Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AS 3448/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 579/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Da Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist, ist es dem Gericht verwehrt, bei einer Anfechtung einer Rückforderungsentscheidung einen anderen Vertrauensausschlusstatbestand zu prüfen als denjenigen, der im angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides enthalten ist.
2. Im Fall einer Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum ist es nicht ausreichend, wenn nur die Höhe eines Gesamtbetrages ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Bewilligungszeiträume angegeben wird. Erforderlich ist vielmehr, dass sich aus dem Verfügungssatz, gegebenenfalls nach einer Auslegung, die
bezifferten Teilbeträge für die jeweiligen von der Aufhebungsentscheidung betroffenen Bewilligungszeiträume ergeben.
3. In Bezug auf die Erstattungsforderung ist es grundsätzlich ausreichend, wenn sich aus dem Verfügungssatz nur der Gesamtbetrag entnehmen lässt. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung berechnet, ist nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit, sondern der hinreichenden Begründung des Verwaltungsaktes.
4. Auch wenn die Erstattungsforderung entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X mit der Aufhebungsentscheidung verbunden wird, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt handelt, der seinerseits in die Rechte des Klägers eingriff und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzte (Anschluss an BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R).
5. Zur Anhörung in Bezug auf Vertrauensausschlusstatbestände: a) Bei dem Vorwurf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, der Betroffene sei seiner vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen, muss die Behörde im Rahmen der Anhörung Tatsachen sowohl zu den objektiven als auch den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen angeben. Auf objektiver Tatbestandsseite ist dies die Nichterfüllung der Mitteilungspflicht. Dies ist der Fall, wenn die Pflichterfüllung ganz oder teilweise unterlassen worden ist, wenn unrichtige Angaben gemacht worden sind, oder wenn die Mitteilung nicht unverzüglich erfolgt ist und dadurch die Bewilligungsentscheidung leistungserheblich nicht früher hat aufgehoben werden können. Auf subjektiver Tatbestandsseite sind die
Tatsachen anzugeben, auf die der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gestützt wird. b) Die Tatbestandsvoraussetzung "soweit" in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat für die durchzuführende Anhörung zur Folge, dass sich die Anhörung nicht nur auf die die Aufhebung rechtfertigende wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach zu erstecken hat.
6. Eine Anhörung zum Vertrauensausschlusstatbestand in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X kann nicht in eine Anhörung zu dem in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X umgedeutet werden, weil sich beide Vorschriften in zeitlicher Hinsicht unterscheiden.
7. Die bloße Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung allein bewirkt nicht die Heilung eines Anhörungsmangels. Vielmehr wird ein Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur dann geheilt, wenn der Bescheid selbst alle wesentlichen Tatsachen enthält.
2. Im Fall einer Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum ist es nicht ausreichend, wenn nur die Höhe eines Gesamtbetrages ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Bewilligungszeiträume angegeben wird. Erforderlich ist vielmehr, dass sich aus dem Verfügungssatz, gegebenenfalls nach einer Auslegung, die
bezifferten Teilbeträge für die jeweiligen von der Aufhebungsentscheidung betroffenen Bewilligungszeiträume ergeben.
3. In Bezug auf die Erstattungsforderung ist es grundsätzlich ausreichend, wenn sich aus dem Verfügungssatz nur der Gesamtbetrag entnehmen lässt. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung berechnet, ist nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit, sondern der hinreichenden Begründung des Verwaltungsaktes.
4. Auch wenn die Erstattungsforderung entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X mit der Aufhebungsentscheidung verbunden wird, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt handelt, der seinerseits in die Rechte des Klägers eingriff und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzte (Anschluss an BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R).
5. Zur Anhörung in Bezug auf Vertrauensausschlusstatbestände: a) Bei dem Vorwurf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, der Betroffene sei seiner vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen, muss die Behörde im Rahmen der Anhörung Tatsachen sowohl zu den objektiven als auch den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen angeben. Auf objektiver Tatbestandsseite ist dies die Nichterfüllung der Mitteilungspflicht. Dies ist der Fall, wenn die Pflichterfüllung ganz oder teilweise unterlassen worden ist, wenn unrichtige Angaben gemacht worden sind, oder wenn die Mitteilung nicht unverzüglich erfolgt ist und dadurch die Bewilligungsentscheidung leistungserheblich nicht früher hat aufgehoben werden können. Auf subjektiver Tatbestandsseite sind die
Tatsachen anzugeben, auf die der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gestützt wird. b) Die Tatbestandsvoraussetzung "soweit" in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat für die durchzuführende Anhörung zur Folge, dass sich die Anhörung nicht nur auf die die Aufhebung rechtfertigende wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach zu erstecken hat.
6. Eine Anhörung zum Vertrauensausschlusstatbestand in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X kann nicht in eine Anhörung zu dem in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X umgedeutet werden, weil sich beide Vorschriften in zeitlicher Hinsicht unterscheiden.
7. Die bloße Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung allein bewirkt nicht die Heilung eines Anhörungsmangels. Vielmehr wird ein Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur dann geheilt, wenn der Bescheid selbst alle wesentlichen Tatsachen enthält.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 4. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte in beiden Verfahrenszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 30. April 2007 und die damit verbundene Rückforderung der gezahlten Leistungen in Höhe von zuletzt 6.823,17 EUR.
Die Klägerin stand gemeinsam mit ihrem Ehemann R N (Kläger im Rechtsstreit Az. L 3 AS 580/11) seit dem 1. November 2005 im Leistungsbezug der Vorgängerin des Beklagten. Am 6. September 2005 beantragte sie erstmals Leistungen bei der ARGE L und wies darauf hin, dass ihr Arbeitslosengeldbezug am 3. November 2005 ende. Zudem gab sie ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ihres Ehemannes in Höhe von monatlich 800,00 EUR bis 1.000,00 EUR an. Des Weiteren legte sie eine betriebswirtschaftliche Auswertung der selbstständigen Tätigkeit des Ehemannes vom Juni 2005 vor, welche Betriebseinnahmen des Ehemannes in Höhe von 1.159,60 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 1.228,25 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 bewilligte die ARGE L den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. November 2005 bis zum 30. April 2006, wobei ausweislich des beigefügten Berechnungsbogens als Einkommen lediglich das von der Klägerin bezogene Arbeitslosengeld berücksichtigt wurde. Nach Anhörung der Klägerin hob der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 2. Januar 2006 den ursprünglichen Bewilligungsbescheid für die Zeit ab 1. Februar 2006 im Hinblick auf den gewährten Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von monatlich 255,00 EUR auf.
In den Weiterbewilligungsanträgen vom 5. April 2006 und 6. September 2006 gab die Klägerin jeweils an, dass sich bezüglich der Einkommensverhältnisse keine Änderungen ergeben hätten.
Mit Bescheid vom 21. April 2006 bewilligte die ARGE L den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2006 bis zum 31. Oktober 2006 in Höhe von monatlich 1.098,77 EUR und mit Bescheid vom 26. Oktober 2006 für die Zeit vom 1. November 2006 bis zum 30. April 2007 in Höhe von 1.124,77 EUR.
Dem Weiterbewilligungsantrag vom 2. April 2007 legte die Klägerin unter anderem einen betriebswirtschaftlichen Kurzbericht bezüglich des Einkommens aus der selbstständigen Tätigkeit ihres Ehemannes im Januar 2007 bei. Des Weiteren wurden nach Aufforderung der ARGE L betriebswirtschaftliche Kurzberichte bis März 2007 und für die Zeit von Januar bis Dezember 2006 eingereicht.
