Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 AS 10/14 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 130/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 5. März 2014 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin B., A Stadt ab dem 24. März 2014 beigeordnet.
Gründe:
Die 1988 in Bulgarien geborene Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegnerin die vorläufige Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die am 11. März 2014 eingegangene Beschwerde des Antragsgegners mit dem Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 5. März 2014 aufzuheben und den Eilantrag abzulehnen,
ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die beantragte Regelungsanordnung im Ergebnis zu Recht erlassen.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs) als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), die glaubhaft zu machen sind (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -), ist von diesem Grundsatz jedoch dann abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988, Az.: 2 BvR 745/88 = BVerfGE 79, 69 ff.; Beschluss vom 22. November 2002, Az.: 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236 f.). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG - i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166). Existenzsichernde Leistungen dürfen im sozialgerichtlichen Eilverfahren nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG a.a.O.). Hieraus folgt, dass im Falle vorgelegter Mittel der Glaubhaftmachung eine Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne eine Beweisaufnahme hinsichtlich des gegen die Glaubhaftmachung sprechenden Vortrages grundsätzlich nicht möglich ist. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist ausnahmsweise auch bei der grundrechtlichen Fundierung des Anordnungsanspruches nur dann nicht geboten, wenn die Unmöglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung allein in der Sphäre des Antragstellers liegt und durch zumutbare Mitwirkung beseitigt werden kann.
An diesem Maßstab gemessen besteht ein Anordnungsanspruch dem Grunde nach hinsichtlich Regelleistungen einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab Antragstellung (Eingang des Eilantrages bei dem Sozialgericht am 16. Januar 2014) bis zum Ende des zu diesem Zeitpunkt in Betracht kommenden Bewilligungszeitraumes am 31. Mai 2014 (Antragstellung bei dem Antragsgegner am 2. Dezember 2013).
Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlagen des Anordnungsanspruchs (§§ 7 ff., 19 ff. SGB II) sind nach Überzeugung des Senates dem Grunde nach erfüllt. Die Antragstellerin ist 26 Jahre alt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) und erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II). Sie hat auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in A-Stadt (A-Straße). Auch nach dem Beschwerdevorbingen hat die Ausländerbehörde bislang keine aufenthaltsrechtsbeendenden Maßnahmen ergriffen. Weiterhin ist sie hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt.
Die Antragstellerin ist weiter nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Anspruch ausgeschlossen, da sich ihr Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Zwar erfüllte die Antragstellerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht die Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechtstatbestandes, indes waren auch die Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nicht erfüllt. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II verbietet es in einem derartigen Fall vor dem Hintergrund der bestehenden Aufenthaltsrechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gleichsam als "Auffangausschlusstatbestand" auszulegen. Art. 18 i.V.m. Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und eine hiermit vereinbare Auslegung von Art. 24 RL 2004/38/EG stehen einer erweiternden Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für ein nur formal fortbestehendes Aufenthaltsrecht wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger entgegen. Dies hat zur Folge, dass ein allein aufgrund der fortbestehenden Vermutung lediglich formal legaler Aufenthalt nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fällt. Insoweit wird zunächst auf die ausführlichen Darlegungen des Senats im Urteil vom 27. November 2013 (L 6 AS 378/12) Bezug genommen, an denen er festhält. Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 20. Mai 2014 in der Rechtssache Dano (EuGH, Rs. 333/13) stehen dieser Rechtsansicht nicht entgegen. Zum einen ist der Generalanwalt wie der Senat der Auffassung, dass Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG gerade nicht zum Leistungsausschluss bei Personen ohne Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche ermächtigt (Rz. 91 f.): "( ) Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie [ist] in dem dem vorlegenden Gericht unterbreiteten Rechtsstreit irrelevant ( ). Aus den Akten scheint nämlich hervorzugehen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht nach Deutschland eingereist ist, um Arbeit zu suchen, und dass sie sich nicht darum bemüht, dort eine Beschäftigung zu finden." Zum anderen beruhen die Schlussanträge teilweise auf unzutreffenden Vorstellungen über die nationale Rechtslage. So geht der Generalanwalt offenbar in Widerspruch zur oben beschriebenen Reichweite von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG davon aus, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht allein der Umsetzung von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG dient, sondern in kombinierter Anwendung mit § 23 SGB XII einen allgemeinen Ausschlusstatbestand für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger bereitstellt (Rz. 97): "Die Frage, die in der vorliegenden Rechtssache im Mittelpunkt steht, scheint mir daher die der Rechtmäßigkeit – im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38 und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eines allgemeinen Ausschlusses der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von der Sozialhilfe zu sein, die, um den Wortlaut von § 23 Abs. 3 SGB XII aufzugreifen, in das Staatsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, ,um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt‘ ". Auch in Rz. 125 und Rz. 137 wird davon ausgegangen, dass bei Personen, die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen, ein ergänzender Rückgriff auf § 23 SGB XII möglich sei. Dies ist jedoch nach wohl einhelliger Ansicht der deutschen Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Literatur aufgrund § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht der Fall. Dies vorausgeschickt ist über das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 1. Var., § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) hinaus ein arbeitsuchender EU-Bürger gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 2. Var. FreizügG/EU in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Unionsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1991, Rs. C-292/89 – Antonissen). Vorliegend hegt der Senat - zumindest im Rahmen summarischer Prüfung - durchgreifende Zweifel an der begründeten Aussicht auf Erlangung einer Arbeitsstelle für die Antragstellerin. Einer entsprechenden positiven Prognose steht entgegen, dass die Antragstellerin Analphabetin ist und zudem über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sie sich bereits seit 2012 in Deutschland aufhält, ohne dass eine Integration in den Arbeitsmarkt möglich gewesen ist. Allein der Abschluss der beiden Eingliederungsvereinbarungen vermag die erforderliche positive Prognose nicht zu untermauern, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin seit ihrer Einreise nach Deutschland bzw. im streitgegenständlichen Zeitraum hinreichende Eigenbemühungen, eine Arbeitsstelle zu finden, entfaltet hat, wobei auch insoweit der bestehende Analphabetismus sowie die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache ausschlaggebend gewesen sein dürften.
Da nach alledem bereits eine unionsrechtskonforme Auslegung am Maßstab von Art. 18. i.V.m. 21 AEUV sowie Art. 24 RL 2004/38/EG einer erweiternden Auslegung des Leistungsausschlusses entgegenstehen, ist vorliegend nicht mehr entscheidungserheblich, dass nach Auffassung des Senats § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch wegen Art. 4 i.V.m. Art. 70 VO (EG) 883/2004 nicht zur Anwendung kommt (vgl. Senatsbeschluss vom 30. September 2013, L 6 AS 433/13 B ER und im Übrigen Vorabentscheidungsersuchen des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13).
Im Ergebnis bejaht der Senat den erforderlichen Anordnungsanspruch dem Grunde nach für die Zeit vom 16. Januar bis 31. Mai 2014. Soweit das Sozialgericht den Anordnungsanspruch auch aus den beiden zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner geschlossenen Eingliederungsvereinbarungen abgeleitet hat, kommt es darauf nicht mehr an.
Letztlich ergibt die Folgenabwägung, dass auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund in dem von dem Sozialgericht stattgegebenen Umfang zu bejahen ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Conradis in SGB II, Lehr- und Praxiskommentar - LPK-SGB II -, 5. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 136). Gegeneinander abzuwägen sind die Folgen, die bei Erlass bzw. Ablehnung einer einstweiligen Anordnung für den unterliegenden Beteiligten entstehen würden, jeweils unterstellt, der Erlass bzw. die Ablehnung der Anordnung erfolgte aufgrund nachträglicher Prüfung im Hauptsacheverfahren zu Unrecht. Davon ausgehend würden der Antragstellerin im Falle einer unzutreffenden Ablehnung ihres Antrages gravierendere Nachteile entstehen als der Antragsgegnerin im Falle einer im Ergebnis unzutreffenden Stattgabe des Antrages. Insoweit stünde zu befürchten, dass das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum der Antragstellerin nicht gedeckt ist. Im Falle des Abwartens der Hauptsacheentscheidung könnte die sich daraus ergebende Verletzung einer grundgesetzlichen Gewährleistung - bei unterstelltem Obsiegen der Antragstellerin - nicht durch eine nachträgliche Gewährung korrigiert werden. Für die Antragstellerin ergäbe sich eine nachträglich nicht mehr zu schließende Rechtsschutzlücke. Demgegenüber sind die Nachteile für den Antragsgegner, sofern sich im Hauptsacheverfahren erweist, dass die einstweilige Anordnung zu Unrecht ergangen ist, deutlich weniger gravierend.
