Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 SF 296/12 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 157/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Der Nachweis der bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandenen Kosten kann nicht nur durch die Vorlage der Fahrkarte geführt werden.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 29. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer wendet sich mittels der Beschwerde insofern gegen die durch das Sozialgericht (SG) erfolgte Kostenfestsetzung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG), als dieses die Erstattung der Kosten für eine Zugfahrkarte in Höhe von 18,20 EUR und eine S-Bahn-Fahrkarte in Höhe von 2,50 EUR festgesetzt hat, ohne dass der Antragsteller und Beschwerdegegner die entsprechenden Fahrkarten vorgelegt hätte.
Am 29.02.2012 nahm der in A-Stadt wohnhafte Beschwerdegegner auf gerichtliche Anordnung in einem schwerbehindertenrechtlichen Rechtsstreit einen Begutachtungstermin in B-Stadt wahr. Am 13.03.2012 beantragte er die Erstattung der anlässlich der Begutachtung angefallenen Fahrtkosten in Höhe von 23,20 EUR (18,20 EUR für die Zugfahrt A-Stadt-B-Stadt/Hauptbahnhof und zurück sowie je 2,50 EUR für die S-Bahn-Fahrten vom Hauptbahnhof zum Ortsteil der Begutachtung und zurück). Einen Beleg legte er nur für die S-Bahn-Fahrt vom Hauptbahnhof zum Gutachter, abgestempelt um 9.09 Uhr, in Höhe von 2,50 EUR vor. Weitere Nachweise reichte er nicht ein; er habe - so der Beschwerdegegner - die Fahrkarten verlegt. Die Kostenbeamtin des SG setzte die Entschädigung mit 2,50 EUR fest; die darüber hinaus geltend gemachten Kosten - so die Kostenbeamtin im gerichtlichen Schreiben vom 16.03.2012 - seien nicht mit Belegen nachgewiesen.
Auf den mit Schreiben des Beschwerdegegners vom 04.04.2012 gestellten Antrag auf gerichtliche Festsetzung ist die Entschädigung mit Beschluss des SG vom 29.06.2012 antragsgemäß auf 23,20 EUR festgesetzt worden. Das SG hat die Erstattung damit begründet, dass die vom Beschwerdegegner geltend gemachten Auslagen auch ohne Vorlage von Belegen glaubhaft seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdegegner kostenfrei mitgenommen worden sei, über ein Pendlerticket verfügt habe, mit einem vergünstigten Ticket oder überhaupt ohne Fahrschein gereist sei. Es sei zwar sicherlich sinnvoll, wenn im Antragsformular für die Entschädigung formularmäßig Belege angefordert würden. Der Gesetzeswortlaut trage es aber nicht, die Erstattung von Fahrtkosten ohne die Vorlage von Belegen grundsätzlich abzulehnen. Da das Gesetz das Führen des Vollbeweises der Fahrtkosten nicht verlange, müsse im Einzelfall mangels gesetzlicher Regelungen die Glaubhaftmachung ausreichen. Bei Verlorengehen von Belegen, deren Anforderung grundsätzlich nicht in Frage zu stellen sei, solle daher im Einzelfall die Glaubhaftmachung ausreichen. Im Rahmen der Anforderungen an die Glaubhaftmachung sollte Berücksichtigung finden, dass eine Erstattung von PKW-Kosten, die im vorliegenden Fall höher als die geltend gemachten Zugkosten wären, ohne Nachweis möglich gewesen wäre.
Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel. Er trägt vor, dass nichts leichter sei, als eine Fahrkarte als Beleg für bare Auslagen vorzulegen, worum schon im Antragsformular, das der Betroffene vorab oder nach einer gutachterlichen Untersuchung ausgehändigt bekomme, gebeten werde.
II.
Die vom SG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Beschwerde ist gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, aber unbegründet.
Die Entscheidung des SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Dem Beschwerdegegner sind im vorliegenden Fall die geltend gemachten Fahrtkosten für Zug und S-Bahn zu erstatten, da die geltend gemachten Kosten auch ohne die Vorlage von Belegen im dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen sind.
1. Anzuwendendes Recht
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn der Beschwerdegegner als Berechtigter ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.
2. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren
Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung sind vom Beschwerdegericht alle für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdeführer aufgegriffen hat oder nicht (vgl. Landessozialgericht - LSG - Thüringen, Beschluss vom 05.03.2012, Az.: L 6 SF 1854/11 B - m.w.N.). Das Beschwerdegericht ist eine neue Tatsacheninstanz, die in vollem Umfang anstelle des Erstgerichts zu entscheiden hat (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 4.18; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl. 2012, § 4 JVEG, Rdnr. 28).
3. Kriterien für die Entscheidung über die Entschädigung von Fahrtkosten
3.1. Erstattung tatsächlich entstandener Kosten
Gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 JVEG werden einem Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren bei Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln die tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks ersetzt.
3.2. Nachweisführung
Der Nachweis der bei der Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln entstandenen Kosten setzt nicht zwingend die Vorlage der Fahrkarte voraus. Der erforderliche Vollbeweis kann auch anders erbracht werden.
Wenn Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 5.6, ohne irgendeine Begründung die Ansicht vertreten, dass es in der Regel eines Nachweise über die Höhe der Fahrtkosten nicht bedürfe, kann sich der Kostensenat dieser Aussage in dieser Pauschalität nicht anschließen. Denn Meyer/Höver/Bach lassen hier - zumindest lässt sich dem Wortlaut der Kommentierung nichts anderes entnehmen - außer Betracht, dass das JVEG selbst eine derartige Beweiserleichterung nicht vorsieht und in den Verfahrensordnungen für die zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten Beweisanforderungen aufgestellt sind, die auch im Verfahren nach dem JVEG nicht unbeachtet bleiben können.
Nach den auf die Entschädigung nach dem JVEG zu übertragenden Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren sind die Tatsachen, auf die sich ein Anspruchsteller stützt, grundsätzlich im Vollbeweis nachzuweisen. Vollbeweis bedeutet, dass eine Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützen möchte. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, hat es im Rahmen der ihm zustehenden Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG festzustellen.
Lediglich dann, wenn eine gesetzliche Regelung ausdrücklich Milderungen der Beweisanforderungen zulässt und es ausreichen lässt, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich oder sogar nur glaubhaft gemacht im Sinn des § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) ist, kann vom Grundsatz abgewichen werden, dass die Tatsache im Vollbeweis nachgewiesen sein muss (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Eine derartige Ausnahmeregelung gibt es im JVEG nicht, sodass es beim Beweismaßstab des Vollbeweises verbleibt. Insofern ist der Argumentation des SG, dass nicht der Vollbeweis vorliegen müsse, sondern eine Glaubhaftmachung ausreichend sei, zu widersprechen, ohne dass dies jedoch am Ergebnis der hier zu treffenden Entscheidung etwas ändern würde.
Aufgrund der Beweisvorgaben und in Anbetracht des Gesetzeswortlauts des § 5 Abs. 1 JVEG, dass die "tatsächlich entstandenen Kosten" (bis zu der in § 5 Abs. 1 Satz 1 JVEG aufgestellten Grenze) zu erstatten sind, hat der Antragsteller mit für das Gericht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass und in welcher Höhe ihm Kosten entstanden sind.
Für die Nachweisführung ist nicht zwingend die Vorlage der Fahrkarte als Beleg für die entstandenen Kosten zu verlangen. Eine Nachweisführung kann - wie sonst auch - auf verschiedenste Art erfolgen.
Sicherlich ist die Vorlage der Fahrkarte die nächstliegende Möglichkeit. Der Beschwerdeführer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nichts leichter sei, als eine Fahrkarte als Beleg für eine bare Auslage vorzulegen. Es ist daher schon aus der Fürsorgepflicht gegenüber den Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren heraus sinnvoll und angezeigt, im gerichtlichen Formular für den Entschädigungsantrag die Antragsteller aufzufordern, die entstandenen Fahrtkosten bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit der Fahrkarte zu belegen. Damit wird nicht nur den Kostenbeamten und Kostenrichtern ein verlässliches Mittel bei der Fahrtkostenerstattung in die Hand gegeben, sondern auch insbesondere im Sinn der Antragsteller eventuellen Problemen bei der Fahrtkostenerstattung infolge von Nachweisschwierigkeiten bereits präventiv entgegen gewirkt. Eine gesetzliche Regelung, wonach allein die Nachweisführung mittels Vorlage der Fahrkarte als ausreichend anzusehen wäre, gibt es aber nicht. Hätte der Gesetzgeber eine derart eingeschränkte Beweisführung gewollt, hätte er dies explizit im JVEG (oder SGG) zum Ausdruck bringen müssen. Dies ist aber nicht geschehen.
Es sind daher für den Nachweis der entstandenen Fahrtkosten alle nur erdenklichen Beweismittel eröffnet.
Zwar gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren das förmliche Beweismittel der Parteivernehmung nicht (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2007, Az.: B 11a/7a AL 14/07 R - m.w.N.). Grund dafür ist, dass § 118 Abs 1 Satz 1 SGG nicht auf die Bestimmungen der ZPO über den Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO) verweist (vgl. BSG, Beschluss vom 24.11.1990, Az.: 1 BA 45/90; Urteil vom 28.11.2007, Az.: B 11a/7a AL 14/07 R). Dies steht einer Verwendung des Sachvortrags des Beteiligten bei der Überzeugungsbildung des Gerichts jedoch nicht entgegen (vgl. BSG, Beschluss vom 15.08.1960, Az.: 4 RJ 291/59). Im Einzelfall kann der Sachvortrag des Beteiligten sogar die alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.1989, Az.: 2 RU 47/88). Das Gericht hat gemäß § 128 SGG bei seiner Entscheidung im Rahmen des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes die absolute Wahrheit soweit wie möglich zu erforschen und das Gesamtergebnis des Verfahrens zu berücksichtigen. Das Gericht ist also nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, in einschlägigen Fällen den Sachvortrag der Beteiligten bei der Entscheidungsfindung mitzuverwerten. Dies ist jedenfalls dann angezeigt, wenn der Vortrag des Beteiligten glaubhaft, also wahrheitsgemäß und überzeugend, erscheint, wobei der Begriff der Glaubhaftigkeit im vorgenannten Sinn der Beweiswürdigung nicht zu verwechseln ist mit den in § 294 ZPO beschriebenen Beweisanforderungen. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben hat das Gericht die nach Lage der Sache angezeigte Vorsicht bei der Überzeugungsbildung walten zu lassen (vgl. BSG, Beschluss vom 15.08.1960, Az.: 4 RJ 291/59).
Da - wie die Praxis zeigt - für den Erwerb einer Fahrkarte so gut wie nie förmliche Beweismittel zur Verfügung stehen, wenn die Fahrkarte selbst nicht mehr auffindbar ist, wird die Führung des Nachweises des Erwerbs der Fahrkarte in derartigen Fällen in der Regel nur durch den Sachvortrag des Antragstellers möglich sein.
Mit der Unterschrift auf dem Entschädigungsantrag versichert der Antragsteller die Richtigkeit seiner Angaben. Diese Versicherung wird regelmäßig ausreichen, um von einer Glaubhaftigkeit der Angaben auszugehen, wenn nicht Gesichtspunkte offensichtlich sind, die an der Richtigkeit der gemachten Angaben Zweifel wecken. Vom Offensichtlichsein von Gesichtspunkten, die Zweifel an der Richtigkeit der Angaben wecken, wird beispielsweise dann auszugehen sein, wenn
- sich aus einer mit wenig Aufwand im Internet einholbaren Fahrplanauskunft ergibt, dass entweder die gemachten Zeitangaben unschlüssig sind,
oder
- die angegebenen Kosten von den aus der Fahrplanauskunft ersichtlichen Kosten abweichen
oder
- Kosten für die Benutzung der ersten Klasse geltend gemacht werden, da die Benutzung dieser Wagenklasse im Regelfall, wie die Erfahrung zeigt, untypisch ist und Zusatzkosten verursacht, bei denen ein verständiger Beteiligter ohne besondere Rechtskenntnisse nicht davon ausgehen kann, dass sie ohne weiteres und insbesondere ohne Vorlage der Fahrkarte erstattet werden,
oder
- die Lebensumstände des Antragstellers (z.B. eine Arbeitsstelle am Zielort) es nahe legen, dass er über eine Pendlerkarte verfügt,
oder
- Kosten wegen einer besonders weiten und damit überdurchschnittlich kostenaufwändigen Anreise im Raum stehen, bei denen vom Betroffenen schon im eigenen Interesse regelmäßig zu erwarten ist, dass er die Belege sorgfältig aufbewahrt.
In Übereinstimmung mit dem bereits bei diversen Entscheidungen des Senats (vgl. z.B. Beschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, und vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10) zugrunde gelegten Leitgedanken der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie der Kostensachbearbeitung dürfen bei der Prüfung, ob Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben bestehen, die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter nicht überspannt werden. Diese maßvolle Prüfpflicht hält der Senat auch angesichts der Tatsache, dass die von ihm vertretene Auslegung zur Nachweisführung durchaus in seltenen Fällen einen Missbrauch ermöglicht (vgl. z.B. auch den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 02.05.2013: "Geschäft mit dem Bayernticket - professionell Schwarzfahren"), nicht nur für vertretbar, sondern sogar für angezeigt. Das Missbrauchsrisiko, nämlich dass sich ein Beteiligter eine Entschädigung für tatsächlich nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe entstandene Fahrtkosten erschleichen könnte, hält der Senat zum einen angesichts der für die Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben aufgestellten Kriterien für relativ gering und damit im Sinne einer effektiven und auch bürgerfreundlichen Verwaltung für akzeptabel und tolerierbar. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass ein Missbrauch - und dies noch mit dem Ergebnis einer regelmäßig höheren Entschädigung als bei Angabe einer Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln - viel einfacher dadurch bewerkstelligt werden könnte, dass der Beteiligte angibt, mit einem Auto, sei es dem eigenen, sei es einem unentgeltlich zur Nutzung überlassenen, gefahren zu sein. Denn in derartigen Fällen wird der Angabe, dass ein Auto benutzt worden sei, regelmäßig Glauben geschenkt, was insofern nachvollziehbar ist, als bei der Benutzung eines Kfz nicht einfach Belege, wie z.B. eine Fahrkarte, vorgelegt werden können und daher regelmäßig über die eigenen Angaben des Antragstellers hinaus keine weiteren Nachweise vorhanden sind.
4. Kostenerstattung im hier vorliegenden Fall
Das SG ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass Fahrtkosten in der vom Beschwerdegegner geltend gemachten Höhe von 23,20 EUR zu erstatten sind. Diese Kosten sind für den Senat im Vollbeweis nachgewiesen. Zu diesem Ergebnis ist der Senat im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung bei Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte gekommen:
- Die vom Beschwerdegegner gemachten Angaben im Entschädigungsantrag stimmen, sowohl was die angegebenen Zeiten als auch die geltend gemachten Kosten für die Fahrt mit dem Zug in der zweiten Klasse angeht, mit den Erkenntnissen überein, die sich aus der Fahrplan- und Fahrpreisauskunft der Deutschen Bahn ergeben haben.
- Der Beschwerdegegner hat eine Fahrkarte für eine Teilstrecke vorlegen können. Dies legt es nahe, dass er auch die anderen Fahrtstrecken kostenpflichtig mit Zug und S-Bahn bewältigt hat. Wäre er, ohne dass ihm Kosten entstanden wären, von einer anderen Person beispielsweise im Auto mitgenommen worden, wäre es zu erwarten gewesen, dass er entweder gar keine Fahrkarte oder die Fahrkarten (Deutsche Bahn und S- Bahn) für die komplette Hin- oder Rückfahrt, nicht aber nur für eine Teilstrecke der Hinfahrt vorgelegt hätte.
- Die vorgelegte S-Bahn-Fahrkarte spricht dafür, dass der Beschwerdegegner mit dem Zug zum Hauptbahnhof angereist ist, wie er dies im Entschädigungsantrag geltend gemacht hat. Die S-Bahn-Fahrkarte ist um 9.09 Uhr erworben worden, was mit der Ankunftszeit des Zugs am Hauptbahnhof um 8.54 Uhr, wie sie sich aus der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn ergibt, in Einklang steht.
- Irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdegegner eine Pendlerkarte haben könnte, gibt es nicht. Den Schwerbehindertenakten ist nichts zu entnehmen, was auf eine Arbeitsstelle in München, die Anlass für den Erwerb einer Pendlerkarte sein könnte, hindeuten würde.
- Der Beschwerdegegner hat die Nichtvorlage plausibel damit erklärt, dass er aus Unachtsamkeit die Fahrkarten nicht aufbewahrt habe. Seine diesbezüglichen, auf gerichtliche Nachfragen abgegebenen Erklärungen machen den Eindruck von offenen und ehrlichen Eingeständnissen eigenen nachlässigen Verhaltens, was für die Richtigkeit der Angaben spricht.