Die ARGE L hörte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Mai 2007 zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 sowie mit Schreiben vom selben Tag auch den Ehemann zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen für den genannten Zeitraum an. Der Ehegatte R N habe während des gesamten Zeitraumes Einkommen aus Selbstständigkeit erzielt. Daher sei sie nicht mehr hilfebedürftig. Gemäß § 60 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) sei sie verpflichtet, der ARGE L alle Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen. Dieser Verpflichtung sei sie zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz [SGB X]). Außerdem habe sie Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung ihres Anspruches geführt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Unabhängig davon habe sie gewusst beziehungsweise hätte wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen oder ganz oder teilweise zum Wegfall gekommen sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). In der Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 habe sie Regelleistung in Höhe von insgesamt 4.898,00 EUR, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 636,65 EUR sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 2.685,48 EUR zu unrecht erhalten, welche nunmehr in Höhe von insgesamt 8.220,13 EUR zu erstatten seien.
Hierauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 8. Mai 2007 mit, dass die von ihr eingereichten betriebswirtschaftlichen Kurzberichte für die Monate Januar 2006 bis März 2007 noch nicht das endgültige Ergebnis seien. Denn der Steuerbescheid für das Jahr 2006 stehe noch aus und würde im September beziehungsweise Oktober 2007 nachgereicht. In den Steuerbescheiden 2006 und 2007 könne dann nachgewiesen werden, welche Einnahmen beziehungsweise welcher Reingewinn in der selbstständigen Tätigkeit tatsächlich erzielt worden seien. Das vorläufige Betriebsergebnis sei nicht aussagekräftig. Auf Berechnungsgrundlagen sei auch im Merkheft nicht hingewiesen worden. Auch sei in keiner Weise darauf hingewiesen worden, wie sich das anzurechnende Einkommen bei Selbstständigen berechne.
Ohne weitere Ermittlungen hob der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 seine Bewilligungsentscheidungen vom 27. Oktober 2005, 21. April 2006 und 26. Oktober 2006 für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 teilweise bezüglich der Regelleistung in Höhe von 4.898,00 EUR und bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 2.685,48 EUR auf und forderte die in diesem Zeitraum gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück. Der Ehemann der Klägerin habe während des genannten Zeitraumes Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erzielt. Dieses habe zum Wegfall beziehungsweise zur Minderung ihres Anspruches geführt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 22. September 2007 Widerspruch ein. Sie habe nicht rechtswidrig Arbeitslosengeld II erhalten. Es finde sich im Merkheft "Regelleistung ALG II für Selbstständige" kein Vermerk über die Berechnungsgrundlagen. Auch sei sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I nachgekommen. Ihre Fortzahlungsanträge habe sie gewissenhaft ausgefüllt. Sie habe auf die Richtigkeit des Verwaltungsaktes vertraut und die erbrachten Sozialleistungen verbraucht. Mit weiterem Schriftsatz vom 17. September 2007 wandte sich die Steuerbevollmächtigte der Eheleute N an die ARGE L. Das Anliegen der Eheleute sei es, mit dem Aufhebungsbescheid solange zu warten, bis der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2006 vorliege. Die durch die Beklagte zugrunde gelegten Zahlen seien auch für sie als Steuerbevollmächtigte nicht nachvollziehbar, da sie auch nicht auf den von der Klägerin vorgelegten betriebswirtschaftlichen Kurzberichten beruhen könnten. Der Ehemann der Klägerin habe definitiv im Jahr 2006 lediglich Bruttoeinkünfte von monatlich durchschnittlich 1.196,25 EUR erzielt. Mit Schreiben vom 6. August 2008 legte die Klägerin den Steuerbescheid des Jahres 2006 vom 12. Dezember 2007 vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 änderte die ARGE L den Bescheid vom 29. August 2007 insoweit ab, als die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 27. Oktober 2005, 21. April 2006 und 26. Oktober 2006 - im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 30. November 2006 in Höhe von monatlich 433,78 EUR, - im Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 31. Dezember 2006 in Höhe von monatlich 458,31 EUR und - im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. April 2007 in Höhe von monatlich 398,32 EUR teilweise aufgehoben und die Klägerin zur Erstattung der überzahlten 6.823,17 EUR verpflichtet wurde. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft habe monatlich 1.124,77 EUR betragen. Aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung vom April 2007 ergebe sich ein monatlicher Gewinn des Ehegatten der Klägerin in Höhe von 1.141,74 EUR, nach Bereinigung um die Freibeträge ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 867,57 EUR. Auf der Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für das Kalenderjahr 2006 ergebe sich für Dezember 2006 ein Einkommen in Höhe von 1.196,25 EUR, bereinigt in Höhe von 219,63 EUR. Aus dem betriebswirtschaftlichen Kurzbericht für das Jahr 2007 ergebe sich ein monatlicher Gewinn in Höhe von 1.062,93 EUR, bereinigt in Höhe von 796,64 EUR. Somit habe von Januar 2006 bis Juni 2006 ein Anspruch in Höhe von monatlich 231,20 EUR, von Juli bis November 2006 in Höhe von monatlich 257,20 EUR, im Dezember 2006 in Höhe von 208,15 EUR und von Januar bis April 2007 in Höhe von monatlich 328,13 EUR bestanden. Bewilligt worden seien jedoch bis Juni 2006 monatlich 1.098,77 EUR und von Juli 2006 bis April 2007 monatlich 1.124,77 EUR. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006 liege der Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, für den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. April 2007 lägen die Ausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X vor.
Auf die dagegen am 12. September 2008 erhobene Klage hat das Sozialgericht den Bescheid des ARGE L vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide seien bereits rechtswidrig, weil sie den Anforderungen des in § 33 Abs. 1 SGB X normierten Bestimmtheitsgebotes nicht entsprächen. Aufhebungs- beziehungsweise Rücknahmebescheide aus dem Bereich der Grundsicherungsleistungen genügten dem Bestimmtheitsgebot, wenn aus ihnen eindeutig hervorginge, wem gegenüber die Bewilligung in welcher Höhe aufgehoben beziehungsweise zurückgenommen werde. Aufhebung und Rückforderung seien als Spiegelbild der Leistungsbewilligung zu werten. Für die Teilrücknahme folge daraus die Konsequenz, dass der Grundsicherungsträger gegenüber jedem einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft durch individuelle Verwaltungsentscheidung konkretisieren müsse, welcher bewilligte Betrag für die einzelnen Monate aufgehoben beziehungsweise zurückgenommen werde. Das Bundessozialgericht habe bereits entschieden (Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 66/01 R; Urteil vom 2. Juni 2004 - B 7 AL 58/03 R), dass ein Rücknahmebescheid mit einer Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrages ohne Konkretisierung des Betrages für die einzelnen Monate nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X genüge. Diesem Grundsatz trage der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 nicht Rechnung, weil eine monatsweise Aufteilung nicht erfolgt sei. Soweit im Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 eine monatsweise Darstellung erfolgt sei, liege dieser Bescheid außerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beziehungsweise § 48 Abs. 4 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.
Gegen das ihm am 30. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte, der Nachfolger der ARGE L , am 29. Juni 2011 Berufung eingelegt. Der Bescheid vom 29. August 2007 genüge dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 SGB X, da aus ihm hinreichend erkennbar sei, was und von wem die Behörde etwas wolle. Der Leistungsanspruch der Klägerin sei teilweise hinsichtlich der gewährten Regelleistung, der Unterkunftskosten und der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aufgehoben worden, und der Bescheid sei ausschließlich an sie gerichtet. Im Tenor des Bescheides würden der Aufhebungszeitraum und der Erstattungsbetrag benannt, als Adressat ergebe sich eindeutig die Klägerin. Mehr sei nicht erforderlich. Dass bezüglich der aufgehobenen und zur Erstattung verlangten Leistung nur ein Gesamtbetrag enthalten sei, stehe dem Bestimmtheitserfordernis nicht entgegen. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Rückforderung berechne, sei eine Frage der Begründung des Verwaltungsaktes. Darüber hinaus sei durch den Ausgangsbescheid vom 29. August 2007 die Jahresfrist des § 45 SGB X eingehalten. Aufhebungs- und Widerspruchsbescheid seien nicht isoliert zu betrachten, denn sie unterlägen einer einheitlichen gerichtlichen Überprüfung gemäß § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 4. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Der streitbefangene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sehe keine monatsweise Aufteilung der Rückforderung vor, weswegen für sie eine Nachvollziehbarkeit der zurückgeforderten ursprünglich bewilligten Beträge nicht gegeben sei. Damit entspräche er nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz gemäß § 33 Abs. 1 SGB X. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei mit diesem auch nicht die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 29. August 2007 sowie den Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (vgl. § 54 Abs. 2 SGG).
1. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 ist, soweit er den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006 betrifft, allerdings bereits deshalb rechtswidrig, weil Rechtsgrundlage für die Rückforderung nur § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 45 SGB X sein kann, nicht aber § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 SGB X, und weil es den von der ARGE L herangezogenen Vertrauensausschlusstatbestand der nachträglichen Einkommenserzielung in § 45 SGB X nicht gibt.
Die Klägerin hatte bereits in ihrem Erstantrag angegeben, dass ihr Ehemann Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erziele. Die monatlich zu erwartenden Einnahmen waren nicht sicher vorherzusagen. Wenn aber bei einer einkommensabhängigen Leistung, hier dem Arbeitslosengeld II (vgl. § 19 Satz 1 und 3 SGB II in der vom 1. August 2006 bist zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung von Artikel 1 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 [BGBl. I S. 1706]; im Folgenden: a. F.), trotz schwankenden Einkommens - wie vorliegend - ein endgültiger statt eines vorläufigen Bescheids erlassen wird, kommt als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids wegen zusätzlich erzielten Einkommens nur § 45 SGB X in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12, jeweils Leitsatz 1).
Die ARGE L machte bei ihrer Aufhebungsentscheidung für diesen viermonatigen Zeitraum ausschließlich den Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X geltend. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X enthält aber keine dem verschuldensunabhängigen Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vergleichbare Regelung. Da Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist (vgl. § 95 SGG), ist es dem Gericht verwehrt, bei einer Anfechtung einer Rückforderungsentscheidung einen anderen Vertrauensausschlusstatbestand zu prüfen als denjenigen, der im angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides enthalten ist.
2. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 ist aber auch rechtswidrig, soweit er den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. April 2007 betrifft.
a) Soweit die Aufhebungsverfügung zunächst nicht den Anforderungen an die inhaltlich hinreichende Bestimmtheit genügt hat, ist dieser Mangel der Sache nach im Widerspruchsverfahren beseitigt worden. Ob damit aber auch noch die Rücknahmefrist gewahrt ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.
(1) Der an die Klägerin als Adressatin der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gerichtete Bescheid vom 29. August 2007 war, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 33 Abs. 1 SGB X. Das Bundessozialgericht fordert für die inhaltlich hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, dass aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, was die Behörde regelt (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 30. August 2001 - B 4 RA 114/00 R - SozR 3-2600 § 149 Nr. 6 = JURIS-Dokument Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 RA 59/12 R - SozR 4-1300 § 45 Nr. 13 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 16). Die Beteiligten müssen ihr Verhalten danach ausrichten können (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR SGB 2010, 84 = JURIS-Dokument Rdnr. 16). Es darf nicht dem Adressaten überlassen bleiben, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R – BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 25). Diesen Anforderungen genügte der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007, auch unter Rückgriff auf die Begründung des Bescheides oder anderer, der Klägerin bekannter Unterlagen nicht.
Im Verfügungssatz des Bescheides vom 29. August 2007 sind die von der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung betroffenen Bewilligungsbescheide vom 27. Oktober 2005, 21. April 2006 und 26. Oktober 2006, der Gesamtzeitraum der Aufhebungsentscheidung vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007, der Umfang der Bewilligungsaufhebung als Teilaufhebung sowie der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung, aufgeteilt in die Höhe der Regelleistung von 4.898,00 EUR und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 2.685,48 EUR, benannt. Dass sich in Bezug auf die Erstattungsforderung nur der Gesamtbetrag aus dem Verfügungssatz entnehmen lässt, ist dabei grundsätzlich ausreichend. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung berechnet, ist, wie der Senat bereits entschieden und worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit, sondern der hinreichenden Begründung des Verwaltungsaktes im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB X (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 19. September 2008 - L 3 AS 40/08 - JURIS-Dokument Rdnr. 60, m. w. N.). Hingegen ist er für die der Erstattungsverfügung vorausgehende Aufhebungsverfügung nicht ausreichend, wenn - wie vorliegend - im Fall eine Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum nur die Höhe eines Gesamtbetrags ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Bewilligungszeiträume angegeben wird. Erforderlich ist vielmehr, dass sich aus dem Verfügungssatz, gegebenenfalls nach einer Auslegung, die bezifferten Teilbeträge für die jeweiligen von der Aufhebungsentscheidung betroffenen Bewilligungszeiträume ergeben (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 19. September 2008 - L 3 AS 40/08 - JURIS-Dokument, Rdnr. 60; ebenso für das SGB III: BSG, Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 66/01 R - SozR 3-1500 § 128 Nr. 15 S. 32 f. = JURIS-Dokument, Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 - B 7 AL 58/03 R - BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 18; für das SGB II offengelassen: BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 29).
Dieser Bestimmtheitsmangel bewirkte nicht die Nichtigkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 29. August 2007. Denn es lag weder ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB X vor noch litt der Bescheid an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne von § 40 Abs. 1 SGB X. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheides war (nur) rechtswidrig. Der Bestimmtheitsmangel wurde der Sache nach im Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 beseitigt. Dort wurde im Verfügungssatz derjenige aus dem Bescheid vom 29. August 2007 dahingehend abgeändert, dass nunmehr die monatlichen Aufhebungsbeträge benannt sind.
(2) Von der Frage, ob ein Verwaltungsakt mit dem Widerspruchsbescheid eine Fassung erlangt hat, die den Anforderungen aus § 33 Abs. 1 SGB X genügt, ist die Frage zu trennen, ob damit eine im Einzelfall zu beachtende Frist gewahrt ist.
Vorliegend ist die Frist in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X maßgebend. Zu dieser Regelung gelangt man, wenn man dem rechtlichen Ansatz der ARGE L folgt, auch über die Verweisungsregelung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Danach muss die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass die Heilungs- oder Nachholungsregelung in § 41 Abs. 2 SGB X nicht für einen Verstoß gegen § 33 Abs. 1 SGB X gilt (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2006 - B 7a AL 24/05 R - SozR 4-1200 § 48 Nr. 2 = JURIS-Dokument Rdnr. 18; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 33 Rdnr. 16). Weil es sich bei dem Verstoß gegen § 33 Abs. 1 SGB X nicht um einen Formmangel handelt, ist auch die Unbeachtlichkeitsregelung des § 42 SGB X nicht anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2006, a. a. O.). Ob eine Behörde befugt ist, den Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot eines Verwaltungsaktes durch eine nachträgliche Klarstellung zu heilen, ist für das Sozialverwaltungsverfahren bislang nicht geklärt. Im Schrifttum (vgl. z. B. Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 33 Rdnr. 16a, m. w. N.; Mutschler, in Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 33 SGB X Rdnr. 16) wird dies unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 4 B 32/06 - NVwZ-RR 2006, 589 = JURIS-Dokument Rdnr. 1, m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerwG) bejaht. Das Bundessozialgericht hat die Frage der Ersetzungsmöglichkeit im Urteil vom 13. Juli 2006 offen gelassen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2006, a. a. O.).
Auf diese Rechtsfrage muss vorliegend jedoch ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Frage, wann die ARGE L letztlich über die erforderliche Tatsachenkenntnis verfügte, die die Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X auslöst. Denn der angefochtene Bescheid leidet an einem weiteren, nicht behobenen Mangel.
b) Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 leidet an einem Anhörungsmangel. Denn die Klägerin war vor dem Erlass dieses Bescheides anzuhören, weil ein Ausnahmefall, in dem von einer Anhörung abgesehen werden kann, nicht vorlag (1.). Sie wurde aber vor dem Bescheiderlass nicht im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 24 SGB X ordnungsgemäß zu den entscheidungserheblichen Tatsachen angehört (2.). Der Anhörungsmangel wurde auch weder im Widerspruchsverfahren (3.) noch im Gerichtsverfahren (4.) geheilt.
