Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 240/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und aG streitig.
Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 10.04.2012 bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger aufgrund Herzleistungsminderung, Bluthochdruck, Funktionseinschränkung der unteren Gliedmaße, Hörminderung, Funktionsstörung der Wirbelsäule und schlafbezogener Atemstörung einen den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers mit 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G fest. Aufgrund eines hiergegen eingelegten Widerspruchs erging am 12.07.2012 ein Teilabhilfebescheid, durch den beim Kläger ein GdB von 90 festgestellt wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2012 wurde der Widerspruch unter Einbeziehung des Abhilfebescheides im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
Am 03.01.2013 stellte der Kläger einen Änderungsantrag und beantragte – neben der Feststellung eines höheren GdB – die Zuerkennung der Merkzeichen B und aG. Zur Begründung gab er die Einschränkungen aufgrund seines operierten rechten Knies an.
Der Beklagte wertete durch seinen ärztlichen Dienst Arztberichte der Klinik für Unfallchirurgie des T. betreffend einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 02.11.2012 bis 08.11.2012, des N. betreffend eine Magnetresonanztomographie (MRT) des rechten Knies vom 30.11.2012 sowie der Chirurgischen Klinik des T. betreffend eine Vorstellung des Klägers am 18.12.2012 aus und kam zu der Einschätzung, der GdB des Klägers sei mit 90 weiterhin zutreffend bewertet. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und aG lägen nicht vor.
Mit Bescheid vom 21.01.2013 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren GdB und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und aG ab. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Schwester, am 30.01.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, es gehe ihm einzig und allein um die Parkerleichterung, damit er seinen Wagen nahe am Haus abstellen könne, da er nur mit gesundheitlichen Problemen laufen können.
Mit Bescheid vom 26.02.2013 wies die Bezirksregierung N. den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 13.03.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei zwischenzeitlich auch tagsüber auf eine Sauerstoffbehandlung mittels mobilen Sauerstoffgeräts angewiesen. Er sehe seine Mobilität so eingeschränkt, dass er nur wenige Schritte gehen könne. Zur Begründung hat der Kläger auf einen Arztbericht des Dr. X. vom 29.05.2013 verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Orthopäden Dr. F., des Orthopäden Dr. Q. sowie des Urologen Dr. E. sowie durch Beiziehung des Entlassungsberichts der Klinik N., in der der Kläger in der Zeit vom 22.01.2013 bis 19.02.2013 in stationärer Behandlung war. Darüber hinaus hat es ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten der Frau Dr. N. eingeholt, welches diese aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 09.10.2013 gegenüber dem Gericht am 23.11.2013 erstattet hat.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte den Bescheid vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 dahingehend abgeändert, dass bei dem Kläger ab Antragstellung eine GdB von 100 festgestellt wird.
Der Kläger hat, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.03.2014 zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und ab dem 01.03.2013 festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt insbesondere Bezug auf die Ausführungen seines ärztlichen Beraters im Gerichtsverfahren sowie die Feststellungen der Gutachterin Dr. N.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist – soweit der Kläger die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B begehrt – unzulässig. Die Ablehnung des Merkzeichens B im Bescheid vom 21.01.2013, es handelt sich hierbei um einen eigenen Regelungsgegenstand (vgl. zur Frage verschiedener Regelungsgegenstände im Bereich des Schwerbehindertenrechts Bayerisches Landessozialgericht – LSG – Urteil vom 26.09.2012 – L 15 SB 46/09 = juris) ist bestandskräftig und damit gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Beteiligten und das Gericht bindend. Der Kläger hat gegen den Bescheid nur hinsichtlich der Ablehnung des Merkzeichens aG Widerspruch eingelegt. Dies hat er in seinem Widerspruch klar dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er ausführte, es gehe ihm "einzig und allein um die Parkerleichterung", damit er seinen Wagen nahe am Haus abstellen könne, da er nur mit gesundheitlichen Problemen laufen könne. Die Bezirksregierung N. hat zutreffend auch nur über diesen Regelungsgegenstand im Widerspruch entschieden.
Soweit sich der Kläger gegen die Ablehnung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG wendet, ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zwar zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtene Regelung nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten verletzt, da sie rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG.
Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung; vgl. hierzu und zu den sich aus dem Merkzeichen ergebenden rechtlichen Folgen, Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr 21, S 1419, in der Fassung vom 17.07.2009). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Erläuternde Feststellungen zur Zuerkennung des Merkzeichens G enthält Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (zur Qualifikation der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Erläuterungen vgl. LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 - 6 SB 133/09 = juris Rn. 27 - zum Merkzeichen aG). Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze darüber hinaus als Rechtsverordnung verbindliche Festlegungen enthalten ist umstritten. So wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere enthalte der durch die Versorgungsmedizin in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entsprechende Ermächtigung (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich aG seien damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.
Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass die Feststellungen des Teil D Ziffer 3 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG mit einbezogen werden können, wenngleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung. Die Feststellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie enthalten - im Hinblick auf das Merkzeichen aG - im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 31 der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die AHP 2008 beschrieben in Ziffer 31 Abs 3 bis 4 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten. Sie gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter außergewöhnlich gehbehindert ist. Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung - als antizipierte Sachverständigengutachten - bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden. Eine entsprechende Funktion erfüllen auch die nunmehr in Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 - L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 - L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 - L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 - L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29 - zu aG; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 - L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 146 SGB IX Rn. 5).
Da der Kläger jedenfalls nicht in eine der oben genannten Beispielsgruppen fällt, war zu klären, ob er dem ausdrücklich beschriebenen Personenkreis gleichzustellen ist. Eine Gleichstellung muss dann erfolgen, wenn ein Betroffener in seiner Gehfähigkeit in ungewöhnlichem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter eben so großen Anstrengungen wie die erstgenannte Gruppe von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.; BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R = juris Rn.18) Die damit erforderliche Bildung eines Vergleichsmaßstabes birgt freilich Schwierigkeiten, weil die verschiedenen, im Gesetz ausdrücklich aufgezählten Gruppen in ihrer Wegfähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppe - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können. Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten behinderten Gruppen kann es grundsätzlich aber nicht ankommen (vgl. dazu Bundessozialgericht, a.a.O.) Im Ergebnis ist hinsichtlich der Gleichstellung bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Insoweit stellen die maßgeblichen straßenrechtlichen Vorschriften darauf ab, ob ein schwerbehinderter Mensch nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung - und zwar praktisch von den ersten Schritten - außerhalb seines Kraftfahrzeuges sich bewegen kann. Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.; BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R = juris Rn.18) Bei der erforderlichen tatrichterlichen Feststellung, ob und ggf. in welchem Umfang körperlichen Anstrengungen vorhanden sind, kann dabei nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Zur Klärung dieser Frage sind Indizien wie Erschöpfungszustände, Luftnot, Schmerzen oder ähnliches heranzuziehen (vgl. BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.). So lässt sich ein vergleichbares Erschöpfungsbild u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das ein Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert (BSG, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung der genannten Kriterien liegen beim Kläger die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG nicht vor.
Dies steht zur Überzeugung der Kammer auf Grundlage der vorliegenden Arzt- und Befundberichte aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren sowie dem Gutachten der Frau Dr. N. fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln.
Der Kläger gab gegenüber der Gutachterin an, sein rechtes Knie mache große Probleme. Hier bestehe ein stechender Schmerz bei Belastung und Ruhe, wobei bei Ruhe zeitweilig auch Beschwerdefreiheit bestehe. Insbesondere wenn er zu Gehen beginne verspüre er einen Schmerz, dieser bleibe aber auch beim Gehen konstant. In den Unterschenkel verspüre er beim Gehen ein Taubheitsgefühl in beiden Unterschenkel, in Ruhe sei dieses nicht so ausgeprägt. Bei Belastung komme es rasch zu Atemnot. Der Kläger beschrieb eine Gehstrecke von ca. 100 m.
