S 51 SO 157/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
51
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 SO 157/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für die Leistungsberechtigte A. im Zeitraum 23.02.2004 bis 15.12.2005 erbrachten Leistungen in Höhe von 60.880,82 EUR zu erstatten.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/10, die Beklagte zu 9/10.

IV. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

V. Der Streitwert wird auf 67.141,93 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, wer die Kosten für die Unterbringung der Beigeladenen in der Einrichtung "Haus B." in München im Zeitraum 12.12.2003 bis 15.12.2005 zu tragen hat.

Die 1966 geborene Beigeladene leidet laut ärztlichem Attest vom 05.11.2003 an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und rezidivierenden depressiven Störung. Wegen der allgemein belastenden Lebenssituation (u.a. soziale Entwurzelung und Isolation, alkoholkranker Lebensgefährte, desolate finanzielle Situation) bestehe anhaltend eine ausgeprägte, stark flukturierende depressive Symptomatik sowie Selbstverletzungstendenzen. Sie lebt seit Mai 2002 mit ihren beiden 1989 und 2002 geborenen Töchtern sowie ihrem Lebensgefährten, der der Vater der jüngeren Tochter ist, in München. Die Familie wurde ab März 2003 durch die Jugendhilfe intensiv ambulant betreut. Die jüngere Tochter wurde im August 2003 in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht.

Die Beigeladene wurde am 12.12.2003 im "Haus B.", einer intensiv betreuten stationären Übergangseinrichtung für psychisch kranke Mütter mit ihren Kindern, aufgenommen. Die jüngere Tochter verblieb zunächst noch in der Bereitschaftspflege und wurde am 23.02.2004 vollstationär im "Haus B." aufgenommen; die ältere Tochter war in einer Jugendwohngruppe untergebracht. Im Hilfeplan wurden von der Einrichtung folgende thera-peutische Ziele definiert: - Kontakt zur jüngeren Tochter wieder aufbauen - emotionale Stabilität erreichen - Selbstzweifel abbauen - Mutter-Kind-Beziehung verbessern - Erziehungskompetenzen entwickeln - lernen, Grenzen zu setzen - Alltag bewältigen - Entwicklung einer Lebensperspektive

Am 19.11.2003 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Unterbringung von sich selbst und ihrer Tochter in der Einrichtung. Mit Fax vom 24.11.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Kostenübernahme für die Mutter abgelehnt werde, da es sich um Eingliederungshilfe handle. Für die Unterbringung der Tochter würden die Kosten im Rahmen der Jugendhilfe übernommen. Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 08.12.2003 gegenüber der Beigeladenen die vorläufige Kostenübernahme. Mit Schreiben vom 22.12.2003 meldete der Kläger bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an. Diesen lehnte die Beklagte am 05.02.2004 unter Verweis auf den Vorrang der Eingliederungshilfe ab.

Der Kläger erhob am 21.02.2005 beim Verwaltungsgericht Klage wegen Erstattung der erbrachten und noch zu erbringenden Sozialhilfeleistungen an die Beigeladene. Daraufhin fand am 26.10.2005 eine mündliche Verhandlung statt, ein Urteil wurde jedoch nicht verkündet. Der Rechtsstreit wurde statt dessen mit Beschluss vom 20.02.2006 wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit an das Sozialgericht München (SG) verwiesen.

Die Beigeladene hat die Einrichtung am 15.12.2005 verlassen.

