Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 155/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die hälftigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit.
Der am 0 geborene Kläger war von 1977 bis 1997 bei der Firma ? im Bereich der Isolierglasfertigung beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit musste er u.a. Isolierglasscheiben mit Schultergurten transportieren. Anschließend war er als Gastronom selbständig tätig. Nachdem bei ihm Erkrankungen der Lendenwirbelsäule diagnostiziert worden waren, stellte er einen Antrag auf Anerkennung und Entschädigung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung – BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten lehnte diesen Antrag nach Einholung einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. ? vom 07.06.2005 ab. Widerspruchs,- Klage- und Berufungsverfahren blieben erfolglos (Az. des erstinstanzlichen Verfahrens: S 10 (14) U 49/06, Az. des Berufungsverfahrens: L 15 U 203/07). Im Rahmen des Berufungsverfahrens L 15 U 203/07 erklärte der Kläger, er habe während seiner Tätigkeit für die Firma ? auch schwere Lasten über der Schulter tragen müssen und verwies auf bei ihn bestehende Erkrankungen auch des Abschnitts der Halswirbelsäule. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Prüfung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) ein und holte unter dem 13.09.2010 eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes ein. Weiter zog sie die Stellungnahme von Dr. ? vom 07.06.2005, ein im Verfahren S 10 (14) U 49/06 eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr. ? vom 20.03.2007, ein im Berufungsverfahren L 15 U 203/07 eingeholtes Gutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. ? vom 07.12.2008 sowie in jenem Verfahren eingeholte Stellungnahmen des Arztes für Orthopädie Dr. ? vom 29.05.2008, 23.03. und 06.10.2010 bei. Mit Bescheid vom 14.10.2010 lehnte der Rentenausschuss der Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten eine Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV sowie eine Entschädigung hierfür ab. Der Rentenausschuss war hierbei u.a. mit der von der Arbeitgeberseite entsandten Vertreterin ? besetzt. Zur Begründung führte der Rentenausschuss aus, der Kläger habe im Rahmen seiner Tätigkeit keine Lasten von 50 kg oder mehr über einen Zeitraum von 10 Jahren getragen. Der Kläger legte am 09.11.2010 Widerspruch ein und führte u.a. aus, er habe nicht lediglich im Bereich der Montage, sondern auch im Haupttätigkeitsbereich Produktion schwere Lasten tragen müssen. Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Rechtsnachfolgerin der Firma ? vom 04.02.2011 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 zurück. Im Widerspruchsausschuss saß als Vertreterin der Arbeitgeber ?, die bereits an der Entscheidung des Rentenausschusses vom 14.10.2010 beteiligt gewesen war.
Am 22.07.2011 hat der Kläger Klage erhoben.
Er ist der Ansicht, der Bescheid des Rentenausschusses vom 14.10.2010 lasse nicht erkennen, von welchem Organ er erlassen worden sei. Überdies sei nicht die Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten zuständig gewesen. Weiter unterliege die zum Verfahren betreffend die BK nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV beigezogene Stellungnahme von Dr. ? vom 07.06.2005 einem Beweisverwertungsverbot, weil sie unter Verletzung von Vorschriften über die Erhebung von Sozialdaten zustande gekommen sei. Da die Ausführungen von Dr. ? auch die gutachtlichen Äußerungen von Dr. ? beeinflusst hätten, erstrecke sich das Beweisverwertungsverbot auch auf dessen Äußerungen. Schließlich sei jedenfalls der Widerspruchsbescheid aufzuheben, weil die Vertreterin der Arbeitgeber bereits im Rentenausschuss gesessen habe, was zur Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides führe.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2011 zu verpflichten, die Erkrankung seiner der Halswirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm hierfür Entschädigung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu leisten,
hilfsweise,
den Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest. Ergänzend verweist sie auf ein Schreiben des Klägers vom 24.03.2005, in dem sich dieser mit der Einholung eines Gutachtens von Dr. ? einverstanden erklärt hatte. Hinsichtlich der Zuständigkeit der Bezirksverwaltung Würzburg verweist sie auf ihre Fusion mit der Berufsgenossenschaft der keramischen und Glasindustrie zum 01.01.2009 sowie auf die durch Verfügung der Geschäftsführung Nr. 1.005 getroffene Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit. Die Teilnahme der Arbeitgeber-Vertreterin an der Entscheidung des Rentenausschusses stelle schließlich keinen gesetzlichen Ausschlussgrund dar, an der Entscheidung des Widerspruchsausschusses mitzuwirken, zumal dieser Teil der Verwaltung sei.
Das Gericht hat nach Durchführung eines Erörterungstermins zur Aufklärung des Sachverhaltes von Amts wegen eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. ? veranlasst. Dr. ? ist im Rahmen seines unter dem 03.09.2013 erstellten Gutachtens zu dem Ergebnis gelangt, die bei dem Kläger vorliegende Symptomatik entspreche nicht dem klinischen Bild einer (berufsbedingten) Bandscheibenerkrankung. Die nachgewiesenen Veränderungen seien als anlagebedingt einzustufen. Auch sei der Verlauf der Erkrankung mit weiterer Zunahme nach Beendigung der Tätigkeit als nicht belastungskonform zu bewerten. Das Gericht hat ferner das Protokoll des Rentenausschusses der Beklagten beigezogen, der am 14.10.2010 entschieden hatte. Der Kläger ist dem Gutachten von Dr. ? entgegen getreten und hat ausgeführt, der im Rahmen des Berufungsverfahrens L 15 U 203/07 gehörte Sachverständige Dr. ? habe es als Argument gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bewertet, dass an der Halswirbelsäule des Klägers gleich schwere morphologische Veränderungen wie an der Lendenwirbelsäule vorliegen. Deshalb könne dies im hiesigen Verfahren nicht als Argument gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV bewertet werden.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger insoweit nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als die Beklagte die Anerkennung bzw. Entschädigung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV abgelehnt hat, weil diese Entscheidung materiell rechtmäßig ist. Demgegenüber ist der Kläger durch den Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 beschwert, weil dieser formell rechtswidrig ist.
Der Kläger kann mit seinem Hauptantrag nicht durchdringen, weil die materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung bzw. Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV nicht vorliegen.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Nur solche Krankheiten, die in Anlage 1 zur BKV (sogenannte Berufskrankheitenliste) im Einzelnen aufgeführt sind, können als Berufskrankheiten anerkannt werden.
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 22.08.2000, B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14). Der Vollbeweis einer Krankheit in jenem Sinne ist geführt, wenn ihr Vorliegen in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass sämtliche Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.03.2011 – L 15 U 263/03 = juris).
Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, a.a.O.). Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität müssen nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 = SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 27.06.2000 – B 2 U 29/99 R; Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Rdnr. 26). Das ist dann der Fall, wenn unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Urteil vom 16.02.1971 – 1 RA 113/70 = BSGE 32, 203, 209; BSG, Urteil vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 = 43, 110, 113; BSG, Urteil vom 02.11.1999 – B 2 U 47/98 R = SozR 3 - 1300 § 48 Nr. 67).
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben steht zur Überzeugung der Kammer nicht fest, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.
Hierbei kann dahin stehen, ob die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers erfüllt sind. Denn jedenfalls liegen die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV nicht vor. Es ist nämlich zur Überzeugung der Kammer nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Erkrankung der Halswirbelsäule des Klägers ursächlich auf die beruflichen Einwirkungen zurückzuführen ist. Das Gericht stützt sich auf das von Amts wegen eingeholte ausführliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ? vom 03.09.2013. Dieser hat ausgeführt, im Rahmen der langjährigen Tätigkeit des Klägers sei es zu keinen für die Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV typischen Beschwerden der Halswirbelsäule gekommen. Die Verspannungen der Halswirbelsäulenmuskulatur, welche offenbar 2004 und 2008 aufgetreten sind und zu einer endgradigen Bewegungseinschränkung führten, sind mit dem Sachverständigen Dr. ? als unspezifisch einzustufen. Dr. ? hat in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt, die sich bei dem Kläger darstellende Symptomatik entspreche nicht dem klinischen Bild einer Bandscheibenerkrankung, weil es an den charakteristischen Nerven- bzw. Nervenwurzelreizerscheinungen fehle. Überdies ergibt sich nach den Ausführungen von Dr. ? ein nicht belastungskonformer Verlauf der Erkrankung mit weiterer Zunahme der Beschwerden nach Beendigung der Tätigkeit. Auch dies spricht gegen eine Verursachung der Beschwerden durch die beruflichen Einwirkungen. Soweit der Kläger ausgeführt hat, der im Berufungsverfahren L 15 U 203/07 gehörte Sachverständige Dr. ? habe aus den gleich schweren morphologischen Veränderungen von Hals- und Lendenwirbelsäule gefolgert, es liege kein vorauseilender Verschleiß der Lendenwirbelsäule vor, so steht diese Argumentation – ihre fachliche Richtigkeit unterstellt – im Rahmen der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV nicht im Widerspruch zur Einschätzung der hier in Rede stehenden Erkrankung durch Dr. ?. Vielmehr spricht alles dafür, dass bei dem Kläger in medizinsicher Hinsicht weder die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108, noch der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV gegeben sind.
Die Kammer konnte die Ausführungen von Dr. ? auch in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Sie unterliegen nämlich keinem Beweisverwertungsverbot. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat nicht gegen die Vorschrift des § 200 Abs. 2 SGB VII verstoßen, als sie eine Stellungnahme von Dr. ? eingeholt hat (dazu, dass ein solcher Verstoß ein Beweisverwertungsverbot begründen kann, etwa BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 8/07 R = juris, Rdnr. 11 ff.). Wie die im Klageverfahren in Ablichtung übersandte Anfrage vom 22.03.2005 zeigt, hatte sie dem Kläger in einer § 200 Abs. 2 SGB VII genügenden Art und Weise drei verschiedene Sachverständige (von denen einer der letztendlich beauftragte Dr. ? war) zur Auswahl gestellt. Dem Kläger ist diese Auswahl auch zugegangen, wie seine am 29.03.2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingegangene Stellungnahme zeigt, in der er handschriftlich ergänzt hatte, es sei "egal, wer das Gutachten macht". Unterliegt die Stellungnahme von Dr. ? vom 07.06.2005 damit keinem Beweisverwertungsverbot, so kann es dahin stehen, ob sich ein solches Beweisverwertungsverbot im Sinne einer Fernwirkung (hierzu BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 8/07 R = juris, Rdnr. 62 ff.) auf das Gutachten von Dr. ? erstrecken würde, weil die Stellungnahme von Dr. ? (auch) Grundlage jenes Gutachtens gewesen ist.
