S 6 R 102/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 102/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 265/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Anrechnung einer tschechischen Rente auf deutsche Rentenleistungen nach § 31 FRG.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich dagegen, dass auf seine Regelaltersrente eine gewährte tschechische Rente angerechnet wird.

Der 1945 geborene Kläger stellte am 06.09.2010 einen Antrag auf eine Regelaltersrente. Seit November 2000 erhalte er eine weitere Rente der gesetzlichen Unfallversicherung (Bl. 5 Verwaltungsakte). Aus einer Gesprächsnotiz vom 04.10.2010 geht hervor, dass der Kläger Vertriebener ist (Bl. 10 Verwaltungsakte). Zuvor hatte sich die Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 17.09.2010 an den Kläger zur Anforderung seiner tschechischen Versichertenzeiten gewandt (Bl. 17 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 23.11.2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 01.01.2011 eine Regelaltersrente in Höhe von monatlich 1077,66 EUR. Auf der Seite 2 des Bescheids wird u.a. darauf hingewiesen, dass die Rente unter Berücksichtigung der europäischen Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit festgestellt worden sei. Die Berechnung der Rente sei aus der Anlage 1 zu entnehmen. Auf der Seite 3 des Bescheids heißt es u.a.:
"Bei der Rentenberechnung wurden im Herkunftsland zurückgelegte Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bzw. reichsdeutsche Beitragszeiten außerhalb der heutigen Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, die unter Umständen nach ausländischen Rechtsvorschriften anrechenbar sind.
Gewährt ein ausländischer Träger zeitgleich eine Leistung mit diesen Zeiten, ruht die deutsche Rente nach § 31 FRG in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages der Leistung aus diesen Zeiten. Sie sind verpflichtet, uns die Zuerkennung, den Bezug oder die Veränderung einer solchen ausländischen Leistung unverzüglich mitzuteilen.
Eine Überprüfung des Rentenanspruchs und der Rentenhöhe sowie die Verrechnung oder Rückforderung zu viel gezahlter Beträge bleiben für den Fall vorbehalten, dass sich durch die Zuerkennung einer ausländischen Leistung und Anwendung des § 31 FRG eine Überzahlung ergibt. Die Überprüfung kann zur Aufhebung dieses Bescheids führen. Das gleiche gilt für eine in der Vergangenheit gewährte ausländische Leistung, die uns bisher nicht bzw. deren endgültige Leistung uns nicht bekannt ist."
Auf der Seite 5 des Rentenbescheids heißt es:
"Wir werden den Bescheid ganz oder teilweise aufheben, sobald uns Tatsachen bekannt werden, die den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe beeinflussen. Dies ist auch rückwirkend möglich. Zuviel gezahlte Beträge müssen Sie zurückzahlen. Sie können größere Überzahlungen vermeiden, wenn Sie Ihre Mitteilungspflichten rechtzeitig erfüllen."
Weiterhin heißt es auf der Seite 6 des Bescheids:
"Sie müssen keinen weiteren Antrag stellen. Ihr Rentenantrag gilt auch als Antrag auf eine entsprechende ausländische Leistung. Wir werden Ihren Rentenantrag an den ausländischen Versicherungsträger weiterleiten, der über den Anspruch auf eine Leistung aus seiner Rentenversicherung selbst entscheiden wird. Sollen Sie Fragen zu diesen Ansprüchen haben, empfehlen wir Ihnen, sich unmittelbar mit dem betreffenden Träger in Verbindung zu setzen."
Im Bescheid ist insoweit auch die Anschrift des tschechischen Rentenversicherungsträgers angeführt. Aus dem Versicherungsverlauf (Anlage 2) gehen FRG-Zeiten in der Zeit vom 01.09.1961 bis 15.05.1990 hervor.

Die Beklagte übersandte sodann entsprechende Antragsformulare an den tschechischen Rentenversicherungsträger (Bl. 47 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 28.10.2011 wandte sich die Beklagte an den tschechischen Rentenversicherungsträger. Überschrieben ist dieses Schreiben mit "Anwendung der europäischen Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit." U.a. wurde um Übersendung einer Mitteilung über die Rentengewährung bzw. deren Ablehnung gebeten (Bl. 53 Verwaltungsakte).

Der tschechische Rentenversicherungsträger übersandte sodann verschiedene Unterlagen (Bl. 55 ff. Verwaltungsakte). Aus den Unterlagen geht hervor, dass der Kläger seit August 2007 vom tschechischen Rentenversicherungsträger Rentenleistungen in Höhe von ca. 345 EUR im Monat erhalte (Bl. 68 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 20.01.2012 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Überzahlung von Rentenleistungen nach § 24 SGB X an. Bei der Berechnung der deutschen Rente seien Zeiten nach dem FRG berücksichtigt worden, aus denen auch der tschechische Rentenversicherungsträger seit dem 12.08.2007 eine Rente gewähre. Nach § 31 FRG sei der auf diese Zeiten entfallende Teil der tschechischen Rente (umgerechnet in Euro) auf die deutsche Rente anzurechnen. Die tschechischen Zeiten seien zu 99,71 % auch in der deutschen Rente nach dem FRG berücksichtigt. Die deutsche Rente vermindere sich daher ab 01.02.2012 um den Anteil der tschechischen Rente von bisher 1088,36 EUR auf 753,61 EUR. Für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.01.2012 werde sich eine Überzahlung in Höhe von 4390,15 EUR ergeben. Man beabsichtige daher den Bescheid vom 23.11.2010 nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen wolle man in einem Gesamtbetrag in Höhe von 4390,15 EUR nach § 50 SGB X zurückfordern. Man werde den ausländischen Rentenversicherungsträger auffordern, den überzahlten Betrag von der ausländischen Rente einzubehalten und an die Beklagte zu überweisen. Soweit der ausländische Rentenversicherungsträger den überzahlten Betrag nicht vollständig erstatte oder die gesamten Rentenbeträge an den Kläger auszahle, seien diese vom Kläger zu bezahlen (Bl. 80 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid ebenfalls vom 20.01.2012 stellte die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers ab 01.01.2011 endgültig fest. Für die Zeit ab 01.02.2012 betrage die Rente monatlich 753,61 EUR. Für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.01.2012 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 4390,15 EUR. Diese Überzahlung sei zu erstatten. Die Berechnung der Überzahlung sei der Anlage 1 zum Bescheid zu entnehmen. Hinsichtlich der Überzahlung ergehe noch ein weiterer Bescheid. Auf der Seite 3 des Bescheids heißt es u.a.:
"Aufgrund der bewilligten tschechischen Rente wird die mit Bescheid vom 23.11.2010 festgestellte deutsche Rente neu berechnet. Die Neufeststellung ist erforderlich, weil in der deutschen Rente Zeiten nach dem FRG angerechnet wurden, aus denen auch der tschechische Rentenversicherungsträger seit 12.08.2007 eine Rente zahlt. Die deutsche Rente ist um die ausländische Rente zu kürzen (§ 31 FRG), soweit die deutsche und die ausländische Rente aus denselben Versicherungszeiten und für denselben Zeitraum gewährt wird. Die der ausländischen Rente zugrundeliegenden Zeiten sind zu 99,71 vom Hundert auch in der deutschen Rente berücksichtigt. In diesem Ausmaß führt die gegebenenfalls in Euro umgerechnete – ausländische Rente ab 01.01.2011 unter Berücksichtigung des Anrechnungshöchstbetrages zu einem Ruhen der deutschen Rente. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 SGB X). Wir werden daher den ausländischen Rentenversicherungsträger auffordern, diesen Betrag von der ausländischen Rente einzubehalten und an uns zu überweisen ..."

