Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 R 124/11 WA
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RS 8/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 05. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech) mit den dabei erzielten Entgelten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) festzustellen sind.
Der am ... 1938 geborene Kläger ist ausweislich der Urkunde der Karl-Marx-Universität L. vom 27. September 1963 berechtigt, den akademischen Grad Diplom-Chemiker zu führen. Ab dem 08. Oktober 1963 bis über den 30. Juni 1990 hinaus war er beim VEB C. Werke B. im Forschungsbereich bzw. zwischenzeitlich im Großforschungszentrum unter Rechtsträgerschaft des VEB L. beschäftigt. Eine positive Versorgungszusage erhielt er zur Zeit der DDR nicht.
Am 21. Januar 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Juni 2001 mit der Begründung ab, dass der Abschluss als Diplom-Chemiker nicht dem Titel eines Ingenieurs oder Technikers im Sinne der Versorgungsordnung entspreche. Dagegen legte der Kläger am 17. Juli 2001 Widerspruch ein und führte aus, seine Arbeit sei überwiegend die eines Technikers der Chemie bzw. eine ingenieurtechnische Tätigkeit gewesen. In einem Personalgespräch im Jahre 1970 sei von seinem Vorgesetzten die Einbeziehung in die AVItech in Aussicht gestellt worden. Andere Diplom-Chemiker hätten zu DDR-Zeiten eine AVItech-Urkunde erhalten. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2001 im Wesentlichen mit der Begründung ihres Ausgangsbescheides zurück.
Dagegen hat der Kläger am 19. Oktober 2001 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Das Verfahren hat von November 2001 bis zum Januar 2011 geruht, um den Ausgang von Musterprozessen abzuwarten. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat der Kläger die Auffassung vertreten, die ablehnenden Urteile des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der fiktiven Einbeziehung von Diplom-Chemikern in die AVItech beruhten auf einer falschen Interpretation der Regelungsabsicht des DDR-Gesetzgebers. Es seien neue Dokumente aufgefunden worden, die u. a. belegten, dass die Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl. DDR I S. 487, 2. DB) den Kreis der Berechtigten habe erweitern und einen obligatorischen Anspruch habe sichern sollen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05. Januar 2012 abgewiesen. Die zahlreichen vom Kläger eingereichten Unterlagen bestätigten die teilweise willkürliche Handhabung der Erteilung von Versorgungszusagen losgelöst vom eigentlichen Wortlaut der Regelungen. Diese habe sich am "Prinzip der materiellen Interessiertheit" orientiert (so die Grundsätze über die Gewährung der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für den Bereich der VVB Chemie vom 28. Dezember 1965) und habe sogar einen Anspruch auf Gewährung einer Versorgungszusage für jeden Angehörigen der technischen Intelligenz verneint. Diese Praxis verdeutliche anschaulich, dass nur eine am Wortlaut der Versorgungsregelungen orientierte Entscheidung rechtsstaatlichen Grundätzen entsprechen könne.
Gegen den am 13. Januar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. Februar 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Ergänzend und vertiefend hat er ausgeführt, die Rechtsprechung des BSG sei nicht frei von Widersprüchen. Das gravierende Fehlurteil des BSG zur fiktiven Einbeziehung von Ingenieurökonomen in die AVItech (vom 07. September 2006 – B 4 RA 47/05 R –) verdeutliche, dass das Gericht mit seinen eigenen unterschiedlichen Begriffen bei seiner widersprüchlichen Interpretation des Textes der 2. DB wohl selbst nicht mehr klargekommen sei. Die vom SG zitierten Grundsätze vom 28. Dezember 1965 verdeutlichten auf Seite 1 unten, dass Personen mit einem naturwissenschaftlichen Abschluss genau wie diejenigen mit einem technischen Abschluss nach wie vor zu den Anspruchsberechtigten gehörten. Dies habe das SG übersehen. Im Übrigen seien weitere gerichtliche Sachermittlungen erforderlich. Der erkennende Senat habe in Bezug auf den Text der 2. DB den Sinnzusammenhang, den historischen Kontext sowie den offiziellen Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990 zu ermitteln. Die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl. DDR II S. 278) – Ing-VO – sei dagegen nach deren § 6 versorgungsrechtlich nicht relevant und regele nur den wirtschaftsrechtlichen Sprachgebrauch. Sie lasse keinen Zusammenhang mit der 2. DB erkennen. In der 2. DB gehe es um die Berufsgruppe der "Ingenieure und Techniker". Diese Berufsgruppe sei nicht mit dem in der Ing-VO genannten Personenkreis gleichzusetzen, der laut Ausbildungsabschluss die Berufsbezeichnung "Ingenieur" tragen dürfe. Aufgrund der widersprüchlichen und falschen Rechtsprechung des 4. Senats des BSG zur Einbeziehung von Diplom-Chemikern in die AVItech sei eine Überprüfung durch den nunmehr zuständigen 5. Senat des BSG zwingend erforderlich.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 05. Januar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeit vom 08. Oktober 1963 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG mit den in dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelten festzustellen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 05. Januar 2012 zurückzuweisen.
Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Kläger ist darauf hingewiesen worden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (seit dem Urteil vom 19. März 2009 – L 1 R 91/06 –, sh. www.sozialgerichtsbarkeit.de; vorher offen gelassen) die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem nur möglich ist, wenn zu Zeiten der DDR eine entsprechende schriftliche Versorgungszusage erteilt worden ist. Eine fiktive Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem der DDR – wie dies das BSG für möglich hält – scheidet nach Auffassung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt aus.
Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2001 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, den streitigen Zeitraum als Zugehörigkeitszeit nach § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG feststellen zu lassen, denn das AAÜG ist in seinem Fall nicht anwendbar.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 11). Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er auf Grund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Fall nicht stattgefunden.
Der Senat folgt zwar nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats und des jetzigen 5. Senats des BSG, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann. Aber auch nach dieser Rechtsprechung wären die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des streitigen Zeitraums nicht erfüllt. Danach hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. DDR I S. 844 – im Folgenden: VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für
Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und
die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.
Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 01. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die persönliche Voraussetzung nicht erfüllt ist.
Das BSG hat wiederholt entschieden, dass Diplom-Chemiker nicht obligatorisch in die AVItech einbezogen waren (z.B. Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 –, SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8; Urteil vom 18. Oktober 2007 – B 4 RS 25/07 R –, SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 13). Auch der erkennende Senat hat mehrfach in diesem Sinne entschieden (z. B. Urteile vom 17. Januar 2007 – L 1 R 1/05 –; 11. Oktober 2007 – L 1 RA 96/05 –; 17. Juli 2008 – L 1 R 115/07 –; 12. März 2008 – L 1 RA 71/05 –; 06. November 2008 – L 1 R 501/06 –; 16. Dezember 2009 – L 1 R 135/07 – und vom 18. März 2010 – L 1 R 131/07 –). Diese Rechtsprechung verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – juris, Rdnr. 6).
Es ist weder eine weitere Sachaufklärung noch eine Revisionszulassung angezeigt. Denn der 5. Senat des BSG ist im Zusammenhang mit Fragen zur fiktiven Einbeziehung im Wesentlichen auf der Linie des ehemals zuständigen 4. Senats geblieben. In seinem Urteil vom 19. Juli 2011 (B 5 RS 7/10 R) hat der 5. Senat Folgendes ausgeführt:
"Das Verständnis der Vorschriften der VO-AVItech und der 2. DB erschließt sich stets zunächst und soweit als möglich unmittelbar aus sich heraus. Nur soweit aus bundesrechtlicher Sicht der objektivierte Wortlaut - nicht also die DDRrechtliche Bewertung -, der interne Sinnzusammenhang und der historische Kontext noch Unklarheiten lassen, kann es zur Ergänzung der so gewonnenen Erkenntnisse und von ihnen ausgehend auf den sonstigen offiziellen Sprachgebrauch der DDR am Stichtag 30.6.1990 ankommen, soweit er einen versorgungsrechtlichen Bezug aufweist. Entwicklungen des Sprachgebrauchs sind daher nur insofern von Bedeutung, als sie sich auf Umstände beziehen, die ihrer Art nach bereits ursprünglich von den Versorgungsordnungen erfasst waren oder durch spätere Änderungen zu deren Bestandteil gemacht wurden (versorgungsrechtlicher Sprachgebrauch). Dagegen sind Entwicklungen des Sprachgebrauchs in sonstigen Bereichen, insbesondere dem Wirtschaftsrecht, ohne Bedeutung (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 67). Das bundesrechtliche Verständnis von einschlägigen Begriffen des Versorgungsrechts darf daher von vornherein nicht etwa in der Weise gewonnen werden, dass zunächst kontextunabhängig und ohne Beschränkung auf den versorgungsrechtlichen Zusammenhang nach einem offiziellen Sprachgebrauch der DDR am 30.6.1990 geforscht wird, um dann das Ergebnis dieser Bemühungen mit dem "Wortlaut" der einschlägigen versorgungsrechtlichen Regelungen gleichzusetzen und deren spezifisch versorgungsrechtlichen Anwendungsbereich hiernach zu bestimmen. Von Belang sind vielmehr allein Entwicklungen des versorgungsrechtlich relevanten Sprachgebrauchs. Einzelne Stimmen im Schrifttum basieren auf diesem methodischen Irrtum und vermögen daher auch den auf sie gestützten Revisionen nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dies gilt umso mehr, soweit dort eine Ausdehnung des Produktionsbegriffs befürwortet wird, die die versorgungsrechtliche Gleichstellung von wissenschaftlichen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Betrieben sowie wirtschaftsleitenden Organen im Ergebnis überflüssig machen würde." (juris, Rdnr. 25).
Die Wortlaute der VO-AVItech und der 2. DB sind eindeutig. Dort sind Diplom-Chemiker nicht als obligatorisch einzubeziehen genannt. Da insoweit keine Unklarheiten bestehen, ist vor dem Hintergrund der soeben zitierten Entscheidung des BSG eine weitere Sachaufklärung oder die Anwendung weiterer Auslegungsmethoden nicht angezeigt.
Soweit der Kläger auf Widersprüchlichkeiten der Rechtsprechung des BSG hinweist, ist anzumerken, dass das BSG bereits in seinem Urteil vom 10. April 2002 (B 4 RA 56/01 R) erklärt hat, "soweit die Auffassung vertreten wird, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass Personen mit gleichwertiger beruflicher Tätigkeit und gleichwertiger beruflicher Qualifikation keine "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" erlangen könnten, so ist dem entgegenzuhalten, dass – eine derartige mögliche Ungleichbehandlung unterstellt – der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche bereits in den Versorgungsordnungen angelegte Ungleichbehandlung nachträglich zu korrigieren. Denn er durfte an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am 2. Oktober 1990 vorgelegen haben, im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 193 f.) ( ) Im Übrigen ist es nicht Aufgabe der gesetzesgebundenen Staatsorgane, eine Regelung zu beschließen, um nachträglich eine eine Ungleichbehandlung beseitigende Einzelfallentscheidung zu ermöglichen; schließlich und darüber hinaus könnten auch dann wieder entsprechende (willkürliche) Abgrenzungen gegenüber anderen Personengruppen möglich sein." (juris, Rdnr. 18). Nichts anderes gilt bei der Frage, ob Diplom-Chemiker fiktiv in die AVItech einzubeziehen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech) mit den dabei erzielten Entgelten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) festzustellen sind.
Der am ... 1938 geborene Kläger ist ausweislich der Urkunde der Karl-Marx-Universität L. vom 27. September 1963 berechtigt, den akademischen Grad Diplom-Chemiker zu führen. Ab dem 08. Oktober 1963 bis über den 30. Juni 1990 hinaus war er beim VEB C. Werke B. im Forschungsbereich bzw. zwischenzeitlich im Großforschungszentrum unter Rechtsträgerschaft des VEB L. beschäftigt. Eine positive Versorgungszusage erhielt er zur Zeit der DDR nicht.
Am 21. Januar 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Juni 2001 mit der Begründung ab, dass der Abschluss als Diplom-Chemiker nicht dem Titel eines Ingenieurs oder Technikers im Sinne der Versorgungsordnung entspreche. Dagegen legte der Kläger am 17. Juli 2001 Widerspruch ein und führte aus, seine Arbeit sei überwiegend die eines Technikers der Chemie bzw. eine ingenieurtechnische Tätigkeit gewesen. In einem Personalgespräch im Jahre 1970 sei von seinem Vorgesetzten die Einbeziehung in die AVItech in Aussicht gestellt worden. Andere Diplom-Chemiker hätten zu DDR-Zeiten eine AVItech-Urkunde erhalten. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2001 im Wesentlichen mit der Begründung ihres Ausgangsbescheides zurück.
Dagegen hat der Kläger am 19. Oktober 2001 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Das Verfahren hat von November 2001 bis zum Januar 2011 geruht, um den Ausgang von Musterprozessen abzuwarten. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat der Kläger die Auffassung vertreten, die ablehnenden Urteile des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der fiktiven Einbeziehung von Diplom-Chemikern in die AVItech beruhten auf einer falschen Interpretation der Regelungsabsicht des DDR-Gesetzgebers. Es seien neue Dokumente aufgefunden worden, die u. a. belegten, dass die Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl. DDR I S. 487, 2. DB) den Kreis der Berechtigten habe erweitern und einen obligatorischen Anspruch habe sichern sollen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05. Januar 2012 abgewiesen. Die zahlreichen vom Kläger eingereichten Unterlagen bestätigten die teilweise willkürliche Handhabung der Erteilung von Versorgungszusagen losgelöst vom eigentlichen Wortlaut der Regelungen. Diese habe sich am "Prinzip der materiellen Interessiertheit" orientiert (so die Grundsätze über die Gewährung der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für den Bereich der VVB Chemie vom 28. Dezember 1965) und habe sogar einen Anspruch auf Gewährung einer Versorgungszusage für jeden Angehörigen der technischen Intelligenz verneint. Diese Praxis verdeutliche anschaulich, dass nur eine am Wortlaut der Versorgungsregelungen orientierte Entscheidung rechtsstaatlichen Grundätzen entsprechen könne.
Gegen den am 13. Januar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. Februar 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Ergänzend und vertiefend hat er ausgeführt, die Rechtsprechung des BSG sei nicht frei von Widersprüchen. Das gravierende Fehlurteil des BSG zur fiktiven Einbeziehung von Ingenieurökonomen in die AVItech (vom 07. September 2006 – B 4 RA 47/05 R –) verdeutliche, dass das Gericht mit seinen eigenen unterschiedlichen Begriffen bei seiner widersprüchlichen Interpretation des Textes der 2. DB wohl selbst nicht mehr klargekommen sei. Die vom SG zitierten Grundsätze vom 28. Dezember 1965 verdeutlichten auf Seite 1 unten, dass Personen mit einem naturwissenschaftlichen Abschluss genau wie diejenigen mit einem technischen Abschluss nach wie vor zu den Anspruchsberechtigten gehörten. Dies habe das SG übersehen. Im Übrigen seien weitere gerichtliche Sachermittlungen erforderlich. Der erkennende Senat habe in Bezug auf den Text der 2. DB den Sinnzusammenhang, den historischen Kontext sowie den offiziellen Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990 zu ermitteln. Die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl. DDR II S. 278) – Ing-VO – sei dagegen nach deren § 6 versorgungsrechtlich nicht relevant und regele nur den wirtschaftsrechtlichen Sprachgebrauch. Sie lasse keinen Zusammenhang mit der 2. DB erkennen. In der 2. DB gehe es um die Berufsgruppe der "Ingenieure und Techniker". Diese Berufsgruppe sei nicht mit dem in der Ing-VO genannten Personenkreis gleichzusetzen, der laut Ausbildungsabschluss die Berufsbezeichnung "Ingenieur" tragen dürfe. Aufgrund der widersprüchlichen und falschen Rechtsprechung des 4. Senats des BSG zur Einbeziehung von Diplom-Chemikern in die AVItech sei eine Überprüfung durch den nunmehr zuständigen 5. Senat des BSG zwingend erforderlich.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 05. Januar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeit vom 08. Oktober 1963 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG mit den in dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelten festzustellen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 05. Januar 2012 zurückzuweisen.
Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Kläger ist darauf hingewiesen worden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (seit dem Urteil vom 19. März 2009 – L 1 R 91/06 –, sh. www.sozialgerichtsbarkeit.de; vorher offen gelassen) die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem nur möglich ist, wenn zu Zeiten der DDR eine entsprechende schriftliche Versorgungszusage erteilt worden ist. Eine fiktive Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem der DDR – wie dies das BSG für möglich hält – scheidet nach Auffassung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt aus.
Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2001 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, den streitigen Zeitraum als Zugehörigkeitszeit nach § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG feststellen zu lassen, denn das AAÜG ist in seinem Fall nicht anwendbar.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 11). Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er auf Grund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Fall nicht stattgefunden.
Der Senat folgt zwar nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats und des jetzigen 5. Senats des BSG, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann. Aber auch nach dieser Rechtsprechung wären die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des streitigen Zeitraums nicht erfüllt. Danach hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. DDR I S. 844 – im Folgenden: VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für
Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und
die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.
Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 01. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die persönliche Voraussetzung nicht erfüllt ist.
Das BSG hat wiederholt entschieden, dass Diplom-Chemiker nicht obligatorisch in die AVItech einbezogen waren (z.B. Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 –, SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8; Urteil vom 18. Oktober 2007 – B 4 RS 25/07 R –, SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 13). Auch der erkennende Senat hat mehrfach in diesem Sinne entschieden (z. B. Urteile vom 17. Januar 2007 – L 1 R 1/05 –; 11. Oktober 2007 – L 1 RA 96/05 –; 17. Juli 2008 – L 1 R 115/07 –; 12. März 2008 – L 1 RA 71/05 –; 06. November 2008 – L 1 R 501/06 –; 16. Dezember 2009 – L 1 R 135/07 – und vom 18. März 2010 – L 1 R 131/07 –). Diese Rechtsprechung verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – juris, Rdnr. 6).
Es ist weder eine weitere Sachaufklärung noch eine Revisionszulassung angezeigt. Denn der 5. Senat des BSG ist im Zusammenhang mit Fragen zur fiktiven Einbeziehung im Wesentlichen auf der Linie des ehemals zuständigen 4. Senats geblieben. In seinem Urteil vom 19. Juli 2011 (B 5 RS 7/10 R) hat der 5. Senat Folgendes ausgeführt:
"Das Verständnis der Vorschriften der VO-AVItech und der 2. DB erschließt sich stets zunächst und soweit als möglich unmittelbar aus sich heraus. Nur soweit aus bundesrechtlicher Sicht der objektivierte Wortlaut - nicht also die DDRrechtliche Bewertung -, der interne Sinnzusammenhang und der historische Kontext noch Unklarheiten lassen, kann es zur Ergänzung der so gewonnenen Erkenntnisse und von ihnen ausgehend auf den sonstigen offiziellen Sprachgebrauch der DDR am Stichtag 30.6.1990 ankommen, soweit er einen versorgungsrechtlichen Bezug aufweist. Entwicklungen des Sprachgebrauchs sind daher nur insofern von Bedeutung, als sie sich auf Umstände beziehen, die ihrer Art nach bereits ursprünglich von den Versorgungsordnungen erfasst waren oder durch spätere Änderungen zu deren Bestandteil gemacht wurden (versorgungsrechtlicher Sprachgebrauch). Dagegen sind Entwicklungen des Sprachgebrauchs in sonstigen Bereichen, insbesondere dem Wirtschaftsrecht, ohne Bedeutung (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 67). Das bundesrechtliche Verständnis von einschlägigen Begriffen des Versorgungsrechts darf daher von vornherein nicht etwa in der Weise gewonnen werden, dass zunächst kontextunabhängig und ohne Beschränkung auf den versorgungsrechtlichen Zusammenhang nach einem offiziellen Sprachgebrauch der DDR am 30.6.1990 geforscht wird, um dann das Ergebnis dieser Bemühungen mit dem "Wortlaut" der einschlägigen versorgungsrechtlichen Regelungen gleichzusetzen und deren spezifisch versorgungsrechtlichen Anwendungsbereich hiernach zu bestimmen. Von Belang sind vielmehr allein Entwicklungen des versorgungsrechtlich relevanten Sprachgebrauchs. Einzelne Stimmen im Schrifttum basieren auf diesem methodischen Irrtum und vermögen daher auch den auf sie gestützten Revisionen nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dies gilt umso mehr, soweit dort eine Ausdehnung des Produktionsbegriffs befürwortet wird, die die versorgungsrechtliche Gleichstellung von wissenschaftlichen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Betrieben sowie wirtschaftsleitenden Organen im Ergebnis überflüssig machen würde." (juris, Rdnr. 25).
Die Wortlaute der VO-AVItech und der 2. DB sind eindeutig. Dort sind Diplom-Chemiker nicht als obligatorisch einzubeziehen genannt. Da insoweit keine Unklarheiten bestehen, ist vor dem Hintergrund der soeben zitierten Entscheidung des BSG eine weitere Sachaufklärung oder die Anwendung weiterer Auslegungsmethoden nicht angezeigt.
Soweit der Kläger auf Widersprüchlichkeiten der Rechtsprechung des BSG hinweist, ist anzumerken, dass das BSG bereits in seinem Urteil vom 10. April 2002 (B 4 RA 56/01 R) erklärt hat, "soweit die Auffassung vertreten wird, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass Personen mit gleichwertiger beruflicher Tätigkeit und gleichwertiger beruflicher Qualifikation keine "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" erlangen könnten, so ist dem entgegenzuhalten, dass – eine derartige mögliche Ungleichbehandlung unterstellt – der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche bereits in den Versorgungsordnungen angelegte Ungleichbehandlung nachträglich zu korrigieren. Denn er durfte an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am 2. Oktober 1990 vorgelegen haben, im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 193 f.) ( ) Im Übrigen ist es nicht Aufgabe der gesetzesgebundenen Staatsorgane, eine Regelung zu beschließen, um nachträglich eine eine Ungleichbehandlung beseitigende Einzelfallentscheidung zu ermöglichen; schließlich und darüber hinaus könnten auch dann wieder entsprechende (willkürliche) Abgrenzungen gegenüber anderen Personengruppen möglich sein." (juris, Rdnr. 18). Nichts anderes gilt bei der Frage, ob Diplom-Chemiker fiktiv in die AVItech einzubeziehen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
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