L 11 R 3805/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4242/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3805/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.07.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin Anspruch auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung hat.

Die 1958 geborene Klägerin verfügt über keine Berufsausbildung und war zuletzt bis 13.04.2006 versicherungspflichtig als Raumpflegerin tätig. Davor war sie als Küchenhilfe beschäftigt.

Vom 14. bis 25.04.2006 bezog die Klägerin Krankengeld. Während der Rehabilitation vom 26.04 bis 17.05.2006 erhielt sie Übergangsgeld. Hieran schloss sich bis zum 31.08.2007 erneut der Bezug von Krankengeld an. Vom 01.09.2007 bis 30.08.2008 erhielt die Klägerin Arbeitslosengeld. Ab 31.08 bis 06.10.2008 war sie arbeitslos ohne Leistungsbezug.

Am 10.04.2006 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bzw Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. In ihrem Rentenantrag gab sie als Grund eine Wirbelsäulenversteifung am 02.04.2006 an.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine sozialmedizinische Begutachtung durch Dr. K., Arzt für Orthopädie und Chirotherapie. Dr. K. kam in seinem Gutachten vom 18.12.2006 zu der Einschätzung, dass leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen in Tages-, Früh-, Spät- und Nachtschicht und unter Beachtung der Gebrauchsfähigkeit der Hände, häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Gang- und Standsicherheit sowie Zwangshaltungen vollschichtig ausgeübt werden könnten.

Mit Bescheid vom 22.12.2006 lehnte daraufhin die Beklagte den Rentenantrag ab. Auf den Widerspruch der Klägerin legte die Beklagte die zusätzlich vorgelegten medizinischen Unterlagen nochmals Dr. K. zur ergänzenden Stellungnahme vor. Dieser teilte mit Schreiben vom 26.03.2007 mit, dass sich auch hieraus keine quantitative Leistungseinschränkung ergeben würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2007 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Hiergegen erhob die Klägerin am 15.06.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) (S 6 R 2991/07). Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf ihre Wirbelsäulenerkrankung und die hiermit verbundenen Schmerzzustände.

Das SG bestellte daraufhin den Orthopäden Dr. J. zum medizinischen Sachverständigengutachter. Dieser stellte folgende Diagnosen: geringe Fehlstatik der Wirbelsäule, operativ verstärkte Lendenwirbelsäule von L3 bis S1 mit Verspannung der Lendenstreckmuskulatur sowie leichte S1-Wurzelschädigung rechts ohne Paresen oder Zeichen einer Nervenwurzelreizerscheinung. Demnach bestünde ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten (Gutachten vom 23.02.2008).

Auf Antrag der Klägerin beauftragte das SG darüber hinaus nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden und Rheumatologen Prof. Dr. G.-Z. sowie den Neurologen und Psychiater Dr. S. mit der Begutachtung der Klägerin. Prof. Dr. G.-Z. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 29.01.2009 im Wesentlichen die folgenden Erkrankungen: rezidivierende Lumbalgien und Lumboischialgien, Postfusionssyndrom beim Zustand nach Spondylodese L5/S1 2000, Neurolyse S1 2002 sowie Metallentfernung L5/S1 und Fusion L3 auf L5 2006, HWS-Syndrom bei temporärer Radikulopathie rechts bei Bandscheibenprotrusio C6/C7 ohne Wurzelkompression. Die Klägerin verfügt nach Einschätzung von Prof. Dr. G.-Z. über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Dr. S. teilte in seinem Gutachten vom 04.10.2009 auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen mit: rezidivierende depressive Störung, DD bipolare affektive Störung, Zustand nach Angststörung, Sulcus-ulnaris-Syndrom beidseits und Verdacht auf atypischen Gesichtsschmerz. Nach seiner Auffassung verfüge die Klägerin ebenfalls über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen.

Mit Urteil vom 24.03.2010 wies das SG daraufhin die Klage ab.