(1) Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Anhörung war nach der allein in Betracht kommenden Ausnahmeregelung des § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X nicht entbehrlich. Danach kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Diese Regelung gilt jedoch nicht für das an die Klägerin gerichtete Erstattungsverlangen. Denn auch wenn die Erstattungsforderung entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X mit der Aufhebungsentscheidung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) i. V. m. § 48 SGB X verbunden wurde, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X handelt, der seinerseits in die Rechte des Klägers eingriff und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzte (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R - SozR 4-4200 § 38 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 18, m. w. N.). Die Voraussetzungen eines der Ausnahmefälle in § 24 Abs. 2 SGB X liegt tatbestandlich nicht vor (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a. a. O., Rdnr. 19). Auch ist eine teleologische Auslegung von § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X dahingehend, dass von dieser Ausnahmeregelung eine Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X, die - wie vorliegend - akzessorisch zu der Aufhebungsentscheidung gemäß § 48 SGB X ist, erfasst wird, nicht möglich, weil es sich bei § 24 Abs. 2 SGB X um einen abschließenden Ausnahmekatalog handelt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a. a. O., Rdnr. 20, mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG; Mutschler, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 24 SGB X Rdnr. 24, m. w. N.; Siefert, in: von Wulffen, SGB X [8. Aufl., 2014], § 24 Rdnr. 18). Es verbleibt mithin bei der grundsätzlichen Anhörungspflicht gemäß § 24 Abs. 1 SGB X.
(2) Im Rahmen einer Anhörung muss demjenigen, der von dem beabsichtigten Erlass des belastenden Verwaltungsaktes betroffen ist, Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Entscheidungserheblich sind dabei alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, dass heißt auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 12, m. w. N.; Siefert, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 24 Rdnr. 13). Für die Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1991 – 4 RK 4/91 - BSGE 69, 247 [252 f.] = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 S. 9 f. = JURIS-Dokument, Rdnr. 29 f.; BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 21).
Die mit dem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2007 angekündigte Aufhebungsentscheidung sollte auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sowie § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X gestützt werden, die Erstattungsforderung auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Widerspruchsbescheid wurde in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006 auf den Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. April 2007 auf die Ausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X gestützt.
Zu keinem dieser Vertrauensausschlusstatbestände wurde die Klägerin vor dem Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 ordnungsgemäß angehört.
(2.1.) Der Klägerin wird zum Ersten vorgeworfen, sie habe ihre Mitteilungspflichten verletzt. Mitteilungspflichten bestehen in unterschiedlicher Weise und werden im Falle einer Pflichtverletzung auf Grund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen sanktioniert. Gemäß § 60 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Gemäß § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Wenn diesen Pflichten nicht nachgekommen und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, kann der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Diese Regelung über die nicht endgültige Leistungsversagung oder -entziehung dient dazu, den Betroffenen zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht anzuhalten. Die Korrektur von rechtswidrigen Verwaltungsakten, die auf einer vorwerfbaren Pflichtverletzung beruhen, erfolgt nach Maßgabe von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X, wenn die Pflichtverletzung vor dem Erlass der Verwaltungsaktes erfolgt ist, und nach Maßgabe von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X bei einer Pflichtverletzung nach dem Erlass des Verwaltungsaktes.
Die ARGE L berief sich zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Hierzu findet sich im Anhörungsschreiben ein allgemein gehaltener Hinweis auf die Mitteilungsverpflichtung in § 60 SGB I sowie die Feststellung, dass die Klägerin dieser Verpflichtung zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Dies ist aber nicht ausreichend. Bei dem Vorwurf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, der Betroffene sei seiner vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen, muss die Behörde im Rahmen der Anhörung Tatsachen sowohl zu den objektiven als auch den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen angeben. Auf objektiver Tatbestandsseite ist dies die Nichterfüllung der Mitteilungspflicht. Dies ist der Fall, wenn die Pflichterfüllung ganz oder teilweise unterlassen worden ist (vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 66 SGB I Rdnr. 6), wenn unrichtige Angaben gemacht worden sind (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 48 Rdnr. 23), oder wenn die Mitteilung nicht unverzüglich (vgl. § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I) erfolgt ist und dadurch die Aufhebungsentscheidung leistungserheblich nicht früher hat aufgehoben werden können (zum Kausalitätserfordernis: BSG, Urteil vom 30. Januar 1996 - 4 RA 16/95 - SozR 3-8570 § 13 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 50; BSG, Urteil vom 1. August 1978 - 7 RAr 37/77 - BSGE 47, 28 = SozR 1500 § 86 Nr. 1 = SozR 3-8570 § 13 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 27 ff. [zu § 152 Abs. 1 Nr. 1 AFG]; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 48 SGB X Rdnr. 44a, m. w. N.; Schütze, a. a. O.). Auf subjektiver Tatbestandsseite sind die Tatsachen anzugeben, auf die der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gestützt wird.
Dass eine Notwendigkeit für die Behörde besteht, konkrete Tatsachen für eine ordnungsgemäße Anhörung anzugeben, wird im vorliegenden Fall deutlich. Denn in den beiden Absätzen des Anhörungsschreibens, die dem Vorwurf der Mitteilungspflichtverletzung vorangehen, findet sich die Feststellung, dass der Ehemann der Klägerin im Aufhebungszeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt habe, und dass mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur noch in geringerer Höhe bestehe. Daraus folgt, dass die Klägerin jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt Angaben gemacht haben muss. Dieser Zeitpunkt kann zum einen für die Frage, inwiefern ein Verletzung der Mitteilungspflicht berechtigt ist, und zum anderen für die Frage, in welchem zeitlichen Umfang eine Bewilligungsaufhebung rechtmäßig ist, von Bedeutung sein. Dieser Zeitpunkt ergibt sich jedoch nicht aus dem Anhörungsschreiben.
Da die Rückforderung aber nach den eingangs gemachten Ausführungen nur auf § 45 SGB X gestützt werden kann, wäre in Bezug auf den Vorwurf der Mitwirkungsverletzung auf § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III abzustellen gewesen. Nach § 48 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Für eine ordnungsgemäße Anhörung ist hier für die objektive Tatbestandsseite anzugeben, welche Angaben der Betroffene vor dem Erlass des Verwaltungsaktes in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dies ist vorliegend nicht geschehen, weil die ARGE L im Anhörungsschreiben noch von nachträglich eingetretenen leistungsrelevanten Änderungen ausging.
Unabhängig davon, dass eine ordnungsgemäße Anhörung zum Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht erfolgte, könnte die Anhörung zu diesem Vertrauensausschlusstatbestand auch nicht in eine Anhörung zu dem in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X umgedeutet werden (vgl. zur Umdeutung eines Verwaltungsaktes: § 43 SGB X). Denn die Aufhebungsvorschriften von § 45 SGB X und § 48 SGB X unterscheiden sich in zeitlicher Hinsicht. Während erstere die Verwaltungsakte betrifft, die bereits beim Erlass rechtswidrig sind, betrifft letztere die Verwaltungsakte, die nach ihrem Erlass rechtswidrig werden. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen.
(2.2.) Zum Zweiten wurde der Klägerin der Vertrauensausschluss wegen Einkommenserzielung vorgehalten, zunächst für den gesamten Aufhebungszeitraum und zuletzt nur noch für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006. Diesbezüglich findet sich die Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
Der Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, der keine Entsprechung in § 45 SGB X hat, ist vorliegend bereits deshalb nicht einschlägig, weil die Rückforderung rechtmäßig nur auf § 45 SGB X gestützt werden kann (vgl. Ziffer I Nr. 1). Zudem wäre mit dem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2007 keine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt. Gemäß § 19 Satz 3 SGB II a. F. minderte das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit; soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen war, minderte es die Geldleistungen der kommunalen Träger. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Die Tatbestandsvoraussetzung "soweit" in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat für die durchzuführende Anhörung zur Folge, dass sich die Anhörung nicht nur auf die die Aufhebung rechtfertigende wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach zu erstecken hat. Dies ist hier nicht geschehen. So ist aus dem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2007 weder zu entnehmen, von welchem Einkommen die ARGE L ausging, noch welche Absetzposten und -beträge sie ansetzte oder welches anzurechnende Einkommen des Ehemannes der Klägerin sie in welchem der 16 Monate, die die Aufhebungsentscheidung umfasst, zugrunde legte.
(2.3.) Der Klägerin wird zum Dritten vorgeworfen, sie habe die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide gekannt oder erkennen können.
Die ARGE L hielt der Klägerin ursprünglich den Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X entgegen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Diesbezüglich enthält das Anhörungsschreiben nur eine gekürzte Wiedergabe des Gesetzestextes, nicht aber Tatsachenangaben, zu denen sich die Klägerin hätte äußern können.
Nach dem eigentlich maßgebenden § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB X (vgl. Ziffer I Nr. 1) kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Halbsatz 2 SGB X). Hierzu verhält sich das Anhörungsschreiben nicht.
(3) Der Anhörungsmangel ist nicht durch eine Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden. Denn die bloße Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung allein bewirkt nicht die Heilung des Mangels. Vielmehr wird ein Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur dann geheilt, wenn der Bescheid selbst alle wesentlichen Tatsachen enthält (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1994 - 7 RAr 104/93 - SozR 3-4100 § 117 Nr. 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 24; Schütze, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 41 Rdnr. 15; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 41 SGB X Rdnr. 16, m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall. Denn auch der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 enthält nicht die oben beschriebenen, für eine ordnungsgemäße Anhörung erforderlichen Angaben von Tatsachen.
(4) Der Anhörungsmangel ist schließlich auch nicht im gerichtlichen Verfahren geheilt worden. Eine Nachholung der Anhörung parallel zum gerichtlichen Verfahren, welche gemäß § 41 Abs. 2 SGB X grundsätzlich bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist, setzt nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ein eigenständiges, nicht notwendigerweise formelles Verwaltungsverfahren voraus, in dessen Rahmen die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und an dessen Ende sie zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 = NJW 2011, 1996 = JURIS-Dokument, jeweils Leitsatz; BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr. 1= JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 39). Ein solches Anhörungsverfahren ist trotz des richterlichen Hinweises im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27. Dezember 2010 auf den Anhörungsmangel und die Heilungsmöglichkeit nicht erfolgt, ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG ist nicht gestellt worden.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte in beiden Verfahrenszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 30. April 2007 und die damit verbundene Rückforderung der gezahlten Leistungen in Höhe von zuletzt 6.823,17 EUR.
Die Klägerin stand gemeinsam mit ihrem Ehemann R N (Kläger im Rechtsstreit Az. L 3 AS 580/11) seit dem 1. November 2005 im Leistungsbezug der Vorgängerin des Beklagten. Am 6. September 2005 beantragte sie erstmals Leistungen bei der ARGE L und wies darauf hin, dass ihr Arbeitslosengeldbezug am 3. November 2005 ende. Zudem gab sie ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ihres Ehemannes in Höhe von monatlich 800,00 EUR bis 1.000,00 EUR an. Des Weiteren legte sie eine betriebswirtschaftliche Auswertung der selbstständigen Tätigkeit des Ehemannes vom Juni 2005 vor, welche Betriebseinnahmen des Ehemannes in Höhe von 1.159,60 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 1.228,25 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 bewilligte die ARGE L den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. November 2005 bis zum 30. April 2006, wobei ausweislich des beigefügten Berechnungsbogens als Einkommen lediglich das von der Klägerin bezogene Arbeitslosengeld berücksichtigt wurde. Nach Anhörung der Klägerin hob der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 2. Januar 2006 den ursprünglichen Bewilligungsbescheid für die Zeit ab 1. Februar 2006 im Hinblick auf den gewährten Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von monatlich 255,00 EUR auf.
In den Weiterbewilligungsanträgen vom 5. April 2006 und 6. September 2006 gab die Klägerin jeweils an, dass sich bezüglich der Einkommensverhältnisse keine Änderungen ergeben hätten.
Mit Bescheid vom 21. April 2006 bewilligte die ARGE L den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2006 bis zum 31. Oktober 2006 in Höhe von monatlich 1.098,77 EUR und mit Bescheid vom 26. Oktober 2006 für die Zeit vom 1. November 2006 bis zum 30. April 2007 in Höhe von 1.124,77 EUR.
Dem Weiterbewilligungsantrag vom 2. April 2007 legte die Klägerin unter anderem einen betriebswirtschaftlichen Kurzbericht bezüglich des Einkommens aus der selbstständigen Tätigkeit ihres Ehemannes im Januar 2007 bei. Des Weiteren wurden nach Aufforderung der ARGE L betriebswirtschaftliche Kurzberichte bis März 2007 und für die Zeit von Januar bis Dezember 2006 eingereicht.
Die ARGE L hörte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Mai 2007 zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 sowie mit Schreiben vom selben Tag auch den Ehemann zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen für den genannten Zeitraum an. Der Ehegatte R N habe während des gesamten Zeitraumes Einkommen aus Selbstständigkeit erzielt. Daher sei sie nicht mehr hilfebedürftig. Gemäß § 60 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) sei sie verpflichtet, der ARGE L alle Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen. Dieser Verpflichtung sei sie zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz [SGB X]). Außerdem habe sie Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung ihres Anspruches geführt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Unabhängig davon habe sie gewusst beziehungsweise hätte wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen oder ganz oder teilweise zum Wegfall gekommen sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). In der Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 habe sie Regelleistung in Höhe von insgesamt 4.898,00 EUR, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 636,65 EUR sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 2.685,48 EUR zu unrecht erhalten, welche nunmehr in Höhe von insgesamt 8.220,13 EUR zu erstatten seien.
Hierauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 8. Mai 2007 mit, dass die von ihr eingereichten betriebswirtschaftlichen Kurzberichte für die Monate Januar 2006 bis März 2007 noch nicht das endgültige Ergebnis seien. Denn der Steuerbescheid für das Jahr 2006 stehe noch aus und würde im September beziehungsweise Oktober 2007 nachgereicht. In den Steuerbescheiden 2006 und 2007 könne dann nachgewiesen werden, welche Einnahmen beziehungsweise welcher Reingewinn in der selbstständigen Tätigkeit tatsächlich erzielt worden seien. Das vorläufige Betriebsergebnis sei nicht aussagekräftig. Auf Berechnungsgrundlagen sei auch im Merkheft nicht hingewiesen worden. Auch sei in keiner Weise darauf hingewiesen worden, wie sich das anzurechnende Einkommen bei Selbstständigen berechne.
Ohne weitere Ermittlungen hob der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 seine Bewilligungsentscheidungen vom 27. Oktober 2005, 21. April 2006 und 26. Oktober 2006 für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 teilweise bezüglich der Regelleistung in Höhe von 4.898,00 EUR und bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 2.685,48 EUR auf und forderte die in diesem Zeitraum gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück. Der Ehemann der Klägerin habe während des genannten Zeitraumes Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erzielt. Dieses habe zum Wegfall beziehungsweise zur Minderung ihres Anspruches geführt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 22. September 2007 Widerspruch ein. Sie habe nicht rechtswidrig Arbeitslosengeld II erhalten. Es finde sich im Merkheft "Regelleistung ALG II für Selbstständige" kein Vermerk über die Berechnungsgrundlagen. Auch sei sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I nachgekommen. Ihre Fortzahlungsanträge habe sie gewissenhaft ausgefüllt. Sie habe auf die Richtigkeit des Verwaltungsaktes vertraut und die erbrachten Sozialleistungen verbraucht. Mit weiterem Schriftsatz vom 17. September 2007 wandte sich die Steuerbevollmächtigte der Eheleute N an die ARGE L. Das Anliegen der Eheleute sei es, mit dem Aufhebungsbescheid solange zu warten, bis der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2006 vorliege. Die durch die Beklagte zugrunde gelegten Zahlen seien auch für sie als Steuerbevollmächtigte nicht nachvollziehbar, da sie auch nicht auf den von der Klägerin vorgelegten betriebswirtschaftlichen Kurzberichten beruhen könnten. Der Ehemann der Klägerin habe definitiv im Jahr 2006 lediglich Bruttoeinkünfte von monatlich durchschnittlich 1.196,25 EUR erzielt. Mit Schreiben vom 6. August 2008 legte die Klägerin den Steuerbescheid des Jahres 2006 vom 12. Dezember 2007 vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 änderte die ARGE L den Bescheid vom 29. August 2007 insoweit ab, als die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 27. Oktober 2005, 21. April 2006 und 26. Oktober 2006 - im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 30. November 2006 in Höhe von monatlich 433,78 EUR, - im Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 31. Dezember 2006 in Höhe von monatlich 458,31 EUR und - im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. April 2007 in Höhe von monatlich 398,32 EUR teilweise aufgehoben und die Klägerin zur Erstattung der überzahlten 6.823,17 EUR verpflichtet wurde. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft habe monatlich 1.124,77 EUR betragen. Aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung vom April 2007 ergebe sich ein monatlicher Gewinn des Ehegatten der Klägerin in Höhe von 1.141,74 EUR, nach Bereinigung um die Freibeträge ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 867,57 EUR. Auf der Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für das Kalenderjahr 2006 ergebe sich für Dezember 2006 ein Einkommen in Höhe von 1.196,25 EUR, bereinigt in Höhe von 219,63 EUR. Aus dem betriebswirtschaftlichen Kurzbericht für das Jahr 2007 ergebe sich ein monatlicher Gewinn in Höhe von 1.062,93 EUR, bereinigt in Höhe von 796,64 EUR. Somit habe von Januar 2006 bis Juni 2006 ein Anspruch in Höhe von monatlich 231,20 EUR, von Juli bis November 2006 in Höhe von monatlich 257,20 EUR, im Dezember 2006 in Höhe von 208,15 EUR und von Januar bis April 2007 in Höhe von monatlich 328,13 EUR bestanden. Bewilligt worden seien jedoch bis Juni 2006 monatlich 1.098,77 EUR und von Juli 2006 bis April 2007 monatlich 1.124,77 EUR. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006 liege der Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, für den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. April 2007 lägen die Ausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X vor.
Auf die dagegen am 12. September 2008 erhobene Klage hat das Sozialgericht den Bescheid des ARGE L vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide seien bereits rechtswidrig, weil sie den Anforderungen des in § 33 Abs. 1 SGB X normierten Bestimmtheitsgebotes nicht entsprächen. Aufhebungs- beziehungsweise Rücknahmebescheide aus dem Bereich der Grundsicherungsleistungen genügten dem Bestimmtheitsgebot, wenn aus ihnen eindeutig hervorginge, wem gegenüber die Bewilligung in welcher Höhe aufgehoben beziehungsweise zurückgenommen werde. Aufhebung und Rückforderung seien als Spiegelbild der Leistungsbewilligung zu werten. Für die Teilrücknahme folge daraus die Konsequenz, dass der Grundsicherungsträger gegenüber jedem einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft durch individuelle Verwaltungsentscheidung konkretisieren müsse, welcher bewilligte Betrag für die einzelnen Monate aufgehoben beziehungsweise zurückgenommen werde. Das Bundessozialgericht habe bereits entschieden (Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 66/01 R; Urteil vom 2. Juni 2004 - B 7 AL 58/03 R), dass ein Rücknahmebescheid mit einer Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrages ohne Konkretisierung des Betrages für die einzelnen Monate nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X genüge. Diesem Grundsatz trage der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 nicht Rechnung, weil eine monatsweise Aufteilung nicht erfolgt sei. Soweit im Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 eine monatsweise Darstellung erfolgt sei, liege dieser Bescheid außerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beziehungsweise § 48 Abs. 4 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.
Gegen das ihm am 30. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte, der Nachfolger der ARGE L , am 29. Juni 2011 Berufung eingelegt. Der Bescheid vom 29. August 2007 genüge dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 SGB X, da aus ihm hinreichend erkennbar sei, was und von wem die Behörde etwas wolle. Der Leistungsanspruch der Klägerin sei teilweise hinsichtlich der gewährten Regelleistung, der Unterkunftskosten und der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aufgehoben worden, und der Bescheid sei ausschließlich an sie gerichtet. Im Tenor des Bescheides würden der Aufhebungszeitraum und der Erstattungsbetrag benannt, als Adressat ergebe sich eindeutig die Klägerin. Mehr sei nicht erforderlich. Dass bezüglich der aufgehobenen und zur Erstattung verlangten Leistung nur ein Gesamtbetrag enthalten sei, stehe dem Bestimmtheitserfordernis nicht entgegen. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Rückforderung berechne, sei eine Frage der Begründung des Verwaltungsaktes. Darüber hinaus sei durch den Ausgangsbescheid vom 29. August 2007 die Jahresfrist des § 45 SGB X eingehalten. Aufhebungs- und Widerspruchsbescheid seien nicht isoliert zu betrachten, denn sie unterlägen einer einheitlichen gerichtlichen Überprüfung gemäß § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 4. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Der streitbefangene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sehe keine monatsweise Aufteilung der Rückforderung vor, weswegen für sie eine Nachvollziehbarkeit der zurückgeforderten ursprünglich bewilligten Beträge nicht gegeben sei. Damit entspräche er nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz gemäß § 33 Abs. 1 SGB X. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei mit diesem auch nicht die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 29. August 2007 sowie den Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (vgl. § 54 Abs. 2 SGG).
1. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 ist, soweit er den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006 betrifft, allerdings bereits deshalb rechtswidrig, weil Rechtsgrundlage für die Rückforderung nur § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 45 SGB X sein kann, nicht aber § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 SGB X, und weil es den von der ARGE L herangezogenen Vertrauensausschlusstatbestand der nachträglichen Einkommenserzielung in § 45 SGB X nicht gibt.
Die Klägerin hatte bereits in ihrem Erstantrag angegeben, dass ihr Ehemann Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erziele. Die monatlich zu erwartenden Einnahmen waren nicht sicher vorherzusagen. Wenn aber bei einer einkommensabhängigen Leistung, hier dem Arbeitslosengeld II (vgl. § 19 Satz 1 und 3 SGB II in der vom 1. August 2006 bist zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung von Artikel 1 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 [BGBl. I S. 1706]; im Folgenden: a. F.), trotz schwankenden Einkommens - wie vorliegend - ein endgültiger statt eines vorläufigen Bescheids erlassen wird, kommt als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids wegen zusätzlich erzielten Einkommens nur § 45 SGB X in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12, jeweils Leitsatz 1).
Die ARGE L machte bei ihrer Aufhebungsentscheidung für diesen viermonatigen Zeitraum ausschließlich den Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X geltend. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X enthält aber keine dem verschuldensunabhängigen Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vergleichbare Regelung. Da Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist (vgl. § 95 SGG), ist es dem Gericht verwehrt, bei einer Anfechtung einer Rückforderungsentscheidung einen anderen Vertrauensausschlusstatbestand zu prüfen als denjenigen, der im angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides enthalten ist.
2. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2008 ist aber auch rechtswidrig, soweit er den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. April 2007 betrifft.
a) Soweit die Aufhebungsverfügung zunächst nicht den Anforderungen an die inhaltlich hinreichende Bestimmtheit genügt hat, ist dieser Mangel der Sache nach im Widerspruchsverfahren beseitigt worden. Ob damit aber auch noch die Rücknahmefrist gewahrt ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.
