Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 AS 456/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 552/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine einmalige Einnahme darf nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch über einen Verteilzeitraum hinweg nur bedarfsmindernd berücksichtigt werden, soweit sie als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken.
Diese Rechtsprechung ist durch die Neufassung des SGB II zum 01.04.2011 nicht überholt (andere Auffassung: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 03.02.2014 - L 15 AS 437/13 B ER).
Diese Rechtsprechung ist durch die Neufassung des SGB II zum 01.04.2011 nicht überholt (andere Auffassung: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 03.02.2014 - L 15 AS 437/13 B ER).
Der Bescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2013 wird teilweise aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 16.11.2012 hinsichtlich des Monats Januar 2013 zurückzunehmen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung einer Abfindung seines ehemaligen Arbeitgebers als einmalige Einnahme, welche nach der Auffassung des Beklagten einem Leistungsanspruch im Zeitraum vom 01.12.2012 bis 31.05.2013 entgegenstehe. Im Verfahren S 6 AS 456/13 ist deshalb die ursprüngliche Leistungsbewilligung aufgehoben worden, was vom Kläger mit einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Frage gestellt wird und im Verfahren S 6 AS 457/13 ist ein Weiterbewilligungsantrag mangels Hilfebedürftigkeit abgelehnt worden.
Der 1967 geborene Kläger stellte am 02.08.2012 erstmalig einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Aus einem Vermerk anlässlich der Erstantragstellung vom 02.08.2012 geht hervor, dass der Kläger sich in einem festen Beruf befand, krank wurde und Krankengeld bezog. Anlässlich einer Vorsprache bei seiner Krankenkasse erfuhr der Kläger, dass er von seinem Arbeitgeber von der Krankenversicherung zum 30.04.2012 abgemeldet worden war, ohne zuvor eine Kündigung erhalten zu haben. Dem Kläger sei geraten worden, sich hinsichtlich rechtlicher Schritte gegen seinen Arbeitgeber anwaltlich beraten zu lassen. Der Kläger gab an, weder über Einkommen noch über Vermögen zu verfügen. Er halte sich vorübergehend aus gesundheitlichen Gründen überwiegend bei seiner Mutter in A-Stadt auf (Bl. 6 Verwaltungsakte).
Aus dem Antragsformular geht hervor, dass die SGB II-Leistungen auf das Konto seiner Mutter, der Zeugin H., zu überweisen seien (Bl. 8 Verwaltungsakte).
Aus der Anlage zu den Kosten für Unterkunft und Heizung geht hervor, dass der Kläger über eine Mietwohnung in B-Stadt verfügte (Bl. 18 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 09.08.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig im Hinblick auf einen noch vorzulegenden Kontoauszug über eine Riester-Rente Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.01.2013 in Höhe von monatlich 609 EUR bestehend aus der Regelleistung in Höhe von 374 EUR und einem Betrag für die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 235 EUR (Bl. 27 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte eine Arbeitsbescheinigung über die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Koch in der Zeit vom 01.03.2011 bis 30.04.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 31 ff. Verwaltungsakte).
Aus einem Vermerk des Beklagten vom 16.08.2012 geht hervor, dass der Kläger sich entschlossen hatte, gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber zu klagen. Es gehe ihm mit der Klage weniger um Lohnfortzahlungen, sondern um eine Erhöhung der Sozialabgaben für die Vergangenheit. Eventuell könne eine Abfindung des Arbeitgebers gefordert werden (Bl. 35 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte sodann eine Bescheinigung der X. Versicherungsgruppe vom 10.08.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 35a Verwaltungsakte).
Im August 2012 überreichte der Kläger dem Beklagten Unterlagen über das arbeitsgerichtliche Verfahren, auf die Bezug genommen wird (Bl. 36 ff. Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz vom 28.08.2012 wandte sich der Beklagte an den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers und meldete einen so genannten Anspruchsübergang hinsichtlich etwaiger Ansprüche des Klägers an (Bl. 40 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz ebenfalls vom 28.08.2012 wandte sich der Beklagte auch an den Kläger. Dieser mache aus seinem Arbeitsverhältnis noch Ansprüche gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber geltend. Bei Zuerkennung solcher Ansprüche könne der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 11 SGB II teilweise oder ganz wegfallen. Da der Kläger die geltend gemachten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis noch nicht habe, zahle man zur Sicherung des Lebensunterhalts zunächst ohne Berücksichtigung dieser Ansprüche. Die Zahlung bewirke, dass die Ansprüche bis zur Höhe der vom Beklagten gezahlten Leistungen gemäß § 115 SGB X auf den Beklagten übergingen. Dies bedeute, dass der ehemalige Arbeitgeber die gezahlten Beträge an den Beklagten abführen müsse. An den Kläger könne er nur einen Restbetrag zahlen. Der Kläger werde aufgefordert, den Beklagten über den Fortgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu informieren. Des Weiteren heißt es in diesem Schreiben (Bl. 41 ff. Verwaltungsakte):
"Beachten Sie bitte, dass sie nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht berechtigt sind, über den an mich übergegangenen Teil Ihrer Ansprüche zu verfügen (§§ 398 ff. BGB)."
Die Bundesagentur für Arbeit informierte den Beklagten bereits mit Schriftsatz vom 20.08.2012 darüber, dass der Kläger für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.07.2013 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 11,89 EUR erhalte. Im Hinblick auf den vom Beklagten angemeldeten Erstattungsanspruch habe man das Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.09.2012 vorläufig einbehalten (Bl. 42 Verwaltungsakte). Der Beklagte machte sodann einen entsprechenden Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.09.2012 bei der Agentur für Arbeit in Höhe von insgesamt 653,40 EUR geltend (Bl. 56 Verwaltungsakte).
Mit Änderungsbescheid vom 13.09.2012 modifizierte der Beklagte die Höhe der bewilligten SGB II-Leistungen für die Zeit vom 01.10.2012 bis 31.01.2013 unter Anrechnung des Arbeitslosengeldes in Höhe von monatlich 356,70 EUR (Bl. 57 Verwaltungsakte).
Aus einem Vermerk des Beklagten vom 29.10.2012 geht hervor, dass der Kläger Lebensmittelgutscheine beantragen musste, da seine Mutter in den Urlaub gefahren sei und er nicht an seine Leistungen komme (Bl. 61 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz eingegangen beim Beklagten am 17.10.2012 wandte sich der Bevollmächtigte des Klägers an den Beklagten. Es sei zwischenzeitlich beim Arbeitsgericht ein Vergleich über einen Betrag in Höhe von 3000 EUR als Abfindung geschlossen worden. Es werde im Hinblick auf die Überleitungsanzeige vom 28.08.2012 um Mitteilung gebeten, ob dieser Betrag vom Beklagten freigegeben werde (Bl. 65 Verwaltungsakte). Dieser Mitteilung war das Protokoll von der öffentlichen Sitzung des Arbeitsgerichts Kassel vom 09.10.2012 beigefügt, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 66 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz vom 16.11.2012 übersandte der Beklagte dem Kläger hinsichtlich eines Übergangs eine an den ehemaligen Arbeitgeber überreichte Abrechnung eines Anspruchsübergangs ebenfalls vom 16.11.2012 für die Zeit vom 01.10.2012 bis 30.11.2012 mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 282,30 EUR (Bl. 81 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 16.11.2012 hob der Beklagte die mit Bescheid vom 13.09.2012 vorgenommene Leistungsbewilligung für die Zeit ab 01.12.2012 auf und stürzte diesen Bescheid auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 3 S.1 SGB III und § 48 Abs. 1 S.2 Nr. 3 SGB X). Der Beklagte begründete diese Entscheidung damit, dass der Kläger ab dem genannten Zeitpunkt Einkommen aus dem Erhalt einer Abfindung in Höhe von 2135,40 EUR erzielt habe. Daher werde ab Dezember 2012 für sechs Monate ein Betrag in Höhe von monatlich 355,90 EUR als Einkommen angerechnet. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei der Kläger nicht mehr hilfebedürftig (Bl. 83 Verwaltungsakte).
Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs am 24.01.2013 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass das vorhandene Vermögen inzwischen verbraucht worden sei (Bl. 101 Verwaltungsakte).
Am 05.02.2013 stellte der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, da die Abfindung bereits verbraucht worden sei. Er habe diese für die Zahlung des Lebensunterhalts, für Krankenversicherungsbeiträge im Zeitraum von Mai bis Juli 2012 und für die Miete genutzt (Bl. 102 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte einen aktualisierten Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit über den Arbeitslosengeldbezug in der Zeit vom 01.12.2012 bis 14.10.2013 (Bl. 109 ff. Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz vom 05.02.2013 forderte der Beklagte den Kläger auf, zu erläutern, wofür er das Geld ausgegeben habe (Bl. 113 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte eine handschriftliche Aufstellung über seine Ausgaben im Zeitraum von April 2012 bis Januar 2013, auf die Bezug genommen wird (Bl. 114 Verwaltungsakte).
Weiterhin überreichte der Kläger Belege über die Anschaffung des Diakonietickets im Zeitraum von September 2012 bis Januar 2013, über die Anschaffung von Kleidung, eines Handys sowie Kontoauszüge seiner Mutter, über den Zeitraum von April 2012 bis Februar 2013. Aus den Kontoauszügen kann zunächst entnommen werden, dass die Miete für den Kläger ebenfalls vom Konto seiner Mutter abging. Auch geht aus den Kontoauszügen hervor, dass die aus den Belegen hervorgehenden Ausgaben ebenfalls vom Konto seiner Mutter abgingen, wobei unter anderem am 03.09.2012 eine Abbuchung in Höhe von 299 EUR für die Anschaffung einer Brille vorgenommen wurde und bei der Abbuchung der Name des Klägers angegeben ist (Bl. 120 Verwaltungsakte).
Auf Nachfrage des Beklagten überreichte der Kläger eine Aufstellung seines Bevollmächtigten. Man habe die 3000 EUR wie folgt verwendet (Bl. 125 Verwaltungsakte): - 2261,47 EUR ausgezahlt auf die Bankverbindung H. - 564,60 Euro ausgezahlt an Jobcenter. - 173,93 EUR verrechnet für Vollstreckungskosten.
Der Beklagte führte am 01.03.2013 ein Gespräch mit der Kanzlei des Bevollmächtigten des Klägers. Der Rest der Abfindung in Höhe von 2261,47 EUR sei am 12.12.2012 überwiesen worden, wobei der Beklagte hieraus eine Anrechnung als einmalige Einnahme im Zeitraum von Dezember 2012 bis Mai 2013 schlussfolgerte (Bl. 127 Verwaltungsakte).
Der Beklagte bereinigte die restliche Abfindung in Höhe von 2261,47 EUR einmalig um den Grundfreibetrag in Höhe von 100 EUR und weitere Freibeträge in Höhe von 200 EUR und gelangte auf dieser Grundlage zu einer bereinigten Abfindung in Höhe von 1961,47 EUR. Dieser Betrag sei durch sechs Monate zu dividieren, so dass man zu einem Anrechnungsbetrag in Höhe von 326,91 EUR gelange (Bl. 128 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 01.03.2013 lehnte der Beklagte die im Rahmen eines Gesprächs am 14.02.2013 geäußerte Bitte um nochmalige Überprüfung des Bescheids vom 16.11.2012 ab. Auch nach nochmaliger Prüfung bestehe im Hinblick auf die Einmalzahlung kein Anspruch auf SGB II Leistungen (Bl. 134 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid ebenfalls vom 01.03.2013 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag vom 05.02.2013 ab, da der Kläger mit seinen Einkommensverhältnissen im Zeitraum von Dezember 2012 bis Mai 2013 nicht hilfebedürftig sei (Bl. 137 Verwaltungsakte).
Am 12.03.2013 gewährte der Beklagte dem Kläger ein zinsfreies Darlehen zur Deckung des Lebensunterhalts in Höhe von 840 EUR, welches ab 01.06.2013 in monatlichen Raten in Höhe von 30 EUR zurückzuzahlen sei (Bl. 144, 151 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsätzen jeweils vom 15.03.2013 legte der Kläger gegen beide Bescheide vom 01.03.2013 Widerspruch ein. Die Gelder aus der Abfindung in Höhe von 3000 EUR seien vollständig verbraucht (Bl. 153, 154 Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch hinsichtlich des Überprüfungsantrags bezüglich des Bescheids vom 16.11.2012 als unbegründet zurück. Der Kläger sei im Streitzeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Sofern der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Überweisung der Abfindung auf das Konto seiner Mutter so auszulegen sei, dass er das Geld zur Schuldentilgung gezahlt habe, sei zunächst zu beachten, dass darüber keine weiteren Nachweise vorliegen würden. Zudem sei das Geld nach Mitteilung des Bevollmächtigten erst am 12.12.2012 und damit im laufenden Leistungsbezug auf das Konto überwiesen worden. Weiterhin sei der Kläger bereits mit Bescheid vom 16.11.2012 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Abfindung aufzuteilen sei und in den nächsten sechs Monaten entsprechend anzurechnen sei. Eine Verwendung zwecks Zahlung möglicher Schulden könne daher keinen Einfluss auf die Anrechnung haben. Für die einkommensmindernde Berücksichtigung einer Schuldentilgung gebe es im SGB II keine Rechtsgrundlage (Bl. 157 Verwaltungsakte).
Mit einem zweiten Widerspruchsbescheid vom 03.07.2013 wies der Beklagte auch den Widerspruch hinsichtlich der Ablehnung des Leistungsantrags als unbegründet zurück, da der Kläger zum Zeitpunkt des Leistungsantrags nicht hilfebedürftig gewesen sei (Bl. 164 Verwaltungsakte).