Die Gutachterin beschreibt das Gangbild des Klägers als nach dem Aufstehen leicht hinkend, wobei der Kläger nach einigen Schritten harmonischer, insgesamt aber tapsig und kleinschrittig gehe. Im Weiteren war ein eindeutiges Hinken nicht mehr festzustellen. Zur Untersuchung kam der Kläger ohne Unterarmgehstütze mit einem über der Schulter hängendem Sauerstoffgerät. Der Zehen- und der Fersengang werden als unauffällig beschrieben, der Blindgang als schleppend. Das rechte Knie war hinsichtlich der Streckung und Beugung mit 0°/15°/110° eingeschränkt. Das rechte Knie war in Streckung und Beugung unauffällig. Es fand sich rechts aber ein retropatellares Reiben. Die Flexion des rechten Hüftgelenks war unter Angaben von Knieschmerzen bis 110° möglich. Links wurde die mögliche Extension/Flexion der Hüfte mit 0°/0°/120° ermittelt. Die Beweglichkeit der übrigen Gelenke wird von der Gutachterin als unauffällig beschrieben. Der Einbeinstand konnte beidseits unauffällig gezeigt werden, ohne Herabsinken der jeweils kontralateralen Beckenhälfte. Das Einnehmen der tiefen Hocke wurde von der Gutachterin wegen der geklagten Kniebeschwerde nicht geprüft. Ein Leistendruck oder Trochanterkkopfschmerz wurde nicht geklagt. Am rechten Knie zeigte der Kläger bei nur leichtem Druck einen Schmerz an. Bei der orientierenden neurologischen Untersuchung gab der Kläger an den Außenseiten der Unterschenkel eine Minderung der Sensibilitätsempfindung. Am rechten Schienenbein wird kein Vibrationsempfinden angegeben, links 5/8. Lasègue-Zeichen waren beidseits negativ unter Angabe von Kniegelenksschmerzen rechts. Im Bereich der Zehen und der Fußsohlen gab der Kläger beidseits ein Taubheitsgefühl an. Der Patellasehnenreflex und der Achillessehnenreflex waren jeweils nicht auslösbar. Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten ist aufgrund der Kniegelenksarthrose mit Bewegungseinschränkungen in Übereinstimmung mit der Gutachterin gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem GdB von 30 auszugehen. Ebenfalls negativ auf die Beine wirkt sich das postthrombotische Syndrom und die Auswirkungen der diabetischen Polyneuropathie aus. In Übereinstimmung mit der Gutachterin bildet die Kammer hieraus einen GdB für das Funktionssystem der unteren Extremitäten von 40.
Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist der GdB gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 20 zu bewerten. Hierbei ist die Bewegungseinschränkung der Seitenneigung der Halswirbelsäule mit 20°/0°/20° und die Einschränkung der Seitenneigung des Rumpfes zu berücksichtigen. Die Rotation der HWS sowie des Rumpfes ist mit 40°/0°/40° nur leicht symmetrisch eingeschränkt. Insgesamt ist hier von leichten bis mittelgradigen Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen. Unter Berücksichtigung der orthopädischen Beeinträchtigungen kommt die Zuerkennung des Merkzeichens aG keinesfalls in Betracht.
Allerdings kommt die Feststellung des Merkzeichens aG auch bei Erkrankungen innerer Organe, wie etwa Beeinträchtigung von Herz und Lunge in Betracht.
