S 12 SB 1155/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 1155/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG streitig.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist niederländische Staatsangehörige. Nach ihrem Umzug nach Aachen stellte sie am 04.04.2013 einen Antrag auf Feststellung eines GdB sowie auf Feststellung des Merkzeichens aG. Sie gab an, seit Jahrzehnten chronisch an einer rheumatischen Erkrankung (rheumatoide Arthritis) erkrankt zu sein. Die Krankheit habe hauptsächlich die großen Gelenke, Füße, Knie und Becken befallen, weswegen sie nicht lange und weit gehen könne. Des Weiteren leide sei unter einer Eisenmangelanämie und arterieller Hypertonie. Dem Antrag beigefügt war eine durch die niederländische Gemeinde Nuth ausgestellte "parkeerkaart" (Parkausweis) für Behindertenparkplätze.

Der Beklagte wertete durch seinen ärztlichen Dienst einen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. X sowie verschiedene Arztberichte der Klinik für Internistische Rheumatologie des Medizinischen Zentrums der StädteRegion B GmbH, Dr. C, aus Mai 2011, September 2011, Februar 2012, Juni 2012, November 2012 und März 2013, einen Bericht der Ambulanz der Medizinischen Klinik des Marienhospitals aus Februar 2012 sowie einen radiologischen Bericht betreffend eine MR-Untersuchung des rechten Knies aus Februar 2013 aus und kam zu der Einschätzung, der GdB der Klägerin sei bei bestehender rheumatoiden Arthritis, Fibromyalgie, rezidivierenden Schmerzen, Abgeschlagenheit, Zustand nach Meniskus-Operation November 2011, HWS-Syndrom – unter Therapie wenig Einschränkungen und Beschwerde – mit 30 zu bewerten.

Mit Bescheid vom 02.05.2013 stellte der Beklagte ab dem 04.04.2013 einen GdB von 30 fest. Hiergegen legte die Klägerin am 03.06.2013 Widerspruch ein, den sich nicht näher begründete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2013 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 30.10.2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie, vertreten durch ihre Nichte, Frau Dr. S, vorgetragen, sie leide seit über 12 Jahren an einer Rheumaerkrankung, die bleibende Schäden an den Gelenken verursacht hätte. Seit sie eine Therapie bei Dr. C im Medizinischen Zentrum der StädteRegion B begonnen habe, gehe es ihr phasenweise besser. Trotzdem sei sie eine chronisch kranke Frau, die Krankheit schreite aber nicht mehr so schnell voran. Sie nehme täglich Schmerzmittel, um einigermaßen beweglich zu bleiben, zusätzlich das Chemotherapeutikum Methotrexat und in regelmäßigen Abständen Rituximab 1000mg. Bei einem Schub hülfen aber auch starke Schmerzmedikamente nicht weiter, sie sei depressiv und wünsche es ginge bald zu Ende mit ihr. Sie habe aber auch gelernt, in einer solchen Phase sich besser zu helfen. Sie gehe unter Menschen. Zu Hause verschlimmere sich ihr Zustand, weswegen sie in die Stadt gehe, sich ins Café setze und das bunte Geschehen beobachte. Diese Ablenkung helfe ihr, sich von ihren Schmerzen abzulenken. Dort sei sie, bis sie wieder Kraft gesammelt habe. In einer solchen Phase könne sie aber nicht weit gehen und müsse irgendwo am Café parken. Dies sei der einzige Grund, worum es ihr gehe. Sie benötige einen Behindertenausweis, damit sie in der Stadt trotz allem mobil bleibe und am Leben teilhaben könne. Andere Vorteile wolle sie nicht geltend machen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin und Rehabilitationsmedizin Dr. K, welches dieser – nach Untersuchung der Klägerin am 18.12.2013 – gegenüber dem Gericht erstattet hat.

Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2013 zu verurteilen, bei ihr einen GdB von mindestens 50 ab dem 04.04.2013 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und verweist auf das Gutachten des Dr. K.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG nicht beschwert, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Der Klägerin steht derzeit weder ein höherer GdB als 30 zu (dazu unter I) noch ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens (aG) festzustellen (dazu unter II).

I.

Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG - Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.

Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 -B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).

Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter

(1.) rheumatisches Gelenkleiden, Fibromyalgie (2.) behandlungsbedürftige Eisenmangelanämie (3.) Bluthochdruck

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie dem Gutachten des Dr. K fest.

Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung ist bis zum Schluss umstritten geblieben. Soweit die Klägerin und die in der mündlichen Verhandlung ebenfalls anwesende Nichte angegeben habe, der Gutachter habe zu Unrecht ausgeführt, die Nichte habe den Wagen nach Beendigung der Untersuchung gefahren, so war es für die Kammer nicht erforderlich, dies näher zu klären. Die Kammer unterstellt die Aussage der Nichte als richtig und geht davon aus, dass tatsächlich die Klägerin gefahren ist. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich hier indes um eine Marginalie, die nicht geeignet ist, die übrigen Feststellungen des Gutachtens, die insbesondere auch durch die im Verwaltungsverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte gestützt werden, in Frage zu stellen.

Bei der Klägerin stehen die Beeinträchtigungen durch die rheumatoide Arthritis sowie die somatoforme Schmerzstörung im Sinne einer sog. Fibromyalgie im Vordergrund. Die Kammer geht mit dem Gutachter Dr. K davon aus, dass diese beiden Krankheitsbilder einheitlich zu betrachten sind. Sie bedingen Teil B Ziffer 18.2.1 in Verbindung mit Teil 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 30.

Für entzündlich-rheumatische Erkrankungen gelten gemäß Teil B Ziffer 18.2.1 folgende Werte:

10 ohne wesentliche Funktionseinschränkung mit leichten Beschwerden 20-40 mit geringen Auswirkungen (leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität) 50-70 mit mittelgradigen Auswirkungen (dauernde erhebliche Funktionseinbußen und Beschwerden, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität) 80-100 mit schweren Auswirkungen (irreversible Funktionseinbußen hochgradige Progredienz)

Auswirkungen über sechs Monate anhaltender aggressiver Therapien sind hierbei gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.

Nach den vorliegenden Befunden erreicht die rheumatische Erkrankung der Klägerin nicht die Grenze einer mittelgradigen Auswirkung. So ergeben sich keine Hinweise, die auf eine erhebliche Funktionseinschränkung bzw. auf eine therapieresistente Erkrankungsaktivität schließen lassen. Die Klägerin selbst hat angegeben, seit dem Beginn der Therapie bei Dr. C sei eine Besserung der Situation eingetreten. Der behandelnde Rheumatologe Dr. C beschreibt in seinen Arztberichten durchgängig nur mäßige funktionelle Beeinträchtigungen im Alltag.

Im Mai 2011 beschreibt er, dass – bei bestehender medikamentöser Behandlung - relevante Gelenksbeschwerde nicht bestehen, bis auf geringe Schmerzen im rechten Zeigefinger. Schübe oder Infekte seien nicht aufgetreten. Die Klägerin klage aber über Kopf- und Nackenschmerzen. Sie trainiere zwischenzeitlich regelmäßig in einem Fitnessstudio. Die Befunde bei der körperlichen Untersuchung waren weitgehend unauffällig. Es wurde eine kyphotische Fehlhaltung im Bereich der Halswirbelsäule beschrieben. Die rheumatische Erkrankung sei in stabiler Remission bei fehlender Krankheitsaktivität. Auch die humoralen Entzündungsparameter seien unauffällig. Es wurde eine Eisenmangelanämie festgestellt.

Im September 2011 wurde festgestellt, dass seit der letzten Untersuchung im Mai keine entzündlichen Schübe und keine Infekte aufgetreten seien. Die rheumatoide Arthritis wurde als aktuell gering aktiv beschrieben. Es bestünden Probleme im Bereich des Kniegelenks. Darüber hinaus wurden weiterhin Kopfschmerzen beklagt. Letzte wurden als Fibromyalgie-assoziiert bewertet. Es wurde ein Besuch der Klägerin bei der Familie in Afghanistan berichtet.

Im Februar 2012 wurde die Aktivität der rheumatoiden Arthritis weiter als gering beschrieben. Sie sei derzeit nicht relevant. Keine Schübe, keine Infekte. Es wurden unverändert belastungsabhängige Beschwerden im rechten Kniegelenk, kaum in den Fingergelenken angegeben. Die Kopfschmerzen bestünden weiterhin. Hiergegen nehme sie Aspirin® und Thomapyrin® ein. Die Bewegungsprüfung der großen Gelenke und der Wirbelsäule war weitgehend unauffällig. Die Klägerin berichtete zwischenzeitlich in Indien gewesen zu sein.

Auch bei der Folgeuntersuchung im Juni 2012 wurde die Aktivität der rheumatoiden Arthritis als gering bewertet. Schübe seien weiterhin nicht zu verzeichnen gewesen, allerdings belastungsabhängige Beschwerden in der rechten Hand, im rechten Kniegelenk und in der rechten Großzehe. In der zusammenfassenden Bewertung kommt der Rheumatologe zu dem Schluss, es lasse sich lediglich eine geringe Krankheitsaktivität nachweisen.

Im November 2012 wird die rheumatoide Arthritis als kaum entzündlich aktiv beschrieben. Die rheumatischen Beschwerden werden von der Klägerin auch nur als gering ausgeprägt beschrieben. Die körperliche Untersuchung der Gelenke und Wirbelsäule ist weitgehend unauffällig. Es zeigen sich belastungsabhängige Probleme im rechten Kniegelenk. Eine MR-Untersuchung des rechten Knies zeigte einen leichten Erguss und nur eine geringe gleichmäßige Verdickung der Synovialmembram. Im Übrigen zeigt sich ein regelrechter Zustand nach Teilresektion des Innenmeniskus.

Im März 2013 beschreibt der Rheumatologe Dr. C einen blanden klinischen Befund. Eindeutige Synovitiden waren nicht zu erkennen. Die Beschwerden der Halswirbelsäule sind nach seiner Einschätzung der Fibromyalgie zuzuordnen. Im rechten Knie finde sich eine Gonarthrose.

Auch die Verlaufskontrolle im Juli 2013 zeigte einen stabilen Verlauf mit geringer Krankheitsaktivität ohne Schübe. Die Entzündungsparameter waren im Normbereich, der Rheumafaktor nur gering erhöht, die Immunglobuline waren normal.

Bei der Untersuchung durch den Gutachter Dr. K ermittelte dieser die Streckung/Beugung des Kopfes mit 30°/0°/30°, die Drehung des Kopfes mit 60°/0°/60° und das Seitenneigen mit 30°/0°/30°. Schmerzäußerungen waren hierbei nicht zu vernehmen. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 20 cm ermittelt – und etwas schlechter als durchgängig bei den Untersuchungen durch Dr. C, wo stets ein Finger-Boden-Abstand von 0 cm beschrieben wurde. Das Wiederaufrichten erfolgte zügig und ohne Abstützreaktionen. Bei der Seitenneigung erreichten die Fingerspitzen jeweils das distale Oberschenkeldrittel. Die Rotation des Rumpfes im Sitzen gelangt mit 40°/0°/40°. Der Langsitz konnte mit gestreckten Beinen ohne erkennbare schmerzbedingte Ausweichbewegungen eingenommen werden. Das Lasègue-Zeichen war beidseits negativ. Die Beweglichkeit der Schultergelenke war im Normbereich. Nacken- und Schürzengriff konnten vorgeführt werde. Die Schulterpartien waren auch inspektorisch unauffällig. Kein Druckschmerz über dem Ansatz der Supraspinatussehne. Auch die Ellenbogen- und Handgelenke sind normgerecht beweglich. Die Hüftbeweglichkeit wurde beidseits mit 120°/0°/10° ermittelt, die der Knie mit 130°/0°/30°. Ein Druck- oder Verschiebeschmerz der Patella beidseits wird ebensowenig beschrieben wie ein Druckschmerz über dem inneren oder äußeren Kniegelenksspalt. Der Achillessehnenreflex war links gegenüber rechts abgeschwächt, sonst waren die Muskeleigenreflexe seitengleich und lebhaft auslösbar. Die Klägerin bewegte sich im Untersuchungszimmer mit linkshinkendem Gang. Links wurde eine Orthese getragen. Das An- und Auskleiden gelang ohne fremde Hilfe und ohne erkennbare Behinderung. Insgesamt beschreibt der Gutachter, dass im Rahmen der Untersuchung – wie auch schon zuletzt durch den behandelnden Rheumatologen – eindeutige Zeichen einer Synovitis an den großen und kleinen Gelenken der Extremitäten nicht erkennbar waren. Auch im Bereich der Wirbelsäule zeigten sich – wie auch aus den erhobenen Bewegungsausmaßen ersichtlich – keine deutlichen altersuntypischen Bewegungseinschränkungen.