Was schließlich den Antrag des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen Dr. ? zur Erläuterung seines Gutachtens im Rahmen der mündlichen Verhandlung anbelangt, so steht dies im Ermessen des Tatsachengerichts (allgemein etwa BSG, Urteil vom 12.04.2000 – B 9 SB 2/99 R = juris; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 118 Rdnr. 19). Zu einer Verpflichtung des Gerichts verdichtet sich das Ermessen lediglich dann, wenn noch Ermittlungsbedarf besteht, d.h. wenn sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Sachaufklärung zu betreiben (BSG, Urteil vom 12.04.2000, a.a.O.). Im vorliegenden Fall war eine weitere Sachaufklärung jedoch nicht geboten. Denn es liegt ein ausführliches Gutachten des Sachverständigen Dr. ? vor, der aufgrund seiner Qualifikation als Chefarzt der Klinik für Allgemeine Orthopädie, Endoprothetik und Wirbelsäulenerkrankungen des Krankenhauses ? über ausreichende Sachkunde verfügt, die schwierige Kausalitätsproblematik zutreffend einzuschätzen. Die Kammer hat deshalb das ihr zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt, dass sie angesichts der ausführlichen bisherigen Sachaufklärung von einer mündlichen Anhörung des im gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens absieht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen formeller Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides. Entgegen seinen Ausführungen ist der Bescheid vom 14.10.2010 nämlich in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger rügt, dieser Bescheid lasse nicht (ausdrücklich) erkennen, von welchem Organ der Beklagten er erlassen worden ist, so führt dies nicht zur formellen Rechtswidrigkeit jenes Bescheides. Dieser enthält den Zusatz, er sei "auf Grund eines Beschlusses des Rentenausschusses, der aus Vertretern von Versicherten und Arbeitgebern besteht", ergangen. Da die Beklagte von der ihr durch Gesetz (§ 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeine Vorschriften für die Sozialversicherung [SGB IV]) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, laufende Verwaltungsgeschäfte (§ 36 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 3 SGB IV i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Beklagten) besonderen Ausschüssen zu übertragen (§§ 18, 19 der Satzung der Beklagten), bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass die Entscheidung des Rentenausschusses als Geschäft der laufenden Verwaltung der Geschäftsführung der Beklagten zuzurechnen ist Der im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens übersandten Niederschrift über die Sitzung des Rentenausschusses II vom 14.10.2010 ist ferner zu entnehmen, welcher konkrete Rentenausschuss in welcher Besetzung entschieden hat. Eine Verletzung gesetzlicher bzw. untergesetzlicher (Verfahrens-)Vorschriften (§ 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 6 und 7 sowie Abs. 3 der Satzung der Beklagten) ist damit nicht ersichtlich. Soweit der Kläger weiter ausführt, es sei nicht die Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten zuständig gewesen, so kann er hiermit ebenfalls nicht durchdringen. Die Beklagte hat nämlich auf die Verfügung Nr. 1.005 der Geschäftsführung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft über die örtliche Zuständigkeit verwiesen. Nach Nr. 1, Satz 2 dieser Verfügung bleibt nach der Fusion von Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und der Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie zum 01.01.2009 die zentrale Zuständigkeit der Bezirksverwaltung Würzburg für die BK-Bearbeitung des Bereichs Glas/Keramik unberührt. Damit hat im vorliegenden Fall zu Recht die Bezirksverwaltung Würzburg entschieden, eine Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ist nicht gegeben.
Der Hilfsantrag des Klägers ist indessen begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 ist formell rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher isoliert aufzuheben. Der Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 ist formell rechtswidrig, weil er unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften zustande gekommen ist. Die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften resultiert aus der Mitwirkung der Arbeitgeber-Vertreterin ? an der Entscheidung des Renten- wie auch des Widerspruchsausschusses.
Allerdings war die Arbeitgeber-Vertreterin ? nicht bereits nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) von einer Mitwirkung an der Entscheidung des Widerspruchsausschusses kraft Gesetzes ausgeschlossen. Denn sie ist vor der Entscheidung des Widerspruchsausschusses im Rahmen ihrer Eigenschaft als Mitglied des Rentenausschusses, mithin in amtlicher Eigenschaft, in der Angelegenheit tätig geworden.
Wegen der Mitwirkung der für die für die Arbeitgeberseite entsandten Vertreterin ? soll bereits an der Entscheidung des Rentenausschusses hätte indessen der Widerspruchsausschuss über einen Ausschluss von ? entscheiden müssen. Dies folgt aus § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 SGB X. Danach ist, wenn für ein Mitglied eines Ausschusses eine Besorgnis der Befangenheit besteht, dies dem Ausschuss mitzuteilen, der dann ohne Mitwirkung des entsprechenden Mitglieds über den Ausschluss entscheidet, § 16 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X.
Die Voraussetzungen jener Vorschriften liegen vor, insbesondere begründet die Mitwirkung der Vertreterin ? an der Entscheidung des Widerspruchsausschusses eine Besorgnis der Befangenheit nach § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB X. Denn der Umstand, dass sie schon an der Entscheidung des Rentenausschusses beteiligt war, ist geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen. Wie die amtliche Überschrift zu jener Vorschrift zeigt, kommt es nicht auf eine objektiv vorliegende Befangenheit an. Ausreichend ist eine "Besorgnis der Befangenheit", also der Eindruck einer parteiischen Amtsausübung. Dieser Eindruck indessen ist aufgrund der vorherigen Mitwirkung an der Entscheidung des Rentenausschusses zu bejahen (allgemein etwa von Wulffen, in: ders., SGB X, 7. Aufl. 2010, § 17 Rdnr. 4; aA Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 21 Rdnr. 18, zur gleichlautenden Vorschrift in § 21 VwVfG). Denn es ist davon auszugehen, dass jemand, der an einer früheren Entscheidung beteiligt war, erheblich mehr Überwindung bedarf, seine eigene Entscheidung zu revidieren bzw. zu korrigieren, als ein gänzlich Unbeteiligter (Vogelgesang, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2014, K § 16 Rdnr. 8). Soweit demgegenüber argumentiert wird, eine § 60 Abs. 2 SGG entsprechende Vorschrift fehle im SGB X, so dass eine Vorbefassung nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Denn § 60 Abs. 2 SGG betrifft nicht die Besorgnis der Befangenheit, sondern einen gesetzlichen Ausschluss. Führt eine Vorbefassung im Verwaltungsverfahren indessen nicht zu einem gesetzlichen Ausschluss im Widerspruchsverfahren (eine § 60 Abs. 2 SGG entsprechende Regelung sieht § 16 Abs. 1 SGB X nicht vor), kann nicht rückgeschlossen werden, dass damit auch ein Weniger als ein gesetzlicher Ausschlussgrund – nämlich lediglich die Besorgnis der Befangenheit – nicht gegeben ist.
Auch die von der Beklagten bemühte systematische Argumentation überzeugt die Kammer nicht. Zwar ist das Widerspruchsverfahren ein behördliches Kontrollverfahren und der Widerspruchsausschuss Teil der Verwaltung. Dem wird indessen durch die Einstufung einer Mitwirkung trotz Vorbefassung als Problem der Besorgnis der Befangenheit (§ 17 Abs. 1 SGB X) und nicht des gesetzlichen Ausschlusses (§ 16 Abs. 1 SGB X) Rechnung getragen. Dadurch, dass in derartigen Fällen lediglich die objektive Besorgnis der Befangenheit besteht, ist eine Mitwirkung des gleichen Mitglieds trotz Vorbefassung nicht per se zu missbilligen. Die Mitwirkung trotz Vorbefassung bedarf jedoch einer besonderen Abstimmung des entsprechenden Ausschusses ohne Beteiligung des Mitglieds, ob eine Befangenheit wegen Vorbefassung (tatsächlich) besteht. Soweit die Beklagte ihre Rechtsauffassung auf die ältere Rechtsprechung des BSG stützt (etwa BSG, Urteil vom 16.03.1967 – 6 RKa 19/66 = juris), so verkennt sie, dass diese Rechtsprechung lange vor Inkrafttreten des SGB X ergangen ist, das mittlerweile ausdifferenzierte Regelungen über den gesetzlichen Ausschluss und die Besorgnis der Befangenheit enthält.
Die Einleitung eines Verfahrens zur Klärung eines Ausschlusses von Frau T. bzw. eine Entscheidung des Widerspruchsausschusses ohne Mitwirkung von Frau T. über ihren Ausschluss nach § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. und Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 SGB X hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden, so dass eine Verletzung jener Verfahrensvorschriften vorliegt.
Die Verletzung jener Verfahrensvorschriften bedurfte auch keiner Geltendmachung vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens. Denn abgesehen davon, dass es sich bei der Mitwirkung trotz Vorbefassung um einen objektiven Grund im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB X handelt, der im Gegensatz zu § 17 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt SGB X keiner Geltendmachung durch den Betroffenen bedarf, ergab sich die Besorgnis der Befangenheit ja erst durch ein Tätigwerden von ? im Rahmen der das Verwaltungsverfahren beendenden Entscheidung. Der Kläger hätte eine Mitwirkung trotz Besorgnis der Befangenheit also schwerlich vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens rügen können.
Die vorliegende Verletzung von § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. und Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 SGB X ist auch nicht nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift bei Verpflichtungssituationen keine Anwendung findet (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 42 Rdnr. 3; ebenso Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2014, § 42 Rdnr. 6), so ist es bei pluralistisch zusammen gesetzten Gremien wie Ausschüssen nie offensichtlich, dass eine Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst worden ist.
Die Verfahrensfehlerhaftigkeit der Widerspruchsentscheidung der Beklagten führt zur isolierten Aufhebung dieser Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem weitergehenden Hauptantrag nicht durchgedrungen ist.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit.
Der am 0 geborene Kläger war von 1977 bis 1997 bei der Firma ? im Bereich der Isolierglasfertigung beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit musste er u.a. Isolierglasscheiben mit Schultergurten transportieren. Anschließend war er als Gastronom selbständig tätig. Nachdem bei ihm Erkrankungen der Lendenwirbelsäule diagnostiziert worden waren, stellte er einen Antrag auf Anerkennung und Entschädigung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung – BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten lehnte diesen Antrag nach Einholung einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. ? vom 07.06.2005 ab. Widerspruchs,- Klage- und Berufungsverfahren blieben erfolglos (Az. des erstinstanzlichen Verfahrens: S 10 (14) U 49/06, Az. des Berufungsverfahrens: L 15 U 203/07). Im Rahmen des Berufungsverfahrens L 15 U 203/07 erklärte der Kläger, er habe während seiner Tätigkeit für die Firma ? auch schwere Lasten über der Schulter tragen müssen und verwies auf bei ihn bestehende Erkrankungen auch des Abschnitts der Halswirbelsäule. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Prüfung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) ein und holte unter dem 13.09.2010 eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes ein. Weiter zog sie die Stellungnahme von Dr. ? vom 07.06.2005, ein im Verfahren S 10 (14) U 49/06 eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr. ? vom 20.03.2007, ein im Berufungsverfahren L 15 U 203/07 eingeholtes Gutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. ? vom 07.12.2008 sowie in jenem Verfahren eingeholte Stellungnahmen des Arztes für Orthopädie Dr. ? vom 29.05.2008, 23.03. und 06.10.2010 bei. Mit Bescheid vom 14.10.2010 lehnte der Rentenausschuss der Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten eine Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV sowie eine Entschädigung hierfür ab. Der Rentenausschuss war hierbei u.a. mit der von der Arbeitgeberseite entsandten Vertreterin ? besetzt. Zur Begründung führte der Rentenausschuss aus, der Kläger habe im Rahmen seiner Tätigkeit keine Lasten von 50 kg oder mehr über einen Zeitraum von 10 Jahren getragen. Der Kläger legte am 09.11.2010 Widerspruch ein und führte u.a. aus, er habe nicht lediglich im Bereich der Montage, sondern auch im Haupttätigkeitsbereich Produktion schwere Lasten tragen müssen. Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Rechtsnachfolgerin der Firma ? vom 04.02.2011 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 zurück. Im Widerspruchsausschuss saß als Vertreterin der Arbeitgeber ?, die bereits an der Entscheidung des Rentenausschusses vom 14.10.2010 beteiligt gewesen war.
Am 22.07.2011 hat der Kläger Klage erhoben.
Er ist der Ansicht, der Bescheid des Rentenausschusses vom 14.10.2010 lasse nicht erkennen, von welchem Organ er erlassen worden sei. Überdies sei nicht die Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten zuständig gewesen. Weiter unterliege die zum Verfahren betreffend die BK nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV beigezogene Stellungnahme von Dr. ? vom 07.06.2005 einem Beweisverwertungsverbot, weil sie unter Verletzung von Vorschriften über die Erhebung von Sozialdaten zustande gekommen sei. Da die Ausführungen von Dr. ? auch die gutachtlichen Äußerungen von Dr. ? beeinflusst hätten, erstrecke sich das Beweisverwertungsverbot auch auf dessen Äußerungen. Schließlich sei jedenfalls der Widerspruchsbescheid aufzuheben, weil die Vertreterin der Arbeitgeber bereits im Rentenausschuss gesessen habe, was zur Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides führe.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2011 zu verpflichten, die Erkrankung seiner der Halswirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm hierfür Entschädigung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu leisten,
hilfsweise,
den Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest. Ergänzend verweist sie auf ein Schreiben des Klägers vom 24.03.2005, in dem sich dieser mit der Einholung eines Gutachtens von Dr. ? einverstanden erklärt hatte. Hinsichtlich der Zuständigkeit der Bezirksverwaltung Würzburg verweist sie auf ihre Fusion mit der Berufsgenossenschaft der keramischen und Glasindustrie zum 01.01.2009 sowie auf die durch Verfügung der Geschäftsführung Nr. 1.005 getroffene Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit. Die Teilnahme der Arbeitgeber-Vertreterin an der Entscheidung des Rentenausschusses stelle schließlich keinen gesetzlichen Ausschlussgrund dar, an der Entscheidung des Widerspruchsausschusses mitzuwirken, zumal dieser Teil der Verwaltung sei.
Das Gericht hat nach Durchführung eines Erörterungstermins zur Aufklärung des Sachverhaltes von Amts wegen eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. ? veranlasst. Dr. ? ist im Rahmen seines unter dem 03.09.2013 erstellten Gutachtens zu dem Ergebnis gelangt, die bei dem Kläger vorliegende Symptomatik entspreche nicht dem klinischen Bild einer (berufsbedingten) Bandscheibenerkrankung. Die nachgewiesenen Veränderungen seien als anlagebedingt einzustufen. Auch sei der Verlauf der Erkrankung mit weiterer Zunahme nach Beendigung der Tätigkeit als nicht belastungskonform zu bewerten. Das Gericht hat ferner das Protokoll des Rentenausschusses der Beklagten beigezogen, der am 14.10.2010 entschieden hatte. Der Kläger ist dem Gutachten von Dr. ? entgegen getreten und hat ausgeführt, der im Rahmen des Berufungsverfahrens L 15 U 203/07 gehörte Sachverständige Dr. ? habe es als Argument gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bewertet, dass an der Halswirbelsäule des Klägers gleich schwere morphologische Veränderungen wie an der Lendenwirbelsäule vorliegen. Deshalb könne dies im hiesigen Verfahren nicht als Argument gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV bewertet werden.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger insoweit nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als die Beklagte die Anerkennung bzw. Entschädigung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV abgelehnt hat, weil diese Entscheidung materiell rechtmäßig ist. Demgegenüber ist der Kläger durch den Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 beschwert, weil dieser formell rechtswidrig ist.
Der Kläger kann mit seinem Hauptantrag nicht durchdringen, weil die materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung bzw. Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV nicht vorliegen.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Nur solche Krankheiten, die in Anlage 1 zur BKV (sogenannte Berufskrankheitenliste) im Einzelnen aufgeführt sind, können als Berufskrankheiten anerkannt werden.
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 22.08.2000, B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14). Der Vollbeweis einer Krankheit in jenem Sinne ist geführt, wenn ihr Vorliegen in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass sämtliche Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.03.2011 – L 15 U 263/03 = juris).
Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, a.a.O.). Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität müssen nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 = SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 27.06.2000 – B 2 U 29/99 R; Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Rdnr. 26). Das ist dann der Fall, wenn unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Urteil vom 16.02.1971 – 1 RA 113/70 = BSGE 32, 203, 209; BSG, Urteil vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 = 43, 110, 113; BSG, Urteil vom 02.11.1999 – B 2 U 47/98 R = SozR 3 - 1300 § 48 Nr. 67).
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben steht zur Überzeugung der Kammer nicht fest, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.
Hierbei kann dahin stehen, ob die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers erfüllt sind. Denn jedenfalls liegen die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV nicht vor. Es ist nämlich zur Überzeugung der Kammer nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Erkrankung der Halswirbelsäule des Klägers ursächlich auf die beruflichen Einwirkungen zurückzuführen ist. Das Gericht stützt sich auf das von Amts wegen eingeholte ausführliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ? vom 03.09.2013. Dieser hat ausgeführt, im Rahmen der langjährigen Tätigkeit des Klägers sei es zu keinen für die Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV typischen Beschwerden der Halswirbelsäule gekommen. Die Verspannungen der Halswirbelsäulenmuskulatur, welche offenbar 2004 und 2008 aufgetreten sind und zu einer endgradigen Bewegungseinschränkung führten, sind mit dem Sachverständigen Dr. ? als unspezifisch einzustufen. Dr. ? hat in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt, die sich bei dem Kläger darstellende Symptomatik entspreche nicht dem klinischen Bild einer Bandscheibenerkrankung, weil es an den charakteristischen Nerven- bzw. Nervenwurzelreizerscheinungen fehle. Überdies ergibt sich nach den Ausführungen von Dr. ? ein nicht belastungskonformer Verlauf der Erkrankung mit weiterer Zunahme der Beschwerden nach Beendigung der Tätigkeit. Auch dies spricht gegen eine Verursachung der Beschwerden durch die beruflichen Einwirkungen. Soweit der Kläger ausgeführt hat, der im Berufungsverfahren L 15 U 203/07 gehörte Sachverständige Dr. ? habe aus den gleich schweren morphologischen Veränderungen von Hals- und Lendenwirbelsäule gefolgert, es liege kein vorauseilender Verschleiß der Lendenwirbelsäule vor, so steht diese Argumentation – ihre fachliche Richtigkeit unterstellt – im Rahmen der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV nicht im Widerspruch zur Einschätzung der hier in Rede stehenden Erkrankung durch Dr. ?. Vielmehr spricht alles dafür, dass bei dem Kläger in medizinsicher Hinsicht weder die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108, noch der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV gegeben sind.
Die Kammer konnte die Ausführungen von Dr. ? auch in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Sie unterliegen nämlich keinem Beweisverwertungsverbot. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat nicht gegen die Vorschrift des § 200 Abs. 2 SGB VII verstoßen, als sie eine Stellungnahme von Dr. ? eingeholt hat (dazu, dass ein solcher Verstoß ein Beweisverwertungsverbot begründen kann, etwa BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 8/07 R = juris, Rdnr. 11 ff.). Wie die im Klageverfahren in Ablichtung übersandte Anfrage vom 22.03.2005 zeigt, hatte sie dem Kläger in einer § 200 Abs. 2 SGB VII genügenden Art und Weise drei verschiedene Sachverständige (von denen einer der letztendlich beauftragte Dr. ? war) zur Auswahl gestellt. Dem Kläger ist diese Auswahl auch zugegangen, wie seine am 29.03.2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingegangene Stellungnahme zeigt, in der er handschriftlich ergänzt hatte, es sei "egal, wer das Gutachten macht". Unterliegt die Stellungnahme von Dr. ? vom 07.06.2005 damit keinem Beweisverwertungsverbot, so kann es dahin stehen, ob sich ein solches Beweisverwertungsverbot im Sinne einer Fernwirkung (hierzu BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 8/07 R = juris, Rdnr. 62 ff.) auf das Gutachten von Dr. ? erstrecken würde, weil die Stellungnahme von Dr. ? (auch) Grundlage jenes Gutachtens gewesen ist.
Was schließlich den Antrag des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen Dr. ? zur Erläuterung seines Gutachtens im Rahmen der mündlichen Verhandlung anbelangt, so steht dies im Ermessen des Tatsachengerichts (allgemein etwa BSG, Urteil vom 12.04.2000 – B 9 SB 2/99 R = juris; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 118 Rdnr. 19). Zu einer Verpflichtung des Gerichts verdichtet sich das Ermessen lediglich dann, wenn noch Ermittlungsbedarf besteht, d.h. wenn sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Sachaufklärung zu betreiben (BSG, Urteil vom 12.04.2000, a.a.O.). Im vorliegenden Fall war eine weitere Sachaufklärung jedoch nicht geboten. Denn es liegt ein ausführliches Gutachten des Sachverständigen Dr. ? vor, der aufgrund seiner Qualifikation als Chefarzt der Klinik für Allgemeine Orthopädie, Endoprothetik und Wirbelsäulenerkrankungen des Krankenhauses ? über ausreichende Sachkunde verfügt, die schwierige Kausalitätsproblematik zutreffend einzuschätzen. Die Kammer hat deshalb das ihr zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt, dass sie angesichts der ausführlichen bisherigen Sachaufklärung von einer mündlichen Anhörung des im gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens absieht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen formeller Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides. Entgegen seinen Ausführungen ist der Bescheid vom 14.10.2010 nämlich in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger rügt, dieser Bescheid lasse nicht (ausdrücklich) erkennen, von welchem Organ der Beklagten er erlassen worden ist, so führt dies nicht zur formellen Rechtswidrigkeit jenes Bescheides. Dieser enthält den Zusatz, er sei "auf Grund eines Beschlusses des Rentenausschusses, der aus Vertretern von Versicherten und Arbeitgebern besteht", ergangen. Da die Beklagte von der ihr durch Gesetz (§ 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeine Vorschriften für die Sozialversicherung [SGB IV]) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, laufende Verwaltungsgeschäfte (§ 36 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 3 SGB IV i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Beklagten) besonderen Ausschüssen zu übertragen (§§ 18, 19 der Satzung der Beklagten), bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass die Entscheidung des Rentenausschusses als Geschäft der laufenden Verwaltung der Geschäftsführung der Beklagten zuzurechnen ist Der im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens übersandten Niederschrift über die Sitzung des Rentenausschusses II vom 14.10.2010 ist ferner zu entnehmen, welcher konkrete Rentenausschuss in welcher Besetzung entschieden hat. Eine Verletzung gesetzlicher bzw. untergesetzlicher (Verfahrens-)Vorschriften (§ 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 6 und 7 sowie Abs. 3 der Satzung der Beklagten) ist damit nicht ersichtlich. Soweit der Kläger weiter ausführt, es sei nicht die Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten zuständig gewesen, so kann er hiermit ebenfalls nicht durchdringen. Die Beklagte hat nämlich auf die Verfügung Nr. 1.005 der Geschäftsführung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft über die örtliche Zuständigkeit verwiesen. Nach Nr. 1, Satz 2 dieser Verfügung bleibt nach der Fusion von Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und der Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie zum 01.01.2009 die zentrale Zuständigkeit der Bezirksverwaltung Würzburg für die BK-Bearbeitung des Bereichs Glas/Keramik unberührt. Damit hat im vorliegenden Fall zu Recht die Bezirksverwaltung Würzburg entschieden, eine Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ist nicht gegeben.
Der Hilfsantrag des Klägers ist indessen begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 ist formell rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher isoliert aufzuheben. Der Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 ist formell rechtswidrig, weil er unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften zustande gekommen ist. Die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften resultiert aus der Mitwirkung der Arbeitgeber-Vertreterin ? an der Entscheidung des Renten- wie auch des Widerspruchsausschusses.
Allerdings war die Arbeitgeber-Vertreterin ? nicht bereits nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) von einer Mitwirkung an der Entscheidung des Widerspruchsausschusses kraft Gesetzes ausgeschlossen. Denn sie ist vor der Entscheidung des Widerspruchsausschusses im Rahmen ihrer Eigenschaft als Mitglied des Rentenausschusses, mithin in amtlicher Eigenschaft, in der Angelegenheit tätig geworden.
Wegen der Mitwirkung der für die für die Arbeitgeberseite entsandten Vertreterin ? soll bereits an der Entscheidung des Rentenausschusses hätte indessen der Widerspruchsausschuss über einen Ausschluss von ? entscheiden müssen. Dies folgt aus § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 SGB X. Danach ist, wenn für ein Mitglied eines Ausschusses eine Besorgnis der Befangenheit besteht, dies dem Ausschuss mitzuteilen, der dann ohne Mitwirkung des entsprechenden Mitglieds über den Ausschluss entscheidet, § 16 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X.