Am 11.07.2013 hat der Kläger gegen beide Bescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide Klagen beim Sozialgericht Kassel anhängig gemacht. Die erste Klage mit dem Aktenzeichen S 6 AS 456/13 richtet sich gegen den abgelehnten Überprüfungsantrag. Die zweite Klage mit dem Aktenzeichen S 6 AS 457/13 richtet sich gegen die Ablehnung des Leistungsantrags vom 05.02.2013.
Der Kläger hat die vorliegende Klage mit dem Aktenzeichen S 6 AS 456/13 dahingehend begründet, dass ihm die Abfindung nicht zur Verfügung gestanden habe, da dieses Geld direkt vom Geschäftskonto seines Bevollmächtigten auf das Konto seiner Mutter überwiesen worden sei. Dazu sei er verpflichtet gewesen, weil er im Jahr 2012 diverse Geldleistungen von seiner Mutter erhalten habe. Von April 2012 bis Juli 2012 sei er psychisch erkrankt gewesen. Von seinem Arbeitgeber habe er statt einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die Abmeldung von der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Er sei plötzlich mittellos gewesen. Er habe unter Depressionen gelitten und habe sich nicht sofort angemessen um die Inanspruchnahme seines Arbeitgebers kümmern können. Er habe von seiner Mutter vier Mieten in Höhe von jeweils 235 EUR, eine Kaution in Höhe von 300 EUR, Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 309,23 EUR, Geld für Schuhe in Höhe von 108 EUR, Geld für Kleidung in Höhe von 106,30 EUR und Geld für eine Brille in Höhe von 299 EUR sowie vier Monatskarten für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von insgesamt 106,80 EUR erhalten. Schließlich sei er im Zeitraum von April bis Juli 2012 von seiner Mutter verpflegt worden und habe zeitweise bei ihr gelebt. Er sei nach der stationären Behandlung stabil und absolviere derzeit eine Umschulung. Aus dem vorstehenden Positionen ergebe sich ein Betrag in Höhe von 2278,23 EUR. Er habe mit seiner Mutter vereinbart, dass er ihr diese Gelder im Falle einer Realisierung von Ansprüchen gegenüber seinem früheren Arbeitgeber erstatten werde (Bl. 13 Gerichtsakte).
Der Beklagte hat hierauf mit Schriftsatz vom 02.10.2013 erwidert, dass der Umstand, dass die Abfindung auf das anwaltliche Anderkonto gezahlt und von dort auf ein Konto der Mutter des Klägers weitergeleitet worden sei, nicht entscheidungserheblich sei. Der Kläger habe auf Grund des zwischen ihm und seinem Bevollmächtigten bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrags über diese Mittel verfügen und die Auszahlung an sich verlangen können. Es habe sich bei dem Geld mithin um bereite Mittel im Sinne des SGB II gehandelt, welche als Einkommen zu berücksichtigen gewesen seien. Die Tilgung von Schulden sei mangels Rechtsgrundlage nicht berücksichtigungsfähig (Bl. 21 Gerichtsakte).
Das Gericht hat auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.11.2012 (B 14 AS 33/12 R) hingewiesen und um Mitteilung gebeten, ob insoweit eine Abhilfe in Betracht komme. Der Beklagte hat hierauf mit Schriftsatz vom 21.10.2013 erwidert, dass ein Verbrauch der einmaligen Einnahme nicht hinreichend nachgewiesen sei. Selbst wenn ein Verbrauch der Abfindung nachgewiesen sei, könne die Klage keinen Erfolg haben, da der Kläger gewusst habe, dass er die Abfindung für sechs Monate zur Sicherung des Lebensunterhalts einsetzen müsse. Ein Verbrauch der Mittel würde einen Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II auslösen. Man berufe sich auf den Grundsatz, dass ein Begehren und eine Klage keinen Erfolg haben dürften, wenn der Kläger die eingeklagten Leistungen sofort an den Beklagten zurückgeben müsse, weil diesem ein Gegenanspruch zustehe ("Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est)".
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 16.11.2013 zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat im mündlichen Verhandlungstermin auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03.02.2014 (L 15 AS 437/13 B ER) hingewiesen und hält die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung des BSG zum vorliegenden Themenkreis durch die Änderung des SGB II für überholt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Kammer die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Der Kläger hat hinsichtlich des Verfahren S 6 AS 456/13 seinen Verzicht auf eine Nachholung der Anhörung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakten S 6 AS 456/13 und S 6 AS 457/13 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist teilweise erfolgreich. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S.1 SGB X sind vorliegend teilweise hinsichtlich des Monats Januar 2013 erfüllt. Der Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 war hinsichtlich des Monats Januar 2013 zurückzunehmen. Im Übrigen war die zulässige Klage jedoch unbegründet.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt gem. § 44 Abs. 1 S.1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
I. Der ursprüngliche Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 war formell rechtswidrig, da der Beklagte den Kläger vor Bescheiderlass nicht zu einer Leistungsaufhebung angehört hat. Eine förmliche Anhörung wurde vom Beklagten auch nicht nachgeholt. Allerdings hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen Verzicht auf eine Nachholung der Anhörung (dazu: BSG, Urteil v. 07.07.2011, B 14 AS 144/10 R) erklärt, so dass sich ein entsprechender formeller Fehler nicht mehr auswirkt.
II. Der Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 und mit ihm der ablehnende Bescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2013 ist jedoch zum Teil materiell rechtswidrig.
Der Beklagte hat den Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III und § 48 SGB X gestützt und den Änderungsbescheid vom 13.09.2012 aufgehoben.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gem. § 48 Abs.1 S.1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
1. Vorliegend liegen die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 48 Abs. 1 S.1 SGB X hinsichtlich des Monats Dezember 2012 vor.
Es handelt sich bei der Abfindung um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S.1 SGB II. Als Einkommen sind nämlich gem. § 11 Abs. 1 S.1 SGB II zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen.
Zu berücksichtigendes Einkommen hat zur Folge, dass sich die Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) des Leistungsberechtigten hierdurch verringert. Die näheren Einzelheiten zur Einkommensanrechnung bei einmaligen Einnahmen, die also – wie die vorliegende Abfindung – nicht regelmäßig zufließen, sind in § 11 Abs. 3 SGB II normiert.
Einmalige Einnahmen sind gem. § 11 Abs. 3 S.1 SGB II in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen.
Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie gem. § 11 Abs. 3 S.2 SGB II im Folgemonat berücksichtigt.
Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme gem. § 11 Abs. 3 S.3 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.
Der Beklagte hat vorliegend die am 12.12.2012 zugeflossene Abfindung (vgl. Bl. 127 Verwaltungsakte) auf sechs Monate aufgeteilt und ein bereinigtes Einkommen in Höhe von monatlich 326,91 EUR zugrunde gelegt, wobei der Beklagte zugunsten des Klägers angenommen hat, dass die Absetzbeträge des § 11b SGB II Anwendung finden (vgl. Bl. 128 Verwaltungsakte). Da der Beklagte für Oktober 2012 und November 2012 Leistungen beim Arbeitgeber realisiert hatte, stellt sich die Frage, ob sich der Sechsmonatszeitraum von Oktober 2012 bis März 2013 erstreckt und nicht wie vom Beklagten (vgl. Bl. 128 Verwaltungsakte) angenommen bis Mai 2013, was sich in dem streitgegenständlichen Bescheiden jedoch nicht zum Nachteil des Klägers auswirkt. Da die Abfindung sich im Dezember 2012 auf dem Konto des Bevollmächtigten des Klägers befand, durfte diese in diesem Monat anteilig als bereites Mittel in Höhe von zumindest 326,91 EUR auf den Bedarf angerechnet werden, so dass der Leistungsanspruch im Hinblick auf den zusätzlichen Arbeitslosengeldbezug im Dezember 2012 weggefallen war.
Damit liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S.1 SGB X hinsichtlich des Monats Dezember 2012 vor.
2. Hinsichtlich des Monats Januar 2013 war der Aufhebungsbescheid hingegen rechtswidrig, da der Kläger den im Dezember 2012 erhaltenen Rest der Abfindung in Höhe von 2261,47 EUR im gleichen Monat (vgl. Bl. 29 Gerichtsakte S 6 AS 457/13) an seiner Mutter hat auszahlen lassen. Das Geld stand ihm mithin im Januar 2013 tatsächlich nicht zur Verfügung. Nach der Auffassung des Bundessozialgerichts können einmalige Einnahmen, die in den Monaten nach dem Zufluss nicht mehr zur Verfügung stehen, nicht anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Hierzu hat der 14. Senat des BSG im Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 33/12 R – Rn. 13 f. ausgeführt:
"Wenn die einmalige Einnahme, was die Kläger vortragen, tatsächlich im Bedarfszeitraum nicht mehr (oder nur noch teilweise) zur Verfügung stand, kommt - entgegen der Auffassung des LSG - schon von daher ein höherer Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht. Es kommt nämlich bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 20; Urteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, RdNr 21; Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Dies gilt auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg ohne Einschränkungen.
Zwar muss der Hilfebedürftige sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Dementsprechend ist er bei Zufluss einer einmaligen Einnahme gehalten, das Geld nicht zur Schuldendeckung zu verwenden, sondern über den Verteilzeitraum hinweg zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Wenn die einmalige Einnahme, deren Berücksichtigung als Einkommen in Rede steht, tatsächlich aber nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten - hier dem Verbrauch der einmaligen Einnahme in bestimmten monatlichen Teilbeträgen - (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 GG nicht vereinbar (vgl nur Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28). Diesem Gedanken folgt das gesetzgeberische Grundprinzip, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Hierauf hat der 4. Senat am Beispiel der Berücksichtigung schwankender Einnahmen bereits hingewiesen (vgl Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Damit ist auch bei der Berücksichtigung einmaliger Einnahmen über einen Verteilzeitraum hinweg auf entsprechenden Vortrag des Leistungsberechtigten hin zu überprüfen, ob die auf diesen Zeitraum bezogene Durchschnittsbetrachtung die tatsächliche Einnahmesituation im Bedarfszeitraum zutreffend wiederspiegelt."
Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Die Entscheidung ist auch nicht, wie der Beklagte unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03.02.2014 (L 15 AS 437/13 B) annimmt, durch die Änderung des § 11 Abs. 3 S.3 SGB II überholt. Im Leitsatz dieser Entscheidung heißt es:
"Soweit das Bundessozialgericht (BSG) für die Verteilung einmaliger Einnahmen nach früherem Recht (§ 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld Verordnung - Alg IIV - in der bis zum 31.3.2011 gültigen Fassung; juris: AlgIIV 2008) bereits mehrfach entschieden hat, dass die Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme in einem Verteilzeitraum nicht mehr in Betracht komme, wenn diese nicht mehr als bereites Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu Verfügung stehe (vgl BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R = BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, vom 10.9.2013 - B 4 AS 89/12 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 62 und vom 12.12.2013 - B 14 AS 76/12 R = Terminbericht Nr 60/13 vom 13.12.2013), ist diese Rechtsprechung auf die aktuelle Rechtslage nicht übertragbar, da die Verteilung einer einmaligen Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten und die monatliche Berücksichtigung mit einem Teilbetrag nunmehr im SGB 2 (§ 11 Abs 3 S 3) gesetzlich geregelt ist. Hierbei handelt es sich um geltendes Recht, welches solange anzuwenden ist, wie es nicht vom Gesetzgeber korrigiert oder vom Bundesverfassungsgericht - etwa im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art 100 Abs 1 GG - für nichtig erklärt wird."
Diese Ausführungen überzeugen die Kammer jedoch nicht. Es ist vielmehr eines der Grundprinzipien des SGB II, dass sich der aktuelle Leistungsanspruch nach dem Umfang der gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) bemisst (vgl. auch: BSG, Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 1/13 R). Die Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, auf die sich der Beklagte beruft, kann nicht richtig sein, da sie eine auf Leistungen unstreitig angewiesene Person im Hinblick auf ein bestimmtes Vorverhalten bildlich gesprochen "im Regen" stehen lassen würde. Dies ist mit der Pflicht zur Gewährleistung des Existenzminimums nicht in Einklang zu bringen. Im Übrigen sprechen auch systematische Gründe gegen eine entsprechende Konsequenz, da § 34 SGB II nämlich für die vorliegende Fallkonstellation einen Erstattungsanspruch des Leistungsträgers vorsieht. Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist gem. § 34 Abs. 1 S.1 SGB II zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Erstattungsanspruch umfasst gem. § 34 Abs. 1 S.2 SGB II auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Der Gesetzgeber hat also einem möglichen Missbrauch bzw. einer Umgehung der Einkommensanrechnungsgrundsätze durch eine gesetzliche Vorschrift Rechnung getragen. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Rechtsprechung des BSG auch nach der gegenwärtigen Rechtslage zugrunde zu legen ist.
Der Beklagte kann sich in dem vorliegenden Fall auch nicht mit Erfolg auf den Dolo agit-Einwand berufen. Der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts hat im Beschluss vom 03.06.2013 – L 9 AS 219/13 B ER – zutreffend darauf hingewiesen, dass der Dolo agit-Einwand in der vorliegenden Konstellation nicht eingreift, da der Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II eine vorhergehende Leistung voraussetzt und bei seiner Durchsetzung im Falle der Aufrechnung über § 43 Abs. 2 SGB II auf 30 Prozent der Regelleistung beschränkt ist (vgl. auch Berlit, jurisPR-SozR 10/2013 Anm. 3) und damit nur in Raten und damit nicht in voller Höhe und nicht sofort zu realisieren ist.
Die Klage war somit zum Teil begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Beklagte den Kläger vor Erlass des Aufhebungsbescheids nicht nach § 24 SGB X angehört hat, obwohl eine Anhörung erforderlich war.
Die Kammer hat die Berufung gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03.02.2014 (L 15 AS 437/13 B ER) zugelassen.
Der Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 16.11.2012 hinsichtlich des Monats Januar 2013 zurückzunehmen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung einer Abfindung seines ehemaligen Arbeitgebers als einmalige Einnahme, welche nach der Auffassung des Beklagten einem Leistungsanspruch im Zeitraum vom 01.12.2012 bis 31.05.2013 entgegenstehe. Im Verfahren S 6 AS 456/13 ist deshalb die ursprüngliche Leistungsbewilligung aufgehoben worden, was vom Kläger mit einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Frage gestellt wird und im Verfahren S 6 AS 457/13 ist ein Weiterbewilligungsantrag mangels Hilfebedürftigkeit abgelehnt worden.
Der 1967 geborene Kläger stellte am 02.08.2012 erstmalig einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Aus einem Vermerk anlässlich der Erstantragstellung vom 02.08.2012 geht hervor, dass der Kläger sich in einem festen Beruf befand, krank wurde und Krankengeld bezog. Anlässlich einer Vorsprache bei seiner Krankenkasse erfuhr der Kläger, dass er von seinem Arbeitgeber von der Krankenversicherung zum 30.04.2012 abgemeldet worden war, ohne zuvor eine Kündigung erhalten zu haben. Dem Kläger sei geraten worden, sich hinsichtlich rechtlicher Schritte gegen seinen Arbeitgeber anwaltlich beraten zu lassen. Der Kläger gab an, weder über Einkommen noch über Vermögen zu verfügen. Er halte sich vorübergehend aus gesundheitlichen Gründen überwiegend bei seiner Mutter in A-Stadt auf (Bl. 6 Verwaltungsakte).
Aus dem Antragsformular geht hervor, dass die SGB II-Leistungen auf das Konto seiner Mutter, der Zeugin H., zu überweisen seien (Bl. 8 Verwaltungsakte).
Aus der Anlage zu den Kosten für Unterkunft und Heizung geht hervor, dass der Kläger über eine Mietwohnung in B-Stadt verfügte (Bl. 18 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 09.08.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig im Hinblick auf einen noch vorzulegenden Kontoauszug über eine Riester-Rente Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.01.2013 in Höhe von monatlich 609 EUR bestehend aus der Regelleistung in Höhe von 374 EUR und einem Betrag für die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 235 EUR (Bl. 27 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte eine Arbeitsbescheinigung über die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Koch in der Zeit vom 01.03.2011 bis 30.04.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 31 ff. Verwaltungsakte).
Aus einem Vermerk des Beklagten vom 16.08.2012 geht hervor, dass der Kläger sich entschlossen hatte, gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber zu klagen. Es gehe ihm mit der Klage weniger um Lohnfortzahlungen, sondern um eine Erhöhung der Sozialabgaben für die Vergangenheit. Eventuell könne eine Abfindung des Arbeitgebers gefordert werden (Bl. 35 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte sodann eine Bescheinigung der X. Versicherungsgruppe vom 10.08.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 35a Verwaltungsakte).
Im August 2012 überreichte der Kläger dem Beklagten Unterlagen über das arbeitsgerichtliche Verfahren, auf die Bezug genommen wird (Bl. 36 ff. Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz vom 28.08.2012 wandte sich der Beklagte an den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers und meldete einen so genannten Anspruchsübergang hinsichtlich etwaiger Ansprüche des Klägers an (Bl. 40 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz ebenfalls vom 28.08.2012 wandte sich der Beklagte auch an den Kläger. Dieser mache aus seinem Arbeitsverhältnis noch Ansprüche gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber geltend. Bei Zuerkennung solcher Ansprüche könne der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 11 SGB II teilweise oder ganz wegfallen. Da der Kläger die geltend gemachten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis noch nicht habe, zahle man zur Sicherung des Lebensunterhalts zunächst ohne Berücksichtigung dieser Ansprüche. Die Zahlung bewirke, dass die Ansprüche bis zur Höhe der vom Beklagten gezahlten Leistungen gemäß § 115 SGB X auf den Beklagten übergingen. Dies bedeute, dass der ehemalige Arbeitgeber die gezahlten Beträge an den Beklagten abführen müsse. An den Kläger könne er nur einen Restbetrag zahlen. Der Kläger werde aufgefordert, den Beklagten über den Fortgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu informieren. Des Weiteren heißt es in diesem Schreiben (Bl. 41 ff. Verwaltungsakte):
"Beachten Sie bitte, dass sie nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht berechtigt sind, über den an mich übergegangenen Teil Ihrer Ansprüche zu verfügen (§§ 398 ff. BGB)."
Die Bundesagentur für Arbeit informierte den Beklagten bereits mit Schriftsatz vom 20.08.2012 darüber, dass der Kläger für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.07.2013 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 11,89 EUR erhalte. Im Hinblick auf den vom Beklagten angemeldeten Erstattungsanspruch habe man das Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.09.2012 vorläufig einbehalten (Bl. 42 Verwaltungsakte). Der Beklagte machte sodann einen entsprechenden Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.09.2012 bei der Agentur für Arbeit in Höhe von insgesamt 653,40 EUR geltend (Bl. 56 Verwaltungsakte).
Mit Änderungsbescheid vom 13.09.2012 modifizierte der Beklagte die Höhe der bewilligten SGB II-Leistungen für die Zeit vom 01.10.2012 bis 31.01.2013 unter Anrechnung des Arbeitslosengeldes in Höhe von monatlich 356,70 EUR (Bl. 57 Verwaltungsakte).
Aus einem Vermerk des Beklagten vom 29.10.2012 geht hervor, dass der Kläger Lebensmittelgutscheine beantragen musste, da seine Mutter in den Urlaub gefahren sei und er nicht an seine Leistungen komme (Bl. 61 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz eingegangen beim Beklagten am 17.10.2012 wandte sich der Bevollmächtigte des Klägers an den Beklagten. Es sei zwischenzeitlich beim Arbeitsgericht ein Vergleich über einen Betrag in Höhe von 3000 EUR als Abfindung geschlossen worden. Es werde im Hinblick auf die Überleitungsanzeige vom 28.08.2012 um Mitteilung gebeten, ob dieser Betrag vom Beklagten freigegeben werde (Bl. 65 Verwaltungsakte). Dieser Mitteilung war das Protokoll von der öffentlichen Sitzung des Arbeitsgerichts Kassel vom 09.10.2012 beigefügt, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 66 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz vom 16.11.2012 übersandte der Beklagte dem Kläger hinsichtlich eines Übergangs eine an den ehemaligen Arbeitgeber überreichte Abrechnung eines Anspruchsübergangs ebenfalls vom 16.11.2012 für die Zeit vom 01.10.2012 bis 30.11.2012 mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 282,30 EUR (Bl. 81 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 16.11.2012 hob der Beklagte die mit Bescheid vom 13.09.2012 vorgenommene Leistungsbewilligung für die Zeit ab 01.12.2012 auf und stürzte diesen Bescheid auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 3 S.1 SGB III und § 48 Abs. 1 S.2 Nr. 3 SGB X). Der Beklagte begründete diese Entscheidung damit, dass der Kläger ab dem genannten Zeitpunkt Einkommen aus dem Erhalt einer Abfindung in Höhe von 2135,40 EUR erzielt habe. Daher werde ab Dezember 2012 für sechs Monate ein Betrag in Höhe von monatlich 355,90 EUR als Einkommen angerechnet. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei der Kläger nicht mehr hilfebedürftig (Bl. 83 Verwaltungsakte).
Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs am 24.01.2013 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass das vorhandene Vermögen inzwischen verbraucht worden sei (Bl. 101 Verwaltungsakte).
Am 05.02.2013 stellte der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, da die Abfindung bereits verbraucht worden sei. Er habe diese für die Zahlung des Lebensunterhalts, für Krankenversicherungsbeiträge im Zeitraum von Mai bis Juli 2012 und für die Miete genutzt (Bl. 102 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte einen aktualisierten Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit über den Arbeitslosengeldbezug in der Zeit vom 01.12.2012 bis 14.10.2013 (Bl. 109 ff. Verwaltungsakte).
Mit Schriftsatz vom 05.02.2013 forderte der Beklagte den Kläger auf, zu erläutern, wofür er das Geld ausgegeben habe (Bl. 113 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte eine handschriftliche Aufstellung über seine Ausgaben im Zeitraum von April 2012 bis Januar 2013, auf die Bezug genommen wird (Bl. 114 Verwaltungsakte).
Weiterhin überreichte der Kläger Belege über die Anschaffung des Diakonietickets im Zeitraum von September 2012 bis Januar 2013, über die Anschaffung von Kleidung, eines Handys sowie Kontoauszüge seiner Mutter, über den Zeitraum von April 2012 bis Februar 2013. Aus den Kontoauszügen kann zunächst entnommen werden, dass die Miete für den Kläger ebenfalls vom Konto seiner Mutter abging. Auch geht aus den Kontoauszügen hervor, dass die aus den Belegen hervorgehenden Ausgaben ebenfalls vom Konto seiner Mutter abgingen, wobei unter anderem am 03.09.2012 eine Abbuchung in Höhe von 299 EUR für die Anschaffung einer Brille vorgenommen wurde und bei der Abbuchung der Name des Klägers angegeben ist (Bl. 120 Verwaltungsakte).
Auf Nachfrage des Beklagten überreichte der Kläger eine Aufstellung seines Bevollmächtigten. Man habe die 3000 EUR wie folgt verwendet (Bl. 125 Verwaltungsakte): - 2261,47 EUR ausgezahlt auf die Bankverbindung H. - 564,60 Euro ausgezahlt an Jobcenter. - 173,93 EUR verrechnet für Vollstreckungskosten.
Der Beklagte führte am 01.03.2013 ein Gespräch mit der Kanzlei des Bevollmächtigten des Klägers. Der Rest der Abfindung in Höhe von 2261,47 EUR sei am 12.12.2012 überwiesen worden, wobei der Beklagte hieraus eine Anrechnung als einmalige Einnahme im Zeitraum von Dezember 2012 bis Mai 2013 schlussfolgerte (Bl. 127 Verwaltungsakte).
Der Beklagte bereinigte die restliche Abfindung in Höhe von 2261,47 EUR einmalig um den Grundfreibetrag in Höhe von 100 EUR und weitere Freibeträge in Höhe von 200 EUR und gelangte auf dieser Grundlage zu einer bereinigten Abfindung in Höhe von 1961,47 EUR. Dieser Betrag sei durch sechs Monate zu dividieren, so dass man zu einem Anrechnungsbetrag in Höhe von 326,91 EUR gelange (Bl. 128 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 01.03.2013 lehnte der Beklagte die im Rahmen eines Gesprächs am 14.02.2013 geäußerte Bitte um nochmalige Überprüfung des Bescheids vom 16.11.2012 ab. Auch nach nochmaliger Prüfung bestehe im Hinblick auf die Einmalzahlung kein Anspruch auf SGB II Leistungen (Bl. 134 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid ebenfalls vom 01.03.2013 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag vom 05.02.2013 ab, da der Kläger mit seinen Einkommensverhältnissen im Zeitraum von Dezember 2012 bis Mai 2013 nicht hilfebedürftig sei (Bl. 137 Verwaltungsakte).
Am 12.03.2013 gewährte der Beklagte dem Kläger ein zinsfreies Darlehen zur Deckung des Lebensunterhalts in Höhe von 840 EUR, welches ab 01.06.2013 in monatlichen Raten in Höhe von 30 EUR zurückzuzahlen sei (Bl. 144, 151 Verwaltungsakte).
Mit Schriftsätzen jeweils vom 15.03.2013 legte der Kläger gegen beide Bescheide vom 01.03.2013 Widerspruch ein. Die Gelder aus der Abfindung in Höhe von 3000 EUR seien vollständig verbraucht (Bl. 153, 154 Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch hinsichtlich des Überprüfungsantrags bezüglich des Bescheids vom 16.11.2012 als unbegründet zurück. Der Kläger sei im Streitzeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Sofern der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Überweisung der Abfindung auf das Konto seiner Mutter so auszulegen sei, dass er das Geld zur Schuldentilgung gezahlt habe, sei zunächst zu beachten, dass darüber keine weiteren Nachweise vorliegen würden. Zudem sei das Geld nach Mitteilung des Bevollmächtigten erst am 12.12.2012 und damit im laufenden Leistungsbezug auf das Konto überwiesen worden. Weiterhin sei der Kläger bereits mit Bescheid vom 16.11.2012 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Abfindung aufzuteilen sei und in den nächsten sechs Monaten entsprechend anzurechnen sei. Eine Verwendung zwecks Zahlung möglicher Schulden könne daher keinen Einfluss auf die Anrechnung haben. Für die einkommensmindernde Berücksichtigung einer Schuldentilgung gebe es im SGB II keine Rechtsgrundlage (Bl. 157 Verwaltungsakte).
Mit einem zweiten Widerspruchsbescheid vom 03.07.2013 wies der Beklagte auch den Widerspruch hinsichtlich der Ablehnung des Leistungsantrags als unbegründet zurück, da der Kläger zum Zeitpunkt des Leistungsantrags nicht hilfebedürftig gewesen sei (Bl. 164 Verwaltungsakte).
Am 11.07.2013 hat der Kläger gegen beide Bescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide Klagen beim Sozialgericht Kassel anhängig gemacht. Die erste Klage mit dem Aktenzeichen S 6 AS 456/13 richtet sich gegen den abgelehnten Überprüfungsantrag. Die zweite Klage mit dem Aktenzeichen S 6 AS 457/13 richtet sich gegen die Ablehnung des Leistungsantrags vom 05.02.2013.