Der Kostensenat trifft diese Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG in voller Besetzung. Die bisherige Rechtsprechung des Bayer. LSG (vgl. Beschlüsse vom 21.11.2008, Az.: L 15 SF 204/08 AS KO; vom 29.05.2000, Az.: L 8 AL 62/96.Ko) hat den Eindruck nahe gelegt, dass eine Erstattung von Fahrtkosten bei öffentlichen Verkehrsmitteln nur dann in Frage komme, wenn auch die entsprechenden Belege vorgelegt würden. Dem kann nach der jetzigen Rechtsprechung des Senats nicht mehr gefolgt werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Gründe:
I.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer wendet sich mittels der Beschwerde insofern gegen die durch das Sozialgericht (SG) erfolgte Kostenfestsetzung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG), als dieses die Erstattung der Kosten für eine Zugfahrkarte in Höhe von 18,20 EUR und eine S-Bahn-Fahrkarte in Höhe von 2,50 EUR festgesetzt hat, ohne dass der Antragsteller und Beschwerdegegner die entsprechenden Fahrkarten vorgelegt hätte.
Am 29.02.2012 nahm der in A-Stadt wohnhafte Beschwerdegegner auf gerichtliche Anordnung in einem schwerbehindertenrechtlichen Rechtsstreit einen Begutachtungstermin in B-Stadt wahr. Am 13.03.2012 beantragte er die Erstattung der anlässlich der Begutachtung angefallenen Fahrtkosten in Höhe von 23,20 EUR (18,20 EUR für die Zugfahrt A-Stadt-B-Stadt/Hauptbahnhof und zurück sowie je 2,50 EUR für die S-Bahn-Fahrten vom Hauptbahnhof zum Ortsteil der Begutachtung und zurück). Einen Beleg legte er nur für die S-Bahn-Fahrt vom Hauptbahnhof zum Gutachter, abgestempelt um 9.09 Uhr, in Höhe von 2,50 EUR vor. Weitere Nachweise reichte er nicht ein; er habe - so der Beschwerdegegner - die Fahrkarten verlegt. Die Kostenbeamtin des SG setzte die Entschädigung mit 2,50 EUR fest; die darüber hinaus geltend gemachten Kosten - so die Kostenbeamtin im gerichtlichen Schreiben vom 16.03.2012 - seien nicht mit Belegen nachgewiesen.
Auf den mit Schreiben des Beschwerdegegners vom 04.04.2012 gestellten Antrag auf gerichtliche Festsetzung ist die Entschädigung mit Beschluss des SG vom 29.06.2012 antragsgemäß auf 23,20 EUR festgesetzt worden. Das SG hat die Erstattung damit begründet, dass die vom Beschwerdegegner geltend gemachten Auslagen auch ohne Vorlage von Belegen glaubhaft seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdegegner kostenfrei mitgenommen worden sei, über ein Pendlerticket verfügt habe, mit einem vergünstigten Ticket oder überhaupt ohne Fahrschein gereist sei. Es sei zwar sicherlich sinnvoll, wenn im Antragsformular für die Entschädigung formularmäßig Belege angefordert würden. Der Gesetzeswortlaut trage es aber nicht, die Erstattung von Fahrtkosten ohne die Vorlage von Belegen grundsätzlich abzulehnen. Da das Gesetz das Führen des Vollbeweises der Fahrtkosten nicht verlange, müsse im Einzelfall mangels gesetzlicher Regelungen die Glaubhaftmachung ausreichen. Bei Verlorengehen von Belegen, deren Anforderung grundsätzlich nicht in Frage zu stellen sei, solle daher im Einzelfall die Glaubhaftmachung ausreichen. Im Rahmen der Anforderungen an die Glaubhaftmachung sollte Berücksichtigung finden, dass eine Erstattung von PKW-Kosten, die im vorliegenden Fall höher als die geltend gemachten Zugkosten wären, ohne Nachweis möglich gewesen wäre.
Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel. Er trägt vor, dass nichts leichter sei, als eine Fahrkarte als Beleg für bare Auslagen vorzulegen, worum schon im Antragsformular, das der Betroffene vorab oder nach einer gutachterlichen Untersuchung ausgehändigt bekomme, gebeten werde.
II.
Die vom SG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Beschwerde ist gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, aber unbegründet.
Die Entscheidung des SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Dem Beschwerdegegner sind im vorliegenden Fall die geltend gemachten Fahrtkosten für Zug und S-Bahn zu erstatten, da die geltend gemachten Kosten auch ohne die Vorlage von Belegen im dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen sind.
1. Anzuwendendes Recht
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn der Beschwerdegegner als Berechtigter ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.
2. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren
Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung sind vom Beschwerdegericht alle für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdeführer aufgegriffen hat oder nicht (vgl. Landessozialgericht - LSG - Thüringen, Beschluss vom 05.03.2012, Az.: L 6 SF 1854/11 B - m.w.N.). Das Beschwerdegericht ist eine neue Tatsacheninstanz, die in vollem Umfang anstelle des Erstgerichts zu entscheiden hat (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 4.18; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl. 2012, § 4 JVEG, Rdnr. 28).
3. Kriterien für die Entscheidung über die Entschädigung von Fahrtkosten
3.1. Erstattung tatsächlich entstandener Kosten
Gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 JVEG werden einem Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren bei Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln die tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks ersetzt.
3.2. Nachweisführung
Der Nachweis der bei der Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln entstandenen Kosten setzt nicht zwingend die Vorlage der Fahrkarte voraus. Der erforderliche Vollbeweis kann auch anders erbracht werden.
Wenn Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 5.6, ohne irgendeine Begründung die Ansicht vertreten, dass es in der Regel eines Nachweise über die Höhe der Fahrtkosten nicht bedürfe, kann sich der Kostensenat dieser Aussage in dieser Pauschalität nicht anschließen. Denn Meyer/Höver/Bach lassen hier - zumindest lässt sich dem Wortlaut der Kommentierung nichts anderes entnehmen - außer Betracht, dass das JVEG selbst eine derartige Beweiserleichterung nicht vorsieht und in den Verfahrensordnungen für die zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten Beweisanforderungen aufgestellt sind, die auch im Verfahren nach dem JVEG nicht unbeachtet bleiben können.
Nach den auf die Entschädigung nach dem JVEG zu übertragenden Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren sind die Tatsachen, auf die sich ein Anspruchsteller stützt, grundsätzlich im Vollbeweis nachzuweisen. Vollbeweis bedeutet, dass eine Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützen möchte. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, hat es im Rahmen der ihm zustehenden Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG festzustellen.
Lediglich dann, wenn eine gesetzliche Regelung ausdrücklich Milderungen der Beweisanforderungen zulässt und es ausreichen lässt, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich oder sogar nur glaubhaft gemacht im Sinn des § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) ist, kann vom Grundsatz abgewichen werden, dass die Tatsache im Vollbeweis nachgewiesen sein muss (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Eine derartige Ausnahmeregelung gibt es im JVEG nicht, sodass es beim Beweismaßstab des Vollbeweises verbleibt. Insofern ist der Argumentation des SG, dass nicht der Vollbeweis vorliegen müsse, sondern eine Glaubhaftmachung ausreichend sei, zu widersprechen, ohne dass dies jedoch am Ergebnis der hier zu treffenden Entscheidung etwas ändern würde.
Aufgrund der Beweisvorgaben und in Anbetracht des Gesetzeswortlauts des § 5 Abs. 1 JVEG, dass die "tatsächlich entstandenen Kosten" (bis zu der in § 5 Abs. 1 Satz 1 JVEG aufgestellten Grenze) zu erstatten sind, hat der Antragsteller mit für das Gericht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass und in welcher Höhe ihm Kosten entstanden sind.
Für die Nachweisführung ist nicht zwingend die Vorlage der Fahrkarte als Beleg für die entstandenen Kosten zu verlangen. Eine Nachweisführung kann - wie sonst auch - auf verschiedenste Art erfolgen.
Sicherlich ist die Vorlage der Fahrkarte die nächstliegende Möglichkeit. Der Beschwerdeführer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nichts leichter sei, als eine Fahrkarte als Beleg für eine bare Auslage vorzulegen. Es ist daher schon aus der Fürsorgepflicht gegenüber den Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren heraus sinnvoll und angezeigt, im gerichtlichen Formular für den Entschädigungsantrag die Antragsteller aufzufordern, die entstandenen Fahrtkosten bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit der Fahrkarte zu belegen. Damit wird nicht nur den Kostenbeamten und Kostenrichtern ein verlässliches Mittel bei der Fahrtkostenerstattung in die Hand gegeben, sondern auch insbesondere im Sinn der Antragsteller eventuellen Problemen bei der Fahrtkostenerstattung infolge von Nachweisschwierigkeiten bereits präventiv entgegen gewirkt. Eine gesetzliche Regelung, wonach allein die Nachweisführung mittels Vorlage der Fahrkarte als ausreichend anzusehen wäre, gibt es aber nicht. Hätte der Gesetzgeber eine derart eingeschränkte Beweisführung gewollt, hätte er dies explizit im JVEG (oder SGG) zum Ausdruck bringen müssen. Dies ist aber nicht geschehen.
Es sind daher für den Nachweis der entstandenen Fahrtkosten alle nur erdenklichen Beweismittel eröffnet.
Zwar gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren das förmliche Beweismittel der Parteivernehmung nicht (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2007, Az.: B 11a/7a AL 14/07 R - m.w.N.). Grund dafür ist, dass § 118 Abs 1 Satz 1 SGG nicht auf die Bestimmungen der ZPO über den Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO) verweist (vgl. BSG, Beschluss vom 24.11.1990, Az.: 1 BA 45/90; Urteil vom 28.11.2007, Az.: B 11a/7a AL 14/07 R). Dies steht einer Verwendung des Sachvortrags des Beteiligten bei der Überzeugungsbildung des Gerichts jedoch nicht entgegen (vgl. BSG, Beschluss vom 15.08.1960, Az.: 4 RJ 291/59). Im Einzelfall kann der Sachvortrag des Beteiligten sogar die alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.1989, Az.: 2 RU 47/88). Das Gericht hat gemäß § 128 SGG bei seiner Entscheidung im Rahmen des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes die absolute Wahrheit soweit wie möglich zu erforschen und das Gesamtergebnis des Verfahrens zu berücksichtigen. Das Gericht ist also nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, in einschlägigen Fällen den Sachvortrag der Beteiligten bei der Entscheidungsfindung mitzuverwerten. Dies ist jedenfalls dann angezeigt, wenn der Vortrag des Beteiligten glaubhaft, also wahrheitsgemäß und überzeugend, erscheint, wobei der Begriff der Glaubhaftigkeit im vorgenannten Sinn der Beweiswürdigung nicht zu verwechseln ist mit den in § 294 ZPO beschriebenen Beweisanforderungen. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben hat das Gericht die nach Lage der Sache angezeigte Vorsicht bei der Überzeugungsbildung walten zu lassen (vgl. BSG, Beschluss vom 15.08.1960, Az.: 4 RJ 291/59).
Da - wie die Praxis zeigt - für den Erwerb einer Fahrkarte so gut wie nie förmliche Beweismittel zur Verfügung stehen, wenn die Fahrkarte selbst nicht mehr auffindbar ist, wird die Führung des Nachweises des Erwerbs der Fahrkarte in derartigen Fällen in der Regel nur durch den Sachvortrag des Antragstellers möglich sein.
Mit der Unterschrift auf dem Entschädigungsantrag versichert der Antragsteller die Richtigkeit seiner Angaben. Diese Versicherung wird regelmäßig ausreichen, um von einer Glaubhaftigkeit der Angaben auszugehen, wenn nicht Gesichtspunkte offensichtlich sind, die an der Richtigkeit der gemachten Angaben Zweifel wecken. Vom Offensichtlichsein von Gesichtspunkten, die Zweifel an der Richtigkeit der Angaben wecken, wird beispielsweise dann auszugehen sein, wenn
- sich aus einer mit wenig Aufwand im Internet einholbaren Fahrplanauskunft ergibt, dass entweder die gemachten Zeitangaben unschlüssig sind,
oder
- die angegebenen Kosten von den aus der Fahrplanauskunft ersichtlichen Kosten abweichen
oder
- Kosten für die Benutzung der ersten Klasse geltend gemacht werden, da die Benutzung dieser Wagenklasse im Regelfall, wie die Erfahrung zeigt, untypisch ist und Zusatzkosten verursacht, bei denen ein verständiger Beteiligter ohne besondere Rechtskenntnisse nicht davon ausgehen kann, dass sie ohne weiteres und insbesondere ohne Vorlage der Fahrkarte erstattet werden,
oder
- die Lebensumstände des Antragstellers (z.B. eine Arbeitsstelle am Zielort) es nahe legen, dass er über eine Pendlerkarte verfügt,
oder
- Kosten wegen einer besonders weiten und damit überdurchschnittlich kostenaufwändigen Anreise im Raum stehen, bei denen vom Betroffenen schon im eigenen Interesse regelmäßig zu erwarten ist, dass er die Belege sorgfältig aufbewahrt.
In Übereinstimmung mit dem bereits bei diversen Entscheidungen des Senats (vgl. z.B. Beschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, und vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10) zugrunde gelegten Leitgedanken der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie der Kostensachbearbeitung dürfen bei der Prüfung, ob Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben bestehen, die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter nicht überspannt werden. Diese maßvolle Prüfpflicht hält der Senat auch angesichts der Tatsache, dass die von ihm vertretene Auslegung zur Nachweisführung durchaus in seltenen Fällen einen Missbrauch ermöglicht (vgl. z.B. auch den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 02.05.2013: "Geschäft mit dem Bayernticket - professionell Schwarzfahren"), nicht nur für vertretbar, sondern sogar für angezeigt. Das Missbrauchsrisiko, nämlich dass sich ein Beteiligter eine Entschädigung für tatsächlich nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe entstandene Fahrtkosten erschleichen könnte, hält der Senat zum einen angesichts der für die Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben aufgestellten Kriterien für relativ gering und damit im Sinne einer effektiven und auch bürgerfreundlichen Verwaltung für akzeptabel und tolerierbar. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass ein Missbrauch - und dies noch mit dem Ergebnis einer regelmäßig höheren Entschädigung als bei Angabe einer Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln - viel einfacher dadurch bewerkstelligt werden könnte, dass der Beteiligte angibt, mit einem Auto, sei es dem eigenen, sei es einem unentgeltlich zur Nutzung überlassenen, gefahren zu sein. Denn in derartigen Fällen wird der Angabe, dass ein Auto benutzt worden sei, regelmäßig Glauben geschenkt, was insofern nachvollziehbar ist, als bei der Benutzung eines Kfz nicht einfach Belege, wie z.B. eine Fahrkarte, vorgelegt werden können und daher regelmäßig über die eigenen Angaben des Antragstellers hinaus keine weiteren Nachweise vorhanden sind.
4. Kostenerstattung im hier vorliegenden Fall
Das SG ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass Fahrtkosten in der vom Beschwerdegegner geltend gemachten Höhe von 23,20 EUR zu erstatten sind. Diese Kosten sind für den Senat im Vollbeweis nachgewiesen. Zu diesem Ergebnis ist der Senat im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung bei Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte gekommen:
- Die vom Beschwerdegegner gemachten Angaben im Entschädigungsantrag stimmen, sowohl was die angegebenen Zeiten als auch die geltend gemachten Kosten für die Fahrt mit dem Zug in der zweiten Klasse angeht, mit den Erkenntnissen überein, die sich aus der Fahrplan- und Fahrpreisauskunft der Deutschen Bahn ergeben haben.
- Der Beschwerdegegner hat eine Fahrkarte für eine Teilstrecke vorlegen können. Dies legt es nahe, dass er auch die anderen Fahrtstrecken kostenpflichtig mit Zug und S-Bahn bewältigt hat. Wäre er, ohne dass ihm Kosten entstanden wären, von einer anderen Person beispielsweise im Auto mitgenommen worden, wäre es zu erwarten gewesen, dass er entweder gar keine Fahrkarte oder die Fahrkarten (Deutsche Bahn und S- Bahn) für die komplette Hin- oder Rückfahrt, nicht aber nur für eine Teilstrecke der Hinfahrt vorgelegt hätte.
- Die vorgelegte S-Bahn-Fahrkarte spricht dafür, dass der Beschwerdegegner mit dem Zug zum Hauptbahnhof angereist ist, wie er dies im Entschädigungsantrag geltend gemacht hat. Die S-Bahn-Fahrkarte ist um 9.09 Uhr erworben worden, was mit der Ankunftszeit des Zugs am Hauptbahnhof um 8.54 Uhr, wie sie sich aus der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn ergibt, in Einklang steht.
- Irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdegegner eine Pendlerkarte haben könnte, gibt es nicht. Den Schwerbehindertenakten ist nichts zu entnehmen, was auf eine Arbeitsstelle in München, die Anlass für den Erwerb einer Pendlerkarte sein könnte, hindeuten würde.
- Der Beschwerdegegner hat die Nichtvorlage plausibel damit erklärt, dass er aus Unachtsamkeit die Fahrkarten nicht aufbewahrt habe. Seine diesbezüglichen, auf gerichtliche Nachfragen abgegebenen Erklärungen machen den Eindruck von offenen und ehrlichen Eingeständnissen eigenen nachlässigen Verhaltens, was für die Richtigkeit der Angaben spricht.
Der Kostensenat trifft diese Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG in voller Besetzung. Die bisherige Rechtsprechung des Bayer. LSG (vgl. Beschlüsse vom 21.11.2008, Az.: L 15 SF 204/08 AS KO; vom 29.05.2000, Az.: L 8 AL 62/96.Ko) hat den Eindruck nahe gelegt, dass eine Erstattung von Fahrtkosten bei öffentlichen Verkehrsmitteln nur dann in Frage komme, wenn auch die entsprechenden Belege vorgelegt würden. Dem kann nach der jetzigen Rechtsprechung des Senats nicht mehr gefolgt werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
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