Die Voraussetzungen jener Vorschriften liegen vor, insbesondere begründet die Mitwirkung der Vertreterin ? an der Entscheidung des Widerspruchsausschusses eine Besorgnis der Befangenheit nach § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB X. Denn der Umstand, dass sie schon an der Entscheidung des Rentenausschusses beteiligt war, ist geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen. Wie die amtliche Überschrift zu jener Vorschrift zeigt, kommt es nicht auf eine objektiv vorliegende Befangenheit an. Ausreichend ist eine "Besorgnis der Befangenheit", also der Eindruck einer parteiischen Amtsausübung. Dieser Eindruck indessen ist aufgrund der vorherigen Mitwirkung an der Entscheidung des Rentenausschusses zu bejahen (allgemein etwa von Wulffen, in: ders., SGB X, 7. Aufl. 2010, § 17 Rdnr. 4; aA Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 21 Rdnr. 18, zur gleichlautenden Vorschrift in § 21 VwVfG). Denn es ist davon auszugehen, dass jemand, der an einer früheren Entscheidung beteiligt war, erheblich mehr Überwindung bedarf, seine eigene Entscheidung zu revidieren bzw. zu korrigieren, als ein gänzlich Unbeteiligter (Vogelgesang, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2014, K § 16 Rdnr. 8). Soweit demgegenüber argumentiert wird, eine § 60 Abs. 2 SGG entsprechende Vorschrift fehle im SGB X, so dass eine Vorbefassung nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Denn § 60 Abs. 2 SGG betrifft nicht die Besorgnis der Befangenheit, sondern einen gesetzlichen Ausschluss. Führt eine Vorbefassung im Verwaltungsverfahren indessen nicht zu einem gesetzlichen Ausschluss im Widerspruchsverfahren (eine § 60 Abs. 2 SGG entsprechende Regelung sieht § 16 Abs. 1 SGB X nicht vor), kann nicht rückgeschlossen werden, dass damit auch ein Weniger als ein gesetzlicher Ausschlussgrund – nämlich lediglich die Besorgnis der Befangenheit – nicht gegeben ist.
Auch die von der Beklagten bemühte systematische Argumentation überzeugt die Kammer nicht. Zwar ist das Widerspruchsverfahren ein behördliches Kontrollverfahren und der Widerspruchsausschuss Teil der Verwaltung. Dem wird indessen durch die Einstufung einer Mitwirkung trotz Vorbefassung als Problem der Besorgnis der Befangenheit (§ 17 Abs. 1 SGB X) und nicht des gesetzlichen Ausschlusses (§ 16 Abs. 1 SGB X) Rechnung getragen. Dadurch, dass in derartigen Fällen lediglich die objektive Besorgnis der Befangenheit besteht, ist eine Mitwirkung des gleichen Mitglieds trotz Vorbefassung nicht per se zu missbilligen. Die Mitwirkung trotz Vorbefassung bedarf jedoch einer besonderen Abstimmung des entsprechenden Ausschusses ohne Beteiligung des Mitglieds, ob eine Befangenheit wegen Vorbefassung (tatsächlich) besteht. Soweit die Beklagte ihre Rechtsauffassung auf die ältere Rechtsprechung des BSG stützt (etwa BSG, Urteil vom 16.03.1967 – 6 RKa 19/66 = juris), so verkennt sie, dass diese Rechtsprechung lange vor Inkrafttreten des SGB X ergangen ist, das mittlerweile ausdifferenzierte Regelungen über den gesetzlichen Ausschluss und die Besorgnis der Befangenheit enthält.
Die Einleitung eines Verfahrens zur Klärung eines Ausschlusses von Frau T. bzw. eine Entscheidung des Widerspruchsausschusses ohne Mitwirkung von Frau T. über ihren Ausschluss nach § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. und Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 SGB X hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden, so dass eine Verletzung jener Verfahrensvorschriften vorliegt.
Die Verletzung jener Verfahrensvorschriften bedurfte auch keiner Geltendmachung vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens. Denn abgesehen davon, dass es sich bei der Mitwirkung trotz Vorbefassung um einen objektiven Grund im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB X handelt, der im Gegensatz zu § 17 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt SGB X keiner Geltendmachung durch den Betroffenen bedarf, ergab sich die Besorgnis der Befangenheit ja erst durch ein Tätigwerden von ? im Rahmen der das Verwaltungsverfahren beendenden Entscheidung. Der Kläger hätte eine Mitwirkung trotz Besorgnis der Befangenheit also schwerlich vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens rügen können.
Die vorliegende Verletzung von § 17 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. und Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 SGB X ist auch nicht nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift bei Verpflichtungssituationen keine Anwendung findet (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 42 Rdnr. 3; ebenso Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2014, § 42 Rdnr. 6), so ist es bei pluralistisch zusammen gesetzten Gremien wie Ausschüssen nie offensichtlich, dass eine Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst worden ist.
Die Verfahrensfehlerhaftigkeit der Widerspruchsentscheidung der Beklagten führt zur isolierten Aufhebung dieser Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem weitergehenden Hauptantrag nicht durchgedrungen ist.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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