Mit Schriftsatz vom 30.01.2012 erwiderte der Kläger auf das Anhörungsschreiben, dass er bislang nur die deutsche Rente erhalte. Die tschechische Rente habe er noch nie ausgezahlt bekommen. Ein Bescheid über seine tschechische Rente sei ihm nicht bekannt. Er berufe sich auf das Urteil des BSG vom 11.05.2012 (B 5 R 8/10 R). Danach dürfe das Gericht eine fiktive rumänische Rente nicht auf die deutsche Rente anrechnen. Voraussetzung für eine Anrechnung sei, dass eine Auszahlung der Rentenleistungen erfolge. Dies habe für den vorliegenden Fall zur Folge, dass eine Anrechnung nicht erfolgen dürfe (Bl. 84 Verwaltungsakte).

In der Verwaltungsakte befindet sich eine Kopie des tschechischen Rentenbescheids vom 02.01.2012 (Bl. 85 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 09.02.2012 legte der Kläger gegen den Rentenbescheid vom 20.01.2012 Widerspruch ein (Bl. 89 Verwaltungsakte).

Der Kläger beantragte am 04.04.2012 die Ausstellung einer Lebensbescheinigung für den tschechischen Rentenversicherungsträger (vgl. Bl. 93 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 06.03.2012 wandte sich die Beklagte an den Kläger. Dieser habe den Widerspruch damit begründet, dass ein Fiktivabzug nach § 31 FRG nach dem BSG-Urteil vom 11.05.2011 nicht zulässig sei. Damit habe er Recht. Bei seiner Rente sei mit Bescheid vom 20.01.2012 aber kein Fiktivabzug vorgenommen worden, sondern es sei eine Anrechnung der tatsächlich vorliegenden Rentenbeträge erfolgt, die der tschechische Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 20.01.2012 mitgeteilt habe. Das BSG-Urteil treffe also beim Kläger nicht zu (Bl. 96 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 02.04.2012 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger nicht bestätigen könne, einen Rentenbescheid seitens der tschechischen Rentenversicherung bekommen zu haben. Anscheinend sei der Bescheid nur an die Beklagte im Rahmen einer Anrechnung übersandt worden. Der Kläger könne auch nicht sagen, ob er ein Formblatt E 207 DE ausgefüllt habe. Man sei der Meinung, dass von der Beklagten eine volle Rente zu bezahlen sei und eine Anrechnung erst erfolgen dürfe, wenn tatsächlich seitens des tschechischen Rentenversicherungsträgers eine Auszahlung der Rente erfolgt sei. Der Kläger sei derzeit in einer misslichen finanziellen Lage (Bl. 98 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 22.06.2012 erwiderte die Beklagte, dass die Anrechnung auf Grund des tschechischen Bescheids vom 02.01.2012 erfolge. Danach sei dem Kläger rückwirkend ab 12.08.2007 Altersrente bewilligt worden. Technische Unregelmäßigkeiten bei der Auszahlung der tschechischen Rente führten nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 20.01.2012 (Bl. 103 f. Verwaltungsakte).

Die Beklagte wandte sich sodann mit Schriftsatz vom 27.03.2012 hinsichtlich eines Erstattungsbescheids an den tschechischen Rentenversicherungsträger (Bl. 111 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 13.08.2012 teilte der Kläger mit, dass immer noch keine tschechischen Rentenleistungen gewährt worden seien. Auch habe er keinen eigenen Antrag auf Rente bei der tschechischen Rentenversicherung gestellt. In dem Bescheid vom 20.01.2012 sei davon die Rede, dass der tschechische Rentenversicherungsträger seit dem 12.08.2007 eine Rente zahle. Dies sei aber nicht der Fall. Bereits aufgrund der bisherigen Vorgehensweise des Klägers sei davon auszugehen, dass der Kläger zumindest derzeit überhaupt keinen Antrag auf Zahlung einer tschechischen Rente gestellt habe bzw. stellen wolle. Demgemäß könne die Beklagte nicht ohne den Willen des Klägers ein entsprechendes Antragsverfahren einleiten. Der Kläger wolle den Beginn seiner ausländischen Rente aufschieben. Der Kläger sei auch nicht im Rahmen der Mitwirkungspflicht gehalten, eine entsprechende Lebensbescheinigung beim tschechischen Rentenversicherungsträger abzugeben, um eine Auszahlung durch die tschechische Rentenversicherung zu erreichen. Das Verfahren bezüglich der Auszahlung der tschechischen Rente durch Vorlage einer Lebensbescheinigung sei kompliziert und benachteilige den Kläger unangemessen (Bl. 112 Verwaltungsakte).

In der Verwaltungsakte befindet sich eine Übersetzung des tschechischen Rentenbescheids vom 02.01.2012. Danach wurde dem Kläger rückwirkend ab 12.08.2007 eine Altersrente in Höhe von 7891 tschechischen Kronen zuerkannt. Am 06.09.2011 habe ein Verfahrensteilnehmer einen Rentenantrag gestellt (Bl. 128 ff. Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 10.01.2013 stellte der Beklagte ab 01.02.2013 eine Rente in Höhe von 769,71 EUR fest. Rentenbeginn sei der 01.01.2011. Auf der Seite 3 des Bescheids heißt es u.a. unter der Überschrift:
"Aufhebungsentscheidungen und Abänderungsentscheidungen:
Hiermit wird infolge der Anrechnung der tschechischen Versichertenrente ab 01.01.2011 nach § 31 FRG der Bescheid vom 23.11.2010 nach § 45 Abs. 2 S.3 Nr. 3 SGB X zurückgenommen. Unter Berücksichtigung des dem Bescheid vom 23.11.2010 zugrunde liegenden Sachverhaltes können Sie sich insoweit nicht auf Vertrauen (subjektive Schutzwürdigkeit) berufen. Unser Bescheid vom 23.11.2010 enthielt für Sie den klaren Hinweis, dass der Berechnung dieser Rente Versicherungszeiten nach dem FRG zugrunde liegen und bei Zahlung einer ausländischen Rente, ebenfalls unter Berücksichtigung dieser Versichertenzeiten nach § 31 Abs. 1 FRG ein Ruhen bei dieser Rente eintritt. Darüber hinaus wurde bereits in diesem Bescheid darauf hingewiesen, dass wir anlässlich des bei uns am 06.09.2010 gestellten Rentenantrags auch das Rentenverfahren bei dem tschechischen Rentenversicherungsträger einleiten werden. Auf Seite 03 und 06 des Bescheids wird dabei besonders verwiesen. Für Sie war damit klar erkennbar, dass die mit Bescheid vom 23.11.2010 festgesetzte Berechnung der Altersrente ab dem 01.01.2011 nicht verbindlich war. Subjektive Schutzwürdigkeit liegt damit nicht vor (§ 45 Abs. 2 S.3 Nr. 3 SGB X)."

Die Beklagte wies mit Schriftsatz vom 19.02.2013 daraufhin, dass der Kläger nach der Bescheiderteilung am 23.11.2010 die Möglichkeit gehabt habe, der Beklagten oder dem tschechischen Rentenversicherungsträger gegenüber einen Aufschub oder Verzicht auf die tschechische Rentenzahlung zu erklären. Erstmalig am 08.02.2012 sei im Widerspruchsverfahren der Beklagten gegenüber ein Verzicht auf die tschechische Rente erklärt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei aber bereits der tschechische Rentenanspruch ab 12.08.2007 per Bescheid vom 02.01.2012 festgesetzt worden. Der tschechische Rentenversicherungsträger könne nur nachträglich über den Verzicht in Kenntnis gesetzt werden. Ob dort ein nachträglicher Verzicht akzeptiert werde, könne man nicht beurteilen. Man sei an die dortige Entscheidung gebunden. Man weise darauf hin, dass mit einem Verzicht auch die Nachzahlung ab 12.08.2007 bis 31.12.2010 entfalle. Auch werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger bereits Zahlungen aus dem Bescheid vom 02.01.2012 vereinnahmt habe. Aber selbst dann sei vom Kläger keine Überzahlung mehr an die Beklage zu erstatten, denn die mit Bescheid vom 20.01.2012 festgestellte Überzahlung in Höhe von 4390,15 EUR sei bereits vom tschechischen Rentenversicherungsträger vollumfänglich erstattet worden (Bl. 182 Verwaltungsakte).