(1) Der an die Klägerin als Adressatin der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gerichtete Bescheid vom 29. August 2007 war, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 33 Abs. 1 SGB X. Das Bundessozialgericht fordert für die inhaltlich hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, dass aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, was die Behörde regelt (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 30. August 2001 - B 4 RA 114/00 R - SozR 3-2600 § 149 Nr. 6 = JURIS-Dokument Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 RA 59/12 R - SozR 4-1300 § 45 Nr. 13 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 16). Die Beteiligten müssen ihr Verhalten danach ausrichten können (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR SGB 2010, 84 = JURIS-Dokument Rdnr. 16). Es darf nicht dem Adressaten überlassen bleiben, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R – BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 25). Diesen Anforderungen genügte der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007, auch unter Rückgriff auf die Begründung des Bescheides oder anderer, der Klägerin bekannter Unterlagen nicht.
Im Verfügungssatz des Bescheides vom 29. August 2007 sind die von der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung betroffenen Bewilligungsbescheide vom 27. Oktober 2005, 21. April 2006 und 26. Oktober 2006, der Gesamtzeitraum der Aufhebungsentscheidung vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007, der Umfang der Bewilligungsaufhebung als Teilaufhebung sowie der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung, aufgeteilt in die Höhe der Regelleistung von 4.898,00 EUR und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 2.685,48 EUR, benannt. Dass sich in Bezug auf die Erstattungsforderung nur der Gesamtbetrag aus dem Verfügungssatz entnehmen lässt, ist dabei grundsätzlich ausreichend. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung berechnet, ist, wie der Senat bereits entschieden und worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit, sondern der hinreichenden Begründung des Verwaltungsaktes im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB X (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 19. September 2008 - L 3 AS 40/08 - JURIS-Dokument Rdnr. 60, m. w. N.). Hingegen ist er für die der Erstattungsverfügung vorausgehende Aufhebungsverfügung nicht ausreichend, wenn - wie vorliegend - im Fall eine Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum nur die Höhe eines Gesamtbetrags ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Bewilligungszeiträume angegeben wird. Erforderlich ist vielmehr, dass sich aus dem Verfügungssatz, gegebenenfalls nach einer Auslegung, die bezifferten Teilbeträge für die jeweiligen von der Aufhebungsentscheidung betroffenen Bewilligungszeiträume ergeben (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 19. September 2008 - L 3 AS 40/08 - JURIS-Dokument, Rdnr. 60; ebenso für das SGB III: BSG, Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 66/01 R - SozR 3-1500 § 128 Nr. 15 S. 32 f. = JURIS-Dokument, Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 - B 7 AL 58/03 R - BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 18; für das SGB II offengelassen: BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 29).
Dieser Bestimmtheitsmangel bewirkte nicht die Nichtigkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 29. August 2007. Denn es lag weder ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB X vor noch litt der Bescheid an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne von § 40 Abs. 1 SGB X. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheides war (nur) rechtswidrig. Der Bestimmtheitsmangel wurde der Sache nach im Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 beseitigt. Dort wurde im Verfügungssatz derjenige aus dem Bescheid vom 29. August 2007 dahingehend abgeändert, dass nunmehr die monatlichen Aufhebungsbeträge benannt sind.
(2) Von der Frage, ob ein Verwaltungsakt mit dem Widerspruchsbescheid eine Fassung erlangt hat, die den Anforderungen aus § 33 Abs. 1 SGB X genügt, ist die Frage zu trennen, ob damit eine im Einzelfall zu beachtende Frist gewahrt ist.
Vorliegend ist die Frist in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X maßgebend. Zu dieser Regelung gelangt man, wenn man dem rechtlichen Ansatz der ARGE L folgt, auch über die Verweisungsregelung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Danach muss die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass die Heilungs- oder Nachholungsregelung in § 41 Abs. 2 SGB X nicht für einen Verstoß gegen § 33 Abs. 1 SGB X gilt (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2006 - B 7a AL 24/05 R - SozR 4-1200 § 48 Nr. 2 = JURIS-Dokument Rdnr. 18; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 33 Rdnr. 16). Weil es sich bei dem Verstoß gegen § 33 Abs. 1 SGB X nicht um einen Formmangel handelt, ist auch die Unbeachtlichkeitsregelung des § 42 SGB X nicht anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2006, a. a. O.). Ob eine Behörde befugt ist, den Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot eines Verwaltungsaktes durch eine nachträgliche Klarstellung zu heilen, ist für das Sozialverwaltungsverfahren bislang nicht geklärt. Im Schrifttum (vgl. z. B. Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 33 Rdnr. 16a, m. w. N.; Mutschler, in Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 33 SGB X Rdnr. 16) wird dies unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 4 B 32/06 - NVwZ-RR 2006, 589 = JURIS-Dokument Rdnr. 1, m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerwG) bejaht. Das Bundessozialgericht hat die Frage der Ersetzungsmöglichkeit im Urteil vom 13. Juli 2006 offen gelassen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2006, a. a. O.).
Auf diese Rechtsfrage muss vorliegend jedoch ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Frage, wann die ARGE L letztlich über die erforderliche Tatsachenkenntnis verfügte, die die Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X auslöst. Denn der angefochtene Bescheid leidet an einem weiteren, nicht behobenen Mangel.
b) Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 leidet an einem Anhörungsmangel. Denn die Klägerin war vor dem Erlass dieses Bescheides anzuhören, weil ein Ausnahmefall, in dem von einer Anhörung abgesehen werden kann, nicht vorlag (1.). Sie wurde aber vor dem Bescheiderlass nicht im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 24 SGB X ordnungsgemäß zu den entscheidungserheblichen Tatsachen angehört (2.). Der Anhörungsmangel wurde auch weder im Widerspruchsverfahren (3.) noch im Gerichtsverfahren (4.) geheilt.
(1) Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Anhörung war nach der allein in Betracht kommenden Ausnahmeregelung des § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X nicht entbehrlich. Danach kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Diese Regelung gilt jedoch nicht für das an die Klägerin gerichtete Erstattungsverlangen. Denn auch wenn die Erstattungsforderung entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X mit der Aufhebungsentscheidung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) i. V. m. § 48 SGB X verbunden wurde, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X handelt, der seinerseits in die Rechte des Klägers eingriff und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzte (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R - SozR 4-4200 § 38 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 18, m. w. N.). Die Voraussetzungen eines der Ausnahmefälle in § 24 Abs. 2 SGB X liegt tatbestandlich nicht vor (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a. a. O., Rdnr. 19). Auch ist eine teleologische Auslegung von § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X dahingehend, dass von dieser Ausnahmeregelung eine Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X, die - wie vorliegend - akzessorisch zu der Aufhebungsentscheidung gemäß § 48 SGB X ist, erfasst wird, nicht möglich, weil es sich bei § 24 Abs. 2 SGB X um einen abschließenden Ausnahmekatalog handelt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a. a. O., Rdnr. 20, mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG; Mutschler, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 24 SGB X Rdnr. 24, m. w. N.; Siefert, in: von Wulffen, SGB X [8. Aufl., 2014], § 24 Rdnr. 18). Es verbleibt mithin bei der grundsätzlichen Anhörungspflicht gemäß § 24 Abs. 1 SGB X.
(2) Im Rahmen einer Anhörung muss demjenigen, der von dem beabsichtigten Erlass des belastenden Verwaltungsaktes betroffen ist, Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Entscheidungserheblich sind dabei alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, dass heißt auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 12, m. w. N.; Siefert, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 24 Rdnr. 13). Für die Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1991 – 4 RK 4/91 - BSGE 69, 247 [252 f.] = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 S. 9 f. = JURIS-Dokument, Rdnr. 29 f.; BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 21).
Die mit dem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2007 angekündigte Aufhebungsentscheidung sollte auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sowie § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X gestützt werden, die Erstattungsforderung auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Widerspruchsbescheid wurde in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006 auf den Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. April 2007 auf die Ausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X gestützt.
Zu keinem dieser Vertrauensausschlusstatbestände wurde die Klägerin vor dem Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 ordnungsgemäß angehört.
