L 3 R 317/11 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 R 665/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 317/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. August 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Vergütung umstritten.

Dem Hauptsacheverfahren lag ein Streit über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) zugrunde.

Aufgrund der Beweisanordnung des Sozialgerichts (SG) M. vom 14. Juli 2009 in dem Klageverfahren S 5 R 665/08 erstattete der Antragsteller das fachärztliche Gutachten vom 15. März 2010 zum Leistungsvermögen der Klägerin im Erwerbsleben.

Das SG wies mit Urteil vom 27. Januar 2011 die Klage ab und folgte in seiner Einschätzung dem Gutachten des Antragstellers. Die hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegte Berufung nahm die Klägerin am 20. Januar 2012 zurück.

Mit seiner Rechnung vom 25. März 2010 machte der Antragsteller dem SG gegenüber einen Betrag in Höhe von insgesamt 2.155,45 EUR geltend. Die hierin abgerechneten 20 Arbeitsstunden zum Stundensatz von 85,00 EUR nach der Honorargruppe M3 schlüsselte er wie folgt auf:

Vorbereitung der Begutachtung 0,5 Stunden

Studium von Akten/Vorbefunden 1,5 Stunden

Exploration, Fremdanamnese 4,5 Stunden

Befunderhebung 1,0 Stunden

Ausarbeitung und Diktat des Gutachtens 9,5 Stunden

Durchsicht und Korrektur 3,0 Stunden

Er gab ferner Schreibgebühren sowie Kopie- und Versandkosten in Höhe von 111,30 EUR an. Der Antragsteller summierte die vorgenannten Einzelbeträge zuzüglich einer Mehrwertsteuer von 19 % (344,15 EUR) zu einer Gesamtsumme von 2.155,45 EUR.

Die Urkundsbeamtin des SG setzte unter dem 20. April 2010 die Vergütung auf 1.560,44 EUR fest und führte zur Begründung aus, für das Gutachten sei ein Stundensatz von 60 EUR nach der Honorargruppe M 2 angemessen, da es sich um ein typisches Gutachten auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung handele. Die Entschädigung für den Zeitaufwand betrage somit 1.200,00 EUR.

Der Antragsteller hat am 5. Mai 2010 die richterliche Festsetzung beantragt, soweit die Rechnungskürzung darauf beruhe, dass anstelle des Stundensatzes M 3 der Stundensatz M 2 angesetzt worden sei. Es handele sich zwar um ein "typisches" Gutachten auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung, aber im konkreten Fall aufgrund der Komplexität des medizinischen Sachverhaltes um ein besonders schwieriges Gutachten. Für die besondere Schwierigkeit sei zum einen die Beurteilung des komplexen Zusammenwirkens und der Wechselwirkung von körperlichen Erkrankungen, seelischen Störungen und des zweckgerichteten Verhaltens der Klägerin verantwortlich gewesen. Dazu seien ein vertieftes Fachwissen und eine spezielle Erfahrung, insbesondere mit der Begutachtung so genannter "neurotischer" Rentenbewerber, Voraussetzung. Zum Anderen seien die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Klägerin als Voraussetzung für die klinische Beurteilung von Gesundheitszustand und Leistungsvermögen und zudem die Exploration der Klägerin - unter Hinweis auf die Wiedergabe des psychopathologischen Befunds auf Seite 33 bis 35 des Gutachtens und die Zusammenfassung auf Seite 42 bis 43 des Gutachtens - besonders schwierig gewesen.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 24. Juni 2010 die Festsetzung der Urkundsbeamtin des SG als zutreffend erachtet. Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Vergütungsstufe sei nicht, ob sich bereits das Fachgebiet als schwierig darstelle, sondern ob einem Experten eines bestimmten Fachgebietes besonders schwierige Beweisfragen des Gerichts eine außergewöhnlich schwierige Leistung abverlangten. Vorliegend seien die für Stufe M 3 erforderlichen außergewöhnlich hohen Anforderungen nicht zu erkennen. Die vom Antragsteller vorgetragenen Umstände und besonderen Schwierigkeiten wohnten offensichtlich bereits dem Grunde nach dem psychiatrischen Fachgebiet inne.

Mit Schreiben vom 9. Juli 2010 hat der Antragsteller unter Aufrechterhaltung seines Antrages auf richterliche Festsetzung mitgeteilt, innerhalb des psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgebietes gebe es - bei gleichartiger Fragestellung nach dem Leistungsvermögen im Erwerbsleben - Gutachten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. In manchen Fällen - bei einer Demenz, einer schizophrenen Psychose, einer schweren Suchterkrankung - könne die reine Zustandsbeschreibung ausreichen. In anderen Fällen - wie vorliegend - könne die differenzialdiagnostische Abgrenzung sehr schwierig sein, insbesondere wenn körperliche Beschwerden, neurotische Störungen, biographische Belastungen und eine Begehrenshaltung miteinander wechselwirkten. Häufig werde dann die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Kläger zu einem zentralen Fokus der gutachterlichen Tätigkeit und sei mit besonderen Schwierigkeiten verbunden.

Mit Beschluss vom 30. August 2011 hat das SG die Vergütung auf 1.560,44 EUR festgesetzt. Der Antragsteller habe ein durchschnittlich schwieriges Gutachten erstellt. Seine Leistung sei in die Honorargruppe M 2 einzuordnen. Es handele sich um die beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisierendem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose. Die zeitliche Inanspruchnahme des Antragstellers sei über den zugrunde gelegten Zeitaufwand abgegolten. Die sehr umfangreiche Exploration sei zeitlich entsprechend zu bewerten. Eine besonders erschwerte Prüfung und Bewertung des Sachverhalts sei nicht notwendig gewesen. Die Qualifikation des Antragstellers sei Ausgangspunkt für die Gutachtenerteilung durch das Gericht gewesen, mache jedoch nicht von vornherein einen besonders hohen Schwierigkeitsgrad des Gutachtens aus.

Der Antragsteller hat gegen den ihm am 19. September 2011 zugestellten Beschluss am 28. September 2011 Beschwerde beim SG eingelegt, welches diese dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt hat. Im Fall der Klägerin sei neben einer chronischen psychischen und einer neurologischen Erkrankung, die hätten bestätigt werden können, eine weitere neurologische Erkrankung auszuschließen gewesen. Ferner seien mehrere körperliche Erkrankungen zu berücksichtigen gewesen. Vor dem Hintergrund der Vorbefunde, der bestehenden Belastungen und Konflikte, aber auch der verbliebenen persönlichen Ressourcen sei die Frage, ob überhaupt eine psychische Erkrankung bestehe und wie diese Störung ggf. einzuordnen sei, ausführlich zu erörtern gewesen. Insofern seien spezielle differenzialdiagnostische Probleme zu bewältigen gewesen. Ferner habe die Fragestellung die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Klägerin und nach der Prognose umfasst. Dass die Kammer jedem Gutachter diese Fragen vorlege, sage nichts über den Schwierigkeitsgrad der Beantwortung im Einzelfall aus. Schließlich seien vier Gutachten und Befundberichte explizit für eine kritische Auseinandersetzung benannt worden. Dass die medizinische Befunderhebung, nämlich die Exploration der Klägerin, besonders schwierig gewesen sei, ergebe sich bereits aus dem im Gutachten wiedergegebenen Verlauf der Exploration.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des SG M. vom 30. August 2011 abzuändern und die Vergütung für das von ihm in dem Rechtsstreit S 5 R 665/08 erstellte Sachverständigengutachten vom 15. März 2010 auf 2.155,45 EUR festzusetzen.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Es liegen keine Gründe dafür vor, das Verfahren auf den Senat zu übertragen.

Die Beschwerde ist zulässig, denn der Beschwerdewert von 200,00 EUR (§ 4 Abs. 3 JVEG) wird überschritten. Sie ist jedoch unbegründet.

Grundlage des Vergütungsanspruchs ist § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG. Danach erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Hier gehen die Beteiligten übereinstimmend von 20 vergütungsfähigen Stunden aus. Dies wird im Rahmen der Plausibilitätsprüfung für zutreffend erachtet. Nach § 9 Abs. 1 JVEG in der vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Juli 2013 gültigen Fassung erhalten medizinische Sachverständige für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85,00 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe (M 1 bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 des JVEG zuzuordnen ist.

In der Anlage 1 des JVEG werden die medizinischen Gutachten ihrem Schwierigkeitsgrad entsprechend in die drei Honorargruppen M 1, M 2 und M 3 eingeteilt. Im Einzelnen lautet die Regelung (soweit der Bereich der Sozialgerichtsbarkeit betroffen sein könnte):

M 1: einfache gutachtliche Beurteilung, insbesondere zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung: 50,00 EUR

M 2: beschreibende (Ist-Zustands) Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten in Verfahren nach dem SGB IX, zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität, zu spurengrundlichen oder rechtsmedizinischen Fragestellungen mit Befunderhebungen (z.B. bei Verletzungen und anderen Unfallfolgen): 60,00 EUR

M 3: Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere Gutachten zum Kausalzusammenhang bei problematischen Verletzungsfolgen, in Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz, in Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz, zur Geschäfts-, Testier- oder Prozessfähigkeit, zur Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei besonderen Schwierigkeiten, zur rechtsmedizinischen toxikologischen und spurengrundlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer abschließenden Todesursachenerklärung, ärztlichen Behandlungsfehlern oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit: 85,00 EUR

In den aufgezählten Beispielsfallgruppen werden Gutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung nicht ausdrücklich genannt. Diese Zustandsgutachten werden nach der h.M. in Rechtsprechung und Literatur im Regelfall in der Honorargruppe M 2 vergütet (vgl. u.a. Thüringisches LSG vom 17. April 2013 - L 6 SF 433/13 E -, vom 16. März 2012 - L 6 SF 151/12 E - und vom 01. Juni 2011 - L 6 SF 277/11 B -; Bayerisches LSG vom 23. September 2009 - L 15 SF 188/09 -; Hessisches LSG vom 23. November 2010 - L 2 SF 267/09 - und L 2 SF 337/09 - sowie vom 11.04.2005 - L 2/9 SF 82/04 -, LSG Baden-Württemberg vom 06.08.2010 - L 12 KO 1653/10 - jeweils juris; Reyels in jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 6 und Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. 2007, Rdnr. 872), denn es handelt sich um typische Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit.

Der Antragsteller hat im Rechtsstreit S 5 665/08 ein durchschnittlich schwieriges Gutachten erstattet. Die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Honorargruppe M 3 sind vorliegend nicht erfüllt. Das besonders umfangreiche und ersichtlich mit großer Sorgfalt erstellte Gutachten des Antragstellers stellt sowohl nach der vom Gericht vorgegebenen Fragestellung als auch nach seinem Aufbau und Inhalt eine beschreibende Ist-Zustands-Begutachtung nach standardisiertem Schema dar. Der Fragekatalog, den der Antragsteller zu beantworten hatte, ist der Standartfragekatalog, soweit die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben auf nervenfachärztlichem Gebiet festgestellt werden soll. Dass dabei eine komplexe neurologische und psychiatrische Symptomatik unter Einbeziehung auch der somatischen Erkrankungen zu beurteilen ist, ändert nichts an der durchschnittlichen Schwierigkeit der Gutachterleistung; denn es ist auf dem Gebiet der Erwerbsminderungsrente die Regel, dass medizinische Bewertungen unter ausschließlicher Berücksichtigung eines Fachgebietes dem Beschwerdebild der Rentenantragsteller nicht genügen. Die Frage nach den Gesundheitsstörungen - u.a. ob überhaupt eine psychische Erkrankung besteht - und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen mit Auswirkung auf das Leistungsvermögen, ist grundlegend und Bestandteil jeder Beweisanordnung in einem Gutachten, in welchem eine Erwerbsminderung im Raum steht. Des Weiteren gehören die Auswertung und Bewertung von Vorbefunden und -gutachten zum regelmäßigen Erscheinungsbild von Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren. Die Auseinandersetzung mit den Vorbefunden einschließlich einer umfassenden und mitunter auch komplexen Exploration und die Durchführung von Testverfahren finden ihren Niederschlag bereits in der zeitlichen Komponente der Gutachtenerstellung und sind nicht zusätzlich bei der Beurteilung des Schwierigkeitsgrades zu berücksichtigen. Schwierige differentialdiagnostische Überlegungen zur zutreffenden medizinischen Einschätzung des quantitativen und qualitativen gesundheitlichen Restleistungsvermögens waren vorliegend nicht erforderlich.

Ausführungen zur Frage der Glaubwürdigkeit und der Prognose, die gründliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit allen maßgeblichen Faktoren, sind in einer Vielzahl von psychiatrischen Gutachten anzutreffen und betreffen insbesondere die immer wiederkehrende Frage nach dem Krankheitswert der psychischen Erkrankung, auch im Hinblick nach der Motivation und dem Zugang zu einer psychiatrischen Behandlung.

Die Qualifikation des Antragstellers und dessen Erfahrung mit neurotischen Klägern ist Ausgangspunkt für die Gutachtenserteilung durch das Gericht selbst und damit ein Umstand gewesen, der nicht von vornherein einen besonders hohen Schwierigkeitsgrad ausmacht.

Nach alledem ist die Einstufung in die Honorargruppe M 2 nicht zu beanstanden

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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