Gegen das erstinstanzliche Urteil legte die Klägerin am 04.06.2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 5 R 2638/10) ein. Das Berufungsgericht beauftragte Dr. H. mit der orthopädischen Begutachtung der Klägerin. In seinem Gutachten vom 29.09.2010 diagnostizierte er folgende Erkrankungen: chronisches lumbales Schmerzsyndrom nach mehrfachen Wirbelsäulenoperationen bei Wirbelgleiten L5/S1 mit Zeichen einer chronischen Irritation der Nervenwurzel S1 rechts, funktionelles Schmerzsyndrom mit Schulter-/Nackenschmerz und Schmerzen und Funktionsstörungen in den oberen Gliedmaßen ohne eindeutige organische Ursache, seelische Störungen mit Depressionen und Psoriasis - derzeit erscheinungsfrei. Die Klägerin verfüge über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Auf Antrag nach § 109 SGG beauftragte das LSG die Allgemeinmedizinerin S. mit der erneuten Begutachtung der Klägerin. Diese stellte folgende Diagnosen: Zustand nach multiplen LWS-Operationen, chronisches Schmerzsyndrom, mittelgradiges depressives Syndrom, Zustand nach Anlage eines epiduralen Schmerzkatheders am 12.09.2011 mit Ausbildung eines epiduralen Abszesses in Höhe LWK5 und begleitender Meningitis sowie Psoriasis. Nach ihrer Einschätzung könne die Klägerin aktuell keine Tätigkeit an fünf Tagen pro Woche auch weniger als drei Stunden verrichten. Die genannten Leistungseinschränkungen bestünden teilweise seit über sieben Jahren, aktuell habe sich der Gesundheitszustand aufgrund des frustranen Therapieverlaufs mit dem Epiduralkatheter massiv verschlechtert.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem LSG schlossen die Beteiligten am 14.03.2012 folgenden Vergleich:

1.) Die Beklagte gewährt der Klägerin eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in einer nervenärztlich/orthopädisch ausgerichteten Klinik. 2.) Die Klägerin nimmt die Berufung zurück. 3.) Für den Fall, dass bei der Reha-Maßnahme ein Leistungsfall vor dem 14.03.2012 festgestellt wird, stellt die Klägerin bereits jetzt einen Antrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf rückwirkende Rentengewährung. 4.) Jeder Beteiligte trägt seine eigenen Kosten. 5.) Damit ist der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin entsprechend dem Vergleich für die Zeit vom 23.04.2012 bis zum 14.05.2012 eine stationäre Reha-Maßnahme. Ausweislich des Entlassungsberichts der S. R. Kliniken B. S. diagnostizierten die dort behandelnde Ärzte folgende Erkrankungen: chronische Lumbalgien und Lumboischialgien rechts mehr als links und Hypästhesie im Bereich des linken Beines, schweres chronisches Schmerzsyndrom, Zustand nach Fusion L5/S1 (2000) bei Spondylolisthesis, Zustand nach Spondylodese und Fixateur intern L5/S1 (2002), Zustand nach Spondylodese und Fixateur intern L3/L5 und Einbringung eines Cages (04/2006), Zustand nach Epiduralabszess mit Meningitis und wohl auch Spondylodiszitis nach Anlages eines epiduralen Schmerzkatheters (09/2011) und chronische reaktive Depression. Aufgrund der neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen verfüge die Klägerin nur noch über ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen.

Mit Bescheid vom 17.07.2012 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ab. Die Klägerin sei zwar seit dem 12.09.2011 befristet voll erwerbsgemindert. Sie erfülle allerdings die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht. Zum Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles enthalte ihr Versicherungskonto keine 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen in den letzten fünf Jahren.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.08.2012 Widerspruch eingelegt. Sie sei bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch vorgelegen hätten, erwerbsgemindert gewesen. Bereits seit 2003 bestünde Arbeitsunfähigkeit. Das chronische Schmerzsyndrom bestehe spätestens seit 2009. Die Verschlechterung des Gesundheitszustandes aufgrund der Meningitis sei lediglich noch hinzugekommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es existiere kein Hinweis, dass der Leistungsfall vor September 2011 eingetreten sei. Vielmehr seien mehrere Gutachter zwischen 2008 und 2010 von einem erhaltenen vollschichtigen Leistungsvermögen ausgegangen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hätten letztmalig bei einem Leistungsfall am 30.11.2010 vorgelegen.

Am 23.11.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung verweist sie auf ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass sie aufgrund einer Verschlechterung ihres psychischen Zustandes seit Mai 2010 erwerbsgemindert sei.

Das SG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Anästhesist Dr. H. hat mitgeteilt, dass er die Klägerin zuletzt im März 2011 behandelt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe sie über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen verfügt. Der Allgemeinmediziner Dr. J. gab an, der Klägerin sei derzeit keine Erwerbstätigkeit zumutbar. Die Einschränkung bestünde seit September 2011. Eine Verschlechterung bereits zum 30.11.2010 könne er seinen Aufzeichnungen nicht entnehmen. Nach Einschätzung des Diplom-Psychologen E. habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach der Reha im April/Mai 2012 verschlechtert. Bereits seit Therapiebeginn im Mai 2010 gehe er jedoch von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen aus. Das für die Leistungseinschränkung maßgebliche Leiden liege allerdings auf orthopädischem Fachgebiet.

Mit Urteil vom 24.07.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hätten letztmalig am 30.11.2010 vorgelegen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin jedoch noch über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen verfügt und sei nicht erwerbsgemindert gewesen. Im Hinblick auf die durch den epiduralen Abszess und die begleitende Meningitis verursachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes im September 2011 sei für die Kammer nachvollziehbar, dass ab diesem Zeitpunkt eine quantitative Leistungsminderung vorliege.

Gegen das dem Bevollmächtigten am 01.08.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.08.2013 beim LSG eingelegte Berufung der Klägerin. Zwar habe die Klägerin unstreitig aufgrund einer Meningitis einen weiteren Leistungsknick erlitten. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Leistungsvermögen nicht bereits vorher aus anderen Gründen aufgehoben gewesen sei. Bereits vor Oktober 2010 habe die Klägerin unter so starken Schmerzen gelitten, dass sie die doppelte der zulässigen Menge an Schmerzmittel und Antidepressiva eingenommen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.07.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 22.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2007 eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab Mai 2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab Mai 2010.

Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Artikel 1 Nr 12 RVV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll Erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei dem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Es steht zur Überzeugung des Senats zwar fest, dass die Klägerin seit September 2011 nur noch weniger als sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnte und deshalb erwerbsgemindert war. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt. Im Fünfjahreszeitraum vom September 2006 bis zum September 2011 liegen keine 36 Monate mit Pflichtbeiträgen vor. Der Zeitraum verlängert sich zwar um die drei Monate der Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI (Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug) von August 2008 bis Oktober 2008 und erstreckt sich deshalb vom Juli 2006 bis zum September 2011; Arbeitsunfähigkeitszeiten als Verlängerungstatbestand liegen nicht vor, da die Klägerin in den maßgeblichen AU-Zeiträumen Krankengeld bezogen hat (§ 58 Abs 1 S 3 SGB VI). In diesem Zeitraum liegen jedoch nur 26 Monate Pflichtbeiträge vor, also weniger als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 4 SGB VI sind letztmalig bei einem Leistungsfall am 30.11.2010 erfüllt. Der Senat nimmt insoweit auf den im Berufungsverfahren vorgelegten Versicherungsverlauf Bezug.

Die Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist auch nicht nach § 43 Abs 5 SGB VI entbehrlich. Danach ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (zB Arbeitsunfall, Wehr- oder Zivildienstbeschäftigung; § 53 SGB VI). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Auch die Tatbestände des § 241 Abs 2 SGB VI sind nicht erfüllt, denn die Klägerin hat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht jeden Kalendermonat mit Anwartschaftserhaltungszeiten gemäß § 241 Abs 2 Satz 1 Nr 1 - 6 SGB VI belegt.

Eine maßgebliche Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin bereits im November 2010 liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Dies entnimmt der Senat den sachverständigen Gutachten von Dr. H., Prof. Dr. G.-Z., Dr. S., Dr. J., dem Verwaltungsgutachten von Dr. K. sowie den Aussagen der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. J ... Dr. H. hat in seinem Sachverständigengutachten vom 29.09.2010 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 03.09.2010 ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom nach mehrfachen Wirbelsäulenoperationen bei Wirbelgleiten L5/S1 mit Zeichen einer chronischen Irritation der Nervenwurzel S1 rechts, ein funktionelles Schmerzsyndrom mit Schulter-/Nackenschmerzen und Schmerzen und Funktionsstörungen der oberen Gliedmaßen ohne eindeutige organische Ursache, seelische Störungen mit Depressionen diagnostiziert. Danach ist die biomechanische Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule deutlich reduziert. Um die Bewegungssegmente oberhalb der Versteifungsstrecke L3 bis S1 nicht zu überlasten, sollten nur noch leichte bis gelegentlich kurzfristig mittelschwere körperliche Arbeiten verrichtet werden. Gelegentliches, kurzfristiges Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg in stabilisierter aufrechter Rumpfhaltung, bzw bis 5 kg in Rumpfvor- oder Seitneigung erscheine unbedenklich. Die Körperhaltung sollte immer wieder zwischen sitzen, gehen und stehen verändert werden, wobei Sitzphasen von einer Stunde Dauer und Steh- und Gehphasen von 30 bis 45 Minuten Dauer mehrfach täglich zumutbar seien. Langes Verharren in Zwangshaltungen der Wirbelsäule sollte vermieden werden. Gelegentliches kurzfristiges Bücken sei unbedenklich. Auch Arbeiten, die mit Sprungbelastungen einhergingen, seien nicht mehr leidensgerecht. Mögliche Arbeiten sollten überwiegend im Sitzen erfolgen. Darüber hinaus seien grob- und feinmechanisch besonders anspruchsvolle Arbeiten der Klägerin nicht mehr abzuverlangen. Vermieden werden sollten auch Arbeiten in nass/kalter Umgebung, insbesondere ungeschützte Handarbeiten in kühlen Bereichen und Eiswasser usw. Aufgrund der angegebenen Schlafstörungen sollten keine Arbeiten in Schichtdienst erfolgen. Auch Arbeiten unter Akkordbedingungen seien aufgrund der medizinisch angeratenen ständigen Veränderungen der Körperhaltung nicht mehr leidensgerecht. Unter Beachtung dieser Einschränkungen seien leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig (sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche) möglich.