Berücksichtigt man die Tatsache, dass der behandelnde Rheumatologe seit mehr als drei Jahren eine geringe Krankheitsaktivität beschreibt und die durch ihn in dieser Zeit festgestellten körperlichen Beeinträchtigungen lediglich leicht- bis höchstens mittelgradig waren - eine Feststellung, die sich im Übrigen durch das Gutachten des Dr. K vollauf bestätigt hat - so käme, unter Berücksichtigung der medikamentösen Therapie , für die rheumatische Erkrankung allein nach Auffassung der Kammer höchstens ein GdB von 20 in Betracht. Allerdings hat der Rheumatologe bei der Klägerin bereits seit längerem unter der Diagnose "Fibromyalgie" eine somatoforme Komponente beschrieben. Diese zeigt sich für den behandelnden Rheumatologen – bei nur geringer Krankheitsaktivität der rheumatischen Erkrankung – insbesondere in den von der Klägerin geschilderten Kopf- und Nackenschmerzen, aber auch in der geklagten Problemen mit den Knien, für welche sich eine klare körperliche Ursache nicht gezeigt hat. Dieser Aspekt, der nach Auffassung der Kammer, in Anlehnung an den behandelnden Rheumatologen Dr. C und den Gutachter Dr. K, sich nicht isoliert von der rheumatischen Erkrankung betrachten lässt, ist gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bewerten. Maßgeblich sind insofern die Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Hier sind nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung der vorliegenden Arztberichte wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht objektiviert. Insbesondere die von der Klägerin in der Klagebegründung angeführten depressiven Phasen sind nicht nachgewiesen. Soweit die Klägerin anführt, diese insbesondere bei Krankheitsschüben zu haben, in denen Schmerzmedikamente nicht helfen, ist festzustellen, dass solche Schübe – auch wenn die Klägerin gegenüber dem Gutachter Dr. K behauptet hat, sie habe mehrmals im Monat Schübe, bei denen die Füße, Knie und Gelenke anschwellen - in den letzten drei Jahren nicht objektiviert sind. Es finden sich auch keine entsprechenden Entzündungsparameter im Blut.

Die Kammer stellt nicht in Abrede, dass die Klägerin tatsächlich unter Schmerzzuständen leidet. Diese sind jedoch – nach den Feststellungen des behandelnden Rheumatologen und des Gutachters Dr. K – nicht auf die rheumatische Erkrankung zurückzuführen sondern sind eher psychosomatischer Natur. Hieraus resultiert indes bislang noch keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Bislang hat der Leidensdruck die Klägerin offenbar noch nicht veranlasst, sich in psychiatrische, psychologische oder psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Auch eine spezielle Schmerztherapie wird von der Klägerin nicht angegeben. So bekämpft sie die von ihr beklagten Kopfschmerzen nach eigenen Angaben mit Aspirin® und Thomapyrin®. Auch das von der Klägerin beschriebene Aktivitätsniveau spricht nach Auffassung der Kammer gegen die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung. Die Klägerin ist in der Vergangenheit zu ihrer Familien nach Afghanistan sowie nach Indien gereist. Sie ist mit ihrem eigenen Auto mobil und besucht gerne Cafés, um dort das "bunte Geschehen" zu beobachten. Für die somatoformen Erkrankungen der Klägerin – auch unter Berücksichtigung der von Dr. K beschriebenen eingeengt erscheinenden affektiven Schwingungsfähigkeit – kann ein GdB von 20 in Ansatz gebracht werden, so dass insgesamt ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen ist. Ein solcher GdB – dies steht zur Überzeugung der Kammer fest – trägt den körperlichen und somatoformen Beeinträchtigungen der Klägerin, die sich nicht trennscharf abgrenzen lassen, sondern ineinander aufgehen, zutreffend Rechnung.

Die behandlungsbedürftige Eisenmangelanämie und der Bluthochdruck bedingen nach Auffassung des Gutachters Dr. K, der sich die Kammer nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt, keinen GdB von mindestens 10. Soweit die Klägerin unter Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und Gelenke der Extremitäten klagt, haben sich diese im Rahmen der Untersuchung nicht objektivieren lassen und sind – wie oben dargelegt – bereits mit in die Bewertung der somatoformen Schmerzstörung mit eingeflossen.

Vor diesem Hintergrund ist bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.

§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).

Im vorliegenden Fall sind – wie dargelegt – lediglich die aus der rheumatoiden Arthritis und der somatoformen Schmerzstörung resultierenden Beeinträchtigungen bei der Bewertung des GdB zu berücksichtigen.

Soweit die Klägerin hier die die Feststellung eines GdB von insgesamt 50 begehrt, kommt ein solcher nach obigen Ausführungen nicht in Betracht. Die objektivierten Beeinträchtigungen der Klägerin lassen sich keinesfalls gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur).

Die begehrte Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft kommt damit nicht in Betracht.

II.

Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung; vgl. hierzu und zu den sich aus dem Merkzeichen ergebenden rechtlichen Folgen, Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419, in der Fassung vom 17.07.2009). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Erläuternde Feststellungen zur Zuerkennung des Merkzeichens G enthält Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (zur Qualifikation der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Erläuterungen vgl. LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 - 6 SB 133/09 = juris Rn. 27 - zum Merkzeichen aG). Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze darüber hinaus als Rechtsverordnung verbindliche Festlegungen enthalten ist umstritten. So wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere enthalte der durch die Versorgungsmedizin in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entsprechende Ermächtigung (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich aG seien damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.

Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass die Feststellungen des Teil D Ziffer 3 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG mit einbezogen werden können, wenngleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung (vgl. dazu etwa Urteil vom 11.03.2014 – S 12 SB 240/13; Urteil vom 18.06.2013 – S 12 SB 1015/12 = juris).

Die Feststellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie enthalten - im Hinblick auf das Merkzeichen aG - im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 31 der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die AHP 2008 beschrieben in Ziffer 31 Abs. 3 bis 4 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten. Sie gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter außergewöhnlich gehbehindert ist. Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung - als antizipierte Sachverständigengutachten - bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden. Eine entsprechende Funktion erfüllen auch die nunmehr in Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 - L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 - L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 - L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 - L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29 - zu aG; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 - L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 146 SGB IX Rn. 5).

Im vorliegenden Fall kommt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG schon allein deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin keinen GdB von 50 hat und damit nicht schwerbehindert ist. Darüber ist die Klägerin auch keinesfalls dauerhaft so außergewöhnlich gehbehindert, dass sie mit der oben genannten Gruppe vergleichbar wäre. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der vorliegenden Befunde und des Gutachtens sowie nicht zuletzt des Eindrucks der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit Sicherheit fest.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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