S 26 (10) KA 4/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
26
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (10) KA 4/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen in den Quartalen 2/99 und 3/99.

Die Kläger betreiben eine orthopädische Gemeinschaftspraxis in M und nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Streitgegenstand ist der Beschluss des Beklagten vom 21.10.2000. Dieser Beschluss enthält folgende Honorarkürzungen:

Horizontalvergleich
GNR Maßnahme % / RE Überschreitung vor Kürzung % Überschreitung nach Kürzung % Anwenderhäufigkeit %
Quartal 2/99
5 41,67/862,57 200 75 82
Quartal 3/99
5 41,67/862,57 200 75 76

Zur Begründung führte der Beklagte aus, er schließe sich der Auffassung des Prüfungsausschusses an, der die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei einer einzelnen Leistungsziffer bei +50 % festgelegt habe. Die Kläger hätten zur Widerspruchsbegründung lediglich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Gebührennummer 5 um eine nicht kürzungsfähige Zuschlagsziffer handele. Medizinische Gründe für die Behandlungsnotwendigkeit seien nicht geltend gemacht worden. Inwiefern es sich bei der Gebührennummer 5 abweichend zu anderen Leistungen um eine nicht kürzungsfähige Ziffer handele, erschließe sich dem Beklagten nicht Die Leistung nach der Gebührennummer 5 unterliege durchaus dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Es sei ohne Einschränkungen zulässig, wenn die Prüfgremien auch diese Leistung auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Erbringung überprüften. Anhand der zur Prüfung zur Verfügung gestellten Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass sich die zufällige Zusammensetzung der Klientel der klägerischen Praxis nennenswert von der Vergleichsgruppe unterscheide. Der Rentneranteil sei unterdurchschnittlich was gegen eine spezielle Häufung besonders schwerer und/oder kostenintensiver Behandlungsfälle spreche, die möglicherweise für den vermehrten Ansatz der Gebührennummer 5 ursächlich sein könnten. Minderaufwendungen in anderen Bereich seien zwar durchaus vorhanden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den günstigen Werten der Ursachen- und Kostenstatistik sowie der Verordnungsstatistiken (Arznei sowie veranlasste physikalisch-medizinische Leistungen) und den betriebenen Mehraufwand bei der Gebührennummer 5 sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Zu den im Rahmen der Gesamtwirtschaftlichkeit zu reflektierenden Gesamthonoraranforderungen sei zu bemerken, dass die Kläger hier ganz erhebliche Überschreitungen (in 2/99: +129 %; in 3/99: +151 %) aufwiesen. Ein Ausgleichspotential stehe daher nicht zur Verfügung. Die verbliebenen Mehraufwendungen von jeweils +75 % lägen nach wie vor deutlich im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses, so dass sich eingehendere Begründungen zu den Kürzungsumfängen erübrigten.

Gegen den am 22.02.2001 zugestellten Beschluss des Beklagten richtet sich die am 28.02.2001 erhobene Klage. Zur Begründung tragen die Kläger vor, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil eine Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf die Gebührennummer 5 schon nach deren Inhalt ausgeschlossen sei und darüber hinaus keine statistische Vergleichbarkeit bestehe. Die Kläger hätten keine Möglichkeit, Patienten, die zur Unzeit kämen, abzuweisen. Folgerichtig habe der von dem Beklagten hinzugezogene Referent festgestellt, dass die Behandlungen vorzugsweise bei akuten oder subakuten, schmerzhaften Erkrankungen des Bewegungsapparates erfolgt seien. Auf schwere oder kosten intensive Behandlungsfälle oder auf Minderaufwendungen in anderen Bereichen der Praxis komme es nicht an. Selbst wenn bei der Zuschlagsziffer Gebührennummer 5 eine Prüfung nach dem Horizontalvergleich möglich wäre, stehe dieser Prüfung entgegen, dass die Gebührennummer 5 nur von wenigen Fachkollegen abgerechnet werde. Sogenannte Nullfälle seien aber nicht zu berücksichtigen.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Beschlusses vom 21.10.2000 zu verurteilen, über ihre Widersprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 3) 6) bis 8) beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte und die antragstellenden Beigeladenen halten den angefochtenen Beschluss für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 21.10.2000 erweist sich als rechtmäßig.

Er findet seine gesetzliche Grundlage in § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), wonach die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch die arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten erfolgt Bei dieser Wirtschaftlichkeitsprüfung werden die Abrechnungswerte des Arztes mit denjenigen der Fachgruppe verglichen. Der Gesetzgeber hat in der genannten Vorschrift die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerlässliche Annahme gebilligt, dass die Gesamtheit aller Ärzte im Durchschnitt gesehen wirtschaftlich behandelt, jedenfalls das Maß des Notwendigen und Zweckmäßigen nicht unterschreitet, und dass deshalb der durchschnittliche Behandlungsaufwand einer Arztgruppe grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist.

Eine Unwirtschaftlichkeit ist anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, dass sich die Mehrkosten nicht mehr durch die Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Missverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemein verbindlichen Festlegung. Die statistische Betrachtung macht jedoch nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung aus. Sie wird durch eine sog. intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte, wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten, in Rechnung zu stellen sind. Kostenerhöhende Praxisbesonderheiten, die bekannt oder anhand von Behandlungsausweisen oder Angaben des Arztes erkennbar sind, müssen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichung eine verlässliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise treffen lässt (BSG. Urteil vom 09.03.1994. BSGE 74, 70 ff.; BSG, Urteil vom 18.06.1997, Az.: 6 RKa 52/96; Engelhard in: Hauck/Haines, SGB V, Stand: 2/99, § 106 Rdnr. 133 ff. m.w.Nw.).

In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist anerkannt, dass den Prüfgremien insbesondere bei der Wahl der im Einzelfall geeigneten Prüfmethode, der Auswahl der Vergleichsgruppe, der Festlegung des für das offensichtliche Missverhältnis maßgeblichen Grenzwertes und bei der Feststellung und Schätzung des Umfangs des unwirtschaftlichen Mehraufwandes ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist. Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich somit darauf, ob das, Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass die Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Damit beschränkt sich die Überprüfung von Beschlüssen des Beklagten letztlich auf ihre Vertretbarkeit (BSG, Urteil vom 15.11.1995, Az.: 6 RKa 4/95; Engelhard in: Hauck/Haines, SGB V, § 106 Rdnr. 295 ff. mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen).

Als Korrektiv zu diesen den Prüfgremien zugestandenen weitgehenden Entscheidungsspielräumen kommt der Begründungspflicht nach § 35 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) eine besondere Bedeutung zu. Die Beschlüsse des Beklagten müssen Angaben zu der gewählten Prüfmethode, zu der Vergleichsgruppenbildung, zu dem Gesamtfallwert, zu den Fallkosten und der Fallkostendifferenz bei gekürzten Sparten oder Leistungspositionen sowie nähere Ausführungen zum Vorliegen von Praxisbesonderheiten und ihren Auswirkungen und zu etwaigen kompensatorischen Einsparungen enthalten (BSG, Urteil vom 09.03.1994, Az.: 6 RKa 17/92; BSG, Urteil vom 09.03.1994. BSGE 74. 70. 74 f.). Dabei reicht es aus, wenn dem betroffenen Arzt die Gründe der Entscheidung in einer solchen Weise bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann. Der Beklagte kann davon ausgehen, dass sich seine Bescheide an einen sachkundigen Personenkreis richten, der mit den Leistungs- und Abrechnungsvoraussetzungen vertraut ist und zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der wirtschaftlichen Praxisführung und der Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen unter Wahrung des Gebots der Wirtschaftlichkeit Bescheid zu wissen. Dies erlaubt es ihm, entsprechende Kenntnisse vorauszusetzen und die Begründung seiner Bescheide hierauf einzustellen (BSG, Urteil vom 09.03.1994, Az.: 6 RKa 16/92).