Im Rahmen eines Gesprächs teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger selbst bereits vor Monaten eine Lebensbescheinigung an den tschechischen Träger übersandt habe und auch Rentenleistungen von dort erhalte. Die Frage der Rückabwicklung erübrige sich daher. Der Kläger, der fast 30 Jahren in Tschechischen gearbeitet habe, habe verstanden, dass er mit der Vorlage der Lebensbescheinigung auch Rentennachzahlungen ab 12.08.2007 erhalten könne (Bl. 183 Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 23.11.2010 sei dem Kläger ab 01.01.2011 Regelaltersrente gewährt worden. Dieser Rente lägen Zeiten nach dem FRG zugrunde. Durch Mitteilung des tschechischen Versicherungsträgers in Prag sei bekannt geworden, dass dem Kläger dort – ebenfalls unter Berücksichtigung der zuvor genannten Versichertenzeiten - rückwirkend für die Zeit ab 12.08.2007 eine eigene Versichertenrente gewährt wurde. Damit würden die Voraussetzungen von § 31 FRG vorliegen. Mit Bescheid vom 20.01.2012 in Gestalt des Bescheids vom 10.01.2013 sei der Bescheid vom 23.11.2010 deshalb mit Wirkung ab 01.01.2011 nach § 45 Abs. 2 SGB X aufgehoben worden und für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.01.2012 eine Überzahlung in Höhe von 4390,15 EUR festgestellt worden. Der dagegen erhobene Widerspruch sei nicht begründet. Die Versichertenzeiten nach dem FRG seien Grundlage ebenfalls für die Gewährung der tschechischen Rente. Dies sei vom tschechischen Träger mit Bescheid vom 02.01.2012 festgestellt worden. Mit Kenntnis dieses geänderten Sachverhalts sei die Rücknahme des Bescheids nach § 45 SGB X für die Zeit ab 01.01.2011 indiziert, da der Anspruch auf Zahlung der tschechischen Rente materiell-rechtlich bereits zum Zeitpunkt des Bescheids vom 23.11.2010 entstanden sei und damit zwingend für eine Rücknahme des Bescheids nach § 45 SGB X anzuwenden sei. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauen berufen, da er im Bescheid vom 23.11.2010 bereits auf § 31 FRG hingewiesen worden sei. Auch sei der Kläger mit Bescheid vom 23.11.2010 darauf hingewiesen worden, dass man das Rentenverfahren mit dem tschechischen Träger einleiten werde. Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, der Beklagten oder dem tschechischen Träger gegenüber den Aufschub oder Verzicht der tschechischen Rentenzahlung zu erklären. Dies sei nicht erfolgt. Auch sei erkennbar gewesen, dass die mit Bescheid vom 23.11.2010 festgesetzte Berechnung der Altersrente ab 01.01.2011 nicht verbindlich gewesen sei. Eine subjektive Schutzwürdigkeit bestehe nicht. Dass im Bescheid vom 20.01.2012 die eindeutige kassatorische Aussage zur Rücknahme des Bescheids vom 23.11.2010 für die Zeit ab dem 01.01.2011 nach § 45 Abs. 2 SGB X unterblieben sei, bleibe im Hinblick auf den Bescheid nach § 86 SGG vom 10.01.2013 unbeachtlich. Im Rahmen des Ermessens habe man berücksichtigt, dass die Beklagte zur sachgerechten und sparsamen Mittelverwendung verpflichtet sei, dass staatliches Handeln stets der Gesetzmäßigkeit bedürfe, dass der Gleichheitssatz zu beachten sei und inwieweit der Kläger sich auf Vertrauen stützen könne sowie, ob das finanzielle Auskommen gesichert sei. Der Kläger sei rechtzeitig informiert gewesen und hätte die Möglichkeit gehabt, eine Überzahlung durch eine Verzichtserklärung zu vermeiden. Die Behauptung keinerlei Rentenleistungen aus Tschechischen erhalten zu haben, sei durch die Angabe des Bevollmächtigten widerlegt. Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung des BSG vom 11.05.2011 (B 5 R 8/10 R) nicht einschlägig. Die mit Bescheid vom 20.01.2012 festgestellte Überzahlung sei deshalb zu erstatten gewesen. Hierbei müsse aber berücksichtigt werden, dass der Beklagten die Überzahlung bereits vollumfänglich vom Rentenversicherungsträger erstattet worden sei und mithin vom Kläger nicht zu erstatten sei.

Am 18.03.2013 hat der Kläger gegen die Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.

Mit Bescheid vom 22.05.2013 hat der Beklagte die Rente ab 01.07.2013 neu berechnet und die Rentenhöhe auf 783,27 EUR festgesetzt (Bl. 40 Gerichtsakte). Man gehe davon aus, dass der Bescheid nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werde (Bl. 59 Gerichtsakte).

Mit Schriftsatz vom 16.10.2013 hat der Kläger die Klage begründet. Es sei ihm nicht zumutbar, neben der Gewährung einer Rente durch die Beklagte jeweils eine tschechische Rente unter Vorlage von Lebensbescheinigungen in kürzeren Zeiträumen zu beantragen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar in Tschechien geboren wurde, jedoch anerkannter deutscher Staatsangehöriger sei. Er habe keine tschechische Rente selbst beantragt. Er habe auf Grund der vorgelegten Lebensbescheinigungen für das Jahr 2012 und für Januar und Februar 2013 tschechische Rentenleistungen erhalten (Bl. 62 Gerichtsakte).

Die Beklagte hat hierauf erwidert, dass die Lebensbescheinigungen viertel- oder halbjährlich vorzulegen seien. Die Beklagte habe keinen Einfluss auf die Auszahlungsmodalitäten durch den tschechischen Rentenversicherungsträger (Bl. 64 Gerichtsakte).

Mit Bescheid vom 14.02.2014 hat die Beklagte die Rentenhöhe ab 01.01.2014 angehoben (Bl. 78 Gerichtsakte).

Mit Schriftsatz vom 11.04.2014 hat der Kläger kritisiert, dass ihm durch die Wechselkurse finanzielle Nachteile entstehen könnten. Er fühle sich als Deutscher diskriminiert. Auch habe die Beklagte ihn durch die Stellung des Rentenantrags vor vollendete Tatsachen gestellt (Bl. 76 Gerichtsakte).

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.01.2012 in Gestalt des Bescheids vom 10.01.2013 und des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2013 sowie der Bescheide vom 11.04.2013, 22.05.2013 sowie des Bescheids vom 14.02.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab 01.01.2011 eine Altersrente ohne die Anrechnung seiner tschechischen Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.

A. Zunächst ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtmäßig.

I. Formelle Bedenken gegen das Vorgehen der Beklagten bestehen nicht. Der Kläger ist insbesondere vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids ordnungsgemäß angehört worden im Sinne des § 24 SGB X.

II. Der Bescheid und der Widerspruchsbescheid sind auch materiell-rechtlich rechtmäßig.

1. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid war auf § 48 Abs. 1 S.2 Nr. 4 SGB X und nicht auf § 45 SGB X zu stützen, was aber nicht zur Rechtswidrigkeit der Leistungsaufhebung führt.

Der ursprüngliche Leistungsbescheid war nämlich rechtmäßig. Das Hessische Landessozialgericht hat mit Urteil vom 18.10.2013 (L 5 R 130/13) zur Abgrenzung von § 45 SGB X und § 48 SGB X bei mit Ex-Tunc-Wirkung bewilligten Rentenleistungen entschieden:
"Anfänglich rechtswidrig im Sinne des § 45 SGB X ist ein Bescheid, wenn bei seinem Erlass entweder das Recht unrichtig angewandt oder aber von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Für die Frage, ob der Bescheid bereits bei seinem Erlass rechtswidrig war, kommt es darauf an, ob im Zeitpunkt seiner Erteilung eine andere Entscheidung als die getroffene hätte ergehen müssen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der "anfänglichen Rechtswidrigkeit" im Sinne des § 45 SGB X ist dabei der Zeitpunkt der Überprüfung. Das bedeutet, dass bei der Frage nach einer anfänglichen oder aber später eingetretenen Rechtswidrigkeit nicht auf die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten zur Zeit des Erlasses des ursprünglichen Bescheides abzustellen ist, sondern auf die zur Zeit der Überprüfung dieses Bescheides gegebenen Sachverhalte und bestehenden Rechtsauffassungen, so dass auch neue Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 71. Erg.-Lfg. 2011, § 45 SGB X Rn. 24).

War der ursprüngliche Bescheid allerdings – auch auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Überprüfung vorliegenden (weitergehenden) Erkenntnisse – seinerzeit zunächst rechtmäßig und ist er erst später infolge einer Änderung der Verhältnisse in Widerspruch zur Rechtsordnung geraten, dann richtet sich seine Aufhebbarkeit nach § 48 SGB X."

So liegt der Sachverhalt auch hier. Zum Zeitpunkt des ursprünglichen Leistungsbescheids war noch keine tschechische Rente bewilligt worden. Auch hatte die Beklagte in den Bescheid einen Vorbehalt aufgenommen in Erwartung einer sich möglicherweise ändernden Leistungshöhe des deutschen Rentenbescheids im Hinblick auf die tschechische Rente. Der ursprüngliche Rentenbescheid vom 23.11.2010 ist damit rechtmäßig gewesen, so dass § 48 SGB X richtige Ermächtigungsgrundlage war.

2. Auch liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S.2 Nr. 4 SGB X vor.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gem. § 48 Abs. 1 S.1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Der Verwaltungsakt soll gem. § 48 Abs. 1 S.2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,

2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,

3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder

4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Vorliegend ist im Hinblick auf § 31 FRG durch die rückwirkende Bewilligung der tschechischen Rente eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten.

Wird dem Berechtigten von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder an Stelle einer solchen eine andere Leistung gewährt, so ruht gem. § 31 Abs. 1 S.1 FRG die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrags, der als Leistung des Trägers der Sozialversicherung oder der anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird.

a) Die Rente wurde vorliegend auch rückwirkend für den Streitzeitraum tatsächlich gezahlt. Es liegt keine fiktive Anrechnung von Rentenleistungen vor. Die Vorschrift des § 31 FRG soll nach ihrem Sinn und Zweck, Doppelleistungen vermeiden (vgl. BSG, Urteil v. 11.05.2011 – B 5 R 8/10 R – Rn. 21). Dieses Ziel wurde durch die Anrechnung der tschechischen Rente auf die deutsche Altersrente erreicht.

b) Die Beklagte war auch dazu berechtigt, auf eine Auszahlung der tschechischen Rente hinzuwirken. Hierzu war die Beklagte nach Artikel 50 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 berechtigt:

Wird ein Leistungsantrag gestellt, so stellen gem. Art. 50 Abs. 1 EGV alle zuständigen Träger die Leistungsansprüche nach den Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten fest, die für die betreffende Person galten, es sei denn, die betreffende Person beantragt ausdrücklich, die Feststellung der nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erworbenen Ansprüche auf Leistungen bei Alter aufzuschieben.

In der Durchführungsverordnung vom 16.09.2009 – Verordnung (EG) Nr. 987/2009 heißt es in Art. 46 Abs. 2:

"Beantragt der Antragsteller nach Artikel 50 Absatz 1 der Grundverordnung, dass die Feststellung der nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erworbenen Altersrenten aufgeschoben wird, so hat er dies in seinem Antrag zu erklären und anzugeben, nach welchen Rechtsvorschriften er den Aufschub beantragt. Um dem Antragsteller die Ausübung dieses Rechts zu ermöglichen, teilen die beteiligten Träger ihm auf Verlangen alle ihnen vorliegenden Informationen mit, damit er die Folgen von gleichzeitigen oder nachfolgenden Feststellungen der ihm zustehenden Leistungen abschätzen kann."

Auch ist aus der Entscheidung des BSG vom 11.05.2011 ( – B 5 R 8/10 R – Rn. 29) der Hinweis zu entnehmen, dass bereits nach den vorhergehenden EG-Verordnungen der Rentenantrag in einem Mitgliedsstaat grundsätzlich das Leistungsfeststellungsverfahren in allen Mitgliedsstaaten auslöst, in denen Versichertenzeiten zurückgelegt sind. Es ist in diesem Zusammenhang von einem Grundsatz der europaweiten Wirkung der Rentenantragstellung die Rede, die "auch für den Berechtigten zwingend" sei. In der Randnummer 30 der Entscheidung heißt es:

"Angesichts dieser Bestimmungen kann ein Versicherter durch eine unterlassene Antragstellung eine Rentenleistung ... grundsätzlich nicht verhindern."

Die Beklagte war also zur Stellung eines Rentenantrags beim tschechischen Rentenversicherungsträger berechtigt. Sie hat den Kläger rechtzeitig über die beabsichtigte Rentenantragstellung beim tschechischen Rentenversicherungsträger informiert. Der Kläger hätte somit die Möglichkeit gehabt, einen Verzicht auf die tschechischen Rentenleistungen zu erklären. Dies hat er aber nicht gemacht, obwohl er hierzu vom Bescheid vom 23.11.2010 bis zur Leistungsbewilligung durch den tschechischen Rentenversicherungsträgers mehr als ein Jahr gehabt hätte.

c) Auch die vom Kläger beschriebenen Nachteile durch die Wechselkurse führen zu keiner anderen Beurteilung, da die Beklagte hierfür nicht zuständig ist. Das Problem der Wechselkurse ist bekannt und im deutschen Recht nach dem hierfür maßgeblichen (vgl. dazu: Bayerisches LSG; Urteil v. 23.11.2011 – L 13 R 890/10; SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 05.08.2011 – S 2 R 67/08) § 17a Abs. 3 SGB IV zu lösen. Der angewandte Umrechnungskurs bleibt gem. § 17a Abs. 3 SGB IV so lange maßgebend, bis

1. die Sozialleistung zu ändern ist,
2. sich das zu berücksichtigende Einkommen ändert oder
3. eine Kursveränderung von mehr als 10 vom Hundert gegenüber der letzten Umrechnung eintritt, jedoch nicht vor Ablauf von drei Kalendermonaten.

Der Gesetzgeber hat das Problem also geregelt und die jetzige Vorgehensweise somit für die Betroffenen als zumutbar angesehen.

d) Der Kläger wusste auf Grund des Vorbehalts in dem Leistungsbescheid vom 23.11.2010 auf der Seite 3, dass die Beklagte die tschechische Rente beantragen und voraussichtlichen auch anrechnen würde. Es liegen damit die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 S.2 Nr. 4 SGB X vor.

e) Eine Umdeutung eines Bescheids nach § 45 SGB X in einen Bescheid nach § 48 SGB X oder – wie es nach neuerer Rechtsprechung kategorisiert wird – ein entsprechender Austausch der Begründung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids ist zulässig (vgl. zusammenfassend: Schütze in: Von Wulffen / Schütze (Hrsg.), SGB X, 2014, § 43 Rn. 8). Da auch kein atypischer Fall vorliegt, konnte die Leistungsaufhebung auf § 48 Abs.1 S.2 Nr. 4 SGB X gestützt werden.

f) Fehler bei der Berechnung der Überzahlung sind nicht ersichtlich.

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid war somit rechtmäßig.

B. Aus den obigen Gründen ist auch die weitere Anrechnung der tschechischen Rente in den Folgezeiträumen dem Grunde nach rechtmäßig gewesen. Hinweise darauf, dass der Beklagten hierbei der Höhe nach Fehler unterlaufen sind, ergaben sich nicht.

Die Klage war daher insgesamt unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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