Die Kostenentscheidung resultiert aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG mit der Beschwerde nicht anfechtbar.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin B., A Stadt ab dem 24. März 2014 beigeordnet.
Gründe:
Die 1988 in Bulgarien geborene Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegnerin die vorläufige Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die am 11. März 2014 eingegangene Beschwerde des Antragsgegners mit dem Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 5. März 2014 aufzuheben und den Eilantrag abzulehnen,
ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die beantragte Regelungsanordnung im Ergebnis zu Recht erlassen.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs) als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), die glaubhaft zu machen sind (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -), ist von diesem Grundsatz jedoch dann abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988, Az.: 2 BvR 745/88 = BVerfGE 79, 69 ff.; Beschluss vom 22. November 2002, Az.: 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236 f.). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG - i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166). Existenzsichernde Leistungen dürfen im sozialgerichtlichen Eilverfahren nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG a.a.O.). Hieraus folgt, dass im Falle vorgelegter Mittel der Glaubhaftmachung eine Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne eine Beweisaufnahme hinsichtlich des gegen die Glaubhaftmachung sprechenden Vortrages grundsätzlich nicht möglich ist. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist ausnahmsweise auch bei der grundrechtlichen Fundierung des Anordnungsanspruches nur dann nicht geboten, wenn die Unmöglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung allein in der Sphäre des Antragstellers liegt und durch zumutbare Mitwirkung beseitigt werden kann.
An diesem Maßstab gemessen besteht ein Anordnungsanspruch dem Grunde nach hinsichtlich Regelleistungen einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab Antragstellung (Eingang des Eilantrages bei dem Sozialgericht am 16. Januar 2014) bis zum Ende des zu diesem Zeitpunkt in Betracht kommenden Bewilligungszeitraumes am 31. Mai 2014 (Antragstellung bei dem Antragsgegner am 2. Dezember 2013).
Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlagen des Anordnungsanspruchs (§§ 7 ff., 19 ff. SGB II) sind nach Überzeugung des Senates dem Grunde nach erfüllt. Die Antragstellerin ist 26 Jahre alt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) und erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II). Sie hat auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in A-Stadt (A-Straße). Auch nach dem Beschwerdevorbingen hat die Ausländerbehörde bislang keine aufenthaltsrechtsbeendenden Maßnahmen ergriffen. Weiterhin ist sie hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt.
Die Antragstellerin ist weiter nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Anspruch ausgeschlossen, da sich ihr Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Zwar erfüllte die Antragstellerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht die Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechtstatbestandes, indes waren auch die Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nicht erfüllt. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II verbietet es in einem derartigen Fall vor dem Hintergrund der bestehenden Aufenthaltsrechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gleichsam als "Auffangausschlusstatbestand" auszulegen. Art. 18 i.V.m. Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und eine hiermit vereinbare Auslegung von Art. 24 RL 2004/38/EG stehen einer erweiternden Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für ein nur formal fortbestehendes Aufenthaltsrecht wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger entgegen. Dies hat zur Folge, dass ein allein aufgrund der fortbestehenden Vermutung lediglich formal legaler Aufenthalt nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fällt. Insoweit wird zunächst auf die ausführlichen Darlegungen des Senats im Urteil vom 27. November 2013 (L 6 AS 378/12) Bezug genommen, an denen er festhält. Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 20. Mai 2014 in der Rechtssache Dano (EuGH, Rs. 333/13) stehen dieser Rechtsansicht nicht entgegen. Zum einen ist der Generalanwalt wie der Senat der Auffassung, dass Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG gerade nicht zum Leistungsausschluss bei Personen ohne Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche ermächtigt (Rz. 91 f.): "( ) Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie [ist] in dem dem vorlegenden Gericht unterbreiteten Rechtsstreit irrelevant ( ). Aus den Akten scheint nämlich hervorzugehen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht nach Deutschland eingereist ist, um Arbeit zu suchen, und dass sie sich nicht darum bemüht, dort eine Beschäftigung zu finden." Zum anderen beruhen die Schlussanträge teilweise auf unzutreffenden Vorstellungen über die nationale Rechtslage. So geht der Generalanwalt offenbar in Widerspruch zur oben beschriebenen Reichweite