L 2 SO 1431/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 1431/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1431/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 29. Juni 2011 – L 2 SO 5698/10 in Juris) fest, dass auch bei fortgeschrittener Kieferatrophie weder ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf die Gewährung eines Zuschusses noch eines Darlehens zum Zwecke einer Finanzierung implantatgestützten Zahnersatzes gem. § 73 SGB XII besteht. Vielmehr ist der Sozialhilfeempfänger wie alle gesetzlich Krankenversicherten in diesem Fall auf die Versorgung mit einem "normalen" Zahnersatz/-Prothese zu verweisen.

2. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII, da es sich hier nicht um einen laufenden, sondern gerade um einen einmaligen Bedarf handelt.
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 3. März 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine Zahnbehandlung (im hier anhängigen Rechtsstreit für die Versorgung mit Implantaten) in Höhe von 771,21 EUR laut zahnärztlicher Privatrechnung vom 7.10.2011.

Die am 9.2.1929 geborene Klägerin steht unter gesetzlicher Betreuung (Beschluss des Amtsgerichts W. vom 15.2.2012, Bl. 15 SG-Akte). Sie lebt seit 2010 im B.-Heim in W. und bezieht wegen der nicht gedeckten Heimpflegekosten Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII. Seit dem 1.11.2011 besteht Pflegestufe III, zuvor Pflegestufe II. Sie ist bei der DAK Weinheim gesetzlich krankenversichert.

Am 29.6.2011 beantragte die Tochter der Klägerin beim Beklagten die Übernahme von "Restkosten" für Zahnersatz in Höhe von "voraussichtlich 767,96 EUR" im Rahmen der Sozialhilfe (Bl. 303 der Verwaltungsakte - VA- ). Der bisherige Zahnersatz sei vom Pflegepersonal nicht mehr eingesetzt worden, da er nicht mehr gehalten habe und durch das ständige Verrutschen zu Erstickungsgefahr geführt habe. Herkömmlicher Zahnersatz sei aufgrund der zu flachen Beschaffenheit des Kiefers nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit sei, den Zahnersatz durch Stützstifte zu befestigen. Die DAK habe sowohl die gängige Übernahme der Kosten bewilligt als auch einen weiteren Teil zusätzlich aufgrund der Härtefallregelung. Der verbleibende Restbetrag sei auf die Nichtübernahme der Stützstiftbehandlung durch die DAK zurückzuführen.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.7.2011 (Bl. 307 VA) ab. Nach § 52 Abs. 1 SGB XII entsprächen die Hilfen nach den §§ 47 bis 51 den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dem von der Krankenversicherung gewährten Höchstbetrag könne die Regelversorgung vollständig abgedeckt werden. Es blieben folglich keine Kosten ungedeckt, die im Falle der Inanspruchnahme einer nach den Grundsätzen der §§ 12, 28 SGB V ausreichenden, das Maß des Notwendigen nicht unterschreitenden Versorgung mit Zahnersatz entstünden.

Hiergegen legte die Klägerin über ihre Tochter am 11.8.2011 Widerspruch ein. Über § 52 Abs. 1 SGB XII hinaus wäre ihrer Auffassung nach ergänzend zu prüfen gewesen, inwieweit die beantragte Leistung als einmaliger Bedarf nach § 31 SGB XII oder als Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII zu gewähren sei. Zahnersatz nach Regelversorgung halte im Kiefer der Klägerin nicht. Deshalb sei das Setzen von Implantatstiften die einzige medizinisch-technische Lösung. Die Leistung sei erforderlich, um Nahrungsaufnahme und Kommunikationsfähigkeit zu gewährleisten und die Menschenwürde zu erhalten. Ergänzend legte die Klägerin im August 2011 einen Kostenvoranschlag (betreffend die Prothese, voraussichtlicher Rechnungsbetrag 767,96) und einen Behandlungsplan (betreffend die Implantate, voraussichtliche Behandlungskosten 774,33 EUR) des Zahnarztes Dr. D. vom 8.6.2011 und 11.4.2011 (Bl. 345, 349 VA) sowie Atteste des Zahnarztes Dr. D. vom 27.9.2011 (Bl. 365 VA) und des Allgemeinmediziners Dr. K. vom 15.9.2011 (Bl. 367 VA) vor. Dr. D. bescheinigte, dass sich der Unterkiefer derartig atrophiert habe, dass eine Unterkieferprothese auch mit Haftcreme nicht halten könne. Bei jedem Essen und Sprechen würde die Prothese aus dem Mund fallen. Nach Dr. K. sei der aktuelle Zustand mit einem würdevollen Dasein unvereinbar; neben der Unfähigkeit, Nahrung zu kauen, bestünden auch massive Störungen der Kommunikation und sozialer Interaktion, da die Wortbildungsfähigkeit durch die veränderte Mechanik des Mundes und mimischen Apparates gestört sei.