Diese Leistungseinschätzung ist für den Senat sozialmedizinisch nachvollziehbar und schlüssig. So leitet der Gutachter die qualitativen Leistungseinschränkungen aus den mitgeteilten Befunden ab. In Übereinstimmung mit Dr. H. ist daher im September 2010 von einem vollschichtigen Leistungsvermögen auszugehen. Diese Einschätzung wird auch durch die Gutachten von Prof. Dr. G.-Z. und Dr. S. gestützt. Auch Prof. Dr. G.-Z. ging in seinem orthopädischen Gutachten von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus. Gleiches gilt für Dr. S., der auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt hat: rezidivierende depressive Störung, DD bipolare affektive Störung, Zustand nach Angststörung, Sulcus-ulnaris-Syndrom beidseits und Verdacht auf atypischen Gesichtsschmerz. Auch nach seiner Auffassung verfügte die Klägerin über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen. Zwar wurden die Gutachten von Prof. Dr. G.-Z. und Dr. S. im Januar 2009 bzw Oktober 2009 erstattet. Eine wesentliche Verschlechterung im Vergleich zu dem Gesundheitszustand, den Dr. H. festgestellt hat, ist für den Senat jedoch nicht ersichtlich.

Gleiches gilt für das Gutachten von Dr. J., der auf orthopädischem Gebiet ebenfalls ein sechsstündiges Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten in seinem Gutachten vom 23.02.2008 festgestellt hat. Auch Dr. K. ging in seinem Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren von einem entsprechenden vollschichtigen Leistungsvermögen aus.

Die Einschätzung des Senats wird ferner gestützt durch die Aussagen der behandelnden Ärzte. Der Anästhesist Dr. H. hat mitgeteilt, er habe die Klägerin zuletzt im März 2011 behandelt. Zu diesem Zeitpunkt habe sie über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen verfügt. Auch der Allgemeinmediziner Dr. J. hat angegeben, dass der Klägerin zwar derzeit keine Erwerbstätigkeit zumutbar sei, die Leistungseinschränkung bestünde jedoch erst seit September 2011. Eine Verschlechterung bereits zum 30.11.2010 könne er seinen Aufzeichnungen nicht entnehmen.

Soweit der Diplom-Psychologe E. die Klägerin seit Mai 2010 für höchstens drei Stunden täglich erwerbstätig hält, überzeugt dessen Einschätzung nicht. Es wurden keine Diagnosen und Befunde mitgeteilt, die diese Einschätzung tragen. Darüber hinaus hat der Senat zu berücksichtigen, dass nach der Meinung des Diplom-Psychologen E. das orthopädische Fachgebiet maßgeblich sei. In orthopädischer Hinsicht hat Dr. H. jedoch noch im September 2010 ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen bejaht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein vor September 2011 liegender Leistungsfall auch nicht aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 14.05.2012. Vielmehr enthält der Bericht überhaupt keinen konkreten Zeitpunkt eines Leistungsfalls. Die Ärzte beschrieben lediglich die Krankheitsgeschichte der Klägerin als Hintergrund der psychischen Entwicklung. Hinsichtlich des Krankheitsverlaufs war für den Senat daher die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. H. vom 18.01.2012 im Verfahren L 5 R 2638/10 R und die Stellungnahme von Herrn Dr. J. nachvollziehbar, wonach erst der epidurale Abszess und die Meningitis zu einer relevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes im September 2011 führten. So kam es im Rahmen des Legens eines epiduralen Schmerzkatheders im September 2011 zu einer Entzündung, welche nachfolgend antibiotisch behandelt wurde. Soweit Dr. H. allerdings noch von einer Besserung im Rahmen einer Rekonvaleszenzzeit ausgeht, ergibt sich aus dem Reha-Entlassungsbericht, dass auch im Mai 2012 noch ein untervollschichtiges Leistungsvermögen bestand. Da freilich im September 2011 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vorlagen, kam die Zuerkennung einer Rente gemäß § 43 SGB VI nicht in Betracht.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass die Klägerin vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Wie bereits dargelegt, sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die auch für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gelten, nicht erfüllt. Abgesehen davon könnte die Klägerin nach der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Küchenhilfe und Raumpflegerin tätig. Die Klägerin ist daher nach der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit als ungelernte Arbeiterin auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved