S 5 R 920/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 5 R 920/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Zur Frage der Regelungsqualität einer Mitteilung der Rentenversicherung über die "Verrechnung" eines Rentennachzahlungsanspruches mit einem Erstattungsanspruch eines anderen Trägers von Sozialleistungen.

2.) Zum Begriff des Verwaltungsaktes.

3.) § 107 SGB X stellt eine Ermächtigungsgrundlage für eine Behörde dar einen Verwaltungsakt zu erlassen.
1. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. September 2008 wird dahingehend abgeändert, dass dem Kläger die notwendigen Kosten des Vorverfahrens zu erstatten sind. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. 3. Die Berufung wird zugelassen. 4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung der außergerichtlichen Kosten für ein vom Bevoll-mächtigten des Klägers geführtes Verfahren vor der Beklagten. Dabei ist insbesondere streitig, ob dieses Verfahren vor der Beklagten ein Widerspruchsverfahren gegen einen widerspruchs-fähigen Verwaltungsakt war.

Dem Kläger wurde von der Beklagten eine Rente gewährt. Die Rente wurde rückwirkend für einen Zeitraum gewährt, zu dem der Kläger noch im Bezug von Leistungen des JobCenters Elbe-Elster (im Folgenden JC EE) stand.

Entsprechend lag der Beklagten die Mitteilung eines Erstattungsanspruchs des JC EE vor.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2008, dessen Rechtsnatur unter den Beteiligten besonders umstrit-ten ist, wurde dem Kläger mitgeteilt in welcher Höhe seine nachzuzahlende Rente mit Ansprü-chen des JC EE "verrechnet" werden würde und welcher (Rest)Betrag schlussendlich zur Aus-zahlung gelangen würde. Der errechnete Restbetrag wurde dem Kläger auch ausbezahlt. Der Kläger war mit der Höhe der "Verrechnung" nicht einverstanden. Seines Erachtens hätte das JC EE einen geringeren Anspruch haben müssen. Das Schreiben vom 25. Juni 2008 enthielt jedoch keine Rechtsbehelfsbelehrung. Lediglich in dem Satz "Dieser Bescheid ist maschniell erstellt ( )" taucht überhaupt ein (formeller) Hinweis auf eine mögliche Bescheidnatur des Schreibens auf.

Der Kläger hat dessen ungeachtet unter dem 02. Juli 2008 seinen Bevollmächtigten beauftragt gegen diese "Kürzung" vorzugehen. Der Bevollmächtigte hat die Beklagte mit Schreiben vom 04. Juli 2008 aufgefordert zum Erstattungsbetrag des JC EE weiter auszuführen. Das Schreiben wurde nicht förmlich als Widerspruchsschreiben gekennzeichnet.

Unter dem 10. Juli 2008 führten die Bevollmächtigten weiter aus, wie sich ihrer Ansicht nach der korrekte Erstattungsbetrag zu errechnen hätte. Auch dieses Schreiben wurde nicht förmlich als Widerspruch gekennzeichnet.

Mit Schreiben vom 23. Juli 2008 legten die Bevollmächtigten dann einen förmlichen Wider-spruch gegen das Schreiben vom 25. Juni 2008 ein.

Mit Schreiben vom 26. August 2008 teilte die Beklagte den Bevollmächtigten des Klägers mit, dass die Nachzahlungsberechnung tatsächlich fehlerhaft war und die Berechnung seitens der Bevollmächtigten zutreffend sei. Es wurde dann eine Differenz von noch 2.048,63 Euro an den Kläger überwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers "gegen die Mitteilung vom 25.06.2008" zurück. Sie begründet dies damit, dass die Mitteilung vom 25. Juni 2008 keinen Verwaltungsakt darstellen würde, weil es dieser Mittei-lung an einer Reglung mangeln würde. Der Widerspruch sei daher schon unzulässig gewesen.

Mit seiner am 06. November 2008 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren, die Kosten für die Beauftragung seines Bevollmächtigten erstattet zu bekommen, weiter.

Er ist der Auffassung, das Schreiben vom 25. Juni 2008 stelle einen Verwaltungsakt dar.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 25.06.2008 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 29.09.2008 dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers für notwendig erklärt wird und dass die notwendigen Kosten des Vorverfahrens dem Kläger zu erstatten sind.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist hierzu im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide und legt zu-sätzlich eine Abschrift des Protokolls der Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherung und Rente vom 21./22. Mai 2007 und eine Handlungsanweisung gerichtet an die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See, vor, in denen, für die Beklagte, intern, verbindlich festgehalten wird, dass es sich bei den Mitteilungen über die auszuzahlende Rente nicht um Verwaltungsakte handelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand, sowie dem Vorbringen der Betei-ligten im Einzelnen, wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwie-sen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig. Klagegegenstand ist allein der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. September 2008. Die Beklagte ist durch die Anweisung des vom Bevollmächtigten des Klägers ausgerechneten Differenzbetrages dem Begehren des Klägers in der Hauptsache voll nachgekommen. Daher enthält allein die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides (noch) eine Beschwer des Klägers. Enthält ein Widerspruchsbescheid eine selbständige (zusätzliche) Beschwer, ist dieser, in analoger Anwendung von § 79 VwGO allein Gegenstand des Klageverfahrens (vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer SGG, 9. Aufl., § 95 Rn 3a).

II. Die Klage ist auch begründet. Der angegriffene Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erstattung der ihm entstandenen notwendigen Auslagen im Vorverfahren.

Nach § 63 Absatz 1 S. 1 des zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGBX), hat der Sozialleistungsträger dem Widerspruchsführer die notwendigen Kosten zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich war.

Aus dieser Formulierung ergeben sich zwei Konsequenzen, zum einen werden die erstattungs-fähigen Kosten auf das Maß des Erfolges begrenzt ("soweit"), zum anderen muss ein statthafter Widerspruch vorliegen. Der Kläger hatte hier mit seinem Begehren in der Hauptsache vollen Erfolg. Die Beklagte hat dies auch in der Sache anerkannt und die entsprechende Differenz an den Kläger ausgewiesen. Der Höhe nach hat der Kläger damit einen vollen Kostenerstattungsanspruch.

Der Kläger hat auch dem Grunde nach einen Erstattungsanspruch. Entgegen der Auffassung der Beklagten und entgegen der insofern fehlerhaften Ergebnisse der Arbeitsgruppe des Fach-ausschusses für Versicherung und Rente hat der Kläger einen statthaften Widerspruch einge-legt.

1. Hierbei ist, anders als die Beklagte dies rechtsfehlerhaft getan hat, schon das Schreiben vom 04. Juli 2008 als Widerspruch zu werten. § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sieht nämlich als einzige Formvorschrift für den Widerspruch die Schriftlichkeit vor. Diese ist hier durch die Bevollmächtigten gewahrt worden. In § 84 SGG ist insbesondere nicht bestimmt, dass der Wi-derspruch als solcher gekennzeichnet sein müsste. Das entsprechende Schriftstück muss inhalt-lich lediglich zu erkennen geben, dass der Widerspruchsführer mit der Entscheidung der Ver-waltung nicht einverstanden ist und eine Überprüfung dieser Entscheidung durch die Verwal-tung (in Abgrenzung zu einer Überprüfung durch ein Gericht; z. B. als Klage, oder einen Peti-tionsausschuss oder ähnlicher Institution) wünscht (vgl. dazu Leitherer in Meyer-Ladewig u.a. SGG, 9. Aufl. § 83 Rn 2). Schon aus dem Schreiben vom 04. Juli 2007 hätte die Beklagte da-her erkennen müssen, dass der Kläger eine volle Überprüfung seines Anliegens durch die Be-hörde begehrte. Mit dem Widerspruch vom 04. Juli 2008 wird auch die Widerspruchsfrist von einem Monat gewahrt, so dass die formellen Voraussetzungen des § 84 SGG erfüllt sind (zur Statthaftigkeit s. sogleich).

2. Der Widerspruch war auch statthaft. Statthaft ist der Widerspruch nur gegen einen Verwal-tungsakt (vgl. Leitherer aaO § 83 Rn 3). Das Überprüfungsbegehren des Klägers zielte allein auf das Schreiben der Beklagten vom 25. Juni 2008 ab (der dem zu Grunde liegende Rentenbe-scheid ist nicht angegriffen worden und würde, was unter den Beteiligten unstreitig ist, als solcher einen Verwaltungsakt darstellen). Das Schreiben vom 25. Juni 2008 ist auch ein Verwaltungsakt, welcher mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs in statthafter Weise angegriffen werden kann. Der Begriff des Verwaltungsaktes wird im SGG nicht (erneut) definiert. Es ist insofern auf die Begriffsbestimmung des § 31 SGB X, welcher identisch zum § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist, zurück zu greifen.

Nach § 31 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung, oder andere hoheitli-che Maßnahme, die eine Behörde zur Reglung eines Einzelfalls auf dem gebiet des öffentlichen rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

Die Definition des Verwaltungsaktes geht dabei schon auf das Jahr 1895 zurück, zu der Otto Mayer ausführte: "ein der Verwaltung zugehöriger, obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unter-tanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn rechtens sein soll" (nach Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I, 1. Aufl. 1895 S. 95). Es ist dabei unbestritten, dass schon seit dieser Definition 5 wesentliche Begriffsmerkmale (durch die Jahrhunderte unverändert), einem Verwaltungsakt zu Grunde liegen (vgl. dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. S. 178 Rn 2-5). Diese Merkmale umfassen die Begriffe der Behörde, der Außenwirkung, des Einzelfalls, der Hoheitlichkeit und der Reglung. Unter den Beteiligten ist unstreitig, dass die Mitteilung vom 25. Juni 2008 die ersten vier Begriffsmerkmale erfüllt.

1. Die Beklagte ist Behörde im Sinne des § 1 und § 31 SGB X 2. Die Mitteilung entfaltet Außenwirkung, da sie den internen Behördenapparat verlässt und verlassen soll. 3. Sie dient zur "Reglung" des Einzelfalls, da nur der konkrete Nachzahlungsanspruch des Klägers betroffen ist. 4. Sie beruht auf den Normen des öffentlichen Rechts.

Das Schreiben erfüllt aber auch die Begriffbestimmung der Reglung. Reglung ist eine rechts-verbindliche Anordnung, eine Willenserklärung, die auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Die Rechtsfolge besteht darin, dass Rechte und/oder Pflichten begründet, geändert, auf-gehoben oder verbindliche festgestellt werden (nach Maurer aaO S. 180 Rn 6). In negativer Abgrenzung ist vor allem das so genannte tatsächliche, oder "schlichte" Verwaltungshandeln hervorzuheben (vgl. Maurer aaO S. 181 Rn 8; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. S. 241 Rn 3). Auch das Äußern einer Rechtsansicht ist keine Reglung (vgl. Engelmann in von-Wulffen SGB X, 6. Aufl. § 31 Rn. 24; S. 183 a. E.). Der Begriff der Reglung bezeichnet den materiellen Zustand, der durch das hoheitliche Handeln herbeigeführt worden ist (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 6. Aufl. § 35 Rn 78). Daher kann die Reglung auch in einer "bloßen" rechtsverbindlichen Feststellung bestehen, denn der Begriff der Reglung ist nicht davon anhängig, ob der Verwaltungsakt deklaratorisch, oder konstitutiv ist. Diese Wirkung wird allein durch das materielle Rechts geprägt und kann auch zu Doppelfunktionen führen (Stelkens aaO Rn 26 und Rn 78).

Mit der Begriffsbestimmung von Otto Meyer lässt sich die Reglung als das zusammenfassen, was dem Einzelnen sagt "was für ihn rechtens sein soll".

Dem wird die Bestimmung der Beklagten, dass der Kläger Anspruch auf eine (Rest)Nachzahlung seiner Rente in einer bestimmten Höhe für einen bestimmten Zeitraum ha-be, gerecht. Die Beklagte erklärt damit, dass es für den Kläger rechtens sei, wenn er für die Vergangenheit noch eine bestimmte Summe ausbezahlt bekomme, da insoweit ein anderer Teil der Rente einem anderen (Sozialleistungsträger) gebühre.

In keiner Weise überzeugen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versi-cherung und Rente vom 21./22. Mai 2007, welche der Rechtsauffassung der Deutschen Ren-tenversicherung Bund schlicht folgen indem sie sich der Auffassung anschließen, dass eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsaktes fehlen würde. Dies kann aber so nicht richtig sein. Das 6. Buch des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGBVI) beispielsweise sieht ausschließlich in § 118 Absatz 4 S. 2 eine wörtliche Ermächti-gung zum Handeln durch Verwaltungsakt vor. Trotzdem ist unstreitig, dass eine Entscheidung über eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in Form eines Verwaltungsaktes ergeht und durch eine Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Der Fall, dass eine Ermächtigungsgrund-lage, die ausdrücklich zum Handeln durch einen Verwaltungsakt ermächtigt, existiert ist, an-ders als die Deutsche Rentenversicherung Bund dies in der o. g. Ausschusssitzung wohl glau-ben zu machen versuchte, um ihre unvertretbare Rechtsposition zu untermauern, die Ausnahme. Nach dem Vorbehalt des Gesetzes muss "das Verwaltungshandeln von einer gesetzlichen Reglung gedeckt sein" (vgl. Maurer aaO S. 107ff.). Der Vorbehalt des Gesetzes erfordert nicht, dass eine Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich für einen Verwaltungsakt vorliegen muss. Die Handlung als solche muss von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein. Wenn die Handlung als solche dann die Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes erfüllt, dann liegt auch ein Ver-waltungsakt vor. Andernfalls würde, bei konsequenter Umsetzung der Wünsche der Deutschen Rentenversicherung Bund, kaum eine Handlung der Rentenversicherungsträger Verwaltungs-aktqualität haben, da nur die Reglung des § 118 Absatz 4 S. 2 SGB VI zum Erlass eines Ver-waltungsaktes ausdrücklich ermächtigt. Ein befremdliches Ergebnis, zu dem es nur kommen kann, wenn, wie die Deutsche Rentenversicherung Bund dies getan hat, das Prinzip des Geset-zesvorbehalts verkannt und entsprechend verkürzt angewendet wird.

Es stellt sich im Folgenden das Zusatzproblem ob die Beklagte überhaupt zu der gemachten Einbehaltung berechtigt wäre, wenn sie dazu nicht vom Gesetz ermächtigt wäre. Soweit näm-lich die Deutsche Rentenversicherung Bund argumentiert, § 107 SGB X würde keine Ermäch-tigung zum Erlass eines Verwaltungsakte bieten, stellt sich die Frage auf Grund welcher Norm die Beklagte überhaupt zur Einbehaltung befugt sein sollte. § 52 SGB I (Verrechnung) umfasst nur laufende Leistungen, nicht aber Nachzahlungen und ist daher unanwendbar.

§ 107 SGB X umfasst aber gerade die Ermächtigung der auszahlenden Behörde die Anteile des Auszahlbetrages, die wegen eines Erstattungsanspruches nach § 102 SGB X einem anderen Sozialleistungsträger als Erstattung gebühren, einzubehalten und statt an den Leistungsemp-fänger direkt der Sozialleistungsbehörde zu Gute kommen zu lassen. § 107 SGB X ist daher (denknotwendigerweise), die Ermächtigungsgrundlage dafür, dass die Beklagte die von ihr vorgenommene Rechtshandlung (gleich welcher Natur diese sein sollte), überhaupt vornehmen konnte, denn andernfalls würde gegen das Prinzip des Gesetzesvorbehalts verstoßen. Die Be-klagte greift nämlich durchaus in die Rechts des Klägers ein, indem sie seinen unstreitig vor-handenen Anspruch auf Nachzahlung der vollen Rente schmälert, weil ein anderer Soziallei-tungsträger insofern schon Leistungen erbracht hat (und diese sonst von dem Kläger zurückver-langen könnte) und damit eine geringere Rente ausbezahlt. Ein solcher Eingriff bedarf zwin-gend einem Gesetzesvorbehalt und damit auch einer Ermächtigungsgrundlage. Diese ist, auf Grund des unmissverständlichen Wortlautes, § 107 SGB X.

Da die vorgenommene Handlung der Beklagten im Übrigen die Begriffsmerkmale eines Ver-waltungsaktes erfüllt, liegt auch ein Verwaltungsakt vor.

Insbesondere zu der Frage, welche Art von Reglung denn von § 107 SGB X erfasst sein soll, die Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherung und Rente kommt sogar zu dem Er-gebnis, dass § 107 SGB X keinerlei Wirkung für den Leistungsempfänger haben soll, liefert das vorstehend ausgeführte nach Auffassung der Kammer ein deutliches Bild. Die Wirkung, die für den Kläger einsetzt ist nämlich die, dass er gegen die Beklagte wegen der Auszahlung seiner vollen Rentennachzahlung nicht mit Erfolg vorgehen kann. Die Beklagte muss daher zwingend, wenigstens die Feststellung treffen, dass die Voraussetzungen des § 107 SGB X erfüllt sind, diese entfalten dann aber auch unmittelbar Rechtswirkung gegenüber dem Kläger und haben daher Reglungscharakter.

Wenn die von der Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherung und Rente vertretene Auffassung konsequent zu Ende gedacht worden wäre, dann wäre die gesamte Handlungsweise der Beklagten rechtswidrig gewesen und der Kläger hätte seine volle Rente ausbezahlt bekommen müssen. Der Gesetzgeber hätte dann eine "sinnfreie" Norm geschaffen, was noch weniger mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift in Einklang zu bringen wäre, als darin eine Ermächtigungsgrundlage auch für den Erlass eines Verwaltungsaktes zu sehen.

Der Widerspruch des Klägers richtete sich daher gegen einen widerspruchsfähigen Verwal-tungsakt und hatte vollen Erfolg. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war überdies notwen-dig. Die Notwendigkeit ist in der Regel zu bejahen, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage ist seine Rechte gegen die Verwaltung ausreichend zu wahren (vgl. Roos in vonWulffen aaO § 63 Rn 26 S. 528 a.E.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich, so dass die Hinzuziehung notwendig war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsa-che.

IV. Die Zulassung der Berufung und Sprungrevision beruht auf §§ 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG, 161 Absatz 2 S. 1, i V. m. § 160 Absatz 2 Nr. 1 SGG, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist auch aus der Beschäftigung der Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherung und Rente mit der Fallkonstellation als solche schon erkennbar. Die Zulassung war auch von grundsätzlicher Bedeutung, da die Beklagte insofern eine andere Auffassung vertritt als die anderen Rentenversicherungsträger und auch in ihrem eigenen Interesse eine grundsätzliche Klärung durch das BSG zu erfolgen hat. Andernfalls würde sich die Beklagte auch weiterhin der, nach Sicht der Kammer, rechtswidrigen Praxis der anderen Versicherungsträger unterord-nen müssen.
Rechtskraft
Aus
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