Der Kläger hat die vorliegende Klage mit dem Aktenzeichen S 6 AS 456/13 dahingehend begründet, dass ihm die Abfindung nicht zur Verfügung gestanden habe, da dieses Geld direkt vom Geschäftskonto seines Bevollmächtigten auf das Konto seiner Mutter überwiesen worden sei. Dazu sei er verpflichtet gewesen, weil er im Jahr 2012 diverse Geldleistungen von seiner Mutter erhalten habe. Von April 2012 bis Juli 2012 sei er psychisch erkrankt gewesen. Von seinem Arbeitgeber habe er statt einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die Abmeldung von der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Er sei plötzlich mittellos gewesen. Er habe unter Depressionen gelitten und habe sich nicht sofort angemessen um die Inanspruchnahme seines Arbeitgebers kümmern können. Er habe von seiner Mutter vier Mieten in Höhe von jeweils 235 EUR, eine Kaution in Höhe von 300 EUR, Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 309,23 EUR, Geld für Schuhe in Höhe von 108 EUR, Geld für Kleidung in Höhe von 106,30 EUR und Geld für eine Brille in Höhe von 299 EUR sowie vier Monatskarten für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von insgesamt 106,80 EUR erhalten. Schließlich sei er im Zeitraum von April bis Juli 2012 von seiner Mutter verpflegt worden und habe zeitweise bei ihr gelebt. Er sei nach der stationären Behandlung stabil und absolviere derzeit eine Umschulung. Aus dem vorstehenden Positionen ergebe sich ein Betrag in Höhe von 2278,23 EUR. Er habe mit seiner Mutter vereinbart, dass er ihr diese Gelder im Falle einer Realisierung von Ansprüchen gegenüber seinem früheren Arbeitgeber erstatten werde (Bl. 13 Gerichtsakte).
Der Beklagte hat hierauf mit Schriftsatz vom 02.10.2013 erwidert, dass der Umstand, dass die Abfindung auf das anwaltliche Anderkonto gezahlt und von dort auf ein Konto der Mutter des Klägers weitergeleitet worden sei, nicht entscheidungserheblich sei. Der Kläger habe auf Grund des zwischen ihm und seinem Bevollmächtigten bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrags über diese Mittel verfügen und die Auszahlung an sich verlangen können. Es habe sich bei dem Geld mithin um bereite Mittel im Sinne des SGB II gehandelt, welche als Einkommen zu berücksichtigen gewesen seien. Die Tilgung von Schulden sei mangels Rechtsgrundlage nicht berücksichtigungsfähig (Bl. 21 Gerichtsakte).
Das Gericht hat auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.11.2012 (B 14 AS 33/12 R) hingewiesen und um Mitteilung gebeten, ob insoweit eine Abhilfe in Betracht komme. Der Beklagte hat hierauf mit Schriftsatz vom 21.10.2013 erwidert, dass ein Verbrauch der einmaligen Einnahme nicht hinreichend nachgewiesen sei. Selbst wenn ein Verbrauch der Abfindung nachgewiesen sei, könne die Klage keinen Erfolg haben, da der Kläger gewusst habe, dass er die Abfindung für sechs Monate zur Sicherung des Lebensunterhalts einsetzen müsse. Ein Verbrauch der Mittel würde einen Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II auslösen. Man berufe sich auf den Grundsatz, dass ein Begehren und eine Klage keinen Erfolg haben dürften, wenn der Kläger die eingeklagten Leistungen sofort an den Beklagten zurückgeben müsse, weil diesem ein Gegenanspruch zustehe ("Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est)".
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 16.11.2013 zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat im mündlichen Verhandlungstermin auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03.02.2014 (L 15 AS 437/13 B ER) hingewiesen und hält die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung des BSG zum vorliegenden Themenkreis durch die Änderung des SGB II für überholt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Kammer die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Der Kläger hat hinsichtlich des Verfahren S 6 AS 456/13 seinen Verzicht auf eine Nachholung der Anhörung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakten S 6 AS 456/13 und S 6 AS 457/13 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist teilweise erfolgreich. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S.1 SGB X sind vorliegend teilweise hinsichtlich des Monats Januar 2013 erfüllt. Der Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 war hinsichtlich des Monats Januar 2013 zurückzunehmen. Im Übrigen war die zulässige Klage jedoch unbegründet.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt gem. § 44 Abs. 1 S.1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
I. Der ursprüngliche Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 war formell rechtswidrig, da der Beklagte den Kläger vor Bescheiderlass nicht zu einer Leistungsaufhebung angehört hat. Eine förmliche Anhörung wurde vom Beklagten auch nicht nachgeholt. Allerdings hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen Verzicht auf eine Nachholung der Anhörung (dazu: BSG, Urteil v. 07.07.2011, B 14 AS 144/10 R) erklärt, so dass sich ein entsprechender formeller Fehler nicht mehr auswirkt.
II. Der Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 und mit ihm der ablehnende Bescheid vom 01.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2013 ist jedoch zum Teil materiell rechtswidrig.
Der Beklagte hat den Aufhebungsbescheid vom 16.11.2012 auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III und § 48 SGB X gestützt und den Änderungsbescheid vom 13.09.2012 aufgehoben.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gem. § 48 Abs.1 S.1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
1. Vorliegend liegen die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 48 Abs. 1 S.1 SGB X hinsichtlich des Monats Dezember 2012 vor.
Es handelt sich bei der Abfindung um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S.1 SGB II. Als Einkommen sind nämlich gem. § 11 Abs. 1 S.1 SGB II zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen.
Zu berücksichtigendes Einkommen hat zur Folge, dass sich die Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) des Leistungsberechtigten hierdurch verringert. Die näheren Einzelheiten zur Einkommensanrechnung bei einmaligen Einnahmen, die also – wie die vorliegende Abfindung – nicht regelmäßig zufließen, sind in § 11 Abs. 3 SGB II normiert.
Einmalige Einnahmen sind gem. § 11 Abs. 3 S.1 SGB II in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen.
Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie gem. § 11 Abs. 3 S.2 SGB II im Folgemonat berücksichtigt.
Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme gem. § 11 Abs. 3 S.3 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.
Der Beklagte hat vorliegend die am 12.12.2012 zugeflossene Abfindung (vgl. Bl. 127 Verwaltungsakte) auf sechs Monate aufgeteilt und ein bereinigtes Einkommen in Höhe von monatlich 326,91 EUR zugrunde gelegt, wobei der Beklagte zugunsten des Klägers angenommen hat, dass die Absetzbeträge des § 11b SGB II Anwendung finden (vgl. Bl. 128 Verwaltungsakte). Da der Beklagte für Oktober 2012 und November 2012 Leistungen beim Arbeitgeber realisiert hatte, stellt sich die Frage, ob sich der Sechsmonatszeitraum von Oktober 2012 bis März 2013 erstreckt und nicht wie vom Beklagten (vgl. Bl. 128 Verwaltungsakte) angenommen bis Mai 2013, was sich in dem streitgegenständlichen Bescheiden jedoch nicht zum Nachteil des Klägers auswirkt. Da die Abfindung sich im Dezember 2012 auf dem Konto des Bevollmächtigten des Klägers befand, durfte diese in diesem Monat anteilig als bereites Mittel in Höhe von zumindest 326,91 EUR auf den Bedarf angerechnet werden, so dass der Leistungsanspruch im Hinblick auf den zusätzlichen Arbeitslosengeldbezug im Dezember 2012 weggefallen war.
Damit liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S.1 SGB X hinsichtlich des Monats Dezember 2012 vor.
2. Hinsichtlich des Monats Januar 2013 war der Aufhebungsbescheid hingegen rechtswidrig, da der Kläger den im Dezember 2012 erhaltenen Rest der Abfindung in Höhe von 2261,47 EUR im gleichen Monat (vgl. Bl. 29 Gerichtsakte S 6 AS 457/13) an seiner Mutter hat auszahlen lassen. Das Geld stand ihm mithin im Januar 2013 tatsächlich nicht zur Verfügung. Nach der Auffassung des Bundessozialgerichts können einmalige Einnahmen, die in den Monaten nach dem Zufluss nicht mehr zur Verfügung stehen, nicht anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Hierzu hat der 14. Senat des BSG im Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 33/12 R – Rn. 13 f. ausgeführt:
"Wenn die einmalige Einnahme, was die Kläger vortragen, tatsächlich im Bedarfszeitraum nicht mehr (oder nur noch teilweise) zur Verfügung stand, kommt - entgegen der Auffassung des LSG - schon von daher ein höherer Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht. Es kommt nämlich bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 20; Urteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, RdNr 21; Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Dies gilt auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg ohne Einschränkungen.
Zwar muss der Hilfebedürftige sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Dementsprechend ist er bei Zufluss einer einmaligen Einnahme gehalten, das Geld nicht zur Schuldendeckung zu verwenden, sondern über den Verteilzeitraum hinweg zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Wenn die einmalige Einnahme, deren Berücksichtigung als Einkommen in Rede steht, tatsächlich aber nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten - hier dem Verbrauch der einmaligen Einnahme in bestimmten monatlichen Teilbeträgen - (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 GG nicht vereinbar (vgl nur Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28). Diesem Gedanken folgt das gesetzgeberische Grundprinzip, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Hierauf hat der 4. Senat am Beispiel der Berücksichtigung schwankender Einnahmen bereits hingewiesen (vgl Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Damit ist auch bei der Berücksichtigung einmaliger Einnahmen über einen Verteilzeitraum hinweg auf entsprechenden Vortrag des Leistungsberechtigten hin zu überprüfen, ob die auf diesen Zeitraum bezogene Durchschnittsbetrachtung die tatsächliche Einnahmesituation im Bedarfszeitraum zutreffend wiederspiegelt."
Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Die Entscheidung ist auch nicht, wie der Beklagte unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03.02.2014 (L 15 AS 437/13 B) annimmt, durch die Änderung des § 11 Abs. 3 S.3 SGB II überholt. Im Leitsatz dieser Entscheidung heißt es:
"Soweit das Bundessozialgericht (BSG) für die Verteilung einmaliger Einnahmen nach früherem Recht (§ 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld Verordnung - Alg IIV - in der bis zum 31.3.2011 gültigen Fassung; juris: AlgIIV 2008) bereits mehrfach entschieden hat, dass die Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme in einem Verteilzeitraum nicht mehr in Betracht komme, wenn diese nicht mehr als bereites Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu Verfügung stehe (vgl BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R = BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, vom 10.9.2013 - B 4 AS 89/12 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 62 und vom 12.12.2013 - B 14 AS 76/12 R = Terminbericht Nr 60/13 vom 13.12.2013), ist diese Rechtsprechung auf die aktuelle Rechtslage nicht übertragbar, da die Verteilung einer einmaligen Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten und die monatliche Berücksichtigung mit einem Teilbetrag nunmehr im SGB 2 (§ 11 Abs 3 S 3) gesetzlich geregelt ist. Hierbei handelt es sich um geltendes Recht, welches solange anzuwenden ist, wie es nicht vom Gesetzgeber korrigiert oder vom Bundesverfassungsgericht - etwa im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art 100 Abs 1 GG - für nichtig erklärt wird."
Diese Ausführungen überzeugen die Kammer jedoch nicht. Es ist vielmehr eines der Grundprinzipien des SGB II, dass sich der aktuelle Leistungsanspruch nach dem Umfang der gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) bemisst (vgl. auch: BSG, Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 1/13 R). Die Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, auf die sich der Beklagte beruft, kann nicht richtig sein, da sie eine auf Leistungen unstreitig angewiesene Person im Hinblick auf ein bestimmtes Vorverhalten bildlich gesprochen "im Regen" stehen lassen würde. Dies ist mit der Pflicht zur Gewährleistung des Existenzminimums nicht in Einklang zu bringen. Im Übrigen sprechen auch systematische Gründe gegen eine entsprechende Konsequenz, da § 34 SGB II nämlich für die vorliegende Fallkonstellation einen Erstattungsanspruch des Leistungsträgers vorsieht. Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist gem. § 34 Abs. 1 S.1 SGB II zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Erstattungsanspruch umfasst gem. § 34 Abs. 1 S.2 SGB II auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Der Gesetzgeber hat also einem möglichen Missbrauch bzw. einer Umgehung der Einkommensanrechnungsgrundsätze durch eine gesetzliche Vorschrift Rechnung getragen. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Rechtsprechung des BSG auch nach der gegenwärtigen Rechtslage zugrunde zu legen ist.
Der Beklagte kann sich in dem vorliegenden Fall auch nicht mit Erfolg auf den Dolo agit-Einwand berufen. Der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts hat im Beschluss vom 03.06.2013 – L 9 AS 219/13 B ER – zutreffend darauf hingewiesen, dass der Dolo agit-Einwand in der vorliegenden Konstellation nicht eingreift, da der Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II eine vorhergehende Leistung voraussetzt und bei seiner Durchsetzung im Falle der Aufrechnung über § 43 Abs. 2 SGB II auf 30 Prozent der Regelleistung beschränkt ist (vgl. auch Berlit, jurisPR-SozR 10/2013 Anm. 3) und damit nur in Raten und damit nicht in voller Höhe und nicht sofort zu realisieren ist.
Die Klage war somit zum Teil begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Beklagte den Kläger vor Erlass des Aufhebungsbescheids nicht nach § 24 SGB X angehört hat, obwohl eine Anhörung erforderlich war.
Die Kammer hat die Berufung gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03.02.2014 (L 15 AS 437/13 B ER) zugelassen.
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