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat dargelegt, Unterlagen über erhebliche Krankheiten vor dem September 1979, dem Zeitpunkt des Erreichens des 27. Lebensjahres der Klägerin, seien von ihr nicht vorgelegt worden. Auch der Umstand, dass die Klägerin im Jahr 1988 zum dritten Mal Mutter geworden sei, spreche gegen eine schwere, einer Schwangerschaft ausschließende Erkrankung vor dem Stichtag im Jahr 1979. Es habe auch keine Veranlassung bestanden, von Amts wegen weitere Ermittlungen anzustellen. Soweit die Klägerin medizinische Unterlagen über weitere Leiden eingereicht habe, seien diese deutlich nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erstellt worden. Aus den vorliegenden Unterlagen seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, um medizinische Ermittlungen für den Zeitraum vor 1979 zu begründen oder zu rechtfertigen. Eine ärztliche Behandlung oder überhaupt ein konkretisiertes Leiden vor September 1979 werde nicht benannt. Die Klägerin selbst spreche von einem verborgenen Leiden aufgrund der Familiensituation. Somit seien auch keine Ärzte, Krankenhäuser oder sonstige medizinische Einrichtungen ersichtlich, bei denen das Gericht weitere Unterlagen für den Zeitraum vor dem Jahr 1980 hätte beiziehen können. Auf dieser Basis sei daher auch keine Begutachtung von Amts wegen oder anderes in Auftrag zu geben. Denn maßgeblich sei nicht der aktuelle gesundheitliche Zustand der Klägerin.

Gegen den ihr am 16.01.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 04.03.2013 Berufung eingelegt. Sie hat einen Arztbrief der Entbindungs- und Gynäkologischen Station W. (Aufnahme am 11.12.2001; Schmerzsyndrom des kleinen Beckens) vorgelegt und darauf hingewiesen, dass sie im Jahr 1998 an Mumps erkrankt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Januar 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Waisenrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe den vorliegenden Sachverhalt zutreffend gewürdigt

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des beklagten und der Gerichtsakten be4ider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 SGG form- sowie fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Rechtsgrundlagen für die Gewährung von Waisenrente aus der Kriegsopferversorgung sind §§ 1, 38 und 45 BVG.

Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung gemäß § 1 Abs. 1 BVG auf Antrag Versorgung. Nach § 1 Abs. 5 BVG erhalten, wenn der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben ist, seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung, wobei § 1 Abs. 3 BVG entsprechend gilt. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Nach § 38 Abs. 1 BVG haben die Witwe, der hinterbliebene Lebenspartner, die Waisen und die Verwandten der aufsteigenden Linie Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, wobei der Tod stets dann als Folge einer Schädigung gilt, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Waisenrente erhalten gemäß § 45 Abs. 1 BVG nach dem Tode des Beschädigten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Nach § 45 Abs. 3 BVG ist die Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine Waise zu gewähren, a) die sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, oder b) sich in einer Übergangszeit von in der Regel höchstens sieben Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, einem dem Wehr- oder Zivildienst gleichgestellten Dienst oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des § 45 Abs. 3 c BVG liegt, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, oder c) ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes oder einen Freiwilligendienst im Sinne des Beschlusses Nr. 1031/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.04.2000 zur Einführung des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms "Jugend" oder einen anderen Dienst im Ausland im Sinne von § 14b Zivildienstgesetz oder einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst "weltwärts" im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 01.08.2007 oder einen Freiwilligendienst aller Generationen nach § 2 Absatz 1a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch leistet, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, oder d) infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert, über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte oder Lebenspartner außerstande ist, sie zu unterhalten.

Unter Zugrundelegung dieser Vorschriften steht der Klägerin ein Waisenrentenanspruch nach dem BVG nicht zu.

Zum einen lässt sich nicht feststellen, dass ihr Vater am 06.06.1979 an den Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG gestorben ist. Vielmehr ist es so, dass sein Ableben ausweislich des von ihr vorgelegten Arztberichts des W. für Nerven- und psychisch Kranke vom 28.02.2011 auf einen bösartigen Bronchialkrebs in den linken Bronchien mit Lebermetastase zurückzuführen ist. Dass diese Erkrankung wehrdienstbedingt war, lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen und wurde von der Klägerin auch nicht behauptet. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten sieht der Senat in diesem Zusammenhang nicht. Die unzureichende Aufklärbarkeit der Natur des Todesleidens geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin (BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 - juris).

Zum anderen lassen sich die für die Gewährung einer Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus geltenden Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 BVG nicht feststellen. Die Klägerin befand sich nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres nicht in Schul- oder Berufsausbildung oder in einem der oben genannten Dienste oder Übergangszeiten. Dies ergibt sich aus ihren Angaben, wonach sie von 1969 bis 1970 als Spinnerin, von 1971 bis 1974 als Näherin, von 1977 bis 1993 als Kranführerin, 1994 als Gärtnerin sowie von 1996 bis 2006 als Kranführerin berufstätig war. Die Klägerin war auch nicht bei Vollendung des 27. Lebensjahres infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten. Dies hat das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und umfassend dargestellt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an und verweist nach § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides.

Ferner steht einem Anspruch der Klägerin auf Waisenrente jedenfalls für die Zeit bis zum 30.04.2011 entgegen, dass sie ihren Antrag erst am 05.05.2011 gestellt hat. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnt die Beschädigtenversorgung aber frühestens mit dem Antragsmonat. Der Antrag auf Leistungen des sozialen Entschädigungsrechts hat materiell-rechtliche Bedeutung, so dass zu den Tatbestandsmerkmalen der Antrag als rechtsbegründender Faktor hinzukommen muss (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.10.2002 - L 10 V 16/02 - juris). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG ohne ihr Verschulden an einer früheren Antragstellung verhindert war, sind nicht ersichtlich.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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