Der Kläger begründet die Klage im Wesentlichen damit, dass es sich beim "Haus B." um eine Mutter-Kind-Einrichtung handle. Die dort erbrachte Hilfe für die Beigeladene könne zwar auch Eingliederungshilfe wegen seelischer Behinderung sein, jedenfalls sei es aber eine Einrichtung nach § 19 SGB VIII. Ziel der konkreten Maßnahme sei, die aus der seelischen Behinderung resultierenden Defizite der Mutter soweit auszugleichen, dass ein ei-genständiges Zusammenleben der Mutter mit ihrer Tochter möglich ist. Die Betreuung nach § 19 SGB VII sei einem doppelten Ziel verpflichtet: der Unterstützung der Mutter bei der dem Kind dienenden Pflege und Erziehung; daraus folge, dass auch Hilfen zur Eingliederung der Mutter einbezogen seien. Der für die Beigeladene aufgrund ihrer seelischen Behinderung bestehende Eingliederungsbedarf trete hinter den Bedarf an Hilfe nach § 19 SGB VIII zurück, da die Beigeladene infolge ihrer Behinderung ihr Kind nicht ausreichend versorgen könne.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Beigeladene A. im Zeitraum 12.12.2003 bis 15.12.2005 erbrachte Leistungen in Höhe von 67.141,93 EUR zu er-statten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Einrichtung "Haus B." sei nach ihrer Leitungsbeschreibung keine Mutter-Kind-Einrichtung i.S.d. § 19 SGB VIII, sondern eine besondere Wohnform für psychisch kranke Mütter. Eingliederungsbedarf bestehe bei der Mutter wegen ihrer psychischen Erkrankung. Es gebe kein Defizit in der Persönlichkeitsentwicklung, wegen dem die Beigeladene der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes bedürfe. Die Beigeladene habe bereits eine ältere Tochter, die sie ohne Hilfe erzogen hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Akten des Klägers und der Beklagten sowie die Akte des Gerichts.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Streitig ist, ob der Kläger als überörtlicher Sozialhilfeträger oder die Beklagte als Jugendhilfeträger zur Tragung der für die Beigeladene A. erbrachten Leistungen im "Haus B." verpflichtet ist.

Nach § 102 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungs-pflichtig, wenn ein anderer Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 102 Abs. 2 SGB X). Der Kläger hat die Leistungen bis mindestens 31.12.2004 gemäß § 44 Bundes-sozialhilfegesetz (BSHG) in Vorleistung erbracht. Gemäß § 44 Abs. 2 BSHG ist für Erstat-tungsansprüche § 102 SGB X maßgeblich. Die Erstattungspflicht besteht nur dann, wenn der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger durch die vorläufig erbrachte Sozialleistung von einer an sich ihn treffenden Leistungsverpflichtung entlastet worden ist. Dies kann nur nach den Rechtsvorschriften beurteilt werden, die für den für Erstattung in Anspruch genommenen Sozialleistungsträger gelten (BVerwG, Urt. v. 13.03.2003, 5 C 6/02).

Ab 01.01.2005 – nach Wegfall des § 44 Abs. 2 BSHG – kommt nur noch § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X als Anspruchsgrundlage für einen Erstattungsanspruch in Betracht. Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstat-tungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nach § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X ist ein Leis-tungsträger nachrangig verpflichtet, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leis-tungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch nach diesen Bestimmungen setzt damit voraus, dass Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren, wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen nachgehen muss (BVerwG, Urt. v. 22.10.2009, 5 C 19/08).

1.

Vorliegend hatte die Beigeladene für die Zeit von 23.02.2004 bis 15.12.2005 sowohl einen Anspruch auf Leistungen gegenüber der Beklagten als Jugendhilfeträger als auch gegen den Kläger als überörtlichen Sozialhilfeträger.

Der Beigeladenen standen während ihres Aufenthalts in der Einrichtung Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu. Nach § 39 Abs. 1 S. 1 des bis zum 31.12.2004 geltenden BSHG bzw. nach § 53 Abs. 1 S. 1 des ab dem 01.01.2005 geltenden SGB XII ist Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und so-lange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist. Die Beigeladene erfüllt aufgrund der im ärztlichen Attest vom 05.11.2003 diagnostizieren kombinierten Persönlich-keitsstörung sowie ihrer rezidivierenden depressiven Störung die Voraussetzungen für eine Eingliederungshilfe nach dem BSHG bzw. SGB XII.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG bzw. nach § 53 Abs. 3 i.V.m. § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX. Von § 55 Abs. 1 SGB IX sind Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erfasst, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX gehören hierzu insbesondere Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die Förderung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und ihrer gleichberechtigten Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nimmt auch nicht etwa eine Lebenssituation wie diejenige der Beigeladenen, nämlich eine behinderte Elternschaft, aus. Vom Ziel, dem behinderten Menschen ein Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, ist es vielmehr auch umfasst, ihm die Fähigkeiten zu vermitteln und die Hilfen zu gewähren, welche zur sachgerechten Wahrnehmung der Elternverantwortung notwendig sind. Die Wahrnehmung der Elternrolle ist eine gemeinschaftsbezogene Entfal-tungsform des Menschen (mit Behinderung) im Sinne der Eingliederungshilfe. Diese Ge-meinschaftsbezogenheit bringt nicht zuletzt das Grundgesetz (GG) durch das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und das staatliche Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) zum Ausdruck. Die Pflege und Erziehung eines Kindes durch die Eltern ist dabei verfassungsrechtlich als Grundbedürfnis aller Eltern, auch solcher mit Behinderung, vorausgesetzt. Da die Eltern-Kind-Beziehung existenziell und eine soziale Bindung von herausragender Bedeutung ist, bildet die Verantwortungsübernahme der Eltern (mit Behinderung) für ihr Kind einen zentralen Aspekt der Teilhabe der Eltern am Leben in der Gemeinschaft (BVerwG, Urteil vom 22.10.2009, 5 C 19/08, Rn. 16 m.w.N.).

Die der Beigeladenen im Haus B. zugekommenen Hilfeleistungen erfüllen entgegen der Auffassung der Beklagten auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 S. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Danach sollen Mütter oder Väter, die allein für ein Kind unter sechs Jahren zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut werden, wenn und solange sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen.

Leistungsberechtigt sind danach Mütter oder Väter (jeweils ohne Altersbegrenzung, also auch jenseits der "Höchstgrenze" des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII von 27 Jahren), die allein personensorgeberechtigt sind oder für ein Kind tatsächlich alleine sorgen. Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist, dass die Hilfe "persönlichkeitsindiziert" ist. Der/die Alleinsorge-berechtigte muss aus in der Person liegenden Gründen nicht in der Lage sein, das Kind zu erziehen. Dies kann der Fall sein bei fehlender Reife zur Erziehung, aber auch bei see-lischer, geistiger oder körperlicher Überforderung durch die Aufgabe der Kindererziehung. Das Persönlichkeitsdefizit des Erziehers muss kausal sein für das Erziehungsdefizit des Kindes (Kunkel, Sozialgesetzbuch VIII, 4. Auflage 2011, § 19 Rn 1, 3). Der von § 19 SGB VIII vorausgesetzte Hilfebedarf kann auch auf eine seelische, geistige oder körperliche Behinderung der Mutter oder des Vaters zurückgehen. Das mit § 19 ver-folgte spezifisch jugendhilferechtliche Ziel der Behebung oder Milderung eines Persönlichkeitsdefizits der Mutter oder des Vaters besteht gerade darin, eine der Entstehung eines Erziehungsdefizits beim Kind vorbeugende Art des Zusammenlebens zu unterstützen und sicher zu stellen und kann deshalb nicht von der Art der Ursache dieses Defizits abhängen (Struck in Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 19 Rn 9a). Ziel der Hilfe ist, Mütter und Väter zu befähigen, mit ihren Kindern selbstständig und eigenverantwortlich zu leben. Erziehungs- und Förderungshilfen für die Kinder müssen so ausgerichtet sein, dass Mütter/Väter im Zusammenleben mit den Kindern zu deren Pflege, Erziehung und Förderung befähigt werden. Die Zielsetzung der Hilfe liegt in der auf die Erziehungsfähigkeit be-zogenen Persönlichkeitsentwicklung des allein erziehenden Elternteils (Struck aaO, § 19 Rn 9).

