L 18 AL 16/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 AL 150/10 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 16/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 24. Oktober 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg).

Der 1954 geborene Kläger war ab 8. Dezember 2003 bis zu seiner Eigenkündigung zum 13. August 2004 bei der Kwerk N GmbH in Gründung (im Folgenden: KNiG) als Werkzeugmacher versicherungspflichtig beschäftigt. Für Juli und August 2004 erfolgte keine Lohnzahlung mehr. Mit Versäumnisurteil vom 13. September 2004 wurden die KNiG und deren persönlich haftender Geschäftsführer M als Gesamtschuldner zur Zahlung von ausstehendem Arbeitsentgelt des Klägers iHv 5.573,74 EUR nebst Zinsen verurteilt (Arbeitsgericht Neuruppin – 2 Ca 1985/04 -). Nach Umfirmierung in B GmbH (im Folgenden: B) erfolgte die Handelsregistereintragung beim Amtsgericht (AG) Charlottenburg am 3. November 2004. Einen Insolvenzeröffnungsantrag der B W GmbH V vom 2. September 2004 über das Vermögen der KNiG bzw B wies das AG Charlottenburg mangels Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung der B als unzulässig zurück (Beschluss vom 26. Januar 2005 – 101 IN 6543/04 -).

Die Beklagte, die dem Kläger auf seinen Insg-Antrag für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 12. August 2004 zunächst einen Vorschuss auf das zu erwartende Insg iHv insgesamt 1.000,- EUR bewilligt hatte (Bescheide vom 26. November 2004 und 1. Dezember 2004), lehnte nach erfolglosen Ermittlungsversuchen mit Bescheid vom 6. Juli 2005 die Gewährung von Insg ab und forderte die Erstattung des gezahlten Vorschusses. Ein Insolvenzereignis lasse sich nicht feststellen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2006).

Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat mit Urteil vom 24. Oktober 2013 die auf Aufhebung des Bescheides vom 6. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2006 und Gewährung von Insg für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 12. August 2004 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Ein Insg-Anspruch des Klägers bestehe nicht. Ein Insolvenzereignis sei nicht feststellbar. Auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid werde Bezug genommen. Insbesondere sei eine Masselosigkeit der B nicht erwiesen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger (nur) sein Begehren auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide weiter, soweit die Beklagte darin die Erstattung des Insg-Vorschusses fordert.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 24. Oktober 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2006 aufzuheben, soweit die Beklagte darin die Erstattung des Insolvenzgeldvorschusses fordert.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Insg-Akte der Beklagten, die Akten des SG Neuruppin – S 12 AL 110/06 – und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. &8195; II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dabei wendet sich der Kläger ausweislich seines Berufungsschriftsatzes vom 6. Januar 2014 letztlich nur noch gegen die Erstattung des gezahlten Insg-Vorschusses iHv 1.000,- EUR, dh bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) auch gegen die Verlautbarung in den angefochtenen Bescheiden, dass (auch) in dieser Höhe kein Insg-Anspruch besteht. Darüber hinausgehend macht der Kläger ersichtlich höheres Insg nicht geltend.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Insg iHv 1.000,- EUR (und im Übrigen auch nicht darüber hinausgehend) für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 12. bzw 13. August 2004 zu; das insoweit vorläufig gewährte Insg iHv 1.000,- EUR hat er nach § 186 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) zu erstatten.

Nach § 183 Abs. 1 SGB III in der hier im Hinblick auf die erhobene Anfechtungsklage noch anzuwendenden, seit 01. Januar 2002 geltenden Fassung (aF) des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S 3443; jetzt gleichlautend § 165 SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

Ein Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III aF (Eröffnung des Insolvenzverfahrens) liegt ersichtlich nicht vor, ebenso wenig ein Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III aF (Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse).

Auch ein Insolvenzereignis gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III aF (vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland bei offensichtlicher Masselosigkeit und fehlendem Insolvenzantrag), das hier nur bis zur Stellung des Insolvenzantrages am 3. September 2004 hätte eintreten können (vgl zur Sperrwirkung BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 3; BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 27/00 R – juris), ist im erforderlichen Vollbeweis zur Überzeugung des Senats nicht dargetan.