Die Behandlung wurde ab dem 19.9.2011 (bis 6.10.2011) durchgeführt (vgl. die von der Klägerin im Dezember 2011 noch vorgelegten Privatrechnungen des Dr. D. vom 7.10.2011 über 771,21 EUR für Implantate - Bl. 433 VA - und vom 8.12.2011 über 576,95 EUR für die Prothese - Bl. 485 VA).

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.1.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 571 VA). Streitig sei die Übernahme ungedeckter Zahnbehandlungskosten in Höhe von 767,96 EUR. Eine Übernahme des Eigenanteiles für Zahnbehandlung nach den Vorschriften der §§ 47-52 SGB XII sei nicht möglich, denn die Hilfen entsprächen in Inhalt und Umfang den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies bedeute, dass keine Leistungen gewährt würden, die auch die gesetzliche Krankenkasse nicht erbringen würde ("Aufstockungsverbot"). Auch ein Anspruch auf Übernahme nach § 73 SGB XII scheide aus, da es sich bei der begehrten Hilfe um einen Tatbestand handele, der bereits in Kapitel 5 SGB XII (Hilfen zur Gesundheit) abschließend geregelt sei. § 73 SGB XII lasse die "Ausdehnung" der Hilfe in einer sonstigen Lebenslage nur auf Tatbestände zu, welche im 3. bis 9. Kapitel des SGB XII nicht geregelt seien.

Der Bescheid vom 11.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.1.2012 war Gegenstand eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Mannheim (S 9 SO 568/12). Mit Urteil vom 19.3.2013 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.1.2012 verurteilt, der Klägerin Zahnbehandlungskosten in Höhe von 767,96 EUR zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin befinde sich in einer "anderen Lebenslage" nach dem 9. Kapitel des SGB XII und sei daher im Hinblick auf die Zahnbehandlungskosten hilfebedürftig. Mit Blick auf grundrechtliche Erwägungen und im Rahmen einer an teleologischen Grundsätzen orientierten Auslegung sei es geboten, bei der Anwendung von § 73 SGB XII in Bezug auf krankenversicherungsrechtlich nicht gedeckte Gesundheitsaufwendungen großzügig zu sein. Die hiergegen vom Beklagten eingelegte Berufung (L 2 SO 1625/13) war erfolgreich (Urteil des Senats vom 27.5.2014).

Mit weiterem und hier streitgegenständlichem Bescheid vom 26.7.2012 lehnte der Beklagte "den Antrag vom Dezember 2011" auf eine Hilfe zur Gesundheit für Zahnbehandlung ab. Zur Begründung verwies er erneut darauf, dass eine Übernahme nach § 73 SGB XII nicht in Betracht komme. Hiergegen erhob die Klägerin über ihren Betreuer am 2.8.2012 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.4.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 2.5.2013 hat die Klägerin auch hiergegen Klage beim Sozialgericht Mannheim erhoben. Nach Abschluss der zahnärztlichen Behandlung habe der Zahnarzt die Gesamtkosten in Rechnung gestellt, wobei ein weiterer Eigenanteil offen geblieben sei. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, sie sei und bleibe der Meinung, dass keine luxuriöse Zusatzbehandlung erfolgt sei, sondern eine pure Notwendigkeit für diese Behandlung gegeben sei, da nur so die ungefährdete Nahrungsaufnahme und zusätzlich auch die generelle Kommunikationsfähigkeit habe gewährleistet werden können. In dem vorausgegangenen Parallelverfahren (S 9 SO 568/12) habe das SG geurteilt, die Klägerin habe sich aufgrund der Notwendigkeit neuen Zahnersatzes in einer "anderen Lebenslage" (§ 73 SGB XII) befunden. Es sei dann geboten, "im Rahmen einer an teleologischen Grundsätzen orientierten Auslegung zur Gewährleistung verfassungsrechtlicher Vorgaben geboten, bei der Anwendung von § 73 SGB XII in Bezug auf krankenversicherungsrechtlich nicht gedeckte Gesundheitsaufwendungen großzügig zu sein." Nach richterlichen Hinweisen zum Streitgegenstand hat die Klägerin zuletzt die Übernahme von 771,21 EUR für Implantate laut zahnärztlicher Privatrechnung vom 7.10.2011begehrt.

Das SG hat den Zahnarzt Dr. D. als sachverständigen Zeugen befragt. Mit Auskunft vom 10.1.2014 hat Dr. D. den folgenden Befund mitgeteilt: fehlende Oberkiefer- und Unterkieferzähne, insuffiziente Totalprothese, kein Halt der alten Prothese. Aufgrund der massiven Kieferkammatrophie des Unterkiefers sei eine neue Zahnprothese abgestützt auf zwei Mini-Implantate geplant worden. Ohne die Implantate, die eine Fixierung der Zahnprothese ermöglichten, wäre die Lebensqualität der Patientin stark eingeschränkt, da die Prothese beim Essen und Sprechen aus dem Mund fallen würde. Eine Ausnahmeindikation nach Abschnitt B.VII der zahnärztlichen Behandlungsrichtlinien Ziffer 2 a-d und Ziffer 3 habe nicht vorgelegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 3.3.2014 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.7.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2013 verurteilt, der Klägerin anlässlich der Implantatversorgung durch Dr. D. (zahnärztliche Privatrechnung vom 7.10.2011) 771,21 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat das SG in erster Linie auf seine Ausführungen in dem Urteil vom 19.3.2013 (S 9 SO 568/12) verwiesen, die ohne Einschränkungen auch auf den vorliegenden Sachverhalt zu übertragen seien. Ergänzend hat es darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Rahmen ihres Krankenversicherungsschutzes für die Implantatversorgung keine Leistungen beanspruchen könne. Denn § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V schließe implantologische Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich aus. Eine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung nach Abschnitt B.VII der zahnärztlichen Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses sei nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme nicht gegeben. Die Notwendigkeit einer Implantatversorgung beruhe auf einer allgemeinen massiven Kieferkammatrophie des Unterkiefers. Krankenversicherungsrechtlich sei in einer solchen Situation anerkannt, dass der Ausschluss implantologischer Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu beanstanden sei (Verweis auf BSG, Urteile vom 7.5.2013, B 1 KR 19/12 R und vom 13.7.2004, B 1 KR 37/02 R und Beschluss vom 23.5.2007, B 1 KR27/07 B). Vor diesem Hintergrund bestünden zu Gunsten der Klägerin im Rahmen ihres Krankenversicherungsschutzes keine vorrangigen, die Sozialhilfe verdrängenden Leistungsansprüche.

Gegen den dem Beklagten gegen EB am 6.3.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 26.3.2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er wie schon im Parallelverfahren L 2 SO 1625/13 darauf, dass das SG zu Unrecht einen Anspruch auf Erstattung der ungedeckten Zahnbehandlungskosten aus § 73 SGB XII bejaht habe. Die zahnprothetische Behandlung mit zumutbarer Eigenbeteiligung sei als notwendige Versorgung aus dem System des SGB V zu befriedigen. Für weitergehende medizinische Maßnahmen treffe weder den Grundsicherungsträger noch den Sozialhilfeträger eine Einstandspflicht (Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.11.2010, L 18 AS 1432/08). Es handele sich auch nicht um einen besonders gelagerten Einzelfall. Kieferatrophien träten bei jedem größeren Zahnverlust auf und seien deshalb in der Praxis außerordentlich häufig. Die Fallgestaltung, dass bei durch Zahnlosigkeit der Kiefer hervorgerufener vollständiger bzw. fast vollständiger Kieferatrophie eine Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz nicht im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sei, gleichwohl eine wirklich befriedigende Versorgung (fester Sitz der implantatgestützten Suprakonstruktion gegenüber einer lockeren/rutschenden Prothese) sich nur durch eine Implantatversorgung erzielen lasse, trete somit in einer Vielzahl von Fällen auf, was derartigen Fällen gleichzeitig den für das Eingreifen von §§ 42 S. 2, 37 SGB XII erforderlichen Einzelfallcharakter nehme (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2011, L 2 SO 5698/10 m.w.N.). Der Eigenanteil für die Prothese stelle auch keinen besonderen Bedarf im Sinne des § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII dar.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 3. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise den Zahnarzt Dr. D. als Zeugen zu hören zum Beweis der Tatsachen: 1. dass die alte Prothese auf Grund der ungewöhnlichen Atrophie des Kiefers ständig verrutschte und nicht mehr hielt, 2. dass die Prothese wegen der Gefahr des Verschluckens und Erstickens nicht mehr getragen werden durfte, 3. dass ohne die Prothese verständliches Sprechen und eigenständiges Essen nicht mehr möglich war, 4. dass eine Prothese aktuell nur noch mit Implantaten sicher im Kiefer (s. Ziff. 1) zu verankern war.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Insbesondere das Argument des Beklagten, es sei wegen der Häufigkeit des Auftretens von Kieferatrophien kein Einzelfall gem. §§ 42 S. 2, 37 SGB XII gegeben, trage nicht. Denn hier werde bei der Häufigkeit von Kieferatrophien offenbar nicht differenziert zwischen bedürftigen Menschen, die daran litten, und solchen mit eigenem Erwerbseinkommen oder eigener Rente. So handele es sich letztlich, im Rahmen von Sozialhilfe und Grundsicherung, doch nur um Einzelfälle. Bei der Klägerin träten besondere Umstände hinzu, denn sie sei aufgrund ihres weit fortgeschrittenen Alters und der Demenz ganz und gar nicht in der Lage, mit einer losen oder verrutschenden Zahnprothese adäquat umzugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge und die Akten im Parallelverfahren (SG Mannheim S 9 SO 568/12, L 2 SO 1625/13) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Nachdem durch das SG eine Verurteilung zur Übernahme eines Betrages von 771,21 EUR erfolgt ist, ist insbesondere die Berufungssumme erreicht.

Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat auf die Klage den Bescheid des Beklagten vom 26.7.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2013 zu Unrecht aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin anlässlich der Implantatversorgung durch Dr. D. (zahnärztliche Privatrechnung vom 7.10.2011) zu zahlen. Für einen derartigen Anspruch gibt es keine gesetzliche Grundlage.

Die Voraussetzungen des § 73 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) sind entgegen der Ansicht der Klägerin und des SG nicht erfüllt. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Ziel des § 73 Abs. 1 SGB XII ist es, atypische Bedarfslagen, die nicht bereits von den Regelungen des SGB XII erfasst sind, zu decken. § 73 SGB XII beinhaltet insoweit eine gesetzliche subsidiäre Generalklausel bzw. einen gesetzlichen Auffangtatbestand für atypische Hilfesachverhalte. Jedoch erlaubt § 73 SGB XII weder eine Aufstockung oder Ausweitung bereits vorhandener Leistungsansprüche nach dem SGB XII noch dürfen über § 73 SGB XII Sachverhalte erfasst werden, die gegenüber den sonstigen im SGB XII geregelten Hilfelagen keine vergleichbare Lebensnotlage beinhalten (vgl. insoweit nur Böttiger in juris PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 73 SGB XII m.w.N.) Diese "Öffnungsklausel" soll es damit ermöglichen, in Fällen, die vom (übrigen) Sozialleistungssystem nicht erfasst werden, Hilfen zu erbringen und damit einen "Sonderbedarf" zu decken (BSG, Urteil vom 16.12.2010, B 8 SO 7/09 R, juris Rz. 13).

Der von der Klägerin hier geltend gemachte Bedarf weist eine sachliche Nähe zu den sog. Hilfen zur Gesundheit gem. §§ 47 ff. SGB XII auf. Eine besondere Bedarfslage ist jedoch nur dann anzuerkennen, wenn der geltend gemachten Bedarf auch im System des SGB V nicht befriedigt werden kann. Der den Zahnarztkosten der Klägerin zugrundeliegende Bedarf kann vorliegend in dem auf eine Grundversorgung angelegten System des SGB V befriedigt werden, soweit es sich dabei um eine notwendige medizinische Versorgung handelt Für weitergehende medizinische Maßnahmen trifft den Sozialhilfeträger keine Einstandspflicht (so bereits die Entscheidung des Senats vom 29.6.2011, L 2 SO 5698/10, juris rz. 8, 17; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.11.2010, L 18 AS 1432/08, juris Rz. 23 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 19.9.2008, B 14/7b). Abschließend geregelte Tatbestände dulden keine Aufstockung oder Ausweitung über § 73 SGB XII (LSG München, Beschluss vom 30.5.2007, L 7 B 204/07 AS ER, Rz. 50).

Gemäß § 48 S. 1 SGB XII werden Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel Fünften Abschnitt Ersten Titel des Fünften Buch Sozialgesetzbuch erbracht. Die Hilfen nach den §§ 47 bis 51 entsprechen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 52 SGB XII). Aus diesen Regelungen folgt, dass gesetzlich krankenversicherte Personen - wie die Klägerin - keinen über die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehenden sozialhilferechtlichen Anspruch auf Krankenhilfe haben.