Beim Kläger liegen, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, erhebliche internistische Erkrankungen vor. So beschreibt die Gutachterin zum einen eine chronische Ateminsuffizienz in Folge einer Erschöpfung der Atempumpe bei Obesitas-Hypoventilationssyndrom. Nach ihren Feststellungen ist die Lungenfunktion des Klägers verändert, wenngleich auch noch nicht hochgradig. Vor dem Hintergrund, dass bei ihm bereits seit Längerem eine respiratorische Globalinsuffizienz nachgewiesen ist, könne gemäß Teil B Ziffer 8.3 hierfür ein GdB von 80 in Ansatz gebracht werden. Dieser GdB ist nach Auffassung der Kammer – vor dem Hintergrund des ansonsten beschriebenen Aktionsniveaus des Klägers und den Feststellungen des Dr. Wilmsmann in seinem Arztbericht vom 29.05.2013 – fraglich. Die Gutachterin selbst geht davon aus, dass keine Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades vorliegt (vgl. S. 24 des Gutachtens). Vor diesem Hintergrund ist die Zuerkennung eines GdB von 80 insoweit nach Auffassung der Kammer nicht objektiviert. Allerdings ist noch das ebenfalls bestehende Schlaf-Apnoe-Syndrom mit durchgeführter nächtlicher Überdruckbeatmung zu berücksichtigen, durch welches auch nach Auffassung der Kammer der GdB für das Funktionssystem der Lunge insgesamt auf 80 erhöht wird. Gleichwohl ist beim Kläger – trotz des GdB von 80 für das Funktionssystem Lunge – das Merkzeichen aG nicht anzuerkennen. Auch wenn nach Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze eine Gleichstellung bei Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades dem Grunde nach in Betracht kommt, so kommt es auch bei dem Vorliegen schwerer innerer Erkrankungen für das Merkzeichen aG entscheidend darauf an, dass sich diese auf die Gehfähigkeit entsprechend negativ auswirkt (in diesem Sinne schon BSG Urteil vom 06.11.1985 – 9a RVs 7/83 = juris m.w.N.; vgl. auch Wendler, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 5. Aufl. 2012, Anmerkung zu Teil D 3 Nr. 5). Dies ist beim Kläger aber gerade nicht der Fall. Im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme vom 22.01.2013 bis 19.02.2013 in Bad Lippspringe betrug die Gehstrecke – wenngleich langsam – ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr 190 Meter, mit Sauerstoffzufuhr 250 Meter. Auch Dr. X. beschreibt in seinem Arztbericht vom 29.05.2013, dass eine kardiopulmonale Leistungslimitierung, welche eine Immobilität, wie vom Kläger gezeigt, nach sich zieht, nicht vorliegt. Der Kläger hat selbst gegenüber der Gutachterin angegeben, er könne noch ca. 100 Meter gehen. Dies entspricht auch den übrigen Feststellungen im Gutachten. Die gesamte Untersuchung durch Frau Dr. N. – und insbesondere auch die Gangprüfung – machen deutlich, dass der Kläger zwar in seiner Beweglichkeit nicht unerheblich eingeschränkt ist, nicht aber in einem Maße, welches eine Zuerkennung des Merkzeichens aG rechtfertigte. Das Gleiche gilt auch im Hinblick auf die Beeinträchtigungen des Funktionssystems Herz. Vor dem Hintergrund gelegentlich auftretender vorübergehender schwerer Dekompensationserscheinungen und des vorhandenen Bluthochdrucks geht auch die Kammer – zusammen mit der Gutachterin – gemäß Teil B Ziffer 9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem GdB von 80 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf aus. Die Erkrankungen des Herzens wirken sich freilich ebenfalls auf die Mobilität des Klägers aus. Wie aber bereits dargelegt ist die Gehstrecke bislang noch nicht in dem Maße eingeschränkt, dass dem Kläger das Merkzeichen aG zuzuerkennen wäre. An diesen Feststellungen ändert sich auch durch das kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest der Psychiaterin Tayyebian.
Auch wenn die Kammer den Wunsch des gesundheitlich erheblich beeinträchtigten Klägers nachvollziehen kann, seinen Wagen nahe an seinem Haus abstellen zu können, so kann die Kammer dies nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigen. Bei der Frage, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG vorliegen, kommt es eben nur auf die gesundheitlichen Voraussetzungen an und nicht etwa auf die konkrete Wohnsituation (vgl. dazu Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 18.06.2013 – L 15 SB 183/09= juris Rn. 62).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und aG streitig.
Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 10.04.2012 bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger aufgrund Herzleistungsminderung, Bluthochdruck, Funktionseinschränkung der unteren Gliedmaße, Hörminderung, Funktionsstörung der Wirbelsäule und schlafbezogener Atemstörung einen den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers mit 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G fest. Aufgrund eines hiergegen eingelegten Widerspruchs erging am 12.07.2012 ein Teilabhilfebescheid, durch den beim Kläger ein GdB von 90 festgestellt wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2012 wurde der Widerspruch unter Einbeziehung des Abhilfebescheides im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
Am 03.01.2013 stellte der Kläger einen Änderungsantrag und beantragte – neben der Feststellung eines höheren GdB – die Zuerkennung der Merkzeichen B und aG. Zur Begründung gab er die Einschränkungen aufgrund seines operierten rechten Knies an.
Der Beklagte wertete durch seinen ärztlichen Dienst Arztberichte der Klinik für Unfallchirurgie des T. betreffend einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 02.11.2012 bis 08.11.2012, des N. betreffend eine Magnetresonanztomographie (MRT) des rechten Knies vom 30.11.2012 sowie der Chirurgischen Klinik des T. betreffend eine Vorstellung des Klägers am 18.12.2012 aus und kam zu der Einschätzung, der GdB des Klägers sei mit 90 weiterhin zutreffend bewertet. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und aG lägen nicht vor.
Mit Bescheid vom 21.01.2013 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren GdB und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und aG ab. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Schwester, am 30.01.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, es gehe ihm einzig und allein um die Parkerleichterung, damit er seinen Wagen nahe am Haus abstellen könne, da er nur mit gesundheitlichen Problemen laufen können.
Mit Bescheid vom 26.02.2013 wies die Bezirksregierung N. den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 13.03.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei zwischenzeitlich auch tagsüber auf eine Sauerstoffbehandlung mittels mobilen Sauerstoffgeräts angewiesen. Er sehe seine Mobilität so eingeschränkt, dass er nur wenige Schritte gehen könne. Zur Begründung hat der Kläger auf einen Arztbericht des Dr. X. vom 29.05.2013 verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Orthopäden Dr. F., des Orthopäden Dr. Q. sowie des Urologen Dr. E. sowie durch Beiziehung des Entlassungsberichts der Klinik N., in der der Kläger in der Zeit vom 22.01.2013 bis 19.02.2013 in stationärer Behandlung war. Darüber hinaus hat es ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten der Frau Dr. N. eingeholt, welches diese aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 09.10.2013 gegenüber dem Gericht am 23.11.2013 erstattet hat.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte den Bescheid vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 dahingehend abgeändert, dass bei dem Kläger ab Antragstellung eine GdB von 100 festgestellt wird.
Der Kläger hat, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.03.2014 zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen B und ab dem 01.03.2013 festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt insbesondere Bezug auf die Ausführungen seines ärztlichen Beraters im Gerichtsverfahren sowie die Feststellungen der Gutachterin Dr. N.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist – soweit der Kläger die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B begehrt – unzulässig. Die Ablehnung des Merkzeichens B im Bescheid vom 21.01.2013, es handelt sich hierbei um einen eigenen Regelungsgegenstand (vgl. zur Frage verschiedener Regelungsgegenstände im Bereich des Schwerbehindertenrechts Bayerisches Landessozialgericht – LSG – Urteil vom 26.09.2012 – L 15 SB 46/09 = juris) ist bestandskräftig und damit gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Beteiligten und das Gericht bindend. Der Kläger hat gegen den Bescheid nur hinsichtlich der Ablehnung des Merkzeichens aG Widerspruch eingelegt. Dies hat er in seinem Widerspruch klar dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er ausführte, es gehe ihm "einzig und allein um die Parkerleichterung", damit er seinen Wagen nahe am Haus abstellen könne, da er nur mit gesundheitlichen Problemen laufen könne. Die Bezirksregierung N. hat zutreffend auch nur über diesen Regelungsgegenstand im Widerspruch entschieden.
