Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5220/13 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 01.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2013 wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage und der Berufung festgestellt.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 29.11.2013 bis 12.02.2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Antragsgegner hat die Gewährung solcher Leistungen ab dem 01.03.2013 wegen fehlender Mitwirkung der Antragstellerin bei der Klärung ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) versagt; dies ist Gegenstand des beim Senat in der Berufung anhängigen Hauptsacheverfahrens L 12 AS 5185/13.
Die 1983 geborene Antragstellerin lebt zusammen mit Familienangehörigen, u. a. ihren Eltern, in einem Haushalt. Sie bezog seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner holte zwecks Feststellung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin ein Gutachten bei der Ärztin für Psychiatrie/Sozialmedizin Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ein. Diese führte in dem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 27.09.2010 aus, die Antragstellerin leide an einer Essstörung sowie psychischen Problemen, das Leistungsvermögen sei voraussichtlich auf Dauer aufgehoben. Das L. M.-T.-K. - S. - widersprach als Leistungsträger nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) dieser Leistungseinschätzung mit Schreiben vom 12.12.2011. Der Antragsgegner versuchte in der Folgezeit vergeblich, die Frage der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu klären. Die Antragstellerin entband ihre behandelnden Ärzte nicht von der ärztlichen Schweigepflicht und widersprach einer Übermittlung und Verwendung von medizinischen Unterlagen.
Bereits mit Bescheid vom 18.06.2012 und Widerspruchsbescheid vom 14.08.2012 versagte der Antragsgegner die Leistungen mangels Mitwirkung ab dem 01.07.2012. Die dagegen beim Sozialgericht (SG) Heilbronn erhobene Klage (Az. S 14 AS 2916/12) und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Az. S 14 AS 3402/12 ER) wurden am 21.11.2012 durch einen Vergleich erledigt, in dem sich die Antragstellerin verpflichtete, dem Rentenversicherungsträger medizinische Unterlagen des Universitätsklinikums U. und eine Einschätzung der Erwerbsfähigkeit durch den Hausarzt vorzulegen; der Antragsgegner verpflichtete sich, Leistungen für die Dauer von zwei Monaten zu gewähren.
Mit Bescheid vom 23.11.2012 und Änderungsbescheid vom 28.12.2012 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin daraufhin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.12.2012 und mit Bescheid vom 14.12.2012 und Änderungsbescheid vom 28.12.2012 auch für die Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2012. Ferner beauftragte er mit Schreiben vom 28.11.2012 die Deutsche Rentenversicherung (DRV Baden-Württemberg) mit der Erstellung einer gutachtlichen Stellungnahme nach § 44a SGB II zur Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin. Die Antragstellerin übersandte der DRV ein Attest ihres Hausarztes und Unterlagen des Universitätsklinikums U ...
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18./19.12.2012 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 20.12.2012 der Antragstellerin Leistungen für die Zeit vom 01.01.2013 bis 28.02.2013.
Die DRV Baden-Württemberg teilte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 04.12.2012 mit, dass für die Bearbeitung der angeforderten gutachtlichen Stellungnahme zwingend die Übersendung des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Agentur für Arbeit (vom 27.09.2010) und die Einverständniserklärung der Antragstellerin zur Einholung weiterer medizinischer Unterlagen erforderlich sei. Mit Schreiben vom 11.02.2013 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass der Rentenversicherungsträger zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit zunächst Teil A und B des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Agentur für Arbeit benötige; ob weitere medizinische Unterlagen benötigt würden, könne anschließend geprüft werden. Er forderte die Antragstellerin auf, innerhalb von zwei Wochen ab Zugang des Schreibens die beigefügte Einwilligungserklärung zur Weitergabe der beim Antragsgegner bzw. bei der Agentur für Arbeit vorhandenen Unterlagen unterschrieben zurückzusenden. Zudem wies er darauf hin, dass weitere Leistungen ab dem 01.03.2013 auf der Grundlage der §§ 60, 66 SGB I versagt würden, wenn die Antragstellerin die Einwilligungserklärung nicht fristgerecht einreiche.
Die Antragstellerin stellte am 14.02.2013 einen Weiterbewilligungsantrag. Nachdem sie die angeforderten Unterlagen nicht einreichte, versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.03.2013 Leistungen ab dem 01.03.2013 ganz. Die mit Schreiben vom 11.02.2013 angefor-derten und für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigten Unterlagen seien trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht übersandt worden. Die Antragstellerin habe ihre Mitwirkungspflichten aus § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verletzt und die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Daher könnten die Anspruchsvoraussetzungen nicht geprüft werden. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei berücksichtigt worden, dass durch die Verweigerung der Zustimmung zur Herausgabe des ärztlichen Gutachtens der Agentur für Arbeit der Antragsgegner nicht in der Lage versetzt worden sei, seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen. Ferner sei vom Gesetz zwingend vorgeschrieben, dass eine gutachtliche Stellungnahme vom Rentenversicherungsträger einzuholen sei, bevor eine abschließende Entscheidung erfolge. Schließlich stelle die Übermittlung des Gutachtens den geringsten Eingriff in die Rechte der Antragstellerin dar, um die Leistungsfähigkeit beurteilen zu können.
Die Antragstellerin legte am 24.03.2013 Widerspruch ein. Sie könne die Herausgabe des Gutachtens der Agentur für Arbeit vom 27.09.2010 nicht akzeptieren, da das Ergebnis des Gutachtens falsch sei und das Gutachten ohne ihr Wissen sowie ohne persönliche Begutachtung stattgefunden habe. Ferner habe sie alle im Vergleich vom 21.11.2012 getroffenen Vereinbarungen erfüllt und sei nach wie vor "stets sehr bemüht", ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen.
Die Antragstellerin stellte am 25.03.2013 beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 3 AS 956/13 ER). Diesen Antrag lehnte das SG durch rechtskräftigen Beschluss vom 22.04.2013 ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2013 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Antragstellerin habe ihre Mitwirkungspflichten verletzt. Die Mitwirkung sei erforderlich, weil ohne sie die Erwerbsfähigkeit nicht geklärt werden könne. Die Grenzen der Mitwirkungspflicht im Sinne von § 65 SGB I seien eingehalten. Ferner könne der Antragstellerin nicht zugesichert werden, das Gutachten vom 27.09.2010 nicht zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit zu verwenden. Schließlich könne auch nicht zugesagt werden, von einer persönlichen Begutachtung im Fall der erneuten Beauftragung des ärztlichen Dienstes abzusehen. Der Antragstellerin könne keine Auswahlmöglichkeit hinsichtlich der vorzulegenden ärztlichen Unterlagen eingeräumt werden. Art und Umfang der Beurteilung sowie der Erforderlichkeit der Heranziehung von Unterlagen müsse der sachkundigen Stelle und damit dem ärztlichen Dienst vorbehalten bleiben.
Die Antragstellerin hat am 04.06.2013 beim SG Klage erhoben. Mit dem im Verfahren S 14 AS 2016/12 geschlossenen Vergleich vom 21.11.2012 sei das Verfahren erledigt und es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsgegner das Verfahren nun erneut anstoße. Ein erneutes Gutachten werde abgelehnt, weil das Gutachten vom 27.09.2010 ohne ihr Wissen und ohne ihre Mitwirkung angefertigt worden sei. Sie habe aufgrund einer traumatisierenden Familientragödie über Jahre hinweg immer wieder durch Fehlgutachten massivste Nachteile erleiden müssen. Ein erneutes Gutachten sei daher unzumutbar.
Durch Gerichtsbescheid vom 31.10.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die von der Antragstellerin verfolgte Leistungsklage auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.03.2013 sei bereits unzulässig. Die gegen den Versagungsbescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2013 gerichtete reine Anfechtungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Es sei bislang unklar, ob die Antragstellerin erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II sei. Dies sei aufgrund des von Dr. H. am 27.09.2010 erstatteten Gutachtens zumindest zweifelhaft. Zu den Mitwirkungspflichten der Antragstellerin nach den § 60 ff. SGB I gehöre die Vorlage aller für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit erforderlichen Unterlagen sowie die Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht. Die Antragstellerin habe es jedoch abgelehnt, der Übermittlung des Gutachtens vom 27.09.2010 an den Rentenversicherungsträger zuzustimmen, sich einer persönlichen Begutachtung zu unterziehen und eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht zu erteilen. Es sei nicht ersichtlich, dass ihr die geforderten Mitwirkungshandlungen nicht zugemutet werden könnten. Schließlich sei auch nicht ersichtlich, weshalb der Vergleich vom 21.11.2012 der Aufforderung zu weiteren Mitwirkungshandlungen entgegen stehen sollte. Ein Verzicht des Antragsgegners auf die weitere Aufforderung zur Mitwirkung bzw. die Abbedingung weiterer Mitwirkungspflichten der Antragstellerin sei hierin eindeutig nicht zu erblicken. Ferner habe der Antragsgegner auch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 SGB I beachtet. Schließlich seien Fehler bei der Ausübung des dem Antragsgegner eingeräumten Ermessens weder vorgetragen noch ersichtlich.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 29.11.2013 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Zugleich begehrt sie sinngemäß, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten. Sie habe die am 21.11.2012 mit dem Antragsgegner getroffene Vereinbarung in vollem Umfang erfüllt. Auch habe die Antragstellerin aktuell dem ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ärztliche Unterlagen zur Verfügung gestellt. Damit habe sie einen wesentlichen Teil der vom Antragsgegner geforderten Mitwirkungshandlungen erfüllt. Ferner sei für das Nichterscheinen zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin § 32 SGB II die speziellere Sanktionsnorm und § 66 SGB I nicht anwendbar. Aber selbst wenn man § 66 SGB I für anwendbar hielte, habe der Antragsgegner das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Die Besonderheiten seelischer, familiärer und sozialer Art seien im Fall der Antragstellerin nicht berücksichtigt worden.