In der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte gem. § 28 Abs. 1 und 2 SGB V u.a. Anspruch auf ausreichende und zweckmäßige zahnärztliche Behandlung zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst. Allerdings gehören nach Satz 9 der Vorschrift ausdrücklich implantologische Leistungen nicht dazu, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Dass im Fall der Klägerin eine derartige Ausnahmeindikation (etwa in Form eines größeren Kiefer- oder Gesichtsdefektes) nicht vorliegt, hat das SG im Gerichtsbescheid vom 3.3.2014 zutreffend ausgeführt, so dass hierauf Bezug genommen werden kann. Eine Kieferatrophie gehört nicht zu den vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen festgelegten besonders schweren Fällen. Kieferatrophien treten bei jedem größeren Zahnverlust auf, sind also in der Praxis außerordentlich häufig. Das BSG hat insoweit auch keinen Anlass für eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke gesehen und krankenversicherungsrechtlich die Nichteinbeziehung von Kieferatrophien in die Ausnahmeregelung als verfassungsmäßig angesehen (BSG, Urteil vom 19.6.2001, B 1 KR 4/00 R).

Damit wird der Bedarf der Klägerin jedoch zugleich auch im Sinne des Leistungsrechts des SGB XII gedeckt. Auch nach den Vorschriften der §§ 47 ff. SGB XII hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Implantatversorgung. (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 12.12.2013, B 4 AS 6/13 R, Rz. 25, 26 zu einem vergleichbaren Fall im Grundsicherungsrecht: Dort hat das BSG ausgeführt, dass die Indikation zu einer kieferorthopädischen Behandlung durch die gesetzliche Krankenkasse anerkannt worden sei, so dass die dortige Klägerin auch die medizinisch notwendige Versorgung durch die gesetzliche Krankenkasse erhalte. Damit werde der Bedarf der Klägerin wegen der kieferorthopädischen Behandlung jedoch zugleich auch im Sinne des Grundsicherungsrechts gedeckt. Auch wenn hinsichtlich der geltend gemachten Mehrleistungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie medizinisch indiziert sein könnten, gingen diese über die notwendige Versorgung hinaus und seien daher nach der Grundkonzeption des SGB V vom Versicherten selbst zu tragen).

Den Überlegungen, die das SG zu einer großzügigen Auslegung des § 73 SGB XII in Bezug auf krankenversicherungsrechtlich nicht gedeckte Gesundheitsaufwendungen und mithin zur Annahme einer "anderen Lebenslage" geführt haben, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf Zahnersatz ist seit mehreren Jahren in der Grundkonzeption unverändert. Verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf das Niveau des durch die oben zitierten Vorschriften des Krankenversicherungsrechts gewährten Gesundheitsschutzes i.S.d. Art 2 GG werden soweit ersichtlich weder in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch in der Kommentarliteratur geäußert. Hätte der Gesetzgeber hier insbesondere für Hilfeempfänger nach dem SGB XII Änderungsbedarf gesehen, hätte es ihm freigestanden, im Rahmen der Neufassungen des § 31 SGB XII auch Leistungen für Zahnersatz gesondert aufzunehmen.

Auch ein Anspruch der Klägerin gem. § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift wird der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Inhaltlich ist die Vorschrift mit Blick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 9.2.2010 (BVerfGE 125, 174 ff.) auszulegen. Zwar betraf die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungswidrigkeit der Berechnung der Regelleistung nach dem SGB II. Die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts betreffend eine Öffnungsklausel für in Sonderfällen nicht erfasster Art auftretender Bedarfe oder solche, die einen atypischen Umfang haben, sind jedoch - weil sie einen vergleichbaren Personenkreis betreffen - auf Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu übertragen. Es muss damit ein Anspruch auf Leistungen bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf sichergestellt sein. Im Fall der Klägerin kommt damit eine abweichende Festlegung vom Regelsatz nicht in Betracht, nachdem es sich bei den Implantatkosten nicht um einen laufenden, sondern um einen einmaligen Bedarf handelt.

Scheidet ein Anspruch der Klägerin schon aus rechtlichen Gründen aus, bestand kein Anlass für weitere Sachaufklärung auf medizinischem Gebiet. Insbesondere musste der Senat dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, den Zahnarzt Dr. D. (nochmals) als Zeugen zu befragen, nicht nachkommen. Dass im Fall der Klägerin aufgrund der Atrophierung des Unterkiefers Schwierigkeiten mit der Befestigung einer herkömmlichen Prothese sowie beim Sprechen und Essen bestehen, geht bereits aus dem Attest des Dr. D. vom 27.9.2011 (Bl. 365 VA) sowie seiner Auskunft gegenüber dem SG vom 10.1.2014 (Bl. 73 SG-Akte) hervor. Dieser medizinische Befund wird vom Senat nicht in Zweifel gezogen.

Auf die Berufung des Beklagten war der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 3.3.2014 daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved