L 32 AS 1788/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 138 AS 22241/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1788/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2013 geändert. Dem Antragsteller wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht für die Zeit ab dem 26. März 2013 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und Rechtsanwalt S E beigeordnet. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, in welchem der Antragsteller den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 hinsichtlich der Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum vom 19. September 2008 bis 31. März 2009 insbesondere im Hinblick auf die von ihm gerügte Ungleichbehandlung nach § 40 Abs 2 SGB II a.F. bei nur teilweiser Leistungsaufhebung angefochten hat. Am 26. März 2013 hat der Antragsteller Gewährung von Prozesskostenhilfe (erneut) beantragt und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.

Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 14. Mai 2013 abgelehnt und dies damit begründet, dass das Gericht an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 40 Abs 2 SGB II aF (Abs 4 n.F.) keine Zweifel hege. Wegen der weiteren Umstände des Sachverhalts und der Gründe der angefochtenen Entscheidung wird entsprechend §§ 153 Abs 1, 136 Abs 2 SGG auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses vom 14. Mai 2013 Bezug genommen.

Der Antragsteller verfolgt sein Begehren mit seiner Beschwerde vom 6. Juni 2013 weiter. Hätte die Beklagte die Bewilligung vollständig aufgehoben, hätte der Antragsteller wegen der Regelung des § 40 Abs 2 SGB II a.F. nur eine geringere Erstattungsforderung zu erfüllen. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 40 Abs 2 SGB II a.F. = Abs 4 n.F. sei am Bundessozialgericht ein Revisionsverfahren (B 14 AS 56/13 R) anhängig.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 155 Abs 3, 4 SGG erklärt.

Die Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere statthaft.

§ 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG regelt abschließend die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen eine Ablehnung von Prozesskostenhilfe. Die insoweit weitergehende Vorschrift des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet, auch wenn nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe entsprechend gelten, keine Anwendung. Dies erscheint im Hinblick darauf, dass § 172 SGG die Rechtsbehelfe gegen Beschlüsse für das sozialgerichtliche Verfahren erkennbar abschließend regelt, einen Verweis auf ZPO-Vorschriften, insbesondere zur Prozesskostenhilfe nicht enthält, dagegen aber eine eigene die Prozesskostenhilfe regelnde Bestimmung vorsieht, nicht zulässig. Dabei lässt sich der Senat insbesondere von der Rechtsprechung des BVerfG leiten, die gerade für Rechtsbehelfe Klarheit durch das geschriebene Gesetz verlangt (BVerfG – Plenum, Beschluss vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02). Für den Ausschluss der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im Klageverfahren kommt es nach der insoweit klaren Vorgabe des § 172 SGG ausschließlich auf den Gesichtspunkt der Bedürftigkeit und nicht darauf, ob in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre, an (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Auflage, § 172 RdNr 6i mwN). Dies folgt insbesondere auch aus der Gesetzeshistorie (vgl. dazu im Einzelnen den Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Februar 2013, L 32 AS 5/13 B PKH, veröffentlicht in juris).

Diese Rechtslage hat sich zwar zum 25. Oktober 2013 durch Art. 7 Nr. 11 Buchstabe b des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 (BGBl I 2013, 3836) geändert. § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG lautet seither: Die Beschwerde ist ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn a) das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, b) in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder c) das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist. Die Neufassung findet allerdings ungeachtet dessen, ob vorliegend die Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b SGG erfüllt wären, wegen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes keine Anwendung, denn bei ohne Übergangsregelung in Kraft tretenden Beschränkungen eines Rechtsmittels ist, wenn erstinstanzliche Entscheidungen noch vor dem In-Kraft-Treten ergangen sind, das bisherige Recht anzuwenden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Auflage vor § 143 RdNr. 10e mwN). Die erstinstanzliche Entscheidung erging hier noch vor der Gesetzesänderung.

Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Dem bedürftigen Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig. Die Beiordnung anwaltlichen Beistandes ist auch im Sinne von §§ 73a Abs 1 SGG, 121 Abs 2 ZPO erforderlich.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheintHinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 29) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erfolg der Rechtsverfolgung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Diese gewisse Wahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung, der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage § 73a RdNr. 7a). Bei nur teilweise anzunehmender Erfolgsaussicht ist in den gerichtskostenfreien Verfahren Prozesskostenhilfe unbeschränkt zu gewähren (vgl. Leitherer ebd. mwN); Ausnahmen kommen bei selbständigen Streitgegenständen, also insbesondere bei Klagenhäufung in Betracht. Einerseits dürfen die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358 - JURIS-RdNr 27). Andererseits darf Prozesskostenhilfe auch verweigert werden, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357 - JURIS-RdNr 26). Kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, bzw hält das Gericht eine Beweiserhebung für notwendig, so kann in der Regel Erfolgsaussicht nicht verneint werden (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 30, Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 73a RdNr 7a). Weil es ausreicht, dass Vertretbarkeit des Rechtsvorbringens anzunehmen ist, kommt es hinsichtlich der rechtlichen Bewertung nicht auf die Rechtsansicht des erkennenden Spruchkörpers, sondern auf eine allgemeine Betrachtung an. Ein Rechtsschutzbegehren hat daher auch dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358f - JURIS-RdNr 28 mwN). Nach diesen Maßstäben ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klage zulässig und der ablehnende Verwaltungsakt rechtswidrig ist mit einem daraus resultierenden Anspruch auf zumindest teilweise Aufhebung der angefochtenen Verfügung anzunehmen. Die hier streitige Rechtsfrage ist bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden und die vom Antragsteller anwaltlich vertretene Rechtsauffassung kann im Hinblick auf die pauschale erhebliche Privilegierung für den Fall vollständiger Bewilligungsaufhebung auch nicht als unvertretbar angesehen werden.

Die Erforderlichkeit anwaltlichen Beistandes im Sinne des § 121 Abs 2 ZPO entfällt auch nicht im Hinblick auf die Gleichartigkeit eines bereits anhängigen Verfahrens beim Bundessozialgericht. Allein, den Überblick über die schwierigeren und noch nicht höchstrichterlich geklärten Fragen, teilweise mit erheblichem Grundrechtsbezug, im noch relativ neuen Grundsicherungsrecht des SGB II zu behalten und den Stand der beim BSG anhängigen Fragen zu überschauen und insofern Rechtsbeistand zu geben, rechtfertigt anwaltliche Unterstützung. Der hier vorliegende Fall eines drohenden Rechtsverlustes ohne anwaltlichen Beistand bei höchstrichterlich ungeklärter Problematik mit Verfassungsbezügen bestätigt dies einmal mehr. Etwas anderes könnte gelten, wenn behördliche Entscheidungen im Hinblick auf die offenen Rechtsfragen vorläufig erteilt worden wäre oder entsprechende Ruhensvorschläge zum Abwarten von Musterverfahren seitens der Behörde im Widerspruchs- oder Klageverfahren oder durch das Gericht im Klageverfahren unterbreitet worden wären und der Fall selbst nicht als Musterverfahren geeignet erscheint oder andere Besonderheiten (z.B. Ermessensprobleme) aufweist.

Der Antragsteller ist zur Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage. Prozesskostenhilfe war ab dem Zeitpunkt der Vorlage der Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, also ab 26. März 2013 zu gewähren.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved