S 13 R 319/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 13 R 319/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 18.326,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Beitragsnachforderung.

Der Kläger betreibt als Bäckermeister die Einzelfirma Feinbäckerei H in F nebst Filialen mit insgesamt ca. 40 Beschäftigten und ca. 70 geringfügig Beschäftigten.

An drei Tagen zwischen dem 10.04.2007 und dem 27.11.2007 fand eine Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 28.02.2006 statt. Dabei ergab sich nach Auffassung der Beklagten u.a., dass der am 11.09.1961 geborene U N – im Folgenden: Beigeladener zu 1) – vom 01.01.2003 bis zum 28.02.2006 zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt worden sei. Nach Angaben des Klägers sei der Beigeladene zu 1) in dieser Zeit indes als selbständiger Subunternehmer tätig und mit der Sortierung der Backwaren und der anschließenden Auslieferungen derselben zu den Filialen des klägerischen Betriebs mit einem Kraftfahrzeug des Klägers sowie späterer Rückführung von Altbrot und -brötchen aus den Filialen des klägerischen Betriebs mit dem Kraftfahrzeug des Klägers beauftragt gewesen, wobei der Kläger dem Beigeladenen zu 1) die Entsorgung durch Verfütterung des/der zurückführten Altbrots und -brötchen im landwirtschaftlichen Betrieb des Beigeladenen zu 1) gestattet habe und die diesbezügliche Verbringung insofern im Kraftfahrzeug des Beigeladenen zu 1) erfolgt sei. In jedem Fall stellte der Beigeladene zu 1) dem Kläger monatsweise Rechnungen über geleistete Arbeitsstunden zzgl. Mehrwertsteuer, welche vom Kläger unter dem Konto 4760 als Verkaufsprovision verbucht wurden. Außerdem hatte der Beigeladene zu 1) jedenfalls bis 2007 im Landkreis Teltow-Fläming einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb inne, dessen Betriebsfläche von ca. 35 Hektar in 2003 auf 8,44 Hektar in 2005 gesunken war, nebst 38 Rindern und 1 Pferd, ohne seinerseits dort Arbeitnehmer zu beschäftigen; aufgrund dessen bestand auch eine Mitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) bei der Beigeladenen zu 4). Mit Bescheid vom 14.12.2007 machte die Beklage aus der Betriebsprüfung eine Nachforderung von Krankenversicherungs-, Pflegeversicherungs-, Rentenversicherungs-, Beiträgen zur Bundesagentur sowie Umlagen 1 und 2 i. H. v. insgesamt 19.098,49 EUR gelten, wovon auf die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) entfielen: 18.326,12 EUR. Den dagegen am 11.01.2008 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2009 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 24.04.2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Er wendet sich insbesondere gegen die versicherungsrechtliche Würdigung des Vertragsverhältnisses zwischen ihm und dem Beigeladenen zu 1).

Er beantragt,

den Bescheid vom 14.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Die Beiladung des am 11.09.1961 geborenen U N ist am 10.08.2010 erfolgt, die Beiladung von AOK, BARMER GEK und landwirtschaftlicher Krankenkasse ist am 28.03.2012 erfolgt.

Der Beigeladene zu 1) hat trotz entsprechender Aufforderung weder Arbeitsvertrag noch Auftragsbestätigungen übersandt. Das Finanzamt Finsterwalde hat zur Wahrung des Steuergeheimnisses keine Steuerbescheide übersandt.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichts- und beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Kammer konnte über die Klage auch in Abwesenheit der Beigeladenen zu 1) bis 3) auf Grund mündlicher Verhandlung entscheiden, da sie auf diese Möglichkeit in der schriftlichen Ladung bzw. Terminsmitteilung hingewiesen worden sind (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

II. Die Beiladungen erfolgten gem. § 75 Abs.1 SGG; insofern wird analog § 136 Abs.3 SGG auf die Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 10.8.2010 und 28.3.2012 Bezug genommen.

III. Die Klage ist zulässig, nicht jedoch begründet. Der Bescheid vom 14.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2009 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Nachforderung der Beklagten, soweit hier in klageweiser Verlängerung des Widerspruchs streitgegenständlich, i. H. v. 18.926,12 EUR besteht zu Recht, weshalb der Kläger die im Bescheid als KV, PV, RV und BA gekennzeichneten Beiträge zur Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit und die als U1 und U2 gekennzeichneten Umlagebeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) für die Zeit vom 01.01.2003 bis 28.02.2006 zu tragen hat.

Rechtsgrundlage für Nachforderungen ist § 28 p Abs. 1 S. 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern, insoweit gelten § 28 h Abs. 2 sowie § 93 i. V. m. § 89 Abs. 5 SGB X gerade nicht. Hierzu prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern gemäß § 28 p SGB IV, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen – insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlung -, ordnungsgemäß erfüllen. Nach § 28 e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle (Krankenkassen, § 28 h SGB IV) zu zahlen. Nach § 28 d SGB IV werden die Beiträge in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung eines kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt. Bemessensgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den der Kläger (nach-) zuentrichten hatte, ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§226 Abs. 1 S. Nr. 1 SGB V, § 57 Abs. 1 SGB XI, § 162 Nr. 1 SGB VI, § 342 SGB III).

1. Nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Für das Merkmal der nicht selbstständigen Arbeit ist kennzeichnend, dass fremdbestimmte Arbeit für einen Arbeitgeber geleistet wird. Nach Abgrenzung der Arbeitnehmer von den Selbstständigen ist daher davon auszugehen, dass Arbeitnehmer nur der sein kann, der von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert dabei die Eingliederung in den Betrieb in Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (siehe nur BSG 16, 389 ff.). Das Weisungsrecht kann im Einzelfall zwar erheblich eingeschränkt sein, vornehmlich bei Diensten höherer Art. Vollständig entfallen darf es aber nicht. Es muss immer eine fremdbestimmte Dienstleistung bleiben, die also auch zumindest in einer von anderer Seite vorgegeben Ordnung des Betriebes aufgeht. Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende also seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt eine selbstständige Tätigkeit vor, die durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet ist. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl für Abhängigkeit als auch für Unabhängigkeit sprechen, ist entscheidend, welche Merkmale das Übergericht haben; dies richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (siehe BSG, Urteil vom 08.12.1987, Az.: 7 RAR 14/86).

a. Hier ist die Kammer im Rahmen der von ihr vorgenommen freien Beweiswürdigung der Überzeugung, dass die Beklagte die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) und damit auch dessen Versicherungspflicht insofern gem. § 7 Abs. 1 SGB IV für die Zeit vom 1.1.2003 bis zum 28.2.2006 zutreffend beurteilt hat.

Indem ein "Verkaufsfahrer", der mit dem vom "Auftraggeber" zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeug ausschließlich die vom "Auftraggeber" betriebenen Filialen ausschließlich in zeitlicher Nähe zu deren ausschließlich vom "Auftraggeber" bestimmten Öffnungszeiten ansteuert und nach vorheriger Vorsortierung ebenfalls im (Haupt-) Betrieb des "Auftraggebers" erstere gleichsam bestückt, auch dies im Rahmen des ausschließlich vom "Auftraggeber" verantworteten Bedarfs nach Art und Volumina der Filialbetriebe des "Auftraggebers" sowie anschließend erneut mit dem vom "Auftraggeber" zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeug ausschließlich die vom "Auftraggeber" betriebenen Filialen ausschließlich in zeitlicher Nähe zu deren ausschließlich vom "Auftraggeber" bestimmten Öffnungszeiten ansteuert und diese von nicht veräußerten Altbroten und -brötchen gleichsam entlastet und mit dem vom "Auftraggeber" zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeug (zunächst) zum (Haupt-) Betrieb des "Auftraggebers" verbringt, liegt eine mehr als hinreichende Eingliederung in den klägerischen Betrieb in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung vor, die keinen Raum mehr dafür lässt, eine selbständige Subunternehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1) annehmen zu können.

Insbesondere erschließt sich der Kammer mitnichten, wie der Beigeladene zu 1) mangels Einfluss etwa im Vorfeld der Vorsortierung auf Art und Volumina des Bedarfs der klägerischen Filialbetriebe, mangels Auswahl- und/oder Mitspracherechte bzgl. der anzusteuernden Filialbetriebe des Klägers und mangels Verkaufs-/Lieferbeziehungen zu weiteren "dritten" – mit dem klägerischen Betrieb konkurrierenden – Auftraggebern und/oder Eigenverkaufsoption einschließlich Einräumung von auch (Nutzungs-) Gelegenheit dazu und Vorliegen der dafür erforderlichen – hier fehlende – Gewerbeerlaubnis ernsthaft ein Unternehmerrisiko mit entsprechender zumindest vertretbarer Gewinnerwartung hätte tragen können sollen.

b. Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 09.07.2012 gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Vielmehr konnte das Gesamtbild einer mehr als hinreichenden Eingliederung des Beigeladenen zu 1) in den klägerischen Betrieb nach Überzeugung der Kammer nicht auch nur ansatzweise erschüttert werden.

Insbesondere dem Vortrag, der Beigeladene zu 1) habe "grundsätzlich" eine freie Zeitbestimmung vornehmen können, ist im Hinblick auf die vorstehend geschilderten zumindest im tatsächlichen bestehenden Zwänge bzw. Maßgaben und in Anbetracht demgegenüber abfallender klägerischer Substantiierung wenig plausibel. Die Möglichkeit, kurzfristig Fahrten nicht zu übernehmen, steht der von der Kammer angestellten Qualifizierung nicht entgegen, indiziert im übrigen aber, dass außerhalb der angegebenen Möglichkeit sehr wohl a) ein Weisungsrecht bestand und b) auch tatsächlich ausgeübt wurde. Inwiefern der Beigeladene zu 1) ein eigenes Vergütungsrisiko getragen haben soll, ist für die Kammer vorbehaltlich eines ihm gegebenenfalls bzw. hier nach Überzeugung der Kammer zu Unrecht verweigerten arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Schutzes nicht nachvollziehbar, wie vorstehend im Zusammenhang mit einem (fehlenden) Unternehmerrisiko mit entsprechender zumindest vertretbarer Gewinnerwartung ausgeführt. Die klägerseits geltend gemachte Umsatzsteuerabführung bzw. fehlende Entgeltfortzahlung sind als Rechtsfolgen ebenso wie eine Deklaration als Rechnung bzw. Buchung als Verkaufsprovision nach Maßgabe des § 7 Abs.1 SGB IV ungeeignet, Versicherungspflicht bzw. fehlende Versicherungspflicht darzutun, da die Beteiligten es anderenfalls in der Hand hätten, unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheit durch für sie günstig gesteuerte ("Rand"-) Umstände einer solchen Vorschub zu leisten bzw. eine solche abzuwenden, genauso wie ein eventueller Verzicht des Beigeladenen zu 1) auf die Geltendmachung (arbeits- und) sozialversicherungsrechtlichen Schutzes unmaßgeblich wäre (vgl. BSGE 75, 61; BSG, 14. Juli 2004, Az.: B 12 KR 1/04 R). Ein Vertrauenstatbestand, auf den der Kläger sich für das Nichtbestehen von Versicherungspflicht des Weiteren beruft, könnte zwar sehr wohl beachtlich sein. Indes ist vorliegend weder aufgrund des Verhaltens der Beklagten noch aus einer von den Beigeladenen zu 2) bis 4) bzw. allen Einzugsstellen und Rentenversicherungsträgern vertretenen Auffassung ein solcher erkennbar. Insbesondere bezweckte eine (in der Vergangenheit eventuell im Sinne des Klägers ausgefallene) Betriebsprüfung nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen (BSG E 47, 194, 198), sondern dient unmittelbar nur dem Interesse der Versicherungsträger und mittelbar nur dem Interesse der Versicherten, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern (BSG, 14. Juli 2004, Az.: B 12 KR 1/04 R). Ein Clearingverfahren wurde gerade nicht durchgeführt.

Schließlich gibt auch die (zeitweise) Mitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) bei der Beigeladenen zu 4) nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 KVLG keinen Anlass von der abweichenden Beurteilung, da die dort niedergelegte 26-Wochen-Schwelle (deutlich) überschritten wurde.

2. Die Bemessung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, den der Kläger (nach-) zuentrichten hat, entspricht der gesetzlichen Maßgabe; die Beklagte hat die Beiträge und Umlagen für den Beigeladenen zu 1) ausgehend von den in den von ihm gestellten "Rechnungen" und den vom Kläger verbuchten "Verkaufsprovisionen" entsprechend den Anlagen zum Bescheid vom 14.12.2007, worauf die Kammer gem. § 136 Abs.3 SGG verweist, zutreffend berechnet. Ohnehin steht die "rechnerische Aufbereitung" zwischen den Beteiligten außer Streit.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 bis 162 der VWGO und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits. Das Sozialgerichtsverfahren ist für den Kläger nicht kostenfrei, denn er hat nicht in seiner Eigenschaft als Versicherter oder Leistungsempfänger der Sozialversicherung die Klage erhoben, sondern als Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrages in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber (vgl. § 28 e SGB IV). Für die Klage eines Arbeitgebers gegen einen Sozialversicherungsträger vor den Sozialgerichten sind seit dem 2. Januar 2002 prinzipiell Gerichtskosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes – GKG – zu entrichten.

V. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197 a SGG i. V. m. § 13 GKG und beschränkt sich auf den vom Kläger angegriffenen Teil der Nachforderung.
Rechtskraft
Aus
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