Bei Anwendung dieser Prüfungsmaßstäbe ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat in dem angefochtenen Beschluss darauf abgestellt, die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung nach der Gebührennummer 5 nach der Prüfmethode des statistischen Fallkostenvergleiches zu prüfen und im Rahmen des Einzelleistungsvergleichs rechtsfehlerfrei die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei einer Überschreitung des Fachgruppenwertes um 50 % zugrunde gelegt. Hierbei ist entgegen der Darstellung der Kläger in ihrer Klagebegründung zu berücksichtigen, dass es sich um fachgruppentypische Leistungen mit hohen Anwenderfrequenzen handelt (Quartal 2/99: 82 %; Quartal 3/99: 76 %). Die von dem Beklagten im Rahmen des Horizontalvergleiches festgestellten Abrechnungswerte der Kläger bei der Gebührennummer 5 stehen in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe. Es liegt ein Ausmaß an Überschreitungen vor, bei dem sich der betriebene Mehraufwand nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt. Es ist den Klägern nicht gelungen, den damit erbrachten Beweis des ersten Anscheins der Unwirtschaftlichkeit ihres Verhaltens durch die Geltendmachung von Praxisbesonderheiten und/oder kompensatorischen Minderaufwendungen in anderen Leistungsbereichen zu widerlegen.

Die Darlegungs- und Beweislast für derartige Einwendungen liegt bei den Vertragsärzten. Es genügt dabei nicht, dass die Ärzte Tatsachen, aus denen sich der atypische Verlauf ergeben soll, lediglich behaupten; diese Tatsachen müssen vielmehr anhand eines substantiierten Vertrages gegenüber dem Beklagten bewiesen werden (BSG, Urteil vom 27.06.1996, Az.: 6 RKa 56/95). Hieran fehlt es vorliegend. Die Kläger machen mit ihrer Klagebegründung auch deutlich, dass sie die Darlegung von Praxisbesonderheiten und/oder kompensatorischen Minderaufwendungen in anderen Leistungsbereichen für entbehrlich halten. Sie stützen ihre Klage vielmehr auf das Argument, dass die "Unzeitgebühr" der Gebührennummer 5 EBM einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht zugänglich sei. Diesem Argument vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Vielmehr ist der Beklagte gemäß § 106 SGB V verpflichtet. sämtliche vertragsärztlichen Leistungen des EBM auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Erbringung zu überprüfen. Die zusätzliche, nicht budgetierte Gebühr für die Inanspruchnahme des Arztes zwischen 20.00 Uhr und 8.00 Uhr sowie für Besuche, Visiten und Notfallbehandlungen an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen unterliegt ebenso dem Gebot der Wirtschaftlichkeit des § 12 SGB V wie andere vertragsärztliche Leistungen. Die von den Klägern an den Tag gelegte Überschreitung der Ansatzhäufigkeit vor Kürzung um 200 % gegenüber der Fachgruppe lässt sich nur durch Unwirtschaftlichkeiten in der Leistungserbringung oder durch das Vorhandensein von Praxisbesonderheiten erklären. Soweit die Kläger vortragen, sie könnten Patienten außerhalb der Sprechzeiten nicht abweisen, entlastet sie dies nicht. Als Vertragsärzte haben sie bei jeder ambulanten ärztlichen Leistung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes darüber zu entscheiden, ob die von ihnen vorgesehene oder die von Patienten gewünschte Behandlung medizinisch notwendig ist. Dabei sind preisgünstigere Alternativen, hier die Behandlung zur regulären Sprechstundenzeit, in Betracht zu ziehen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen und dürfen Ärzte nicht bewirken (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Von daher haben dre Kläger Behandlungswünsche ihrer Patienten zur "Unzeit", die diesen Anforderungen nicht genügen, zurückzuweisen. Sie dürfen Patienten auch nicht für zuschlagspflichtige Zeiten einbestellen. Die Orientierung des Vertragsarztes an Aspekten der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung (z.B. Service für Berufstätige. Vermeidung der Inanspruchnahme des Notfalldienstes) entbindet ihn nicht von der Pflicht zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes in der vertragsärztlichen Versorgung.

Maßgeblich ist damit für den Ansatz der Gebührennummer 5 ebenso wie bei anderen Leistungspositionen allein der medizinische Bedarf des Klientel der Kläger. Da die Kläger insoweit keine Besonderheiten ihrer Praxis vortragen und der Beklagte in dem angefochtenen Beschluss auch keine für Orthopäden untypische Häufung besonders schwerer und/oder kostenintensiver Behandlungsfälle ( z.B. ambulante Operationen mit Nachsorgenotwendigkeiten zur "Unzeit") ausgemacht hat, rechtfertigt die statistisch überhöhte Ansatzhäufigkeit der Gebührennummer 5 die streitigen Honorarkürzungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf§ 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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