Die Beigeladene besitzt das alleinige Sorgerecht für ihre jüngere Tochter. Sie hat im streitigen Zeitraum allein für diese gesorgt, da sie sich vom Vater des Kindes trennen wollte und dieser nach den Feststellungen der Beklagten nicht in der Lage war, für sein Kind zu sorgen. Sie war aufgrund ihrer seelischen Behinderung nicht in der Lage, adäquat für ihre Tochter zu sorgen. Dies ergibt sich insbesondere aus einem Antrag der Beklagten an das Amtsgericht München – Familiengericht – auf ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Beigeladenen und ihres damaligen Lebensgefährten. Danach habe das Kindeswohl der jüngeren Tochter nur durch den kontinuierlichen Einsatz von Familienpflegerinnen gewährleistet werden können. Weder die Mutter noch der nichtsorgeberechtigte Vater schienen in der Lage zu sein, sich um eine adäquate Erziehung der Töchter zu kümmern (Bl. 88a – 89e der Mitwirkungs- und Jugendhilfeakte der Beklagten).

Nach dem vorgelegten Konzept der Einrichtung richten sich die Angebote und Hilfen für Mutter und Kind gleichermaßen an zwei Generationen, wobei die Beziehungseinheit von Mutter und Kind einen Schwerpunkt darstellt; auf die Konzeption der Einrichtung (Bl. 8 – 17 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen. Auch aus dem Entwicklungsbericht der Einrichtung vom September 2004 betreffend die Tochter der Beigeladenen (Bl. 135 – 139 der Mitwirkungs- und Jugendhilfeakte der Beklagten) geht deutlich hervor, dass Schwerpunkt der Maßnahme die Rückführung der Tochter nach dem Aufenthalt bei einer Pflegemutter zu ihrer richtigen Mutter ist, die Mutter soll in die Rolle der Erziehenden gebracht werden; sie soll lernen, sich mit ihrer Tochter auf der Mutter-Kind-Ebene auseinander zu setzen und insbesondere Grenzen zu setzen.

Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Beigeladene aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung der Betreuung in einer gemeinsamen Wohnform mit ihrem Kind bedurfte.

Besaß die Beigeladene deshalb für die Zeit ihres Aufenthalts im "Haus B." tatbestandlich sowohl einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe als auch auf solche der Jugendhilfe, so ist sie vorrangig auf eine Inanspruchnahme von Jugendhilfe zu verweisen. Denn die Leistungen der Eingliederungshilfe und die Leistungen nach § 19 SGB VIII sind gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich.

