L 8 SB 2409/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3226/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2409/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 6. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Der 1958 geborene Kläger beantragte am 07.07.2011 beim Landratsamt S. - Fachbereich Soziales, Versorgungsangelegenheiten - (LRA) erstmals die Feststellung des GdB. Er machte im übersandten Antragsvordruck als Funktionsbeeinträchtigung einen "Diabetes (tablettenpflichtig)" geltend. Als behandelnden Arzt benannte er Dr. F. R. , S ...

Das LRA holte von Dr. R. den ärztlichen Befundschein vom 04.01.2012 ein, dem weitere Arztunterlagen beigefügt waren. Außerdem wurde vom HNO-Arzt Dr. S. das am 08.01.2010 erstellte Tonaudiogramm beigezogen.

Mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.03.2012 wurden die ärztlichen Befunde ausgewertet. Der Versorgungsarzt führte hierzu aus, beim Kläger liege eine Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 10 vor. Der tablettenpflichtige Diabetes sei keine Behinderung. Der Gesamt-GdB betrage 10.

Mit Bescheid vom 23.03.2012 entsprach das LRA dem Antrag des Klägers auf Feststellung des GdB und Ausstellung eines entsprechenden Ausweises nach § 69 SGB IX nicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX sei nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliege. Die vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsstörung (Schwerhörigkeit) bedinge keinen GdB von wenigstens 20 und die geltend gemachte Gesundheitsstörung "Diabetes mellitus" bedinge keine Funktionsbeeinträchtigung von wenigstens 10. Eine Feststellung nach § 69 SGB IX könne deshalb nicht getroffen werden.

Dagegen legte der Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein, der jedoch trotz Erinnerung seitens des LRA nicht begründet wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2012 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage am 24.12.2012 zum Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Antrag, einen GdB von 50 festzustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger leide nach seinen eigenen Angaben an erheblichen gesundheitlichen Beschwerden, die auch ärztlich behandelt werden müssten. Seine Leistungsfähigkeit werde zunehmend geschwächt. Einen wesentlichen Arbeitswert könne er seit längerer Zeit nicht mehr erbringen. Aufgrund dieser Beschwerden sei er selbst nicht mehr in der Lage, seine alltäglichen Arbeiten eigenständig zu verrichten und er bedürfe in mehreren Bereichen der Hilfe. Der Kläger sei auch an seiner Wirbelsäule erkrankt, weshalb er nicht mehr schmerzfrei arbeiten könne und seinen Alltag bestreiten könne. In Behandlung sei der Kläger bei Dr. R. , der ihn als Allgemeinarzt alle 3 Monate untersuche.

Das SG holte die sachverständige Zeugenaussage des Dr. R. vom 04.03.2013 ein. Danach habe der Kläger vom 08.02.2011 bis 08.02.2013 in seiner Behandlung gestanden; seitdem habe er sich nicht mehr vorgestellt. Im Laufe der Zeit habe sich eine Verschlechterung der Diabetes-Einstellung ergeben, jedoch habe der Kläger am 13.12.2012 wieder befriedigendere Werte beim Diabetes gehabt.

Der Beklagte trat der Klage mit dem Antrag auf Klagabweisung entgegen und führte aus, nach der vom Gericht eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. R. vom 04.03.2013 erfolge eine Therapie des Diabetes mellitus mit Metformin, wofür sich nach der 2. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizinverordnung kein messbarer GdB ableiten lasse.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.05.2013 wies das SG die Klage ab.

Gegen den - dem Bevollmächtigten des Klägers am 08.05.2013 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte des Klägers am 10.06.2013 (Montag) Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein Klagevorbringen und trägt ergänzend vor, beim Kläger lägen auch chronische Beschwerden seit einem Arbeitsunfall vor. Er leide auch unter starken Depressionen, die ein normales Arbeitsleben unerträglich machen würden. Insgesamt müsse seine Schmerzsituation gutachterlich bewertet werden. Dieses sei bislang nicht durchgeführt worden. Der Beklagte meine, der Kläger könne eine Erwerbsfähigkeit über 6 Stunden ausüben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 6. Mai 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm den Grad der Behinderung mit 50 festzustellen.

Die Anfrage des Senats vom 16.07.2013, ob beim Kläger ein Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft) wegen eines Unfalles durch Bescheid entschieden habe und wann der Arbeitsunfall gewesen sei, hat der Bevollmächtigte des Klägers trotz Erinnerung vom 23.07.2013 nicht beantwortet.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zum Erörterungstermin vom 06.09.2013 ist für den Kläger niemand erschienen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Konstanz und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2012 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) soweit vorliegend relevant inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) nun heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Hiervon ausgehend begründen nach Angaben des den Kläger behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr. R. und des HNO-Arztes Dr. S. die beim Kläger nachgewiesenen Funktionsstörungen in Form einer Schwerhörigkeit keinen höheren GdB als 10. Der tablettenpflichtige Diabetes stellt keine Behinderung dar, da die mit Metformin behandelte Zuckerkrankheit des Klägers keinen GdB von mindestens 10 hervorruft.

Weitere Gesundheitsstörungen sind beim Kläger nicht nachgewiesen. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers Wirbelsäulenbeschwerden und Depressionen vorgetragen hat, konnte dem nicht weiter nachgegangen werden, da keine weiteren Angaben erfolgt sind, insbesondere von welchen Ärzten diese Gesundheitsstörungen festgestellt worden sind. Auch der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. hat keine weiteren Gesundheitsstörungen benannt und konnte insbesondere auch zum aktuellen Gesundheitszustand keine Angaben machen, da sich der Kläger seit 08.02.2013 nicht mehr in seiner Praxis vorgestellt hatte.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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