Der Antragsgegner tritt der Berufung sowie dem Antrag auf einstwilligen Rechtsschutz entgegen. Für einen einstweiligen Rechtsschutz fehle es an einem Anordnungsanspruch. Es sei zwar einzuräumen, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Versagungsbescheid vom 01.03.2013 nur durch Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes vermieden werden könne (die hier bei Erlass des Bescheids nicht erfolgt ist). Einer einstweiligen Anordnung zur Leistungsgewährung stehe aber die Rechtsmäßigkeit des Versagungsbescheids entgegen; auch aus § 44a Abs. 1 Satz 7 ergebe sich nichts anderes (Hinweis auf LSG Bayern vom 31.08.2012 - L 7 AS 601/12 B ER - juris).
Darüber hinaus habe der Antragsgegner nun die sofortige Vollziehung der Regelung des Versorgungsbescheids vom 01.03.2013 angeordnet (der Antragsgegner hat das entsprechende an die Antragstellerin gerichtete Schreiben vom 24.04.2014 vorgelegt). Die sofortige Vollziehung könne noch nachträglich angeordnet werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung entfaltete zwar grundsätzlich erst mit ihrem Zugang Wirkung; etwas anderes gelte jedoch, wenn das Gesetz eine Leistungspflicht verneine, die fehlende Leistungspflicht durch Verwaltungsakt festgestellt werde und wenn Leistungen in der Vergangenheit noch nicht erbracht worden seien (Hinweis auf OVG Berlin vom 23.10.1996 - 6 S 203.96 - , juris).
Die Antragstellerin hat am 13.02.2014 beim Antragsgegner einen neuen Leistungsantrag gestellt. Durch Versagungsbescheid vom 24.04.2014 hat der Antragsgegner wiederum die Gewährung von Leistungen nach § 66 Abs. 1 SGB I (ganz) versagt, da die Antragstellerin wiederum der von ihr verlangten Mitwirkungshandlung nicht nachgekommen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Vorprozessakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und teilweise begründet.
Vorliegend hat der Antragsgegner den auf § 66 SGB I gestützten Bescheid vom 01.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2013 erlassen, mit dem die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II (nach Ablauf des vorherigen Bewilligungsabschnitts) für die Zeit ab 01.03.2013 versagt worden ist und gegen welchen sich die Antragstellerin im Klageverfahren bzw. jetzt Berufungsverfahren (L 12 AS 5185/13) mit der - allein zulässigen - Anfechtungsklage wendet. Diese Klage hat entgegen einer zur früheren Fassung des § 39 Nr. 1 SGB II vertretenen Auffassung nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung haben Widerspruch und Anfechtungsklage lediglich gegen Verwaltungsakte, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufheben, zurücknehmen, widerrufen oder herabsetzen oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regeln, keine aufschiebende Wirkung. Die vollständige Versagung von Leistungen nach § 66 SGB I wird mithin von den in §§ 39 Nr. 1 SGB II bezüglich einer Leistungsverweigerung abschließend aufgeführten Fallvarianten nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nicht erfasst (z. B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2010 - L 7 AS 304/10 ER-B - ZFSH/SGB 2010, 298).
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage kann somit in einem derartigen Fall nur durch Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) vermieden werden. Diese ist - zunächst - hier nicht erfolgt. Allerdings hat der Antragsgegner inzwischen mit Schreiben vom 24.04.2014 die sofortige Vollziehung der Regelung aus dem Versagungsbescheid vom 01.03.2013 angeordnet, und zwar rückwirkend, da - wie es zur Begründung heißt - anderenfalls vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.12.2013 zu erbringen sein dürften; da der Versagungsbescheid rechtmäßig sei und die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt anderweitig sicher stellen könne, sei die nachträgliche Anordnung erforderlich und geeignet. Eine rückwirkende Anordnung der sofortigen Vollziehung ist indessen nicht möglich (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86a Rdnr. 17 m. w. N.). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hat Wirkung nur für die Zukunft, ihr kann frühestens ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe Wirkung beigemessen werden. Diese rechtliche Wirkung der Vollziehungsanordnung erst ab ihrem Erlass resultiert aus dem Gebot der effektiven Rechtsschutzgewährung. Würde der Vollziehungsanordnung Rückwirkung beigemessen, wäre die kraft Gesetzes eingeräumte aufschiebende Wirkung im Nachhinein unterlaufen (LSG Niedersachsen, Beschluss vom 10.08.2006 - L 8 SO 69/06 ER - m. w. N., juris). Davon geht offenbar auch der Antragsgegner aus, meint jedoch, hier gelte eine Ausnahme. Das ist aber nicht der Fall. Auf den Beschluss des OVG Berlin vom 23.10.1996 - 6 S 203.96 - NVwZ-RR 1997, 575 kann sich der Antragsgegner nicht mit Erfolg berufen. Das OVG Berlin spricht hier ausdrücklich von einem "Einzelfall, in dem einer Vollziehungsanordnung bei summarischer Prüfung nicht das Verbot entgegensteht, eine solche Anordnung ex tunc zu erlassen. Zwar geht die herrschende Mahnung in Rechtsprechung und Schrifttum dahin, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung erst mit ihrem Zugang Wirkung entfaltet. Hier spricht jedoch alles dafür, dass etwas anderes gilt, wenn das Gesetz eine Leistungspflicht verneint, die fehlende Leistungspflicht sodann rückwirkend durch Verwaltungsakt festgestellt wird und wenn Leistungen in der Vergangenheit noch nicht erbracht worden sind sowie bei summarischer Prüfung auch nicht erbracht werden müssen" (Orientierungssatz 1). Keiner dieser außergewöhnlichen Umstände liegt hier vor; der Antragsgegner hat lediglich bislang keine Leistungen erbracht, er hat damit aber zu Unrecht letztlich die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage nicht beachtet. Der vorliegende Fall gehört vielmehr zu den Regelfällen, in denen die rückwirkende Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht möglich ist.
Somit ist im vorliegenden Fall die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 01.03.2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung von Klage und Berufung gegen diesen Bescheid festzustellen.
Diese vorläufige Entscheidung allein hilft der Antragstellerin hier freilich nicht weiter, weil damit noch nichts über eine einstweilige Leistungsgewährung durch den Grundsicherungsträger gesagt ist. Deshalb ist in derartigen Fällen der Leistungsversagung ausnahmsweise auch die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs nach § 86a Abs. 2 SGG, d. h. des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu bejahen (siehe z. B. LSG Baden-Württemberg a.a.O.).
Bei der Prüfung eines Anordnungsanspruchs ist davon auszugehen, dass einem Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II der Versagungsbescheid vom 01.03.2013 nicht entgegengehalten werden kann. Das ergibt sich aus der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage. Aus der aufschiebenden Wirkung folgt zwangsläufig, dass die Frage, ob die Antragstellerin ihre Mitwirkungspflichten verletzt hat und ihr deshalb Leistungen versagt werden können, außer Betracht zu bleiben hat; die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheids vom 01.03.2013 ist im Hauptsacheverfahren zu prüfen und nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorweg zu nehmen. Bei Außerachtlassung der Mitwirkungsproblematik hat die Antragstellerin aber indessen - soweit ersichtlich; auch der Antragsgegner trägt nichts anderes vor - alle Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II erfüllt. Der Antragsgegner bezweifelt lediglich die Erwerbsfähigkeit, insoweit greift hier aber § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II ein. Nach dieser Vorschrift erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen bis zur Entscheidung über den Widerspruch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats ohne weiteres der Anordnungsanspruch. Dagegen kann nicht argumentiert werden, dass damit § 66 SGB I ausgehebelt werde. Das Argument wäre nur dann richtig, wenn der Leistungsträger nicht die sofortige Vollziehung anordnen könnte; diese Möglichkeit hat er aber.
Aber auch dann, wenn man in diesem Zusammenhang die Regelung des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II nicht als entscheidend ansehen will, ist der Anordnungsanspruch zu bejahen, denn dann ist eine Folgenabwägung entscheidend. Für eine vorläufige Leistungsverpflichtung des Antragsgegners spricht dann entscheidend, dass es hier um eine existenzsichernde Leistung geht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin - soweit ersichtlich - materiellrechtlich einen Leistungsanspruch tatsächlich hat und es nur darum geht, zu klären, ob die eine oder die andere Behörde - der Antragsgegner oder der Sozialhilfeträger - zuständig ist.
Der Anordnungsgrund ist, nachdem es hier um eine existenzsichernde Leistung geht, ebenfalls nicht zu bezweifeln.
Die hier in Betracht kommenden vorläufigen Leistungen sind allerdings zeitlich begrenzt. Sie sind zum einen begrenzt durch die Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz am 29.11.2013, denn für Zeiten vor der Antragstellung sind regelmäßig keine Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu gewähren. Zum anderen ist der Anspruch begrenzt durch den neuen, am 13.02.2014 gestellten Leistungsantrag der Antragstellerin. Aufgrund dieses Leistungsantrags hat der Antragsgegner die Antragstellerin wiederum zur Mitwirkung aufgefordert und, nachdem die Mitwirkungshandlung nicht erbracht worden ist, am 24.04.2014 einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I für die Zeit ab 01.02.2014 erteilt. Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens (des beim Senat anhängigen Berufungsverfahrens L 12 AS 5185/13) ist deshalb nur die Zeit bis zum 12.02.2014 (BSG, Beschluss vom 19.09.2008 - B 14 AS 44/08 -, juris; Urteile vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, SozR 4-3500 § 21 Nr. 1, und vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R -, NJW 2008, 2458. Weiter kann auch der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht reichen. Insoweit ist die Antragstellerin darauf zu verweisen, im Rahmen von Widerspruch und Klage gegen den Versagungsbescheid vom 24.04.2014 gesondert einstweiligen Rechtsschutz geltend zu machen, wofür dann aber nicht das LSG, sondern das SG zuständig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 29.11.2013 bis 12.02.2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Antragsgegner hat die Gewährung solcher Leistungen ab dem 01.03.2013 wegen fehlender Mitwirkung der Antragstellerin bei der Klärung ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) versagt; dies ist Gegenstand des beim Senat in der Berufung anhängigen Hauptsacheverfahrens L 12 AS 5185/13.
Die 1983 geborene Antragstellerin lebt zusammen mit Familienangehörigen, u. a. ihren Eltern, in einem Haushalt. Sie bezog seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner holte zwecks Feststellung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin ein Gutachten bei der Ärztin für Psychiatrie/Sozialmedizin Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ein. Diese führte in dem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 27.09.2010 aus, die Antragstellerin leide an einer Essstörung sowie psychischen Problemen, das Leistungsvermögen sei voraussichtlich auf Dauer aufgehoben. Das L. M.-T.-K. - S. - widersprach als Leistungsträger nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) dieser Leistungseinschätzung mit Schreiben vom 12.12.2011. Der Antragsgegner versuchte in der Folgezeit vergeblich, die Frage der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu klären. Die Antragstellerin entband ihre behandelnden Ärzte nicht von der ärztlichen Schweigepflicht und widersprach einer Übermittlung und Verwendung von medizinischen Unterlagen.
Bereits mit Bescheid vom 18.06.2012 und Widerspruchsbescheid vom 14.08.2012 versagte der Antragsgegner die Leistungen mangels Mitwirkung ab dem 01.07.2012. Die dagegen beim Sozialgericht (SG) Heilbronn erhobene Klage (Az. S 14 AS 2916/12) und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Az. S 14 AS 3402/12 ER) wurden am 21.11.2012 durch einen Vergleich erledigt, in dem sich die Antragstellerin verpflichtete, dem Rentenversicherungsträger medizinische Unterlagen des Universitätsklinikums U. und eine Einschätzung der Erwerbsfähigkeit durch den Hausarzt vorzulegen; der Antragsgegner verpflichtete sich, Leistungen für die Dauer von zwei Monaten zu gewähren.
Mit Bescheid vom 23.11.2012 und Änderungsbescheid vom 28.12.2012 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin daraufhin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.12.2012 und mit Bescheid vom 14.12.2012 und Änderungsbescheid vom 28.12.2012 auch für die Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2012. Ferner beauftragte er mit Schreiben vom 28.11.2012 die Deutsche Rentenversicherung (DRV Baden-Württemberg) mit der Erstellung einer gutachtlichen Stellungnahme nach § 44a SGB II zur Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin. Die Antragstellerin übersandte der DRV ein Attest ihres Hausarztes und Unterlagen des Universitätsklinikums U ...
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18./19.12.2012 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 20.12.2012 der Antragstellerin Leistungen für die Zeit vom 01.01.2013 bis 28.02.2013.
Die DRV Baden-Württemberg teilte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 04.12.2012 mit, dass für die Bearbeitung der angeforderten gutachtlichen Stellungnahme zwingend die Übersendung des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Agentur für Arbeit (vom 27.09.2010) und die Einverständniserklärung der Antragstellerin zur Einholung weiterer medizinischer Unterlagen erforderlich sei. Mit Schreiben vom 11.02.2013 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass der Rentenversicherungsträger zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit zunächst Teil A und B des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Agentur für Arbeit benötige; ob weitere medizinische Unterlagen benötigt würden, könne anschließend geprüft werden. Er forderte die Antragstellerin auf, innerhalb von zwei Wochen ab Zugang des Schreibens die beigefügte Einwilligungserklärung zur Weitergabe der beim Antragsgegner bzw. bei der Agentur für Arbeit vorhandenen Unterlagen unterschrieben zurückzusenden. Zudem wies er darauf hin, dass weitere Leistungen ab dem 01.03.2013 auf der Grundlage der §§ 60, 66 SGB I versagt würden, wenn die Antragstellerin die Einwilligungserklärung nicht fristgerecht einreiche.
Die Antragstellerin stellte am 14.02.2013 einen Weiterbewilligungsantrag. Nachdem sie die angeforderten Unterlagen nicht einreichte, versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.03.2013 Leistungen ab dem 01.03.2013 ganz. Die mit Schreiben vom 11.02.2013 angefor-derten und für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigten Unterlagen seien trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht übersandt worden. Die Antragstellerin habe ihre Mitwirkungspflichten aus § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verletzt und die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Daher könnten die Anspruchsvoraussetzungen nicht geprüft werden. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei berücksichtigt worden, dass durch die Verweigerung der Zustimmung zur Herausgabe des ärztlichen Gutachtens der Agentur für Arbeit der Antragsgegner nicht in der Lage versetzt worden sei, seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen. Ferner sei vom Gesetz zwingend vorgeschrieben, dass eine gutachtliche Stellungnahme vom Rentenversicherungsträger einzuholen sei, bevor eine abschließende Entscheidung erfolge. Schließlich stelle die Übermittlung des Gutachtens den geringsten Eingriff in die Rechte der Antragstellerin dar, um die Leistungsfähigkeit beurteilen zu können.
