L 5 R 792/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1760/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 792/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.12.2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Die am 01.10.1968 in der Türkei geborene Klägerin ist gelernte Frisörin. Sie war bis zur Geburt ihres ersten Kindes Anfang 1999 in diesem Beruf tätig. Im Anschluss folgten zwei weitere Kinder (2001 und 2004). Das Arbeitsverhältnis bestand formal bis zum 11.10.2007 fort. Von der Versorgungsverwaltung wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" festgestellt (Bescheid vom 28.08.2007).

Am 31.08.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung verwies sie auf ein Attest der Internistin Dr. H. vom 29.08.2007, wonach die Klägerin an einer schweren Migräne, Taubheit links, einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts, einem Zustand nach Borreliose und Drehschwindel leide.

Die Beklagte ließ die Klägerin sozialmedizinisch begutachten. Dr. G., Sozialmediziner, benannte im Gutachten vom 27.09.2007 die Diagnosen hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts mit Hörgeräteversorgung, Taubheit links, Schwindelattacken nach Neuroborreliose 1995 und migräneartige Kopfschmerzen. Im Rahmen einer stationären Behandlung im Jahr 1995 sei eine Neuroborreliose mit Schädigung der Gehör- und Gleichgewichtsnerven diagnostiziert worden. Die letzte Hörgeräteanpassung sei 2005 erfolgt; seither bleibe der Befund konstant. Die Klägerin verstehe eine etwas laute und gut artikulierte Umgangssprache. Sie bemühe sich von den Lippen abzulesen. Auf diese Weise habe sie bei einem normalen Sprechtempo keine gravierenden Verständigungsschwierigkeiten. Zusätzliche Einschränkungen lägen aufgrund von wiederholten Drehschwindelattacken und migräneartigen Kopfschmerzen vor. Diese träten etwa ein Mal in 10 Tagen für etwa ein bis zwei Stunden auch mit Übelkeit und Erbrechen auf. Manifeste Gleichgewichtsstörungen ließen sich klinisch nicht feststellen; anamnestisch seien auch keine Stürze eruierbar. In diesem Zusammenhang habe die Klägerin angegeben, dass sie auch sonst ohne wesentliche Einschränkungen ein Auto fahren könne. Aufgrund der Kommunikationsschwierigkeiten mit Kunden gebe die Klägerin glaubhaft an, als Frisörin nicht mehr arbeiten zu können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in Tagesschicht ohne besondere Beanspruchung des Hörvermögens, ohne Tätigkeiten mit Absturzgefahr, nicht an gefährdenden, ungeschützten Maschinen, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Belastung durch Lärm sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Mit Bescheid vom 02.10.2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Verweis auf das Begutachtungsergebnis ab. Volle oder teilweise Erwerbsminderung liege danach nicht vor.

Hiergegen legte die Klägerin am 31.10.2007 Widerspruch ein und ließ zur Begründung vortragen, die durchgeführte Begutachtung sei oberflächlich und ungenügend. Der Gutachter verfüge nicht über die erforderlichen Fachkenntnisse. Insbesondere eine ausreichende Diagnostik habe nicht stattgefunden. Außerdem seien die in der Anamnese wiedergegebenen Angaben fehlerhaft. Die Drehschwindelattacken träten seit 1995 auf. Seither sei es zu keinerlei Besserung des Gesundheitszustandes gekommen. Die Drehschwindelattacken ereigneten sich öfters als alle 10 Tage. Sie sei zudem seit Auftreten des Leidens immer stärker psychisch belastet und leide unter Angstzuständen mit sozialem Rückzug. Die Leistungsbeurteilung des Gutachters sei schließlich nicht nachvollziehbar.

Vom 31.03.2008 bis 02.04.2008 fand eine Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk in Heidelberg statt. Im Bericht vom 07.07.2008 (Bl. 36 ff. der SG-Akte) wird ausgeführt, bereits in der ärztlichen Eingangsuntersuchung sei deutlich geworden, dass die Klägerin den Anforderungen der Maßnahme derzeit gesundheitlich nicht gewachsen sei. Sie habe massiven Schwindel und ängstliche Erregung beklagt, so dass die Maßnahme aus gesundheitlichen Gründen habe abgebrochen werden müssen. Die Erwerbsfähigkeit sei stark gefährdet.

Die Beklagte zog weitere Befundberichte von den behandelnden Ärzten der Klägerin bei. Drehschwindelattacken werden darin erstmals im Arztbrief des Neurologen Dr. W. vom 12.04.2000 und danach in den Befundberichten des HNO-Arztes S. vom 07.05.2003, 22.04.2005 und 01.12.2005 erwähnt. Nachdem der Ärztliche Dienst der Beklagten nach Sichtung der Befundberichte bei seiner Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin blieb, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2008 zurück.

Am 26.05.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie vortragen lassen, sie sei seit 1993 durchgehend erkrankt. In den folgenden zwei Jahren habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin dramatisch verschlechtert, weshalb 1995 eine stationäre Behandlung stattgefunden habe. Als Diagnose sei damals eine Neuroborreliose gestellt worden. Seitdem leide die Klägerin unter heftigen Drehschwindelattacken und es verschlechtere sich ihr gesundheitlicher Zustand kontinuierlich weiter. Aufgrund der aufgezeigten Mängel des Gutachtens von Dr. G. müsse ein Sachverständigengutachten auf otologischem Fachgebiet eingeholt werden, wobei der Gutachter über ausreichende neurologische Kenntnisse verfügen müsse. Es seien auch Ermittlungen zu den Störungen auf psychiatrischem Fachgebiet vorzunehmen. Beides sei bereits im Widerspruchsverfahren geltend gemacht worden. Die Beklagte habe hiervon aber keine Kenntnis genommen. Im Übrigen liege aufgrund des Verlusts des Hörvermögens eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor. In solchen Fällen sei eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens. Dr. E., Facharzt für Neurologie und Chefarzt der Klinik für Neurologie des Klinikums am W., W.-W., hat bei der Begutachtung der Klägerin am 21.10.2008 die Diagnose Morbus Menière gestellt (so auf S. 10 des Gutachtens; auf S. 8 heißt es "dringender Verdacht auf Morbus Menière"). Sämtliche Symptome des Morbus Menière lägen bei der Klägerin vor. Auch der klinische Verlauf spreche für diese Diagnose. Rückblickend habe die 1995 gestellte Diagnose einer Neuroborreliose zwar unzweifelhaft bestanden. Die seit 2000 auftretenden Schwindelattacken seien aber einer anderen Erkrankung, dem Morbus Menière, zuzuordnen. Unklar bliebe lediglich, wann diese Erkrankung begonnen habe. Die aktuell geklagten Beschwerden könnten jedoch bis 2000 zurückverfolgt werden. Daneben bestünde eine Migräne ohne Aura, deren sozialmedizinische Bedeutung als nur marginal anzusehen sei. Die Klägerin könne aufgrund von Art und Schwere ihrer Erkrankung nur noch weniger als drei Stunden leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Da das Krankheitsbild in das hals-nasen-ohrenärztliche Fachgebiet falle, könnten die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichend fachlich sicher beurteilt werden. Es werde eine Begutachtung auf diesem Fachgebiet vorgeschlagen. Erst nach Klärung möglicher Behandlungsaussichten sei eine endgültige Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin möglich.

Mit Urteil vom 11.12.2009 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, beginnend ab dem 01.08.2007 bis 31.12.2010 zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei voll erwerbsgemindert. Das SG entnehme dem überzeugenden und schlüssigen Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. E., dass die Klägerin an Morbus Menière leide. Daneben bestünde eine Hörminderung. Ob diese auf den Morbus Menière zurückzuführen sei, könne dahingestellt bleiben. Aufgrund dieser Erkrankung sei die Klägerin nicht in der Lage, eine wirtschaftlich relevante Arbeitsleistung zu erbringen. Sie sei nur noch in der Lage, weniger als drei Stunden täglich zu arbeiten, was sich aus dem überzeugenden Gutachten von Dr. E. ergebe. Bestätigt werde dieser Leistungseinschätzung von dem Bericht des Berufsförderungswerks vom 07.07.2008. Eine hals-nasen-ohrenärztliche Begutachtung ändere nichts an den festgestellten Befunden, insbesondere der Leistungsbeurteilung. Allein zur Sicherung der zutreffenden Diagnose sei eine Begutachtung nicht erforderlich. Das Gutachten von Dr. G. sei nicht schlüssig. Die dort vorgenommene Leistungseinschätzung sei vor dem Hintergrund der Befunde des Gerichtsgutachters und den Angaben im Bericht des Berufsförderungswerks vom 07.07.2008 nicht nachvollziehbar. Nach den Ausführungen des Gerichtsgutachters und der Auswertung der im Verwaltungsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen bestünde kein Zweifel, dass die Klägerin schon seit längerem, jedenfalls seit dem Jahr 2000 in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Die Vorversicherungszeiten seien damals schon erfüllt gewesen. Der Versicherungsfall sei deshalb im Laufe des Jahres 2000 eingetreten. Da die Rente aber erst am 31.08.2008 beantragt worden sei, beginne die Rente erst am 01.08.2008. Die Rente sei befristet bis Ende des Jahre 2010 zu gewähren, da nicht unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Dies ergebe sich aus den Hinweisen des Dr. E., wonach eine weitere Diagnostik zur Beurteilung der Behandlungsmaßnahmen erforderlich sei. Das Berufsförderungswerk habe zudem zum Ausdruck gebracht, dass eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme für notwendig gehalten werde.

Am 17.02.2010 hat die Beklagte gegen das ihr am 04.02.2010 zugestellte Urteil beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, zunächst sei zu beanstanden, dass aus dem Tenor des Urteils nicht hervorgehe, wann nach Auffassung des SG der Leistungsfall eingetreten sein soll. Im Übrigen könne sich die Beklagte der Auffassung, eine volle Erwerbsminderung liege vor und das schon seit Jahren, nicht anschließen. Zunächst werde auf das Gutachten von Dr. G. verwiesen. Die Gleichgewichtsstörung habe sich klinisch nicht feststellen lassen. Bedenke man die Angabe, ohne wesentliche Einschränkungen Auto fahren zu können (die Klägerin sei zur Untersuchung von Mosbach nach Heilbronn allein mit dem Pkw gefahren), so spreche dies gegen eine schwerwiegende Schwindelsymptomatik. Hinsichtlich der im Bericht des Berufsförderungswerks vom 07.07.2008 genannten Schwindelattacke habe der Ärztliche Dienst der Beklagten schon darauf hingewiesen, dass der für den Morbus Menière diagnostisch wichtige Nystagmus nicht feststellbar gewesen sei. Der Gutachter Dr. E. habe nur den "dringenden Verdacht" auf Morbus Menière gestellt und eine hals-nasen-ohrenärztliche Begutachtung empfohlen. Erst dann sei eine abschließende Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin möglich. Entsprechendes habe der Ärztliche Dienst der Beklagten für sinnvoll erachtet. Dem sei das SG nicht nachgekommen. Es habe deshalb den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt. Die Psychiaterin Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten führte darüber hinaus aus, dass die Funktionsstörung "Schwindel" oder Gleichgewichtsstörungen in der Regel nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung führten. Eine Ausnahme könne sich bei Probanden mit depressiver Symptomatik ergeben (lt. "Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung"). Im Fall der Klägerin sei keine solche depressive Symptomatik beschrieben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.12.2009 aufzuheben und die Klage ab- zuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise, - für den Zeitraum ab Antragstellung -

1. die Nachbarin der Klägerin A. G. als Zeugin zu vernehmen zum Beweis der Richtigkeit des tatsächlichen Vorbringens im Schriftsatz vom 17.01.2012 auf Seite 4 unten, vorletzter und letzter Absatz,

2. die Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. H. zur mündlichen Erläuterung ihrer Gutachten und zum Beweis der Tatsache zu laden, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, auch körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten,

höchst hilfsweise, Prof. Dr. W. in die mündliche Verhandlung zu laden zur Erläuterung seines Gutachtens und zum Beweis dafür, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, auch geeignete körperlich leichte Arbeiten noch sechs Stunden täglich zu verrichten.

Zur Begründung hat die Klägerin auf den bisherigen Vortrag Bezug genommen und auf das aus ihrer Sicht zutreffende Urteil des SG verwiesen. Ergänzend hat sie ausführen lassen, die vorgelegte Stellungnahme der Ärztlichen Dienstes (Dr. H., Psychiaterin) enthalte keine fachlich nachvollziehbare Kritik an den Feststellungen des Gerichtsgutachters. Irgendwelche Mängel der Begutachtung seien nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Entgegen der Ausführungen der Beklagten habe der Gutachter eine abschließende Bewertung des Leistungsvermögens vorgenommen. Lediglich hinsichtlich der Klärung der therapeutischen Möglichkeiten sei ein otologisches Gutachten empfohlen worden. Der Unklarheit in Bezug auf die möglichen Verbesserungen des Leistungsvermögens habe das SG durch die Befristung der Rente ausreichend Rechnung getragen.

Das LSG hat weiter Beweis erhoben und Prof. Dr. H., Direktor der Hals-Nasen-Ohrenklinik des Universitätsklinikums W., mit der Erstattung eines hals-nasen-ohrenärztlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Bevollmächtigte der Klägerin bat nach den ersten Untersuchungen den Sachverständigen, eine bei der Klägerin in Erwägung gezogene Operation zu verschieben, damit die Ermittlung des präoperativen Zustands der Klägerin nicht gefährdet werde (Schreiben vom 14.07.2010 - Bl. 52 LSG-Akte). Im Gutachten vom 01.10.2010 werden die Diagnosen mittelgradige Hörminderung rechts, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit links, rezidivierende Schwindelbeschwerden und Tinnitus beidseitig gestellt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien die Beschwerden Folge der abgelaufenen Neuroborreliose. Es werde davon ausgegangen, dass die Neuroborreliose die Symptome eines Morbus Menière imitiere, per Definitionem aber kein Morbus Menière vorliege. Durch die Schwerhörigkeit und die Schwindelattacken sei die Klägerin stark eingeschränkt. Die Schwindelattacken träten täglich ohne Vorankündigung auf. Aufgrund des Schwindels seien Arbeiten in der Höhe oder an Maschinen nicht möglich. Außerdem sei die Klägerin zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht geeignet. Leichte Tätigkeiten könnten aus den genannten Gründen allenfalls drei bis sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Wiederkehrende Schwindelanfälle könnten zu häufigem und nicht absehbarem Abbruch der Tätigkeit führen. Besondere Arbeitsbedingungen seien erforderlich, da die Klägerin in ihrer Kommunikation stark eingeschränkt sei. Auch könne sie Warngeräusche oder Ähnliches nicht wahrnehmen. Eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes innerhalb von drei Jahren sei nicht zu erwarten.

Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, nach dem Ergebnis des Gutachtens sei ein sechsstündiges Leistungsvermögen nicht ausgeschlossen. Die Klägerin sei durchaus in der Lage, Zureich-, Abnehm-, Montier-, Klebe-, Sortier-, Verpackungs- und/oder Etikettierarbeiten zu verrichten. Derartige Tätigkeiten erforderten kein Heben oder Tragen von mehr als 5 bis 6 kg, seien in der Regel in überwiegend sitzender Arbeitsposition, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Stressbelastung ausführbar und würden in geschlossenen, wohl temperierten Räumen ausgeübt (unter Verweis auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30.04.2003 – L 3 RJ 455/00). Die Ärztin für Psychiatrie des Ärztlichen Dienstes der Beklagten, Dr. J., hat zum Gutachten von Prof. Dr. H. ausgeführt, die diagnostische Zuordnung der Erkrankung der Klägerin spiele eine untergeordnete Rolle. Entscheidend seien die Funktionseinschränkungen im Alltag. Hierzu enthalte das Gutachten nur wenig Angaben. Anhand des vorliegenden Gutachtens spreche nichts gegen eine regelmäßig sechsstündige Tätigkeit. Der Anamnese sei zu entnehmen, dass sich die Schwindelsymptomatik nach der Umstellung der Medikation deutlich gebessert habe. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. E. habe die Klägerin noch Betahistin eingenommen. Jetzt werde Sulpirid verordnet. Der Drehschwindel trete zwar noch jeden Tag auf, jedoch nur kurz für einige Sekunden. Erbrechen trete nicht mehr auf. Heftige Schwindelattacken mit Übelkeit und Erbrechen träten nur noch einmal pro Monat auf.

Die Klägerin hat zum Gutachten von Prof. Dr. H. ausführen lassen, die Auffassung der Beklagten, nach dem Gutachten sei ein sechsstündiges Leistungsvermögen nicht ausgeschlossen, finde tatsächlich im Gutachten keine Stütze. Die vom Gutachten beschriebene Abweichung vom Gutachten des Dr. E. beschränke sich auf die Diagnose. Das allein relevante Leistungsvermögen werde nicht abweichend beurteilt. Voraussetzung für die Annahme eines vollen Leistungsvermögens sei, dass der Versicherte mindestens sechs Stunden täglich arbeiten könne. Wie sich aus dem Zusammenhang und dem Wortlaut ergebe, halte der Gutachter das Erreichen dieser Zeitgrenze lediglich für denkbar, jedoch keineswegs für gesichert. Dem Gutachten sei zudem nicht zu entnehmen, dass die Klägerin in der Lage sei, generell mindestens sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig zu sein. Insoweit werde auf den Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12.12.2006 (B 13 R 427/06 B) verwiesen, wonach ggf. bestehende Unklarheiten aufzuklären seien. Aus Sicht der Klägerin sei das Gutachten dagegen eindeutig, so dass zumindest von einer teilweisen Erwerbsminderung auszugehen sei. Da der Arbeitsmarkt verschlossen sei, habe die Klägerin Anspruch auf eine voll Erwerbsminderungsrente.

Das LSG hat weiter Beweis erhoben durch Beauftragung von Prof. Dr. W., Neurologe und Psychiater, Direktor der Klinik für Neurologie des Bezirkskrankenhauses G., mit der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. Im Gutachten vom 18.10.2011 kommt Prof. Dr. W. zu dem Ergebnis, dass auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet im Wesentlichen eine Hörminderung beidseits vorliege. Die neurologische Untersuchung und die Beobachtung während des dreitägigen stationären Aufenthalts hätten mit Ausnahme der Taubheit links und der schweren Hörminderung rechts keinen krankheitsrelevanten Befund gezeigt. Psychopathologisch finde sich eine ausgeglichene Stimmungslage, kein Hinweis auf relevante Schlafstörungen und keine Hinweise auf eine depressive Symptomatik mit Morgentief, Antriebsstörung oder weinerlichem Affekt. Ein sozialer Rückzug sei nicht zu erkennen. Auffallend sei die Diskrepanz der gemachten Angaben in den jeweiligen Vorgutachten über die Häufigkeit der Drehschwindelanfälle zu der aktuell geklagten Frequenz trotz behaupteter Verschlechterung seit Februar 2011. So variierten die Angaben von täglich bis zwei- bis dreimal im Gegensatz zur aktuellen Untersuchung, bei der eine Frequenz von ein- bis zweimal pro Woche angegeben wird. Während des dreitägigen Aufenthalts sei von der Klägerin Drehschwindel nicht geklagt worden. Die Gehörstörung schränke die Klägerin im Umgang mit ihren Mitarbeitern oder Kunden in der Kommunikation stark ein. Über bestehende Einschränkungen durch Schwindelanfälle hätten sie sich während des stationären Alltags und der Teilnahme an den krankengymnastischen Übungen nicht überzeugen können und sähen daher keine Einschränkungen hinsichtlich der körperlichen Arbeit bedingt durch den geklagten Drehschwindel. Es bestünden keine Hinweise, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr zu verrichten. Potentielle Gefährdungen seien durch andere als akustische Signale der Klägerin deutlich zu machen. Die Notwendigkeit für unübliche Pausen oder Beschränkungen des Arbeitswegs sei nicht erkennbar. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten.

Die Klägerin hat zum Gutachten von Prof. Dr. W. ausführen lassen, das Gutachten befasse sich nur unzureichend mit der aufzuklärenden Problematik. Verwertbare objektive Befunde seien nicht erhoben worden. Das Gutachten beschränke sich darauf, dass man sich aufgrund der Beobachtung während des stationären Aufenthalts von dem Vorliegen von Drehschwindelanfällen nicht habe überzeugen können und deshalb auch keine diesbezüglichen Beeinträchtigungen vorlägen. Damit könnten die Vorgutachten indes nicht widerlegt und auch nicht ernsthaft angezweifelt werden. Die Drehschwindelanfälle fielen zudem nicht in das Fachgebiet des Gutachters. Der Sachverhalt sei nur verkürzt dargestellt. Die Häufigkeit der Schwindelattacken sei nicht immer konstant. Die Häufigkeit wechsele immer wieder, auch kurzfristig. Die Anfälle träten zeitweise nur zwei- bis dreimal in der Woche, häufig aber auch täglich und darüber hinaus an mehreren Tagen auch zwei- bis dreimal täglich auf. Die Intensität der Anfälle habe seit Februar 2011 zugenommen. Insbesondere träten die Anfälle seither häufiger auch nachts auf. Die Auswirkungen seien auch im häuslichen Bereich stärker geworden, insbesondere bei der Benutzung von Treppen. Die Nachbarin der Klägerin könne hierüber Zeugnis ablegen. Die Klägerin leide dabei auch unter starker Angst, zu stürzen. Während des stationären Aufenthalts in G. seien tatsächlich keine Schwindelanfälle aufgetreten. Sie erkläre sich dies damit, dass sie sich in der behüteten Klinikatmosphäre absolut sicher und geborgen gefühlt habe.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Prof. Dr. H. mit der Erstattung eines hals-nasen-ohrenärztlichen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 15.04.2013 werden die Gesundheitsstörungen Surditas links, hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts, Tinnitus, der rechts gemessen werden könne, aber links deutlicher hervortrete, peripher bedingte Schwindelsymptomatik mit rezidivierenden Drehschwindelanfällen bei zentral ausreichender Kompensation und beidseitiges Gehörgangsexzem genannt. Durchführbar seien nur sitzende Tätigkeiten, sicherlich nicht mehr als drei Stunden am Tag, die wegen der Schwindelanfälle auch dann noch unterbrochen werden müssten. Tätigkeiten, die Anforderungen an die Kommunikation stellten, insbesondere Telefonkontakte oder Kontakt zu Kunden, seien wegen der ausgeprägten Kommunikationseinschränkungen praktisch nicht möglich, Arbeiten an Maschinen oder Arbeiten mit besonderem Gefährdungspotential seien komplett unmöglich. Das Führen von Fahrzeugen sei der Klägerin ebenfalls untersagt. Sie sei somit nicht in der Lage sechs Stunden oder mehr an fünf Tagen in der Woche leichte Tätigkeiten auszuüben. Derartige Tätigkeiten könnten höchstens drei Stunden ausgeübt werden, die wegen der Schwindelanfälle auch dann noch unterbrochen werden müssten. Ausschlaggebend seien die unvermittelt auftretenden Schwindelanfälle auf der Grundlage einer peripheren Vestibularisstörung. Eine nachhaltige Besserung sei nicht zu erwarten. Die Kommunikationsbeeinträchtigung könne durch eine Versorgung mit Implantaten verbessert werden. Die Befunde und Diagnosen deckten sich praktisch komplett mit denen, die Prof. Dr. H. erhoben habe. Dr. E. habe ähnliche Befunde erhoben und auch die sozialmedizinischen Unterlagen hätten diese massiv eingeschränkte Leistungsfähigkeit befundet. Lediglich Prof. W. gehe von einer vollen Leistungsfähigkeit aus und verneine komplett die Schwindelbeschwerden, was jedoch durch die hier erhobenen Befunde widerlegt werde.

Die Beklagte hat ausgeführt, dass sie das Gutachten von Prof. Dr. H. nicht für nachvollziehbar halte. Die Internistin und Sozialmedizinerin Dr. P. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten hat in der Stellungnahme vom 07.06.2013 ausgeführt, im Vergleich zum Gutachten von Prof. Dr. W. enthalte das Gutachten von Prof. Dr. H. erhebliche Widersprüche. Die Frequenz der Schwindelattacken sei unterschiedlich angegeben worden. Während des dreitägigen stationären Aufenthalts seien keine Schwindelattacken beobachtet worden. Auch ein sozialer Rückzug sei nicht erkennbar gewesen. Einen solchen führe aber Prof. Dr. H. an, in dem er schreibe, dass wegen der ausgeprägten Hörschwierigkeit eine maximale soziale Isolation bestünde. Hinsichtlich der Hörfähigkeit stelle auch der Gutachter fest, dass die Klägerin nicht optimal versorgt sei. Ein neues Hörgerät könne zu einer Verbesserung der Hörminderung führen. Soweit der Gutachter fordere, dass der Arbeitsplatz im Prinzip nur in Begleitung zu erreichen sei, werde darauf verwiesen, dass ein GdB von 70 allein noch nicht das Merkzeichen "G" oder "B" rechtfertige. Würde eine verbesserte Hörversorgung berücksichtigt, würden die Argumente ebenfalls entkräftet. Auch die Forderung nach regelmäßigen Pausen nach einer Stunde Arbeit sei nicht plausibel und führe unter Berücksichtigung der Verteilzeiten ohnehin nicht zur Betriebsunüblichkeit. Soweit der Gutachter das Führen eines Fahrzeuges untersage, werde darauf hingewiesen, dass die Klägerin gegenüber Prof. Dr. W. angegeben habe, kurze Strecken mit dem Auto zu fahren und Vorboten der Schwindelattacken zu spüren. Demgegenüber habe sie gegenüber Prof. Dr. H. angegeben, die Anfälle träten "aus heiterem Himmel" auf. Zudem ergebe sich aus der angegebenen Frequenz von zwei- bis dreimal pro Woche nur eine Wahrscheinlichkeit von 1,7 %, dass die Anfälle während der Arbeitszeit aufträten.

Prof. Dr. W. hat nach Aufforderung durch das LSG ergänzend zum Gutachten von Prof. Dr. H. Stellung genommen (Schreiben vom 16.08.2013). Die Verständigung mit der Klägerin sei in direktem Kontakt in ausreichendem Umfang möglich gewesen. Wenn der Sprecher nicht in ihrem Blickfeld sei und sie nicht von den Lippen ablesen könne, bestünden dagegen Verständigungsprobleme. Die Häufigkeit der Drehschwindelattacken sei nicht klar zu eruieren gewesen. Die geklagte Häufigkeit habe geschwankt zwischen zwei bis drei Mal pro Tag und ein bis zwei Mal pro Monat. Sie habe jedoch berichtet, dass sie es jeweils merke, wenn eine Attacke komme, weshalb sie sich noch nicht verletzt habe und sie sich in der Lage fühle, einen Pkw zumindest kurze Strecken zu führen. Soweit Prof. Dr. H. von Attacken zwei bis drei Mal pro Woche ausgehe, beruhe dies auf den subjektiven Angaben der Klägerin, die sich nicht beweisen ließen. Allein der Befund einer thermisch linksseitig geringen Erregbarkeit des Gleichgewichtsorgans sage hierzu nichts aus, da dies ein häufiger Befund nach einer einseitigen Schädigung des Gleichgewichtsorgans sei, und auch Prof. Dr. H. einräume, dass "ein guter Ausgleich durch zentrale Gleichgewichtsfunktionen" bestünde. Wie er dann zu seiner Leistungseinschätzung von bis zu drei Stunden gelange, erschließe sich nicht. Er liefere hierzu auch keine nähere Begründung. Immerhin werde auch von ihm eingeräumt, dass die Klägerin es "gerade" schaffe, einen Haushalt mit drei Kindern im Alter von 8, 11 und 14 Jahren zu bewerkstelligen, was sicherlich einen zeitlichen Umfang von drei Stunden täglich überschreite. Die beschriebene "maximale soziale Isolation" betreffe das psychiatrische Fachgebiet. Hier hätten sich jedoch keine Auffälligkeiten gefunden. Nicht nachvollziehbar sei auch das Erfordernis regelmäßiger betriebsunüblicher Pausen. Eine nähere Begründung werde nicht geliefert. Gleiches gelte für die Behauptung, der Arbeitsplatz sei nur in Begleitung erreichbar. Entsprechende Einschränkungen habe er nicht feststellen können. Unzutreffend sei, dass er "komplett" Schwindelbeschwerden verneine. Solche hätten sich nicht nachweisen lassen. Eine entsprechende Beweiserhebung sei aber gerade der Grund für die stationäre Begutachtung gewesen. Er habe sich daher nicht davon überzeugen können, dass relevant leistungseinschränkende Schwindelattacken gehäuft auftreten.

Die Klägerin hat hierauf erwidern lassen, im Gegensatz zur deutschlandweit anerkannten überragenden fachlichen Kompetenz des Prof. Dr. H. besitze der Ärztliche Dienst der Beklagten keine Fachkunde, da Dr. P. Internistin sei. Ihre Einwendungen seien nicht nachvollziehbar und laienhaft. Insbesondere könne nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin Auto fahre, auf eine Rentenansprüche ausschließende Leistungsfähigkeit geschlossen werden. Sie mache von dieser Möglichkeit nur in ausgesprochen eingeschränktem Umfang und äußerst vorsichtig Gebrauch. Sie benutze das Fahrzeug nur innerhalb des Wohnortes und dort maximal für Entfernungen bis zu einem Kilometer und mit äußerster Vorsicht. Ablenkende Tätigkeiten in ihrer Freizeit hätten therapeutische Gründe. Zudem hätte das vorübergehend ausgeübte Nordic Walking wieder aufgegeben werden müssen. Die Klägerin ziehe sich krankheitsbedingt immer mehr zurück und lebe weitestgehend isoliert. Die psychischen Belastungen hätten sich immer stärker ausgeprägt. Sie befinde sich in ständiger fachärztlicher Behandlung bei Dr. H ... Sie werde dort wegen ausgeprägter Angstzustände, Agoraphobie und erheblichen Schlafstörungen behandelt. Zur ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. W. ließ die Klägerin ausführen, die Mängel der Begutachtung hätten nicht ausgeräumt werden können. Für das im Vordergrund stehende otologische Fachgebiet fehle dem Gutachter die Fachkunde. Zudem liege der Umstand, dass Auffälligkeiten während des dreitägigen stationären Aufenthalts nicht gefunden wurden, daran, dass keine sorgfältige Beobachtung und Beschäftigung mit der Klägerin stattgefunden habe.

Prof. Dr. H. (Stellungnahme vom 19.11.2013) hat nach Aufforderung durch das LSG und Vorlage des Gutachtens von Prof. Dr. W. ergänzend ausgeführt, die von ihm erhobenen Befunde seien durch dezidierte Untersuchungen untermauert. Insbesondere sei die Schwindelsymptomatik durch die sog. vestibulär evozierten myogenen Potentiale, die links nicht ableitbar gewesen seien, und durch eine thermische Prüfung mit einem deutlichen Richtungsüberwiegen dokumentiert. Bei einer Frequenz von zwei bis drei Anfällen pro Woche hätte es während des Klinikaufenthalts bei Prof. Dr. W. nicht zwingend zu einem Schwindelanfall kommen müssen. Die Beeinträchtigung des Gleichgewichtsorgans sei durch neurootologische Diagnosen und Befunde untermauert. Die ausgeprägte Kommunikationsstörung führe zu einer weiteren Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Diese führe natürlich auch zu sozialen Isolationstendenzen, unabhängig von psychiatrischen Diagnosen.

Prof. Dr. H. hat nach Aufforderung durch das LSG zu den Gutachten von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. H. unter dem 23.01.2014 ergänzend ausgeführt, auch Prof. Dr. H. habe – wie er – eine periphere Vestibularisstörung diagnostiziert, allerdings auf der Gegenseite. Prof. Dr. W. habe keine neurootologischen Testverfahren angewendet. Aufgrund fehlender Tests könne in dem Gutachten von Prof. Dr. W. keine valide Aussage bezüglich des Defizits der Gleichgewichtsorgane getroffen werden. Wie dem Gutachten von Prof. Dr. H. zu entnehmen sei, habe die Klägerin noch zwei- bis dreimal pro Woche rezidivierende Schwindelbeschwerden, die ohne Ankündigung aufträten. Unstrittig sei die ausgeprägte Hörminderung. Daher sehe er die Klägerin nach wie vor in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt und bleibe bei seinen getroffenen Aussagen.

Die Beklagte hat durch ihren Ärztlichen Dienst ausführen lassen (Stellungnahme von Dr. P., Internistin, vom 07.03.2014), die von Prof. Dr. H. durchgeführten technischen Untersuchungsergebnisse erklärten keine dauerhafte quantitative Leistungsminderung. Wie der Gutachter selbst schreibe, sei durch entsprechende Hilfsmittel eine gute Hör-Rehabilitation möglich. Dass durch die hochgradige Schwerhörigkeit eine maximale Kommunikationsbeeinträchtigung bestünde, die zur sozialen Isolation führe und die psychische Situation deutlich beeinträchtige, sei mit den angegebenen Untersuchungsergebnissen nicht nachvollziehbar. Es könne selbst durch das Alltagsverhalten der Versicherten entsprechend widerlegt werden. Das vom Gutachter angesprochene selbständige und selbstbewusste Auftreten, das durch die Schwindelanfälle beeinträchtigt sei, sei nicht in jeder beruflichen Tätigkeit erforderlich. Dies könne bei der Arbeitsplatzwahl berücksichtigt werden. Auch auf das Führen eines Pkw komme es nicht an, da die Klägerin jedenfalls öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne. Das Erfordernis einer Begleitung sei nicht nachvollziehbar. Andernfalls müsste auch beim Krankheitsbild einer Epilepsie eine Begleitperson zu fordern sein. Auch ein Epileptiker, der mit plötzlichen Anfällen rechnen müsse, könne am Arbeitsleben ohne quantitative Einschränkung teilnehmen. Die geforderten regelmäßigen Pausen nach einer Stunde Arbeit widersprächen schließlich unter Berücksichtigung der persönlichen Verteilzeiten nicht den normalen Pausenzeiten.

Die Klägerin hat hierauf erwidern lassen, Dr. P. sei nach wie vor nicht in der Lage, otologische Befunde zu beurteilen. Fachlich begründete Einwände würden nicht erhoben. Soweit das Krankheitsbild der Epilepsie herangezogen werde, verbiete sich ein Vergleich mit den Beschwerden der Klägerin. Zudem lägen bei Epileptikern in vielen Fällen die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" vor. Im Ergebnis lägen aus beiden Instanzen Gutachten vor, die zutreffend das Leistungsvermögen der Klägerin dokumentieren. Dem allein gegenüber stünde die Beurteilung von Prof. Dr. W., dessen Gutachten – wie bereits dargelegt – nicht gefolgt werden könne.

Das LSG hat Dr. H., Neurologe, als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Dieser teilte unter dem 24.04.2014 mit, die Klägerin befinde sich seit April 2008 in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung. Neben der bilateralen chochleären Schädigung mit Hörminderung habe er einen Lagerungsschwindel und eine somatoform geprägte, ängstlich agitiert gefärbte Depression diagnostiziert. Sie werde medikamentös behandelt. Trotz der Therapie sei es nur zu einer unwesentlichen Besserung der Beschwerdesymptomatik gekommen. Aufgrund der Hörminderung und der rezidivierend auftretenden Panikattacken sei die Klägerin stark eingeschränkt. Aufgrund einer zusätzlich bestehenden mittelgradigen Depression komme es zu einer Aggravierung des gesundheitlichen Zustandes, so dass auch leichte Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden nicht mehr verrichtet werden könnten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 02.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 02.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2008. Nachdem nur die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.12.2009 eingelegt hat, ist der Prüfungsumfang im Berufungsverfahren beschränkt auf einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.08.2007 bis 31.12.2010.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Gerichts- und Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben.

Die Klägerin leidet an einer Taubheit links, einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts, einem Tinnitus beidseitig, einem beidseitigen Gehörgangsexzem und einer vestibulären Schwindelsymptomatik mit rezidivierenden Drehschwindelanfällen bei zentral ausreichender Kompensation. Dies entnimmt der Senat den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten. Ob die Schwindelbeschwerden auf die Neuroborreliose zurückzuführen ist, kann dahin gestellt bleiben. Die Ursache der Erkrankung ist für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit nicht relevant. Der Senat ist aber überzeugt, dass die Schwindelsymptomatik eine organische Ursache hat und mit dem Vestibularorgan zusammenhängt. Dies haben beide hals-nasen-ohrenärztliche Begutachtungen auf Grundlage fachspezifischer Untersuchungen ergeben. Vom Vorliegen eines Morbus Menière ist der Senat dagegen nicht überzeugt. Die teilweise auch nur auf einen Verdacht gründende Auffassung des nervenfachärztlichen Gutachters im SG-Verfahren Dr. E. ist vereinzelt geblieben und konnte von den hals-nasen-ohrenärztlichen Gutachtern nicht bestätigt werden. Vom Vorliegen einer Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet, insbesondere einer Depression in relevantem Ausmaß, ist der Senat ebenfalls nicht überzeugt. Der behandelnde Neurologe hat zwar auf Befragung durch das Gericht angegeben, die Klägerin seit 2008 wegen einer mittelgradigen Depression (ängstlich agitiert) medikamentös zu behandeln. Nachdem es im Laufe der Behandlung zu einer – wenn auch unwesentlichen – Verbesserung gekommen ist, lag der beschriebene Zustand in jedenfalls unvermindertem Ausmaß auch schon im Zeitpunkt der stationären Begutachtung durch den Nervenarzt Prof. Dr. W. vor. Dieser konnte aber eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet nicht feststellen. Vor dem Hintergrund der mitgeteilten Befunde, ist dies für den Senat schlüssig und nachvollziehbar. Die Stimmungslage der Klägerin war ausgeglichen bei gut erhaltener Schwingungsfähigkeit. Der Antrieb wird als normal beschrieben. Anzeichen für einen sozialen Rückzug fand der Gutachter nicht. Sie hatte ihm gegenüber angegeben, sich mit Unterstützung ihrer Familie um den Haushalt und um ihre drei minderjährigen Kinder zu kümmern. Wegen der Kinder lege sie innerhalb des Ortes kurze Strecken mit dem Auto zurück. Alle zwei Wochen gehe sie für 30 Minuten zum "Nordic walking". Im Klinikalltag zeigte sich die Klägerin darüber hinaus auf der Station integriert und unterhielt sich mit dem Personal und anderen Patienten. Insgesamt kommt Prof. Dr. W. deshalb nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass eine relevante Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet nicht vorliegt. Eine wesentliche Verschlechterung seit dieser Begutachtung geht aus dem Bericht von Dr. H. nicht hervor, weshalb der Senat eine erneute nervenfachärztliche Begutachtung oder ergänzende Befragung von Prof. Dr. W. nicht für erforderlich hielt.

Aufgrund dieser Erkrankungen sind qualitative Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung des Hörvermögens, Tätigkeiten, die das Wahrnehmen von Warnsignalen erfordern, Tätigkeiten mit Kundenkontakt, mit Absturzgefahr, an gefährdenden, ungeschützten Maschinen und Tätigkeiten mit besonderem Zeitdruck und Belastung nicht zumutbar. Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin jedoch unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen in der Lage, jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der Senat stützt sich dabei auf die Gutachten von Prof. Dr. W. und Dr. G ...

Allein die Taubheit links und hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts sowie die damit zusammenhängenden Kommunikationsschwierigkeiten bedingen keine quantitativen Leistungseinschränkungen. Den Beeinträchtigungen kann hinreichend mit den genannten qualitativen Einschränkungen begegnet werden. Demgemäß sieht keiner der Gutachter hierin allein eine zeitliche Limitierung der Erwerbsfähigkeit. Darüber hinaus besteht nach den Ausführungen des hals-nasen-ohrenärztlichen Gutachters Prof. Dr. H. die Möglichkeit, das Hörvermögen der Klägerin durch hochwertigere Hörgeräte zu verbessern.

Auch in Zusammenschau mit der Schwindelerkrankung der Klägerin kann vorliegend keine rentenrelevante Erwerbsminderung angenommen werden. Grundsätzlich führen Schwindelattacken lediglich zu qualitativen Einschränkungen in Bezug auf Tätigkeiten mit Absturzgefahr (vgl. BSG Urt. v. 19.08.1997 – 13 RJ 73/93, juris). Darüber hinaus sind Feststellungen der beruflichen Leistungsfähigkeit bei einer Schwindelerkrankung nur anhand von Art und Schwere der Attacken und insbesondere ihrer Häufigkeit nachvollziehbar. Allein die Diagnose genügt nicht. Ganz entscheidend kommt es darauf an, wie oft der Schwindel auftritt, in welcher Form, zu welcher Tageszeit, wie lange er andauert und welche Begleiterscheinungen auftreten (vgl. zur Epilepsie BSG Urt. v. 12.12.2006 – B 13 R 27/06 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 10). Erst ab einer relevanten Häufigkeit und Schwere von Schwindelanfällen während üblicher Arbeitszeiten kann auf eine zeitliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit geschlossen werden. Treten die Anfälle etwa nur an wenigen Tagen im Monat auf, ist lediglich von einer zeitweisen Arbeitsunfähigkeit, nicht jedoch von einer Erwerbsminderung auszugehen. Zur Feststellung der genannten Tatsachen ist auf ärztliche Dokumentationen und indirekte Beweisanzeichen (z.B. Alltagsverhalten) zurückzugreifen, insbesondere dann, wenn die eigenen Angaben des Versicherten gegenüber den Gutachtern widersprüchlich sind. So verhält es sich vorliegend. Die Klägerin hat gegenüber den Gutachtern hinsichtlich Ausmaß und Häufigkeit der Schwindelattacken höchst unterschiedliche Angaben gemacht. Während sie gegenüber Dr. G. im Jahr 2007 angab, etwa alle 10 Tage für etwa ein bis zwei Stunden Schwindel auch mit Übelkeit und Erbrechen zu verspüren, gab sie gegenüber Dr. E. im Jahr 2008 an, nahezu jeden Tag plötzliche Attacken zu erleiden. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. H. im Jahr 2010 erklärte sie ab dem Jahr 2000 seien die Anfälle alle zwei Tage aufgetreten, "mittlerweile" träten sie jeden Tag für wenige Sekunden auf. Einmal pro Monat erleide sie heftige Schwindelattacken mit Übelkeit und Erbrechen. Gegenüber Prof. Dr. Widder gab sie im Jahr 2011 an, es sei seit Februar 2011 zu einer Verschlechterung hinsichtlich der Häufigkeit gekommen. Sie habe jetzt ein- bis zweimal pro Woche eine Schwindelattacke. Der Schwindel halte für ein bis zwei Stunden an und sei begleitet von Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Die Anfälle kündigten sich einige Sekunden vorher an, weshalb beim Autofahren noch nichts passiert sei. Im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. H. im Jahr 2013 gab sie dann ebenfalls Schwindelattacken zwei- bis dreimal pro Woche an, die allerdings "aus heiterem Himmel" aufträten.

Vor dem Hintergrund dieser unsteten Angaben gegenüber den Gutachtern – ohne hierfür nachvollziehbare, gegenüber den Gutachtern abgegebene Erklärung – ist der Senat allein aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin nicht vom Vorliegen von Schwindelerscheinungen in relevantem Ausmaß und relevanter Häufigkeit überzeugt, zumal auch während des dreitägigen stationären Aufenthalts bei Prof. Dr. W. keine Schwindelattacke auftrat. Auffällig ist, dass kein einziger Drehschwindelanfall ärztlich beobachtet wurde und auch - obwohl teilweise bis zu zwei Stunden dauernd - niemals ein Arzt herbeigerufen wurde oder die Klägerin zumindest zeitnah sofort nach einer Drehschwindelattacke einen Arzt aufgesucht hat. Dies ruft weitere Zweifel an der vorgetragenen Schwere der Erkrankung hervor. Hinzu kommt, dass die Klägerin lediglich einen (hinsichtlich der hno-ärztlich bedingten Schwindelanfälle fachfremd behandelnden) Neurologen konsultiert hat, der seinerseits keine Notwendigkeit gesehen hat, einen HNO-Arzt heranzuziehen. Der Umstand, dass während des hier streitigen Zeitraums eine gezielte fachärztliche Behandlung der Drehschwindelattacken nicht erfolgt ist, lässt wiederum auf einen eher geringen Leidensdruck schließen, was weitere Zweifel am Vorliegen einer Erwerbsminderung hervorrufenden Krankheit begründet.

Es sind darüber hinaus keine Folgeereignisse in Form von Unfällen dokumentiert, die mittelbar Rückschlüsse auf die Schwere des Schwindels zuließen. Die hinzugezogenen Sachverständigen haben auch nicht leistungseinschränkende Auswirkungen der Drehschwindelanfälle im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nach deren Abklingen beschrieben, wie dies beispielsweise bei epileptischen Anfällen häufig der Fall ist. Auch aus der gegenüber den Gutachtern geschilderten Alltagsgestaltung der Klägerin können keine derart schweren Beeinträchtigungen abgleitet werden, dass die regelmäßige Teilnahme am Erwerbsleben im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich ausgeschlossen erscheint. Sie hat gegenüber allen Gutachtern angegeben, dass sie nach wie vor den Haushalt und die Betreuung der drei Kinder bewältigt – wenn auch mit Einschränkungen ("schaffe es gerade, den Haushalt zu bewerkstelligen", "gelegentlich mit Unterstützung der Kinder und des Ehemanns", "führe den Haushalt noch weitestgehend selbst").

Darüber hinaus nimmt die Klägerin nach wie vor am Straßenverkehr teil. Trotz damit einhergehender Eigen- und Fremdgefährdung (auch für ihre Kinder), scheint sie ihre Erkrankung soweit im Griff zu haben, dass sie es sich zutraut, Auto zu fahren. Schließlich fehlen psychische Beeinträchtigungen relevanten Ausmaßes (s.o.), die Hinweise auf das Ausmaß der Belastungen durch den Schwindel liefern könnten. Die Klägerin ist aufgrund ihrer Situation nicht in schwere Depressionen verfallen. Rückzugstendenzen im psychiatrischen Sinne liegen nicht vor, eine fachärztlich psychiatrische Behandlung ist nicht erfolgt und auch vom behandelnden Neurologen nicht veranlasst worden. Insgesamt ist der Senat somit nicht vom Vorliegen derart häufiger und/oder schwerer Schwindelattacken überzeugt, dass eine quantitative Leistungseinschränkung angenommen werden könnte.

Vor diesem Hintergrund überzeugen die Leistungseinschätzungen der Gutachter Dr. E., Prof. Dr. H. und Prof. Dr. H. den Senat nicht. Sie stützen ihre Einschätzung der Leistungsfähigkeit allein auf die Angaben der Klägerin, ohne diese zu hinterfragen. Dies aber wäre aufgrund der Angaben zur Alltagsgestaltung und der im Verlauf variierenden Äußerungen zu Schwere und Häufigkeit der Attacken erforderlich gewesen.

Die Einwendungen der Klägerin gegen die Gutachten von Dr. G. und Prof. Dr. W. sind demgegenüber nicht begründet. Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit bei einer Schwindelerkrankung ist es nicht erforderlich, dass der Gutachter Hals-Nasen-Ohrenarzt ist. Ein entsprechender Facharzt ist notwendig für die diagnostische Abklärung, ob die Ursache des Schwindels auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet liegt, sowie für die nachfolgende Behandlung. Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sind die oben genannten Kriterien maßgeblich, die auch ein Sozialmediziner wie Dr. G. und ein auf dem Gebiet der Sozialmedizin tätiger Nervenarzt wie Prof. Dr. W. beurteilen können. Dass sich der Gutachter Prof. Dr. W. dabei darauf stützt, dass während des stationären Aufenthalts kein Schwindelanfall auftrat, ist vor dem Hintergrund der von ihm erkannten Widersprüchlichkeit der Angaben der Klägerin nachvollziehbar.

Der für die Klägerin noch in Betracht kommende Arbeitsmarkt ist auch nicht verschlossen. Die qualitativen Leistungseinschränkungen führen weder im Einzelnen noch in ihrer Gesamtheit zur Annahme eines verschlossenen Arbeitsmarktes.

Ob die Ertaubung links und hochgradige Schwerhörigkeit rechts als schwere spezifische Leistungseinschränkung einzustufen ist (bei an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit etwa bejahend LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 12.10.2011 – L 3 R 403/08, juris), kann hier dahin gestellt bleiben. Nach der Rechtsprechung des BSG ist unter Beachtung der konkreten Umstände des Einzelfalles eine solche dann anzunehmen, wenn eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungstätigkeiten versperren würde (Urt. v. 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1; Urt. v. 23.05.2006 - B 13 RJ 38/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 9). In diesem Fall wäre eine Benennung von konkreten Verweisungstätigkeiten durch die Beklagte erforderlich. Die Beklagte hat (vorsorglich) solche Tätigkeiten benannt. Die Klägerin kann die benannten Verweisungstätigkeiten trotz der gesundheitlichen Einschränkungen ausüben. Bei den benannten Zureich-, Abnehm-, Montier-, Klebe-, Sortier-, Verpackungs- und/oder Etikettierarbeiten können die festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin angemessen berücksichtigt werden, besondere Anforderungen an Kommunikations- und Hörvermögen bestehen hierbei nicht. Derartige Tätigkeiten erforderten kein Heben oder Tragen von mehr als 5 bis 6 kg, sind in der Regel in überwiegend sitzender Arbeitsposition, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Stressbelastung ausführbar und werden in geschlossenen, wohl temperierten Räumen ausgeübt (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 30.04.2003 – L 3 RJ 455/00). Auch kommen diese Tätigkeiten nicht nur vereinzelt auf dem Arbeitsmarkt vor.

Soweit Prof. Dr. H. die – nicht näher begründete – Notwendigkeit regelmäßiger Pausen nach einer Stunde Arbeit sieht, widerspräche dies unter Berücksichtigung der persönlichen Verteilzeiten nicht den normalen Pausenzeiten. Nach § 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) steht Beschäftigten mit einer Tätigkeit von mehr als sechs Stunden täglich eine Ruhepause von 30 Minuten bzw. zweimal 15 Minuten zu. Neben den betriebsüblichen Pausen werden den Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch so genannte Verteilzeiten zugestanden für z.B. den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte u.s.w. (vgl. LSG Bayern Urt. v. 23.07.2009 – L 14 R 311/06, juris-Rn. 87). Im Übrigen ist zu beachten, dass Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden bspw. im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen gelten (vgl. LSG Baden-Württemberg Urt. v. 20.03.2007 – L 11 R 684/06, juris, m.w.N.).

Schließlich ist die Gehfähigkeit der Klägerin nicht eingeschränkt. Die Wegefähigkeit ist u.a. gegeben, wenn eine Gehstrecke von 500 m innerhalb von 20 Minuten zurückgelegt und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzt werden können (BSG Urt. v. 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; Urt. v. 19.11.1997 – 5 RJ 16/97, SozR 3-2600 § 44 Nr. 10; Urt. v. 30.01.2002 – B 5 RJ 36/01 R, juris). Die Klägerin ist hierzu noch in der Lage. Gründe, die dagegen sprächen, liegen nicht vor. Insbesondere liegen keine Erkrankungen des Bewegungsapparats, speziell der Beine, vor. Auch die Schwindelerkrankung steht der Zurücklegung der erforderlichen Wegstrecke zur Überzeugung des Senats nicht entgegen. Es ist nicht erwiesen, dass die Klägerin das Haus gar nicht oder nur in Begleitung verlassen kann. Nachdem sie sich offenbar noch zutraut, jedenfalls kurze Strecken mit dem Kraftfahrzeug zurückzulegen, scheint sie die Auswirkungen der Schwindelattacken soweit beherrschen zu können, dass sie sogar am Straßenverkehr teilnimmt. Damit aber sind keine Gründe für eine ständige Begleitung ersichtlich, zumal eine Anerkennung des Merkzeichens "B" (und auch "G") nicht vorliegt. Diese Merkzeichen können als solche zwar für die Beurteilung der Wegefähigkeit im Rentenrecht nicht von vornherein bindend sein. Sie können aber Hinweise auf die Zumutbarkeit von Arbeitswegen geben (BSG Urt. v. 12.12.2006 – B 13 R 27/06 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 10). Für die Anerkennung des Merkzeichens "B" liegen auch nicht die Voraussetzungen vor. Nach Nr. 32 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008 ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung anzunehmen, bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und den in Nr. 30 Abs. 4 und 5 der Anhaltspunkte genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Keiner der genannten Fälle liegt vor. Anfallskranke nach Nr. 30 Abs. 4 sind hirnorganisch geschädigte Menschen (z.B. Epileptiker). Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans werden nicht aufgeführt. Eine Analogie ist nur für Diabetiker vorgesehen. Bei Hörminderungen wird das Merkzeichen "B" nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter oder im Erwachsenenalter, wenn erhebliche Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) vorliegen, anerkannt (Nr. 30 Abs. 5 der Anhaltspunkte). Dies ist nicht der Fall. Eine ständige Begleitung ist somit nach versorgungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht erforderlich. Insgesamt ist der Senat mithin nicht vom Vorliegen relevanter Beeinträchtigungen der Wegefähigkeit überzeugt. Bestätigt wird dies im Ergebnis von dem Gutachter Prof. Dr. W. und dem Ärztlichen Dienst der Beklagten (Stellungnahme vom 07.06.2013). Soweit Prof. Dr. H. die Auffassung vertritt, die Klägerin könne einen Arbeitsplatz nicht selbständig und nur in Begleitung erreichen, wird hierfür keine Begründung geliefert.

Dem Senat drängen sich angesichts der vorliegenden Gutachten und Arztberichte weitere Ermittlungen nicht auf. Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Die vorhandenen Gutachten bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung. Der Senat sah insbesondere keine Veranlassung, die in dem Hilfsantrag Ziff 1 genannte Zeugin zu vernehmen. Bezüglich dieses Hilfsantrags auf Vernehmung der Nachbarin A. G. kann als wahr unterstellt werden, dass die Nachbarin der Klägerin diese innerhalb des Jahres 2011 mehrfach in bewegungsunfähiger Verfassung auf dem Bett liegend mit stark ausgeprägtem Angstzustand vorgefunden hat. Die Nachbarin kann aber als medizinischer Laie nicht angeben - und darauf kommt es entscheidend an - aus welcher medizinischen Ursache die Klägerin kreideweiß, schwitzend und zitternd im Bett gelegen hat. Sie kann allenfalls das sagen, was ihr die Klägerin selbst zur Ursache ihres Befindens angeben hat. Die Klägerin selbst hat diesen Zuständen aber später keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, denn sonst hätte sie diese zumindest dem zeitlich später sie untersuchenden Sachverständigen Prof. Dr. H. mitgeteilt, was jedoch nicht der Fall war. Befremdlich ist für den Senat allerdings, dass die Nachbarin keinen Arzt herbeigerufen hat. Insgesamt kann durch die Vernehmung der Nachbarin der Beweis einer derart gehäuften Frequenz von Schwindelanfällen, dass die Erwerbsfähigkeit quantitativ eingeschränkt wird, nicht geführt werden.

Auch die hilfsweise gestellten Anträge des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Prof. Dr. H. und Prof. Dr. H. sowie Prof. Dr. W. zur Erläuterung ihrer Gutachten in die mündliche Verhandlung zu laden, waren abzulehnen.

Das Gericht kann gemäß § 202 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO das Erscheinen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Die Beteiligten haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen (§ 202 SGG i.V.m. § 411 Abs. 4 ZPO). Jedem Beteiligten steht das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (§ 116 Satz 2 SGG); dies soll es dem Antragsteller ermöglichen, im Rahmen des Beweisthemas aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können (vgl. BSG Beschl. v. 17.04.2012 – B 13 R 355/11 B m.w.N.). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann (BSG Beschl. v. 17.04.2012 – B 13 R 355/11 B, juris-Rn. 11). Im Rahmen des Fragerechts nach § 116 Satz 2 SGG bzw. § 411 Abs. 4 ZPO müssen zwar keine Fragen formuliert werden, aber die erläuterungsbedürftigen Punkte müssen konkret bezeichnet werden, indem etwa bestimmte Lücken oder Widersprüche bezeichnet oder herausgearbeitet werden (vgl. BSG Urt. v. 12.04.2000 – B 9 VS 2/99 R, SozR 3-1750 § 411 Nr. 1). Abgelehnt werden kann ein solcher Antrag prozessordnungsgemäß nur dann, wenn er rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird, wenn die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen nicht hinreichend genau benannt oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl. BVerfG vom 29.08.1995 – 2 BvR 175/95, NJW-RR 1996, 183, juris-Rn. 29 m.w.N.).

Die Anträge sind unter Anwendung der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung als rechtsmissbräuchlich zu erachten. Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin keine hinreichend bestimmten oder bestimmbaren Fragen formuliert. Dass die Gutachten im Ganzen oder in Teilen unverständlich wären und ohne ergänzende mündliche Erklärung des Autors unverständlich bleiben würden, wurde auch vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht behauptet. Es wurde aber auch nicht aufgezeigt, zu welchen Punkten im Einzelnen die Sachverständigen befragt werden sollen, welche Passagen ihrer Gutachten also unklar oder erklärungsbedürftig sind und/oder Anlass zu Missverständnissen bieten. Hierzu hätte um so mehr Grund bestanden, weil Prof. Dr. W., Prof. Dr. H. und Prof. Dr. H. jeweils die beiden anderen Gutachten mit den von der eigenen Beurteilung abweichenden Befunderhebungen und Bewertungen zur Kenntnis gebracht wurden und die Sachverständigen Gelegenheit gehabt und diese auch wahrgenommen haben, zu den abweichenden Befunderhebungen und Schlussfolgerungen der anderen Sachverständigen Stellung zu nehmen. Alle drei Sachverständigen haben sich entsprechend der ihnen aufgetragenen Fragestellung des Senats mit der Frage der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin eingehend auseinandergesetzt. Insgesamt ist somit nicht zu erkennen, in welchen Bereichen neue Erkenntnisse durch die mündliche Befragung der Sachverständigen zu gewinnen wären, weswegen der Senat den in der mündlichen Verhandlung abschließend gestellten Hilfsanträgen nicht zu entsprechen brauchte.

Die Berufung der Beklagten hatte deshalb Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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