Nach § 10 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt (§ 10 Abs. 1 S. 1 SGB VIII). Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem SGB VIII entsprechende Leistungen vorgesehen sind (Abs. 1 S. 2 i.d.F. bis 31.12.2004; i.d.F. ab 01.01.2005: "auf Rechtsvorschriften beruhende" Leistungen). Allerdings gehen die Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem BSHG bzw. SGB XII vor (§ 10 Abs. 2 S. 1 SGB VIII i.d.F. bis 31.12.2004, in der Gesetzesfassung ab 01.01.2005 als § 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Nach einer Rückausnahme (Abs. 2 S. 2 bzw. ab 2005 Abs. 4 S. 2) gehen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG/SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, jedoch wiederum Leistungen nach dem SGB VIII vor. Jugendhilfe und Sozialhilfe sind zwei umfassende sozialrechtliche Hilfesysteme mit unter-schiedlichen Aufgaben und Rechtsfolgen, die nicht trennscharf aufeinander abgestimmt und deshalb auch nicht sachtypisch voneinander abzugrenzen sind. Mit den Kollisionsre-gelungen in § 10 Abs. 2 a.F. bzw. Abs. 4 n.F. SGB VIII hat der Gesetzgeber für den wich-tigsten und schwierigsten Überschneidungsbereich der Leistungen für behinderte junge Menschen eine bereichs-spezifische Differenzierung vorgenommen (vgl. auch Wiesner, SGB VIII, 2006, § 10 Rn. 31). Diese Vor- und Nachrangregelung stellt allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen ab. Eine Differenzierung danach, ob der Schwerpunkt des Bedarfs oder Leistungszwecks bzw. -ziels eher auf die Jugendhilfe oder aber auf die Eingliederungshilfe verweise, ist nicht zulässig. Denn die Regelung eines Nach- bzw. Vorrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe setzt von vornherein voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kon-gruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind; nur in einem solchen Fall be-steht überhaupt ein Bedürfnis für eine Nach- bzw. Vorrangregelung. § 10 Abs. 2 a.F. bzw. Abs. 4 n.F. SGB VIII stellt deshalb nicht auf einen Schwerpunkt in Bezug auf eine der bei-den denkbaren Hilfestellungen ab, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.07.2010, L 20 SO 38/09 ZVW, m.w.N.).

Die 1966 geborene, zur Zeit ihres Aufenthalts im "Haus B." 38- bzw. 39-jährige Beigeladene ist nicht mehr "junger Mensch" i.S.d. SGB VIII; denn nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII ist junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist. Im Übrigen ist sie auch nicht körperlich oder geistig, sondern seelisch behindert. Die Rückausnahme des § 10 Abs. 2 S. 2 SGB VIII (bzw. ab 01.01.2005 § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII) greift nicht ein. Es bleibt beim Vorrang der Leistungen nach dem SGB VIII.

2.

Für die Zeit von 12.12.2003 bis 22.02.2004, also die Zeit als die Tochter noch in einer Pflegefamilie untergebracht war, besteht diese Konkurrenz der Leistungspflichten nicht.

Leistungsadressat für Hilfen nach § 19 SGB VIII ist – wie bei allen Jugendhilfeleistungen – auch das Kind (Kunkel, Sozialgesetzbuch VIII, 4. Auflage 2011, § 19 Rn 2). Solange die Beklagte für die Tochter Jugendhilfeleistungen in einer Bereitschaftspflegestelle erbracht hat, konnte es sich bei den Leistungen an die Mutter im "Haus B." nicht um ein einheitliches Hilfeangebot für zwei Generationen handeln, wie es § 19 SGB VIII enthält. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die anfangs alleinige Unterbringung der Mutter ohne ihre Tochter auch nicht den von § 19 Abs. 1 S. 3 SGB VIII ebenfalls erfassten Leistungen an schwangere Frauen vor der Geburt ihres Kindes vergleichbar. Bis zum Einzug der Tochter wurden Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht, die sich allein an die Beigeladene richteten.

Daher waren von der insgesamt geforderten Erstattungssumme die für die Zeit von 12.12.2003 bis 22.02.2004 erbrachten Leistungen in Höhe von 6.262,11 EUR abzuziehen.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 155 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Aufwendungen der Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da sie zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist und ihr Erscheinen auch nicht geboten war (§ 197a Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 191 SGG).

4.

Der Streitwert war gemäß § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 67.141,93 EUR fest-zusetzen. Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen nach § 197a Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz SGG Kosten nach den Vorschriften des GKG erhoben werden, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist gemäß § 52 Abs. 3 GKG deren Höhe maßgebend. Im vorliegenden Fall war zwischen den Parteien streitig, ob der Klägerin von der Beklagten die Erstattung von aufgewendeten Kosten der Sozialhilfe in Höhe von 67.141,93 EUR fordern kann. Damit ist nach § 52 Abs. 3 GKG der Wert der Erstattungsforderung für die Höhe des Streitwerts maßgebend.
Rechtskraft
Aus
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