von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG davon aus, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht allein der Umsetzung von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG dient, sondern in kombinierter Anwendung mit § 23 SGB XII einen allgemeinen Ausschlusstatbestand für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger bereitstellt (Rz. 97): "Die Frage, die in der vorliegenden Rechtssache im Mittelpunkt steht, scheint mir daher die der Rechtmäßigkeit – im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38 und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eines allgemeinen Ausschlusses der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von der Sozialhilfe zu sein, die, um den Wortlaut von § 23 Abs. 3 SGB XII aufzugreifen, in das Staatsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, ,um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt‘ ". Auch in Rz. 125 und Rz. 137 wird davon ausgegangen, dass bei Personen, die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen, ein ergänzender Rückgriff auf § 23 SGB XII möglich sei. Dies ist jedoch nach wohl einhelliger Ansicht der deutschen Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Literatur aufgrund § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht der Fall. Dies vorausgeschickt ist über das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 1. Var., § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) hinaus ein arbeitsuchender EU-Bürger gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 2. Var. FreizügG/EU in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Unionsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1991, Rs. C-292/89 – Antonissen). Vorliegend hegt der Senat - zumindest im Rahmen summarischer Prüfung - durchgreifende Zweifel an der begründeten Aussicht auf Erlangung einer Arbeitsstelle für die Antragstellerin. Einer entsprechenden positiven Prognose steht entgegen, dass die Antragstellerin Analphabetin ist und zudem über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sie sich bereits seit 2012 in Deutschland aufhält, ohne dass eine Integration in den Arbeitsmarkt möglich gewesen ist. Allein der Abschluss der beiden Eingliederungsvereinbarungen vermag die erforderliche positive Prognose nicht zu untermauern, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin seit ihrer Einreise nach Deutschland bzw. im streitgegenständlichen Zeitraum hinreichende Eigenbemühungen, eine Arbeitsstelle zu finden, entfaltet hat, wobei auch insoweit der bestehende Analphabetismus sowie die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache ausschlaggebend gewesen sein dürften.
Da nach alledem bereits eine unionsrechtskonforme Auslegung am Maßstab von Art. 18. i.V.m. 21 AEUV sowie Art. 24 RL 2004/38/EG einer erweiternden Auslegung des Leistungsausschlusses entgegenstehen, ist vorliegend nicht mehr entscheidungserheblich, dass nach Auffassung des Senats § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch wegen Art. 4 i.V.m. Art. 70 VO (EG) 883/2004 nicht zur Anwendung kommt (vgl. Senatsbeschluss vom 30. September 2013, L 6 AS 433/13 B ER und im Übrigen Vorabentscheidungsersuchen des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13).
Im Ergebnis bejaht der Senat den erforderlichen Anordnungsanspruch dem Grunde nach für die Zeit vom 16. Januar bis 31. Mai 2014. Soweit das Sozialgericht den Anordnungsanspruch auch aus den beiden zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner geschlossenen Eingliederungsvereinbarungen abgeleitet hat, kommt es darauf nicht mehr an.
Letztlich ergibt die Folgenabwägung, dass auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund in dem von dem Sozialgericht stattgegebenen Umfang zu bejahen ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Conradis in SGB II, Lehr- und Praxiskommentar - LPK-SGB II -, 5. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 136). Gegeneinander abzuwägen sind die Folgen, die bei Erlass bzw. Ablehnung einer einstweiligen Anordnung für den unterliegenden Beteiligten entstehen würden, jeweils unterstellt, der Erlass bzw. die Ablehnung der Anordnung erfolgte aufgrund nachträglicher Prüfung im Hauptsacheverfahren zu Unrecht. Davon ausgehend würden der Antragstellerin im Falle einer unzutreffenden Ablehnung ihres Antrages gravierendere Nachteile entstehen als der Antragsgegnerin im Falle einer im Ergebnis unzutreffenden Stattgabe des Antrages. Insoweit stünde zu befürchten, dass das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum der Antragstellerin nicht gedeckt ist. Im Falle des Abwartens der Hauptsacheentscheidung könnte die sich daraus ergebende Verletzung einer grundgesetzlichen Gewährleistung - bei unterstelltem Obsiegen der Antragstellerin - nicht durch eine nachträgliche Gewährung korrigiert werden. Für die Antragstellerin ergäbe sich eine nachträglich nicht mehr zu schließende Rechtsschutzlücke. Demgegenüber sind die Nachteile für den Antragsgegner, sofern sich im Hauptsacheverfahren erweist, dass die einstweilige Anordnung zu Unrecht ergangen ist, deutlich weniger gravierend.
Die Kostenentscheidung resultiert aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG mit der Beschwerde nicht anfechtbar.
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