S 21 AS 754/10

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 21 AS 754/10
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Der Wechsel von einer gesetzlichen Krankenversicherung, die einen monatlichen Zusatzbeitrag erhebt, zu
einer anderen, die keinen solchen erhebt, ist regelmäßig zumutbar und stellt keine besondere Härte dar.
In diesem Fall fehlt es auch an der Unabweisbarkeit des Bedarfs im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme eines Zusatzbeitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung. Der 1974 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Am 16.02.2010 legte er der Beklagten ein Schreiben seiner gesetzlichen Krankenversicherung, der DAK, vor, mit dem diese den Kläger darauf hingewiesen hatte, dass sie ab Februar 2010 einen Zusatzbeitrag in Höhe von monatlich 8,00 Euro erheben werde und dass für Bezieher von Arbeitslosengeld II der Leistungsträger (Arbeitsgemeinschaft, Jobcenter, Kommune) den Zusatzbeitrag übernehmen könne. Daraufhin wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom selben Tag darauf hin, dass bei erstmaliger Erhebung eines Zusatzbeitrages durch die Krankenkasse ein Sonderkündigungsrecht der Mitgliedschaft bestehe und dass eine Übernahme des Zusatzbeitrages nur möglich sei, wenn der Krankenkassenwechsel eine besondere Härte darstelle, die der Kläger dazulegen habe. Mit Schreiben vom 22.02.2010 erklärte der Kläger, dass ihm ein Krankenkassenwechsel nicht zumutbar sei. Er sei bereits seit fast 20 Jahren bei der DAK versichert, die ihn bei seiner Krankheit, Diabetes mellitus Typ I, rundum perfekt unterstütze. Das DAK-Gesundheitsprogramm für chronische Erkrankungen, an dem er teilnehme, werde von anderen Krankenkassen nicht oder nur mit Einschränkungen angeboten. Außerdem habe er bereits im Dezember 2009 seinen Beitrag eingezahlt, der ihn für das Jahr 2010 von Zuzahlungen für Rezepte befreie. Darauf sei er angewiesen, da er durch seine Krankheit monatlich teure Medizin benötige, deren Zuzahlungen er von der Regelleistung nicht aufbringen könne. Außerdem sei bekannt, dass spätestens mit Ablauf des Jahres 2010 alle Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben würden. Mit Bescheid vom 21.04.2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Übernahme eines Zusatzbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung ab. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass ein Krankenkassenwechsel für ihn eine besondere Härte darstelle. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2010 als unbegründet zurück. Mit seiner am 16.06.2010 vor dem Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass seine Mitgliedschaft bei der DAK weitere Vorteile biete, auf die zu verzichten ihm unzumutbar sei, wie unterschiedliche Erstattungen, z. B. in Form einmaliger Zahlungen. Würde er die Krankenkasse wechseln, müsse er bei der neuen Krankenkasse erneut eine Vorauszahlung leisten, um im Jahr 2010 von der Medikamentenzuzahlung befreit zu sein. Außerdem befürchte er, dass keine seriöse Krankenkasse einen Arbeitslosengeld-II-Empfänger mit offenen Armen empfange und ihm als chronisch Kranken wenigstens eine ähnlich gute Behandlungsform garantiere. Ferner fühle er sich bei der DAK rundum wohl. Deren nächste Geschäftsstelle finde sich lediglich 10 Minuten zu Fuß von seiner Wohnung entfernt. Eine Kommunikation mit Krankenkassen, deren nächste Geschäftsstelle von seinem Wohnort weiter entfernt sei, würde unnötige Kosten in Gestalt von Fahrgeld verursachen. Bei seiner Erkrankung sei es nicht akzeptabel, mit Sachbearbeitern der Krankenkasse ausschließlich über das Internet, per Telefon oder auf dem Postweg zu kommunizieren.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Beklagte zu verurteilen, den Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung, den die DAK von ihm fordere, ab März 2010 in Höhe von monatlich 8,00 Euro zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen,

und verweist dazu auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Das Gericht hat – in Ausübung seiner Amtsermittlungsbefugnisse gemäß § 106 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) – mehrere Krankenkassen befragt; insoweit wird auf Bl. 32 bis 34 und 41 der Gerichtsakte (GA) verwiesen. Anschließend wurden die Beteiligten auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage hingewiesen und zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG angehört. Die Gerichts- sowie die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten haben der erkennenden Kammer vorgelegen und sind Grundlage der vorliegenden Entscheidung. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten von tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist; die Beteiligten sind vorher gehört worden, § 105 Abs. 1 SGG. Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme eines Kostenbeitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 26 Abs. 4 SGB II kann der Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 242 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) für Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld übernommen werden, für die der Wechsel der Krankenkasse gemäß § 175 SGB V eine besondere Härte bedeuten würde, und für Personen, die allein durch diese Aufwendungen hilfebedürftig würden. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Die vom Kläger erreichte und durch die DAK bescheinigte Befreiung von der gesetzlichen Zuzahlungspflicht für Medikamente für das laufende Jahr ist nicht geeignet, einen solchen Härtefall zu begründen, denn diese Befreiung bleibt bei einem Wechsel der Krankenkasse bestehen. Finanzielle Nachteile hat der Kläger daher nicht zu befürchten. Die Befürchtung des Klägers, dass ihn keine andere (seriöse) Krankenkasse aufnehmen werde, weil er an einer chronischen Erkrankung leide und Arbeitslosengeld II-Empfänger sei, ist unbegründet. Der Kläger ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V gesetzlich krankenversicherungspflichtig und gemäß § 175 SGB V berechtigt, die Krankenkasse frei zu wählen. Ein Ablehnungsrecht hat die vom Kläger gewählte Krankenkasse nicht (§ 175 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Der Vortrag des Klägers, dass er bei der DAK an einem Gesundheitsprogramm für chronische Erkrankungen teilnehme, welches andere Krankenkassen gar nicht oder nur mit Einschränkung anbieten, ist ebenfalls nicht geeignet, einen Härtefall im Sinne des § 26 Abs. 4 SGB II zu begründen, denn er ist nicht zutreffend. Ermittlungen der Kammer haben ergeben, dass verschiedene andere gesetzliche Krankenkassen ebenfalls Programme für an Diabetes mellitus erkrankte Personen anbieten. Dass das Programm der DAK – im Gegensatz zu diesen Alternativprogrammen – für den Kläger derartige Vorteile bereithält, dass ihm ein Krankenkassenwechsel unzumutbar wäre, hat der Kläger nicht bewiesen. Angesichts der von der DAK dem Gericht zur Verfügung gestellten Beschreibung der Vorteile der DAK-Gesundheitsprogramme erscheint dem Gericht eine derartige Beweisführung auch äußerst unwahrscheinlich (vgl. Bl. 45 GA). Die Behauptung des Klägers, dass spätestens mit Ablauf des Jahres 2010 alle Krankenkassen einen Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung erheben werden, entspricht nicht den Tatsachen. Während die Techniker Krankenkasse, die Securvita BKK, die Dräger und Hanse BKK sowie die AOK Schleswig-Holstein auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt haben, derzeit keinen Zusatzbeitrag zu erheben, was für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit allein von Bedeutung ist, hat die Barmer GEK mittlerweile öffentlich bekannt gemacht, auch im Jahr 2011 auf einen Zusatzbeitrag zu verzichten (vgl. Blatt 57 GA). Darüber hinaus hätte ein Wechsel des Klägers zu einer Krankenkasse, die derzeit keinen Zusatzbeitrag erhebt, für ihn auch dann keine Nachteile, wenn diese Krankenkasse in Zukunft einen Zusatzbeitrag erheben würde, da gemäß §§ 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V ein Sonderkündigungsrecht der Mitgliedschaft besteht, wenn die Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erstmals erhebt oder erhöht. Überdies lässt sich ein Härtefall nicht mit der Befürchtung des Klägers begründen, dass er bei einem Wechsel der Krankenversicherung mit verschlechterten Leistungen rechnen müsste. Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen ergibt sich das Leistungsspektrum ganz wesentlich aus den Gesetz, dem SGB V. Auch die Tatsache, dass der Kläger seit nahezu 20 Jahren bei der DAK gesetzlich krankenversichert ist, vermag an der Beurteilung nichts zu ändern. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, auf Kosten der Allgemeinheit von der – grundsätzlich als unbedeutend zu bewertenden – Bemühung befreit zu werden, sich auf einen anderen Ansprechpartner bei der gesetzlichen Krankenversicherung einzustellen. Die Erkrankung des Klägers, der Diabetes mellitus Typ I, verschließt dem Kläger jedenfalls nicht die Möglichkeit, sich auf den Post-, Telefon- oder E-Mail-Wege an einen Mitarbeiter seiner Krankenkasse zu wenden. Ein Wechsel der gesetzlichen Krankenkasse ist dem Kläger jedenfalls nicht aus dem Grunde unzumutbar, dass er bei einer anderen Krankenkasse als der DAK einen größeren Aufwand betreiben müsste, als einen 10-minütigen Fußweg auf sich zunehmen, oder auf die Möglichkeiten der Fernkommunikation ausweichen müsste. Denn ein chronisch an Diabetes mellitus Typ I erkrankter, gesetzlich krankenversicherter Kläger mit einem solchen (geringen) Einkommen, dass er gerade keine von der Allgemeinheit finanzierten Grundsicherungsleistungen bezieht, würde jegliche Anstrengung vornehmen, um seine Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung auf das notwendige Maß zu reduzieren, und dafür auch die Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, die ein Wechsel von einer langjährigen, sich in der Nähe befindlichen Krankenkasse zu einer sonstigen (günstigeren) Krankenkasse mit sich bringt. Ein solches Vorgehen ist auch dem Kläger zumutbar. Eine andere Beurteilung des Sachverhaltes würde eine ungerechtfertigte Besserstellung von Grundsicherungsempfängen darstellen. Auch die Tatsache, dass der Kläger von der DAK unterschiedliche Erstattungen, z. B. in Form von einmaligen Zahlungen, erhält, vermag keine Unzumutbarkeit des Krankenkassenwechsels zu begründen. Auf Nachfrage der Kammer teilten sowohl die Techniker Krankenkasse, die Securvita BKK, die Dräger und Hanse BKK als auch die AOK Schleswig-Holstein mit, vergleichbare Bonusprogramme anzubieten, welche Barbetragserstattungen vorsehen. Sonstige Anhaltspunkte, die eine besondere Härte im Sinne des § 26 Abs. 4 SGB II begründen könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Leistungsbezug des Klägers in absehbarer Zeit enden wird. Das Vorliegen einer Schwerbehinderung bei dem Kläger begründet für sich genommen keine besondere Härte. Eine andere Anspruchsgrundlage kommt nicht in Betracht. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme des Zusatzbeitrages für die gesetzliche Krankenversicherung aus § 21 Abs. 6 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Unabweisbarkeit des Bedarfs, da der Kläger die Möglichkeit hat, in eine Krankenkasse zu wechseln, welche den Zusatzbeitrag nicht erhebt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

Richterin
Rechtskraft
Aus
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