Soweit sich der Kläger gegen die Ablehnung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG wendet, ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zwar zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtene Regelung nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten verletzt, da sie rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG.
Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung; vgl. hierzu und zu den sich aus dem Merkzeichen ergebenden rechtlichen Folgen, Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr 21, S 1419, in der Fassung vom 17.07.2009). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Erläuternde Feststellungen zur Zuerkennung des Merkzeichens G enthält Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (zur Qualifikation der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Erläuterungen vgl. LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 - 6 SB 133/09 = juris Rn. 27 - zum Merkzeichen aG). Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze darüber hinaus als Rechtsverordnung verbindliche Festlegungen enthalten ist umstritten. So wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere enthalte der durch die Versorgungsmedizin in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entsprechende Ermächtigung (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich aG seien damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.
Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass die Feststellungen des Teil D Ziffer 3 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG mit einbezogen werden können, wenngleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung. Die Feststellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie enthalten - im Hinblick auf das Merkzeichen aG - im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 31 der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die AHP 2008 beschrieben in Ziffer 31 Abs 3 bis 4 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten. Sie gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter außergewöhnlich gehbehindert ist. Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung - als antizipierte Sachverständigengutachten - bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden. Eine entsprechende Funktion erfüllen auch die nunmehr in Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 - L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 - L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 - L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 - L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29 - zu aG; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 - L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 146 SGB IX Rn. 5).
Da der Kläger jedenfalls nicht in eine der oben genannten Beispielsgruppen fällt, war zu klären, ob er dem ausdrücklich beschriebenen Personenkreis gleichzustellen ist. Eine Gleichstellung muss dann erfolgen, wenn ein Betroffener in seiner Gehfähigkeit in ungewöhnlichem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter eben so großen Anstrengungen wie die erstgenannte Gruppe von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.; BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R = juris Rn.18) Die damit erforderliche Bildung eines Vergleichsmaßstabes birgt freilich Schwierigkeiten, weil die verschiedenen, im Gesetz ausdrücklich aufgezählten Gruppen in ihrer Wegfähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppe - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können. Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten behinderten Gruppen kann es grundsätzlich aber nicht ankommen (vgl. dazu Bundessozialgericht, a.a.O.) Im Ergebnis ist hinsichtlich der Gleichstellung bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Insoweit stellen die maßgeblichen straßenrechtlichen Vorschriften darauf ab, ob ein schwerbehinderter Mensch nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung - und zwar praktisch von den ersten Schritten - außerhalb seines Kraftfahrzeuges sich bewegen kann. Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.; BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R = juris Rn.18) Bei der erforderlichen tatrichterlichen Feststellung, ob und ggf. in welchem Umfang körperlichen Anstrengungen vorhanden sind, kann dabei nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Zur Klärung dieser Frage sind Indizien wie Erschöpfungszustände, Luftnot, Schmerzen oder ähnliches heranzuziehen (vgl. BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.). So lässt sich ein vergleichbares Erschöpfungsbild u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das ein Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert (BSG, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung der genannten Kriterien liegen beim Kläger die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG nicht vor.
Dies steht zur Überzeugung der Kammer auf Grundlage der vorliegenden Arzt- und Befundberichte aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren sowie dem Gutachten der Frau Dr. N. fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln.
Der Kläger gab gegenüber der Gutachterin an, sein rechtes Knie mache große Probleme. Hier bestehe ein stechender Schmerz bei Belastung und Ruhe, wobei bei Ruhe zeitweilig auch Beschwerdefreiheit bestehe. Insbesondere wenn er zu Gehen beginne verspüre er einen Schmerz, dieser bleibe aber auch beim Gehen konstant. In den Unterschenkel verspüre er beim Gehen ein Taubheitsgefühl in beiden Unterschenkel, in Ruhe sei dieses nicht so ausgeprägt. Bei Belastung komme es rasch zu Atemnot. Der Kläger beschrieb eine Gehstrecke von ca. 100 m.
Die Gutachterin beschreibt das Gangbild des Klägers als nach dem Aufstehen leicht hinkend, wobei der Kläger nach einigen Schritten harmonischer, insgesamt aber tapsig und kleinschrittig gehe. Im Weiteren war ein eindeutiges Hinken nicht mehr festzustellen. Zur Untersuchung kam der Kläger ohne Unterarmgehstütze mit einem über der Schulter hängendem Sauerstoffgerät. Der Zehen- und der Fersengang werden als unauffällig beschrieben, der Blindgang als schleppend. Das rechte Knie war hinsichtlich der Streckung und Beugung mit 0°/15°/110° eingeschränkt. Das rechte Knie war in Streckung und Beugung unauffällig. Es fand sich rechts aber ein retropatellares Reiben. Die Flexion des rechten Hüftgelenks war unter Angaben von Knieschmerzen bis 110° möglich. Links wurde die mögliche Extension/Flexion der Hüfte mit 0°/0°/120° ermittelt. Die Beweglichkeit der übrigen Gelenke wird von der Gutachterin als unauffällig beschrieben. Der Einbeinstand konnte beidseits unauffällig gezeigt werden, ohne Herabsinken der jeweils kontralateralen Beckenhälfte. Das Einnehmen der tiefen Hocke wurde von der Gutachterin wegen der geklagten Kniebeschwerde nicht geprüft. Ein Leistendruck oder Trochanterkkopfschmerz wurde nicht geklagt. Am rechten Knie zeigte der Kläger bei nur leichtem Druck einen Schmerz an. Bei der orientierenden neurologischen Untersuchung gab der Kläger an den Außenseiten der Unterschenkel eine Minderung der Sensibilitätsempfindung. Am rechten Schienenbein wird kein Vibrationsempfinden angegeben, links 5/8. Lasègue-Zeichen waren beidseits negativ unter Angabe von Kniegelenksschmerzen rechts. Im Bereich der Zehen und der Fußsohlen gab der Kläger beidseits ein Taubheitsgefühl an. Der Patellasehnenreflex und der Achillessehnenreflex waren jeweils nicht auslösbar. Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten ist aufgrund der Kniegelenksarthrose mit Bewegungseinschränkungen in Übereinstimmung mit der Gutachterin gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem GdB von 30 auszugehen. Ebenfalls negativ auf die Beine wirkt sich das postthrombotische Syndrom und die Auswirkungen der diabetischen Polyneuropathie aus. In Übereinstimmung mit der Gutachterin bildet die Kammer hieraus einen GdB für das Funktionssystem der unteren Extremitäten von 40.
Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist der GdB gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 20 zu bewerten. Hierbei ist die Bewegungseinschränkung der Seitenneigung der Halswirbelsäule mit 20°/0°/20° und die Einschränkung der Seitenneigung des Rumpfes zu berücksichtigen. Die Rotation der HWS sowie des Rumpfes ist mit 40°/0°/40° nur leicht symmetrisch eingeschränkt. Insgesamt ist hier von leichten bis mittelgradigen Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen. Unter Berücksichtigung der orthopädischen Beeinträchtigungen kommt die Zuerkennung des Merkzeichens aG keinesfalls in Betracht.
Allerdings kommt die Feststellung des Merkzeichens aG auch bei Erkrankungen innerer Organe, wie etwa Beeinträchtigung von Herz und Lunge in Betracht.