Die Antragstellerin legte am 24.03.2013 Widerspruch ein. Sie könne die Herausgabe des Gutachtens der Agentur für Arbeit vom 27.09.2010 nicht akzeptieren, da das Ergebnis des Gutachtens falsch sei und das Gutachten ohne ihr Wissen sowie ohne persönliche Begutachtung stattgefunden habe. Ferner habe sie alle im Vergleich vom 21.11.2012 getroffenen Vereinbarungen erfüllt und sei nach wie vor "stets sehr bemüht", ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen.
Die Antragstellerin stellte am 25.03.2013 beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 3 AS 956/13 ER). Diesen Antrag lehnte das SG durch rechtskräftigen Beschluss vom 22.04.2013 ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2013 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Antragstellerin habe ihre Mitwirkungspflichten verletzt. Die Mitwirkung sei erforderlich, weil ohne sie die Erwerbsfähigkeit nicht geklärt werden könne. Die Grenzen der Mitwirkungspflicht im Sinne von § 65 SGB I seien eingehalten. Ferner könne der Antragstellerin nicht zugesichert werden, das Gutachten vom 27.09.2010 nicht zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit zu verwenden. Schließlich könne auch nicht zugesagt werden, von einer persönlichen Begutachtung im Fall der erneuten Beauftragung des ärztlichen Dienstes abzusehen. Der Antragstellerin könne keine Auswahlmöglichkeit hinsichtlich der vorzulegenden ärztlichen Unterlagen eingeräumt werden. Art und Umfang der Beurteilung sowie der Erforderlichkeit der Heranziehung von Unterlagen müsse der sachkundigen Stelle und damit dem ärztlichen Dienst vorbehalten bleiben.
Die Antragstellerin hat am 04.06.2013 beim SG Klage erhoben. Mit dem im Verfahren S 14 AS 2016/12 geschlossenen Vergleich vom 21.11.2012 sei das Verfahren erledigt und es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsgegner das Verfahren nun erneut anstoße. Ein erneutes Gutachten werde abgelehnt, weil das Gutachten vom 27.09.2010 ohne ihr Wissen und ohne ihre Mitwirkung angefertigt worden sei. Sie habe aufgrund einer traumatisierenden Familientragödie über Jahre hinweg immer wieder durch Fehlgutachten massivste Nachteile erleiden müssen. Ein erneutes Gutachten sei daher unzumutbar.
Durch Gerichtsbescheid vom 31.10.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die von der Antragstellerin verfolgte Leistungsklage auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.03.2013 sei bereits unzulässig. Die gegen den Versagungsbescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2013 gerichtete reine Anfechtungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Es sei bislang unklar, ob die Antragstellerin erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II sei. Dies sei aufgrund des von Dr. H. am 27.09.2010 erstatteten Gutachtens zumindest zweifelhaft. Zu den Mitwirkungspflichten der Antragstellerin nach den § 60 ff. SGB I gehöre die Vorlage aller für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit erforderlichen Unterlagen sowie die Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht. Die Antragstellerin habe es jedoch abgelehnt, der Übermittlung des Gutachtens vom 27.09.2010 an den Rentenversicherungsträger zuzustimmen, sich einer persönlichen Begutachtung zu unterziehen und eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht zu erteilen. Es sei nicht ersichtlich, dass ihr die geforderten Mitwirkungshandlungen nicht zugemutet werden könnten. Schließlich sei auch nicht ersichtlich, weshalb der Vergleich vom 21.11.2012 der Aufforderung zu weiteren Mitwirkungshandlungen entgegen stehen sollte. Ein Verzicht des Antragsgegners auf die weitere Aufforderung zur Mitwirkung bzw. die Abbedingung weiterer Mitwirkungspflichten der Antragstellerin sei hierin eindeutig nicht zu erblicken. Ferner habe der Antragsgegner auch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 SGB I beachtet. Schließlich seien Fehler bei der Ausübung des dem Antragsgegner eingeräumten Ermessens weder vorgetragen noch ersichtlich.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 29.11.2013 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Zugleich begehrt sie sinngemäß, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten. Sie habe die am 21.11.2012 mit dem Antragsgegner getroffene Vereinbarung in vollem Umfang erfüllt. Auch habe die Antragstellerin aktuell dem ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ärztliche Unterlagen zur Verfügung gestellt. Damit habe sie einen wesentlichen Teil der vom Antragsgegner geforderten Mitwirkungshandlungen erfüllt. Ferner sei für das Nichterscheinen zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin § 32 SGB II die speziellere Sanktionsnorm und § 66 SGB I nicht anwendbar. Aber selbst wenn man § 66 SGB I für anwendbar hielte, habe der Antragsgegner das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Die Besonderheiten seelischer, familiärer und sozialer Art seien im Fall der Antragstellerin nicht berücksichtigt worden.
