Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 5 KR 107/14 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die schwere schwangerschaftsassoziierte Osteoporose mit multiplen Wirbelkörperfrakturen (SAOP) ist
wertungsmäßig einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gleichzustellen, die die
Versorgung mit dem Medikament Teriparatid (Forsteo) im Rahmen des Off-Label-Use rechtfertigt.
SBuiscphowspohroten:ate sind bei noch bestehendem Kinderwunsch wegen ihrer Langzeitwirkungen kontraindiziert.
wertungsmäßig einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gleichzustellen, die die
Versorgung mit dem Medikament Teriparatid (Forsteo) im Rahmen des Off-Label-Use rechtfertigt.
SBuiscphowspohroten:ate sind bei noch bestehendem Kinderwunsch wegen ihrer Langzeitwirkungen kontraindiziert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Behandlung der Antragstellerin mit dem Arzneimittel Forsteo (Teriparatid) längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
Der Antrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin das Arzneimittel Forsteo (Teriparatid) für die Durchführung der Behandlung zu finanzieren, soweit die behandelnden Ärzte der Antragstellerin diese Behandlung verordnen, ist zulässig.
Er ist auch begründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind gegeben. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eines solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistungen sowie einen Anordnungsgrund, d. h. einen Sachverhalt, aus dem sich die Eilbedürftigkeit der Anordnung ergibt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr sind die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern und umgekehrt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG – Kommentar, 10. Auflage Rn 27 ff.). Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.
Im vorliegenden Fall ist die Prüfung des Anordnungsanspruchs nicht auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren beschränkt. Denn drohen dem Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet. Zudem ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 03.02.2014, Aktenzeichen L 1 KR 30/14 B ER mit weiteren Nachw. –zitiert nach Juris). Hierbei ist insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen. Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, dass diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen, ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens irreversible Nachteile erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 3.2.2014 a.a.O.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Antragsgegnerin verpflichtet, die Kosten für das Arzneimittel Forsteo zu übernehmen. Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung u.a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 SGB V). Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt (§ 2 Abs. 1a SGB V).
Zwar ist das Arzneimittel Forsteo mangels Arzneimittelzulassung für die Erkrankung der Klägerin nicht verordnungsfähig. Versicherte können Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - Az.: B 1 KR 25/11 R – zitiert nach Juris). Das Arzneimittel Forsteo ist weder in Deutschland noch europaweit als Arzneimittel für die Indikation "schwangerschaftsassoziierte Osteoporose" (SAOP) zugelassen.
Jedoch sind die oben genannten Voraussetzungen des § 2 Abs.1a SGB V erfüllt. Die Antragstellerin leidet an einer schweren SAOP mit multiplen Wirbelkörperfrakturen, die nach Auffassung der Kammer wertungsmäßig einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gleichzustellen ist. Denn die Antragstellerin ist durch ihre Erkrankung so schwer beeinträchtigt, dass sie nicht in der Lage ist, ihr eigenes Kind zu versorgen. Z.B. ist es ihr nicht einmal möglich, das Baby auf den Arm zu nehmen. Eine andere Therapie als die mit dem Medikament Forsteo für die Erkrankung ist nicht verfügbar. Die Gabe von Bisphosphonaten ist bei noch weiter bestehendem Kinderwunsch der Antragstellerin eindeutig kontraindiziert. Hierzu nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des Prof. in seinem Schreiben vom 17.4.2014, die sie für überzeugend hält. Durch die Bindung der Bisphosphonate an den Knochen dauert die pharmakologische, antiresorptive Wirkung des Medikaments lange nach dessen Absetzen noch an. Dadurch kann eine Schädigung des ungeborenen Kindes während einer später eintretenden Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden. Im Gegensatz dazu verbleibt das Medikament Forsteo nach dessen Absetzen nicht mehr im Körper der jeweiligen Patientin.
Es besteht auch eine begründete Erfolgsaussicht, dass mit Teriparatid ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (vgl. allg. hierzu BSG Urteil vom 13.10.2010, Aktenzeichen B 6 KA 48/09 R –zitiert nach Juris). Zwar liegen keine Forschungsergebnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Diese sind aber auch in Zukunft nicht zu erwarten, einerseits wegen der Seltenheit der Erkrankung der Antragstellerin und andererseits deshalb, weil kein Hersteller von Arzneimitteln derartige Studien an Schwangeren bzw. potenziell Schwangeren durchführt. Im medizinischen Schrifttum wird jedoch von Experten durchgängig die Auffassung vertreten, dass eine Behandlung der SAOP mit Teriparatid erfolgsversprechend ist. Hierzu verweist die Kammer erneut auf die Stellungnahmen des Prof. , in denen die Fachliteratur zitiert wird.
Im Übrigen geht auch die Antragsgegnerin davon aus, dass die Voraussetzungen eines Off-Label-Use gegeben sind. Denn sie hat sich zuletzt im Widerspruchsbescheid vom 13.2.2014 bereit erklärt, die Kosten für die Gabe von Bisphosphonaten, die ebenfalls keine Zulassung für das hier in Rede stehende Anwendungsgebiet haben, zu übernehmen. Diese kommen aber wegen ihrer Langzeitwirkungen nicht in Betracht.
Nach den oben genannten Grundsätzen fällt die vorzunehmende Folgenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Wie bereits ausgeführt, leidet die am 1976 geborene Antragstellerin unter einer schweren Form der SAOP, die zu mehrfachen Wirbelkörperfrakturen geführt hat. Sie hat am 26.4.2013 ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Bei der Antragstellerin besteht weiterhin ein Kinderwunsch. Da sie im Jahre 2014 bereits ihr 38. Lebensjahr vollendet, kann der Kinderwunsch nur noch in der kurzen Zeitspanne von wenigen Jahren verwirklicht werden. Bei einer durchschnittlichen Dauer der sozialgerichtlichen Verfahren am Sozialgericht Lübeck von zwei bis drei Jahren drohen der Antragstellerin damit ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung irreversible Nachteile. Auch droht eine Verschlechterung der Erkrankung mit weiteren Wirbelkörperfrakturen. Prof. hat mehrfach ausgeführt, dass die Gabe von Forsteo medizinisch dringend indiziert ist. Den schwerwiegenden Nachteilen auf Seiten der Antragstellerin stehen auf Seiten der Antragsgegnerin finanzielle Nachteile gegenüber, die weniger schwer wiegen. Den Interessen der Antragstellerin ist damit der Vorrang gegenüber den Interessen der Antragsgegnerin einzuräumen.
Da die Antragstellerin dingend eine Therapie benötigt, ist ein Anordnungsgrund gegeben.
Die Vollstreckung dieses Beschlusses ist nicht gemäß § 199 Abs. 2 SGG von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Angesichts der finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin, die sich laut mündlicher Auskunft des Prof. das Medikament Forsteo bis jetzt nicht auf eigene Kosten beschaffen konnte, und unter Berücksichtigung der Interessen der Antragsgegnerin ist die zugesprochene Leistung nicht nur gegen Sicherheit zu gewähren. Denn damit würde der Antragstellerin effektiver Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung praktisch verwehrt werden. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
&8195;
D. Vorsitzende der 5. Kammer
Richterin am Sozialgericht
Gründe:
Der Antrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin das Arzneimittel Forsteo (Teriparatid) für die Durchführung der Behandlung zu finanzieren, soweit die behandelnden Ärzte der Antragstellerin diese Behandlung verordnen, ist zulässig.
Er ist auch begründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind gegeben. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eines solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistungen sowie einen Anordnungsgrund, d. h. einen Sachverhalt, aus dem sich die Eilbedürftigkeit der Anordnung ergibt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr sind die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern und umgekehrt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG – Kommentar, 10. Auflage Rn 27 ff.). Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.
Im vorliegenden Fall ist die Prüfung des Anordnungsanspruchs nicht auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren beschränkt. Denn drohen dem Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet. Zudem ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 03.02.2014, Aktenzeichen L 1 KR 30/14 B ER mit weiteren Nachw. –zitiert nach Juris). Hierbei ist insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen. Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, dass diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen, ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens irreversible Nachteile erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 3.2.2014 a.a.O.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Antragsgegnerin verpflichtet, die Kosten für das Arzneimittel Forsteo zu übernehmen. Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung u.a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 SGB V). Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt (§ 2 Abs. 1a SGB V).
Zwar ist das Arzneimittel Forsteo mangels Arzneimittelzulassung für die Erkrankung der Klägerin nicht verordnungsfähig. Versicherte können Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - Az.: B 1 KR 25/11 R – zitiert nach Juris). Das Arzneimittel Forsteo ist weder in Deutschland noch europaweit als Arzneimittel für die Indikation "schwangerschaftsassoziierte Osteoporose" (SAOP) zugelassen.
Jedoch sind die oben genannten Voraussetzungen des § 2 Abs.1a SGB V erfüllt. Die Antragstellerin leidet an einer schweren SAOP mit multiplen Wirbelkörperfrakturen, die nach Auffassung der Kammer wertungsmäßig einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gleichzustellen ist. Denn die Antragstellerin ist durch ihre Erkrankung so schwer beeinträchtigt, dass sie nicht in der Lage ist, ihr eigenes Kind zu versorgen. Z.B. ist es ihr nicht einmal möglich, das Baby auf den Arm zu nehmen. Eine andere Therapie als die mit dem Medikament Forsteo für die Erkrankung ist nicht verfügbar. Die Gabe von Bisphosphonaten ist bei noch weiter bestehendem Kinderwunsch der Antragstellerin eindeutig kontraindiziert. Hierzu nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des Prof. in seinem Schreiben vom 17.4.2014, die sie für überzeugend hält. Durch die Bindung der Bisphosphonate an den Knochen dauert die pharmakologische, antiresorptive Wirkung des Medikaments lange nach dessen Absetzen noch an. Dadurch kann eine Schädigung des ungeborenen Kindes während einer später eintretenden Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden. Im Gegensatz dazu verbleibt das Medikament Forsteo nach dessen Absetzen nicht mehr im Körper der jeweiligen Patientin.
Es besteht auch eine begründete Erfolgsaussicht, dass mit Teriparatid ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (vgl. allg. hierzu BSG Urteil vom 13.10.2010, Aktenzeichen B 6 KA 48/09 R –zitiert nach Juris). Zwar liegen keine Forschungsergebnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Diese sind aber auch in Zukunft nicht zu erwarten, einerseits wegen der Seltenheit der Erkrankung der Antragstellerin und andererseits deshalb, weil kein Hersteller von Arzneimitteln derartige Studien an Schwangeren bzw. potenziell Schwangeren durchführt. Im medizinischen Schrifttum wird jedoch von Experten durchgängig die Auffassung vertreten, dass eine Behandlung der SAOP mit Teriparatid erfolgsversprechend ist. Hierzu verweist die Kammer erneut auf die Stellungnahmen des Prof. , in denen die Fachliteratur zitiert wird.
Im Übrigen geht auch die Antragsgegnerin davon aus, dass die Voraussetzungen eines Off-Label-Use gegeben sind. Denn sie hat sich zuletzt im Widerspruchsbescheid vom 13.2.2014 bereit erklärt, die Kosten für die Gabe von Bisphosphonaten, die ebenfalls keine Zulassung für das hier in Rede stehende Anwendungsgebiet haben, zu übernehmen. Diese kommen aber wegen ihrer Langzeitwirkungen nicht in Betracht.
Nach den oben genannten Grundsätzen fällt die vorzunehmende Folgenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Wie bereits ausgeführt, leidet die am 1976 geborene Antragstellerin unter einer schweren Form der SAOP, die zu mehrfachen Wirbelkörperfrakturen geführt hat. Sie hat am 26.4.2013 ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Bei der Antragstellerin besteht weiterhin ein Kinderwunsch. Da sie im Jahre 2014 bereits ihr 38. Lebensjahr vollendet, kann der Kinderwunsch nur noch in der kurzen Zeitspanne von wenigen Jahren verwirklicht werden. Bei einer durchschnittlichen Dauer der sozialgerichtlichen Verfahren am Sozialgericht Lübeck von zwei bis drei Jahren drohen der Antragstellerin damit ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung irreversible Nachteile. Auch droht eine Verschlechterung der Erkrankung mit weiteren Wirbelkörperfrakturen. Prof. hat mehrfach ausgeführt, dass die Gabe von Forsteo medizinisch dringend indiziert ist. Den schwerwiegenden Nachteilen auf Seiten der Antragstellerin stehen auf Seiten der Antragsgegnerin finanzielle Nachteile gegenüber, die weniger schwer wiegen. Den Interessen der Antragstellerin ist damit der Vorrang gegenüber den Interessen der Antragsgegnerin einzuräumen.
Da die Antragstellerin dingend eine Therapie benötigt, ist ein Anordnungsgrund gegeben.
Die Vollstreckung dieses Beschlusses ist nicht gemäß § 199 Abs. 2 SGG von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Angesichts der finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin, die sich laut mündlicher Auskunft des Prof. das Medikament Forsteo bis jetzt nicht auf eigene Kosten beschaffen konnte, und unter Berücksichtigung der Interessen der Antragsgegnerin ist die zugesprochene Leistung nicht nur gegen Sicherheit zu gewähren. Denn damit würde der Antragstellerin effektiver Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung praktisch verwehrt werden. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
&8195;
D. Vorsitzende der 5. Kammer
Richterin am Sozialgericht
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