Beim Kläger liegen, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, erhebliche internistische Erkrankungen vor. So beschreibt die Gutachterin zum einen eine chronische Ateminsuffizienz in Folge einer Erschöpfung der Atempumpe bei Obesitas-Hypoventilationssyndrom. Nach ihren Feststellungen ist die Lungenfunktion des Klägers verändert, wenngleich auch noch nicht hochgradig. Vor dem Hintergrund, dass bei ihm bereits seit Längerem eine respiratorische Globalinsuffizienz nachgewiesen ist, könne gemäß Teil B Ziffer 8.3 hierfür ein GdB von 80 in Ansatz gebracht werden. Dieser GdB ist nach Auffassung der Kammer – vor dem Hintergrund des ansonsten beschriebenen Aktionsniveaus des Klägers und den Feststellungen des Dr. Wilmsmann in seinem Arztbericht vom 29.05.2013 – fraglich. Die Gutachterin selbst geht davon aus, dass keine Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades vorliegt (vgl. S. 24 des Gutachtens). Vor diesem Hintergrund ist die Zuerkennung eines GdB von 80 insoweit nach Auffassung der Kammer nicht objektiviert. Allerdings ist noch das ebenfalls bestehende Schlaf-Apnoe-Syndrom mit durchgeführter nächtlicher Überdruckbeatmung zu berücksichtigen, durch welches auch nach Auffassung der Kammer der GdB für das Funktionssystem der Lunge insgesamt auf 80 erhöht wird. Gleichwohl ist beim Kläger – trotz des GdB von 80 für das Funktionssystem Lunge – das Merkzeichen aG nicht anzuerkennen. Auch wenn nach Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze eine Gleichstellung bei Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades dem Grunde nach in Betracht kommt, so kommt es auch bei dem Vorliegen schwerer innerer Erkrankungen für das Merkzeichen aG entscheidend darauf an, dass sich diese auf die Gehfähigkeit entsprechend negativ auswirkt (in diesem Sinne schon BSG Urteil vom 06.11.1985 – 9a RVs 7/83 = juris m.w.N.; vgl. auch Wendler, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 5. Aufl. 2012, Anmerkung zu Teil D 3 Nr. 5). Dies ist beim Kläger aber gerade nicht der Fall. Im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme vom 22.01.2013 bis 19.02.2013 in Bad Lippspringe betrug die Gehstrecke – wenngleich langsam – ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr 190 Meter, mit Sauerstoffzufuhr 250 Meter. Auch Dr. X. beschreibt in seinem Arztbericht vom 29.05.2013, dass eine kardiopulmonale Leistungslimitierung, welche eine Immobilität, wie vom Kläger gezeigt, nach sich zieht, nicht vorliegt. Der Kläger hat selbst gegenüber der Gutachterin angegeben, er könne noch ca. 100 Meter gehen. Dies entspricht auch den übrigen Feststellungen im Gutachten. Die gesamte Untersuchung durch Frau Dr. N. – und insbesondere auch die Gangprüfung – machen deutlich, dass der Kläger zwar in seiner Beweglichkeit nicht unerheblich eingeschränkt ist, nicht aber in einem Maße, welches eine Zuerkennung des Merkzeichens aG rechtfertigte. Das Gleiche gilt auch im Hinblick auf die Beeinträchtigungen des Funktionssystems Herz. Vor dem Hintergrund gelegentlich auftretender vorübergehender schwerer Dekompensationserscheinungen und des vorhandenen Bluthochdrucks geht auch die Kammer – zusammen mit der Gutachterin – gemäß Teil B Ziffer 9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem GdB von 80 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf aus. Die Erkrankungen des Herzens wirken sich freilich ebenfalls auf die Mobilität des Klägers aus. Wie aber bereits dargelegt ist die Gehstrecke bislang noch nicht in dem Maße eingeschränkt, dass dem Kläger das Merkzeichen aG zuzuerkennen wäre. An diesen Feststellungen ändert sich auch durch das kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest der Psychiaterin Tayyebian.
Auch wenn die Kammer den Wunsch des gesundheitlich erheblich beeinträchtigten Klägers nachvollziehen kann, seinen Wagen nahe an seinem Haus abstellen zu können, so kann die Kammer dies nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigen. Bei der Frage, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG vorliegen, kommt es eben nur auf die gesundheitlichen Voraussetzungen an und nicht etwa auf die konkrete Wohnsituation (vgl. dazu Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 18.06.2013 – L 15 SB 183/09= juris Rn. 62).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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