Der Antragsgegner tritt der Berufung sowie dem Antrag auf einstwilligen Rechtsschutz entgegen. Für einen einstweiligen Rechtsschutz fehle es an einem Anordnungsanspruch. Es sei zwar einzuräumen, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Versagungsbescheid vom 01.03.2013 nur durch Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes vermieden werden könne (die hier bei Erlass des Bescheids nicht erfolgt ist). Einer einstweiligen Anordnung zur Leistungsgewährung stehe aber die Rechtsmäßigkeit des Versagungsbescheids entgegen; auch aus § 44a Abs. 1 Satz 7 ergebe sich nichts anderes (Hinweis auf LSG Bayern vom 31.08.2012 - L 7 AS 601/12 B ER - juris).
Darüber hinaus habe der Antragsgegner nun die sofortige Vollziehung der Regelung des Versorgungsbescheids vom 01.03.2013 angeordnet (der Antragsgegner hat das entsprechende an die Antragstellerin gerichtete Schreiben vom 24.04.2014 vorgelegt). Die sofortige Vollziehung könne noch nachträglich angeordnet werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung entfaltete zwar grundsätzlich erst mit ihrem Zugang Wirkung; etwas anderes gelte jedoch, wenn das Gesetz eine Leistungspflicht verneine, die fehlende Leistungspflicht durch Verwaltungsakt festgestellt werde und wenn Leistungen in der Vergangenheit noch nicht erbracht worden seien (Hinweis auf OVG Berlin vom 23.10.1996 - 6 S 203.96 - , juris).
Die Antragstellerin hat am 13.02.2014 beim Antragsgegner einen neuen Leistungsantrag gestellt. Durch Versagungsbescheid vom 24.04.2014 hat der Antragsgegner wiederum die Gewährung von Leistungen nach § 66 Abs. 1 SGB I (ganz) versagt, da die Antragstellerin wiederum der von ihr verlangten Mitwirkungshandlung nicht nachgekommen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Vorprozessakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und teilweise begründet.
Vorliegend hat der Antragsgegner den auf § 66 SGB I gestützten Bescheid vom 01.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2013 erlassen, mit dem die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II (nach Ablauf des vorherigen Bewilligungsabschnitts) für die Zeit ab 01.03.2013 versagt worden ist und gegen welchen sich die Antragstellerin im Klageverfahren bzw. jetzt Berufungsverfahren (L 12 AS 5185/13) mit der - allein zulässigen - Anfechtungsklage wendet. Diese Klage hat entgegen einer zur früheren Fassung des § 39 Nr. 1 SGB II vertretenen Auffassung nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung haben Widerspruch und Anfechtungsklage lediglich gegen Verwaltungsakte, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufheben, zurücknehmen, widerrufen oder herabsetzen oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regeln, keine aufschiebende Wirkung. Die vollständige Versagung von Leistungen nach § 66 SGB I wird mithin von den in §§ 39 Nr. 1 SGB II bezüglich einer Leistungsverweigerung abschließend aufgeführten Fallvarianten nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nicht erfasst (z. B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2010 - L 7 AS 304/10 ER-B - ZFSH/SGB 2010, 298).
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage kann somit in einem derartigen Fall nur durch Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) vermieden werden. Diese ist - zunächst - hier nicht erfolgt. Allerdings hat der Antragsgegner inzwischen mit Schreiben vom 24.04.2014 die sofortige Vollziehung der Regelung aus dem Versagungsbescheid vom 01.03.2013 angeordnet, und zwar rückwirkend, da - wie es zur Begründung heißt - anderenfalls vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.12.2013 zu erbringen sein dürften; da der Versagungsbescheid rechtmäßig sei und die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt anderweitig sicher stellen könne, sei die nachträgliche Anordnung erforderlich und geeignet. Eine rückwirkende Anordnung der sofortigen Vollziehung ist indessen nicht möglich (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86a Rdnr. 17 m. w. N.). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hat Wirkung nur für die Zukunft, ihr kann frühestens ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe Wirkung beigemessen werden. Diese rechtliche Wirkung der Vollziehungsanordnung erst ab ihrem Erlass resultiert aus dem Gebot der effektiven Rechtsschutzgewährung. Würde der Vollziehungsanordnung Rückwirkung beigemessen, wäre die kraft Gesetzes eingeräumte aufschiebende Wirkung im Nachhinein unterlaufen (LSG Niedersachsen, Beschluss vom 10.08.2006 - L 8 SO 69/06 ER - m. w. N., juris). Davon geht offenbar auch der Antragsgegner aus, meint jedoch, hier gelte eine Ausnahme. Das ist aber nicht der Fall. Auf den Beschluss des OVG Berlin vom 23.10.1996 - 6 S 203.96 - NVwZ-RR 1997, 575 kann sich der Antragsgegner nicht mit Erfolg berufen. Das OVG Berlin spricht hier ausdrücklich von einem "Einzelfall, in dem einer Vollziehungsanordnung bei summarischer Prüfung nicht das Verbot entgegensteht, eine solche Anordnung ex tunc zu erlassen. Zwar geht die herrschende Mahnung in Rechtsprechung und Schrifttum dahin, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung erst mit ihrem Zugang Wirkung entfaltet. Hier spricht jedoch alles dafür, dass etwas anderes gilt, wenn das Gesetz eine Leistungspflicht verneint, die fehlende Leistungspflicht sodann rückwirkend durch Verwaltungsakt festgestellt wird und wenn Leistungen in der Vergangenheit noch nicht erbracht worden sind sowie bei summarischer Prüfung auch nicht erbracht werden müssen" (Orientierungssatz 1). Keiner dieser außergewöhnlichen Umstände liegt hier vor; der Antragsgegner hat lediglich bislang keine Leistungen erbracht, er hat damit aber zu Unrecht letztlich die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage nicht beachtet. Der vorliegende Fall gehört vielmehr zu den Regelfällen, in denen die rückwirkende Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht möglich ist.