Das hier einzig in Betracht zu ziehende Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III aF hat als Auffangtatbestand drei Merkmale zum Inhalt, die kumulativ vorliegen müssen: die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im Inland, das Fehlen eines Eröffnungsantrages und den Umstand, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer gezwungen werden, aussichtslose Anträge zu stellen und Vorschüsse zu leisten - jedenfalls dann, wenn die insolvenzrechtlich relevante Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers offensichtlich ist (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2005 - L 28 AL 75/04 - juris - mwN). Ob die KNiG ihre Betriebstätigkeit bis 2. September 2004 vollständig eingestellt hatte, kann dahinstehen. Jedenfalls sind keine hinreichenden Tatsachen feststellbar, aus denen sich eine "offensichtliche" iS einer "anscheinenden" (vgl BSG, Urteil vom 23. November 1981 – 10/8b RAr 6/80 = SozR 4100 § 141b Nr. 21 = BSGE 53, 1-4) Masseunzulänglichkeit der KNiG bis spätestens 2. September 2004 herleiten ließe. Masselosigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens iSv § 26 Abs. 1 Satz 1 Insolvenzordnung zu decken. Sie muss vor oder gleichzeitig mit der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit eintreten. Zur Frage der "Offensichtlichkeit" ist darauf abzustellen, ob sich für einen unvoreingenommenen objektiven Betrachter aus äußeren Tatsachen der Eindruck (und insofern der Anschein) ergibt, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommen wird. Nur so ist eine dem Zweck des Insg entsprechende Bewilligungspraxis möglich: Dem Arbeitnehmer soll möglichst schnell die seinen Lebensunterhalt sichernde Leistung - gegebenenfalls durch Vorschuss gemäß § 186 SGB III aF - bewilligt werden. Mithin meint das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit der Masselosigkeit keinen gesteigerten Grad an Evidenz und Richtigkeit - etwa im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit -, sondern in der am Schutzzweck orientierten Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG) gerade (nur) einen abgeschwächten Maßstab der Wahrscheinlichkeit. Es muss sich lediglich aufgrund äußerer, tatsächlicher Umstände für den Dritten der plausible Anschein der Masselosigkeit ergeben. Dazu reicht es regelmäßig aus, ist aber auch erforderlich, dass der Arbeitgeber die Lohnzahlungen unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit einstellt bzw verweigert, die betriebliche Tätigkeit vollständig beendet ist und ein Insolvenzantrag nicht gestellt worden ist.

Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber des Klägers die Entgeltzahlung ab 1. Juli 2004 unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit eingestellt bzw verweigert hätte. Entsprechendes hat auch der Kläger nicht vorgetragen, weder in seinem Insg-Antrag noch im gerichtlichen Verfahren. Ermittlungsversuche bei dem Geschäftsführer der KNiG bzw B, der nicht erreichbar ist, blieben diesbezüglich erfolglos. Überdies hatte die KNiG, wie aus dem Verfahren – S 12 AL 110/06 – (- L 6 AL 454/07 -) erhellt, für die überwiegende Anzahl ihrer Arbeitnehmer von der Beklagten Eingliederungszuschüsse erhalten. Auch dies spricht gegen eine Zahlungsunfähigkeit, eher für eine Zahlungsunwilligkeit. Zudem erfolgten nachweislich noch Zahlungen auf erwirkte Versäumnisurteile wegen ausstehenden Arbeitsentgelts, so im Vollstreckungswege am 16. August 2004 für den Arbeitnehmer W (vgl dessen Angaben im Verhandlungstermin vom 11. November 2009 – L 6 AL 454/07 -). Der am 3. September 2004 gestellte Insolvenzantrag wurde schließlich auch nicht mangels Masse, sondern als unzulässig abgewiesen, weil eine Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung der – umfirmierten – B nicht glaubhaft gemacht worden sei.

Mangels eines mit hinreichender Gewissheit feststellbaren Insolvenzereignisses steht dem Kläger ein Insg-Anspruch für den geltend gemachten Zeitraum nicht zu. Das vorläufig gemäß § 186 Satz 1 SGB III aF gewährte Insg ist zu erstatten, ohne dass es einer Aufhebung der Vorschussbescheide vom 26. November 2004 und 1. Dezember 2004 bedurfte. Diese Bescheide haben sich durch den – endgültigen – Ablehnungsbescheid vom 6. Juli 2005 erledigt (vgl BSG, Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 36/95 – juris). Die Erstattungspflicht folgt aus § 186 Satz 4 SGB III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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