(2.1.) Der Klägerin wird zum Ersten vorgeworfen, sie habe ihre Mitteilungspflichten verletzt. Mitteilungspflichten bestehen in unterschiedlicher Weise und werden im Falle einer Pflichtverletzung auf Grund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen sanktioniert. Gemäß § 60 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Gemäß § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Wenn diesen Pflichten nicht nachgekommen und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, kann der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Diese Regelung über die nicht endgültige Leistungsversagung oder -entziehung dient dazu, den Betroffenen zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht anzuhalten. Die Korrektur von rechtswidrigen Verwaltungsakten, die auf einer vorwerfbaren Pflichtverletzung beruhen, erfolgt nach Maßgabe von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X, wenn die Pflichtverletzung vor dem Erlass der Verwaltungsaktes erfolgt ist, und nach Maßgabe von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X bei einer Pflichtverletzung nach dem Erlass des Verwaltungsaktes.
Die ARGE L berief sich zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Hierzu findet sich im Anhörungsschreiben ein allgemein gehaltener Hinweis auf die Mitteilungsverpflichtung in § 60 SGB I sowie die Feststellung, dass die Klägerin dieser Verpflichtung zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Dies ist aber nicht ausreichend. Bei dem Vorwurf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, der Betroffene sei seiner vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen, muss die Behörde im Rahmen der Anhörung Tatsachen sowohl zu den objektiven als auch den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen angeben. Auf objektiver Tatbestandsseite ist dies die Nichterfüllung der Mitteilungspflicht. Dies ist der Fall, wenn die Pflichterfüllung ganz oder teilweise unterlassen worden ist (vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 66 SGB I Rdnr. 6), wenn unrichtige Angaben gemacht worden sind (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 48 Rdnr. 23), oder wenn die Mitteilung nicht unverzüglich (vgl. § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I) erfolgt ist und dadurch die Aufhebungsentscheidung leistungserheblich nicht früher hat aufgehoben werden können (zum Kausalitätserfordernis: BSG, Urteil vom 30. Januar 1996 - 4 RA 16/95 - SozR 3-8570 § 13 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 50; BSG, Urteil vom 1. August 1978 - 7 RAr 37/77 - BSGE 47, 28 = SozR 1500 § 86 Nr. 1 = SozR 3-8570 § 13 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 27 ff. [zu § 152 Abs. 1 Nr. 1 AFG]; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 48 SGB X Rdnr. 44a, m. w. N.; Schütze, a. a. O.). Auf subjektiver Tatbestandsseite sind die Tatsachen anzugeben, auf die der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gestützt wird.
Dass eine Notwendigkeit für die Behörde besteht, konkrete Tatsachen für eine ordnungsgemäße Anhörung anzugeben, wird im vorliegenden Fall deutlich. Denn in den beiden Absätzen des Anhörungsschreibens, die dem Vorwurf der Mitteilungspflichtverletzung vorangehen, findet sich die Feststellung, dass der Ehemann der Klägerin im Aufhebungszeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2007 Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt habe, und dass mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur noch in geringerer Höhe bestehe. Daraus folgt, dass die Klägerin jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt Angaben gemacht haben muss. Dieser Zeitpunkt kann zum einen für die Frage, inwiefern ein Verletzung der Mitteilungspflicht berechtigt ist, und zum anderen für die Frage, in welchem zeitlichen Umfang eine Bewilligungsaufhebung rechtmäßig ist, von Bedeutung sein. Dieser Zeitpunkt ergibt sich jedoch nicht aus dem Anhörungsschreiben.
Da die Rückforderung aber nach den eingangs gemachten Ausführungen nur auf § 45 SGB X gestützt werden kann, wäre in Bezug auf den Vorwurf der Mitwirkungsverletzung auf § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III abzustellen gewesen. Nach § 48 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Für eine ordnungsgemäße Anhörung ist hier für die objektive Tatbestandsseite anzugeben, welche Angaben der Betroffene vor dem Erlass des Verwaltungsaktes in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dies ist vorliegend nicht geschehen, weil die ARGE L im Anhörungsschreiben noch von nachträglich eingetretenen leistungsrelevanten Änderungen ausging.
Unabhängig davon, dass eine ordnungsgemäße Anhörung zum Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht erfolgte, könnte die Anhörung zu diesem Vertrauensausschlusstatbestand auch nicht in eine Anhörung zu dem in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X umgedeutet werden (vgl. zur Umdeutung eines Verwaltungsaktes: § 43 SGB X). Denn die Aufhebungsvorschriften von § 45 SGB X und § 48 SGB X unterscheiden sich in zeitlicher Hinsicht. Während erstere die Verwaltungsakte betrifft, die bereits beim Erlass rechtswidrig sind, betrifft letztere die Verwaltungsakte, die nach ihrem Erlass rechtswidrig werden. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen.
(2.2.) Zum Zweiten wurde der Klägerin der Vertrauensausschluss wegen Einkommenserzielung vorgehalten, zunächst für den gesamten Aufhebungszeitraum und zuletzt nur noch für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006. Diesbezüglich findet sich die Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
Der Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, der keine Entsprechung in § 45 SGB X hat, ist vorliegend bereits deshalb nicht einschlägig, weil die Rückforderung rechtmäßig nur auf § 45 SGB X gestützt werden kann (vgl. Ziffer I Nr. 1). Zudem wäre mit dem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2007 keine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt. Gemäß § 19 Satz 3 SGB II a. F. minderte das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit; soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen war, minderte es die Geldleistungen der kommunalen Träger. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Die Tatbestandsvoraussetzung "soweit" in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat für die durchzuführende Anhörung zur Folge, dass sich die Anhörung nicht nur auf die die Aufhebung rechtfertigende wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach zu erstecken hat. Dies ist hier nicht geschehen. So ist aus dem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2007 weder zu entnehmen, von welchem Einkommen die ARGE L ausging, noch welche Absetzposten und -beträge sie ansetzte oder welches anzurechnende Einkommen des Ehemannes der Klägerin sie in welchem der 16 Monate, die die Aufhebungsentscheidung umfasst, zugrunde legte.
(2.3.) Der Klägerin wird zum Dritten vorgeworfen, sie habe die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide gekannt oder erkennen können.
Die ARGE L hielt der Klägerin ursprünglich den Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X entgegen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Diesbezüglich enthält das Anhörungsschreiben nur eine gekürzte Wiedergabe des Gesetzestextes, nicht aber Tatsachenangaben, zu denen sich die Klägerin hätte äußern können.
Nach dem eigentlich maßgebenden § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB X (vgl. Ziffer I Nr. 1) kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Halbsatz 2 SGB X). Hierzu verhält sich das Anhörungsschreiben nicht.
(3) Der Anhörungsmangel ist nicht durch eine Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden. Denn die bloße Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung allein bewirkt nicht die Heilung des Mangels. Vielmehr wird ein Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur dann geheilt, wenn der Bescheid selbst alle wesentlichen Tatsachen enthält (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1994 - 7 RAr 104/93 - SozR 3-4100 § 117 Nr. 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 24; Schütze, in: von Wulffen, SGB X [8., Aufl., 2014] § 41 Rdnr. 15; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht - [Stand: 80. Erg.-Lfg., Dez. 2013], § 41 SGB X Rdnr. 16, m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall. Denn auch der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. August 2007 enthält nicht die oben beschriebenen, für eine ordnungsgemäße Anhörung erforderlichen Angaben von Tatsachen.
(4) Der Anhörungsmangel ist schließlich auch nicht im gerichtlichen Verfahren geheilt worden. Eine Nachholung der Anhörung parallel zum gerichtlichen Verfahren, welche gemäß § 41 Abs. 2 SGB X grundsätzlich bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist, setzt nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ein eigenständiges, nicht notwendigerweise formelles Verwaltungsverfahren voraus, in dessen Rahmen die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und an dessen Ende sie zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 = NJW 2011, 1996 = JURIS-Dokument, jeweils Leitsatz; BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr. 1= JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 39). Ein solches Anhörungsverfahren ist trotz des richterlichen Hinweises im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27. Dezember 2010 auf den Anhörungsmangel und die Heilungsmöglichkeit nicht erfolgt, ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG ist nicht gestellt worden.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
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