Somit ist im vorliegenden Fall die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 01.03.2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung von Klage und Berufung gegen diesen Bescheid festzustellen.
Diese vorläufige Entscheidung allein hilft der Antragstellerin hier freilich nicht weiter, weil damit noch nichts über eine einstweilige Leistungsgewährung durch den Grundsicherungsträger gesagt ist. Deshalb ist in derartigen Fällen der Leistungsversagung ausnahmsweise auch die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs nach § 86a Abs. 2 SGG, d. h. des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu bejahen (siehe z. B. LSG Baden-Württemberg a.a.O.).
Bei der Prüfung eines Anordnungsanspruchs ist davon auszugehen, dass einem Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II der Versagungsbescheid vom 01.03.2013 nicht entgegengehalten werden kann. Das ergibt sich aus der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage. Aus der aufschiebenden Wirkung folgt zwangsläufig, dass die Frage, ob die Antragstellerin ihre Mitwirkungspflichten verletzt hat und ihr deshalb Leistungen versagt werden können, außer Betracht zu bleiben hat; die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheids vom 01.03.2013 ist im Hauptsacheverfahren zu prüfen und nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorweg zu nehmen. Bei Außerachtlassung der Mitwirkungsproblematik hat die Antragstellerin aber indessen - soweit ersichtlich; auch der Antragsgegner trägt nichts anderes vor - alle Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II erfüllt. Der Antragsgegner bezweifelt lediglich die Erwerbsfähigkeit, insoweit greift hier aber § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II ein. Nach dieser Vorschrift erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen bis zur Entscheidung über den Widerspruch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats ohne weiteres der Anordnungsanspruch. Dagegen kann nicht argumentiert werden, dass damit § 66 SGB I ausgehebelt werde. Das Argument wäre nur dann richtig, wenn der Leistungsträger nicht die sofortige Vollziehung anordnen könnte; diese Möglichkeit hat er aber.
Aber auch dann, wenn man in diesem Zusammenhang die Regelung des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II nicht als entscheidend ansehen will, ist der Anordnungsanspruch zu bejahen, denn dann ist eine Folgenabwägung entscheidend. Für eine vorläufige Leistungsverpflichtung des Antragsgegners spricht dann entscheidend, dass es hier um eine existenzsichernde Leistung geht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin - soweit ersichtlich - materiellrechtlich einen Leistungsanspruch tatsächlich hat und es nur darum geht, zu klären, ob die eine oder die andere Behörde - der Antragsgegner oder der Sozialhilfeträger - zuständig ist.
Der Anordnungsgrund ist, nachdem es hier um eine existenzsichernde Leistung geht, ebenfalls nicht zu bezweifeln.
Die hier in Betracht kommenden vorläufigen Leistungen sind allerdings zeitlich begrenzt. Sie sind zum einen begrenzt durch die Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz am 29.11.2013, denn für Zeiten vor der Antragstellung sind regelmäßig keine Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu gewähren. Zum anderen ist der Anspruch begrenzt durch den neuen, am 13.02.2014 gestellten Leistungsantrag der Antragstellerin. Aufgrund dieses Leistungsantrags hat der Antragsgegner die Antragstellerin wiederum zur Mitwirkung aufgefordert und, nachdem die Mitwirkungshandlung nicht erbracht worden ist, am 24.04.2014 einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I für die Zeit ab 01.02.2014 erteilt. Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens (des beim Senat anhängigen Berufungsverfahrens L 12 AS 5185/13) ist deshalb nur die Zeit bis zum 12.02.2014 (BSG, Beschluss vom 19.09.2008 - B 14 AS 44/08 -, juris; Urteile vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, SozR 4-3500 § 21 Nr. 1, und vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R -, NJW 2008, 2458. Weiter kann auch der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht reichen. Insoweit ist die Antragstellerin darauf zu verweisen, im Rahmen von Widerspruch und Klage gegen den Versagungsbescheid vom 24.04.2014 gesondert einstweiligen Rechtsschutz geltend zu machen, wofür dann aber nicht das LSG, sondern das SG zuständig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
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