Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 4541/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1692/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. März 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer höheren Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Zugunstenverfahren streitig.
Der 1969 geborene Kläger erlitt am 30.10.2003 beim Entladen von Glasscheiben einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall. Dabei zog sich der Kläger eine vordere Beckenringfraktur - nicht dislozierte Fraktur des Darmbeines rechts sowie des vorderen Schambeinastes rechts und links - (Durchgangsarztbericht Professor Dr. R. vom 07.11.2003) sowie am rechten Auge ein Hornhautinfiltrat zu (Augenarztbericht Dr. D. vom 03.03.2004). Im Verlauf der Heilbehandlung stellten sich beim Kläger eine funktionelle Blasenentleerungsstörung, eine Erektionsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung und somatoforme Störung, eine Agoraphobie, eine reaktive Depression, eine Insomnie (Bericht der M. K. B. K. vom 06.09.2004) sowie ein pelvines Schmerzsyndrom (Bericht des Klinikums L. vom 13.07.2004) ein.
Die Beklagte ließ den Kläger begutachten. Dr. P. schätzte in seinem orthopädischen Zusammenhangsgutachten vom 13.01.2005 auf orthopädischem Gebiet die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v.H. ein. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. gelangte in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 21.03.2005 zu dem Ergebnis, auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen keine Unfallfolgen mehr vor. Eine durch Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet bedingte MdE bestehe nicht. Professor Dr. H. schätze in seinem urologischen Gutachten vom 13.06.2005 die MdE zwischen 20 und 40 v.H. ein.
Mit Bescheid vom 10.11.2005 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 28.04.2005 (Ende des Anspruchs auf Verletztengeld) Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v.H.
Gegen den Bescheid vom 10.11.2005 legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 40 v.H. geltend machte. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage (S 7 U 2229/06).
Während des anhängigen Klageverfahrens lies die Beklagte den Kläger hinsichtlich der Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit erneut begutachten. Dr. P. gelangte in seinem orthopädischen Zweiten Rentengutachten vom 16.05.2006 auf seinem Fachgebiet zu dem Ergebnis, an Unfallfolgen bestünden weiterhin eine chronifizierte Becken-Schmerzsymptomatik rechts betont bei röntgenologisch knöchern verheilter Schambeinastfraktur beidseits und in geringer Fehlstellung vermutlich knöchern verheilter Sitzbeinfraktur rechts mit funktioneller Störung des Kreuzdarmbeingelenkes rechts ohne peripher neurologische Ausfälle oder Nervenwurzelreizsymptomatik. Dr. P. schätzte die noch bestehende MdE auf 10 v.H. ein. Professor Dr. H. gelangte in seinen (zwei) der Beklagten am 31.08.2006 und 19.09.2006 vorgelegten Gutachten vom 29.08.2006 zu dem Ergebnis, wegen einer erektile Dysfunktion betrage die MdE zwischen 10 und 20 v.H. Folgezustände einer Harnröhrenverletzung mit stärkerer Beeinträchtigung, die im vorangegangenen Gutachten mit einer MdE zwischen 10 und 20 v.H. beziffert worden seien, bestünden nicht mehr. Es ergebe sich eine MdE von 15 v.H.
Nach Anhörung des Klägers bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19.10.2006 ab dem 01.11.2006 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden ein Belastungsdefizit im ehemaligen Verletzungsbereich des Beckens mit Blasenentleerungs- und Sexualfunktionsstörungen anerkannt. Der Bescheid werde kraft Gesetzes Gegenstand des anhängigen Verfahrens vor dem SG. Gegen den Bescheid vom 19.10.2006 legte der Kläger am 28.10.2006 Widerspruch ein.
Außerdem ließ das SG den Kläger begutachten. Professor Dr. W. gelangte in seinem urologischen Gutachten vom 03.05.2007 und der ergänzenden Stellungnahme vom 16.05.2007 zu dem Ergebnis, auf urologisch-andrologischem Gebiet sei der Kläger durch die erektile Dysfunktion und Miktionsbeschwerden seit dem 28.04.2005 um 25 v.H. und seit dem 01.11.2006 um 15 v.H. in der Erwerbsfähigkeit beschränkt. Die Miktionsbeschwerden hätten sich deutlich gebessert und die Erektionsstörung sei offensichtlich gut behandelbar. Unter Einschluss der Unfallfolgen auf orthopädischem Gebiet schätzte Professor Dr. W. die Gesamt-MdE seit dem 28.04.2005 auf 35 v.H. und ab dem 01.11.2006 auf 25 v.H. ein.
Die Beklagte unterbreitete dem Kläger ein Vergleichsangebot dahin, anstelle der Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v.H. ab 28.04.2005 bis zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit eine Rente nach einer MdE von 35 v.H. zu zahlen. Dieses Vergleichsangebot nahm der Kläger zur Erledigung des Rechtsstreites an (Schriftsatz vom 20.07.2007).
Mit Schreiben vom 10.08.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er aufgrund des beim SG geschlossenen Vergleichs im Zeitraum vom 28.04.2005 bis 31.10.2006 Verletztenrente nach einer MdE von 35 v.H. erhalte. Hiergegen wandte sich der Kläger am 18.10.2007. Er rügte die Befristung bis zum 31.10.2006 und berief sich auf den im Klageverfahren S 7 U 2229/06 geschlossenen Vergleich.
Am 11.08.2008 erhob der Kläger Klage beim SG (S 8 U 4008/08), mit der er beantragte, festzustellen, dass im Verfahren S 7 U 2229/06 kein Prozessvergleich dahingehend vereinbart worden sei, dass er ab dem 01.11.2006 Rente nach einer MdE von 20 v.H. erhalte sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach einer MdE von 35 v.H. ab dem 01.11.2006 zu gewähren. Aus dem Wortlaut der Vergleichsvereinbarung könne nicht entnommen werden, dass er über den 31.10.2006 hinaus lediglich eine Rentenzahlung nach einer MdE von 20 v.H. erhalte. Mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2009 wies das SG die Klage ab. Die vom Kläger gegen den Gerichtsbescheid beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 10 U 4116/09) wurde gerichtlich dahin verglichen, dass der Kläger seine Berufung zurücknimmt und sich die Beklagte verpflichtet, im Hinblick auf den Abrechnungsbescheid vom 10.08.2007 einen Widerspruchsbescheid zu erlassen (Niederschrift vom 10.07.2010).
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10.08.2007 zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 12.10.2010 beim SG Klage (S 11 U 5213/10) mit dem Ziel, in Rente nach einer MdE um 35 v.H., mindestens um 25 v.H., über den 31.10.2006 hinaus zu gewähren. Der Kläger berief sich auf das Gutachten von Professor Dr. W. vom 03.05.2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 16.05.2007. Diese Klage nahm der Kläger in der öffentlichen Sitzung des SG am 31.03.2011 zurück (Niederschrift vom 31.03.2011).
Am 05.04.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 19.10.2006 gemäß § 44 SGB X. Der Kläger bezog sich auf das Gutachten mit ergänzender Stellungnahme von Professor Dr. W ...
Mit Bescheid vom 19.05.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 19.10.2006 ab. Hiergegen legte der Kläger am 20.06.2011 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die sich aus dem Unfallfolgezustand ergebende MdE sei korrekt bewertet worden. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass von den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen zur Bemessung der MdE abgewichen worden sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 19.08.2011 Klage beim SG. Er berief sich zur Begründung auf die Vorgänge der bereits durchgeführten Klageverfahren. Im vorliegenden Rechtsstreit sei die Auslegung des Vergleichs vom 20.06.2007 streitig. Er sei der Auffassung, dass ihm aufgrund dieser Vorgänge ein Anspruch auf Rente nach einer MdE um 35 v.H. zustehe. Der Kläger berief sich auf das Gutachten von Professor Dr. W. und seiner ergänzenden Stellungnahme, der ab 01.11.2006 die MdE mit 25 v.H. eingestuft habe.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Gutachten aus den Jahren 2005 und 2007 hätten im Rechtsstreit beim SG S 7 U 2229/06 vorgelegen. Was mit der Annahme des Vergleichs am 20.06.2007 richtig gewesen sei, könne jetzt nicht unrichtig sein.
Mit Urteil vom 13.03.2013 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen des §§ 44 SGB X lägen nicht vor. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sei die Einschätzung der MdE auf unbestimmte Zeit, wie sie bereits in dem Gerichtsverfahren S 7 U 2229/06 streitig gewesen sei. Nach dem Gutachten von Professor Dr. W. ergebe sich ab 01.11.2006 keine MdE von mindestens 35 v.H., sondern Professor Dr. W. habe unter Berücksichtigung der MdE von 15 v.H. auf urologischem und 10 v.H. auf orthopädischem Gebiet addierend die MdE auf 25 v.H. eingeschätzt. Dieser Einschätzung sei die Beklagte zutreffend nicht gefolgt. Auch nebeneinander bestehende Funktionseinschränkungen seien nicht zu addieren, sondern als Gesamtbild zu würdigen. Eine Gesamt-MdE von 35 v.H. komme nicht in Betracht. Auch eine MdE von 25 v.H. scheide aus. Ergänzend sei anzuführen, dass es sich hier nicht um eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen handele, die bei einer Änderung der MdE von mehr als 5 v.H. zu erörtern wäre.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.03.2013 zugestellte Urteil richtet sich die vom Kläger am 17.04.2013 eingelegte Berufung. Er hat zur Begründung im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, ihm sei nach dem Gutachten von Professor Dr. W. eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 25 v.H. zu bewilligen. Nicht festzustellen sei, ob Professor Dr. W., wie von der Beklagten behauptet, eine einfache Addition durchgeführt habe. Dass bei einer integrierenden Gesamtschau der MdE die Gesamt-MdE immer niedriger als die Summe der Einzelschäden sei, wie vom SG angenommen, sei nicht zwingend. Richtig sei, dass die nebeneinander bestehenden Funktionseinschränkungen als Gesamtbild zu würdigen seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. März 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Zurücknahme des Bescheids vom 19. Oktober 2006 zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. ab dem 1. November 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Rechtsstreit ist in der nichtöffentlichen Sitzung am 25.03.2014 durch den Berichterstatter mit den Beteiligten erörtert worden. Im Termin am 25.03.2014 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Auf die Niederschrift vom 25.03.2014 wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die im vorliegenden Verfahren angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Gerichtsakten des SG S 7 U 2229/06, S 8 U 4008/08 und S 11 U 5213/10 sowie des Landessozialgerichts Baden-Württemberg L 10 U 4116/09 und drei Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.
Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Es kann deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von mindestens 25 v.H. ab dem 01.11.2006, wie der Kläger im Berufungsverfahren zuletzt beantragt hat. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2006 ist nicht rechtswidrig und der streitgegenständliche Bescheid vom 19.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2011 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m. w. H.).
Diese Voraussetzungen des § 44 SGB X sind beim Kläger nicht erfüllt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 25 v.H. ab dem 01.11.2006 zu. Der Bescheid vom 19.10.2006 ist, zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt seines Ergehens, nicht rechtswidrig.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).
Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 23 und 27; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; BSG Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R -; BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr. 1; Burchardt in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, Stand 2005, § 56 RdNr. 71). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R - veröffentlicht in juris m. H. auf BSG, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; Urteil vom 18. März 2003 a.a.O.).
Hiervon ausgehend sind die Folgen des von der Beklagten beim Kläger anerkannten Arbeitsunfalls vom 30.10.2003 mit einer Gesamt-MdE um 20 v.H. zu entschädigen, wie die Beklagte im Bescheid vom 19.10.2006 zutreffend entschieden hat.
Nach dem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten orthopädischen Zweiten Rentengutachten von Dr. P. vom 16.05.2006 lagen auf orthopädischem Gebiet als bestehende Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.10.2003 eine nicht verschobene Schambeinfraktur beidseits sowie eine nicht verschobene Sitzbeinastfraktur rechts mit chronifizierter Becken-Schmerzsymptomatik rechtsbetont vor. Die Schambeinastfraktur beidseits war knöchern verheilt. Dies galt in geringer Fehlhaltung vermutlich auch für die Sitzbeinfraktur rechts (röntgenologisch kein sichtbarer Pseudarthrosespalt). Es lag eine funktionelle Störung des Kreuzdarmbeingelenkes rechts (Hypomobilität) ohne peripher neurologische Ausfälle oder Nervenwurzelreizsymptomatik vor. Dr. P. beschreibt in seinem Gutachten weiter ein flüssiges Gangbild zu ebener Erde ohne sichtbares Hinken, eine freie Beweglichkeit der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke beidseits ohne wesentliche Einschränkung der Funktion der (Lenden-)Wirbelsäule. Nach den im versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen bestehen auf orthopädisch Gebiet damit keine verbliebenen Unfallfolgen, die eine MdE von über 10 v.H. rechtfertigen (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Berufsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 8.8.2.2, Seite 579). Insbesondere liegt eine instabile Beckenringfraktur nicht vor. Hiervon geht auch Dr. P. in seinem Gutachten vom 16.05.2006 aus, der auf seinem Fachgebiet die MdE mit 10 v.H. bewertet hat.
Als weitere verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.10.2003 bestanden beim Kläger nach dem urologischen Gutachten von Professor Dr. H. vom 29.08.2006 eine im Vergleich zur Vorbegutachtung vom 13.07.2005 deutlich rückläufige Blasenentleerungsstörung in Form einer Pollakisurie (vermehrtes Wasserlassen tagsüber), Anwarten von Miktion, mehrzeitiger Miktion und kleinen Miktionsmengen. Eine infravesikale Obstruktion bestand nicht. Eine mangelhafte Beckenbodenrelaxation unter Miktionsverhältnissen war nicht mehr nachweisbar und Folgezustände einer Harnröhrenverletzung mit stärkerer Beeinträchtigung der Miktion bestanden nicht mehr. Fortbestehend war außerdem eine erektile Dysfunktion ohne vaskuläre Störung. Von unfallbedingten geringgradigen Miktionsbeschwerden und einer unfallbedingten, gut behandelbaren erektilen Dysfunktion geht auch Professor Dr. W. in dem vom SG im Klageverfahren S 7 U 2229/06 eingeholten Gutachten vom 03.05.2007 aus. Eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung des Klägers durch die erektile Dysfunktion hat Prof Dr. W. in seinem Gutachten verneint. Beide Gutachter bewerten auf urologischem Gebiet übereinstimmend die MdE um 15 v.H. Diese übereinstimmende Bewertung entspricht den im versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O., Nr. 15.2.5., Seite 983, und 5.13 Seite 268). Insbesondere lagen eine Blasenschwäche schweren Grades bzw. eine Balseninkontinenz nicht vor. Die erektile Dysfunktion rechtfertigt eine MdE von 10 bis 20 v.H. Verbliebene Unfallfolgen, die nach den genannten Erfahrungssätzen eine MdE von 20 (oder mehr) rechtfertigen, beschreiben Professor Dr. H. und Professor Dr. W. in ihren Gutachten nicht.
Gegen die Bewertung der Teil-MdE auf orthopädischem und urologischem Gebiet hat sich der Kläger im Berufungsverfahren im Übrigen auch nicht gewandt.
Sonstige dauerhafte Unfallfolgen bestanden nicht und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Dies gilt - nach dem Gutachten der Nervenärztin J. - wegen temporär bestehender Störungen auf psychiatrischem Gebiet.
Neue Gesichtspunkte, die eine dem Kläger günstigere Bewertung der MdE zum Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides vom 19.10.2006 rechtfertigen, sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Ausgehend von einer bestehenden MdE um 10 v.H. auf orthopädischem Gebiet und einer MdE um 15 v.H. auf urologischem Gebiet ist die Bewertung des Gesamt-MdE durch die Beklagte im Bescheid vom 19.10.2006 mit 20 v.H. seit dem 01.11.2006 nicht zu beanstanden. Der davon abweichenden Ansicht von Professor Dr. W., auf die sich der Kläger beruft, kann nicht gefolgt werden. Professor Dr. W. addiert bei seiner Gesamt-Bewertung der MdE von 25 v.H. die auf orthopädischem Gebiet bestehende MdE von 10 v.H. und die auf urologischem Gebiet bestehende MdE von 15 v.H. Anders ist seine Gesamt-Bewertung der MdE von 25 v.H. nicht verständlich. Nach der Rechtsprechung des Senates ist eine Addition von aus unterschiedlichen Unfallfolgen sich ergebenden MdE-Werten zwar nicht ausgeschlossen. Eine Addition kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn keine Überschneidungen bestehen. Letzteres ist jedoch beim Kläger der Fall. Dr. P. berücksichtigt als verbliebene Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet - auch - eine chronifizierte Becken-Schmerzsymptomatik, die nach dem Gutachten von Professor Dr. W. auch zu einer Beeinträchtigung der Spontanmiktion führt. Weiter kommt es zu Überlagerungen hinsichtlich des im Bescheid vom 19.10.2006 als Unfallfolge anerkannten Belastungsdefizits im ehemaligen Verletzungsbereich des Beckens sowie den Miktionsbeschwerden und der erektilen Dysfunktion.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2006 erweist sich damit als rechtmäßig. Ein Anspruch auf Dauerrente nach einer MdE von über 20 v.H. steht dem Kläger nicht zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aufgrund des im Klageverfahren S 7 U 2229/06 geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs, wonach sich die Beklagte verpflichtete, anstelle der Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v.H. ab 28.04.2005 bis zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit eine Rente nach einer MdE von 35 v.H. zu bezahlen. Dieser Vergleich betrifft die - mit Bescheid vom 10.11.2005 bewilligte - Rente als vorläufige Entschädigung, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist. Unabhängig davon kam der Vergleich erst nach Ergehen des Bescheides vom 19.10.2006 durch die Erklärung des Klägers an das SG am 23.07.2007 zustande, und vermag damit die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 19.10.2006 zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt seines Ergehens nicht zu begründen.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer höheren Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Zugunstenverfahren streitig.
Der 1969 geborene Kläger erlitt am 30.10.2003 beim Entladen von Glasscheiben einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall. Dabei zog sich der Kläger eine vordere Beckenringfraktur - nicht dislozierte Fraktur des Darmbeines rechts sowie des vorderen Schambeinastes rechts und links - (Durchgangsarztbericht Professor Dr. R. vom 07.11.2003) sowie am rechten Auge ein Hornhautinfiltrat zu (Augenarztbericht Dr. D. vom 03.03.2004). Im Verlauf der Heilbehandlung stellten sich beim Kläger eine funktionelle Blasenentleerungsstörung, eine Erektionsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung und somatoforme Störung, eine Agoraphobie, eine reaktive Depression, eine Insomnie (Bericht der M. K. B. K. vom 06.09.2004) sowie ein pelvines Schmerzsyndrom (Bericht des Klinikums L. vom 13.07.2004) ein.
Die Beklagte ließ den Kläger begutachten. Dr. P. schätzte in seinem orthopädischen Zusammenhangsgutachten vom 13.01.2005 auf orthopädischem Gebiet die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v.H. ein. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. gelangte in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 21.03.2005 zu dem Ergebnis, auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen keine Unfallfolgen mehr vor. Eine durch Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet bedingte MdE bestehe nicht. Professor Dr. H. schätze in seinem urologischen Gutachten vom 13.06.2005 die MdE zwischen 20 und 40 v.H. ein.
Mit Bescheid vom 10.11.2005 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 28.04.2005 (Ende des Anspruchs auf Verletztengeld) Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v.H.
Gegen den Bescheid vom 10.11.2005 legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 40 v.H. geltend machte. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage (S 7 U 2229/06).
Während des anhängigen Klageverfahrens lies die Beklagte den Kläger hinsichtlich der Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit erneut begutachten. Dr. P. gelangte in seinem orthopädischen Zweiten Rentengutachten vom 16.05.2006 auf seinem Fachgebiet zu dem Ergebnis, an Unfallfolgen bestünden weiterhin eine chronifizierte Becken-Schmerzsymptomatik rechts betont bei röntgenologisch knöchern verheilter Schambeinastfraktur beidseits und in geringer Fehlstellung vermutlich knöchern verheilter Sitzbeinfraktur rechts mit funktioneller Störung des Kreuzdarmbeingelenkes rechts ohne peripher neurologische Ausfälle oder Nervenwurzelreizsymptomatik. Dr. P. schätzte die noch bestehende MdE auf 10 v.H. ein. Professor Dr. H. gelangte in seinen (zwei) der Beklagten am 31.08.2006 und 19.09.2006 vorgelegten Gutachten vom 29.08.2006 zu dem Ergebnis, wegen einer erektile Dysfunktion betrage die MdE zwischen 10 und 20 v.H. Folgezustände einer Harnröhrenverletzung mit stärkerer Beeinträchtigung, die im vorangegangenen Gutachten mit einer MdE zwischen 10 und 20 v.H. beziffert worden seien, bestünden nicht mehr. Es ergebe sich eine MdE von 15 v.H.
Nach Anhörung des Klägers bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19.10.2006 ab dem 01.11.2006 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden ein Belastungsdefizit im ehemaligen Verletzungsbereich des Beckens mit Blasenentleerungs- und Sexualfunktionsstörungen anerkannt. Der Bescheid werde kraft Gesetzes Gegenstand des anhängigen Verfahrens vor dem SG. Gegen den Bescheid vom 19.10.2006 legte der Kläger am 28.10.2006 Widerspruch ein.
Außerdem ließ das SG den Kläger begutachten. Professor Dr. W. gelangte in seinem urologischen Gutachten vom 03.05.2007 und der ergänzenden Stellungnahme vom 16.05.2007 zu dem Ergebnis, auf urologisch-andrologischem Gebiet sei der Kläger durch die erektile Dysfunktion und Miktionsbeschwerden seit dem 28.04.2005 um 25 v.H. und seit dem 01.11.2006 um 15 v.H. in der Erwerbsfähigkeit beschränkt. Die Miktionsbeschwerden hätten sich deutlich gebessert und die Erektionsstörung sei offensichtlich gut behandelbar. Unter Einschluss der Unfallfolgen auf orthopädischem Gebiet schätzte Professor Dr. W. die Gesamt-MdE seit dem 28.04.2005 auf 35 v.H. und ab dem 01.11.2006 auf 25 v.H. ein.
Die Beklagte unterbreitete dem Kläger ein Vergleichsangebot dahin, anstelle der Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v.H. ab 28.04.2005 bis zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit eine Rente nach einer MdE von 35 v.H. zu zahlen. Dieses Vergleichsangebot nahm der Kläger zur Erledigung des Rechtsstreites an (Schriftsatz vom 20.07.2007).
Mit Schreiben vom 10.08.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er aufgrund des beim SG geschlossenen Vergleichs im Zeitraum vom 28.04.2005 bis 31.10.2006 Verletztenrente nach einer MdE von 35 v.H. erhalte. Hiergegen wandte sich der Kläger am 18.10.2007. Er rügte die Befristung bis zum 31.10.2006 und berief sich auf den im Klageverfahren S 7 U 2229/06 geschlossenen Vergleich.
Am 11.08.2008 erhob der Kläger Klage beim SG (S 8 U 4008/08), mit der er beantragte, festzustellen, dass im Verfahren S 7 U 2229/06 kein Prozessvergleich dahingehend vereinbart worden sei, dass er ab dem 01.11.2006 Rente nach einer MdE von 20 v.H. erhalte sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach einer MdE von 35 v.H. ab dem 01.11.2006 zu gewähren. Aus dem Wortlaut der Vergleichsvereinbarung könne nicht entnommen werden, dass er über den 31.10.2006 hinaus lediglich eine Rentenzahlung nach einer MdE von 20 v.H. erhalte. Mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2009 wies das SG die Klage ab. Die vom Kläger gegen den Gerichtsbescheid beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 10 U 4116/09) wurde gerichtlich dahin verglichen, dass der Kläger seine Berufung zurücknimmt und sich die Beklagte verpflichtet, im Hinblick auf den Abrechnungsbescheid vom 10.08.2007 einen Widerspruchsbescheid zu erlassen (Niederschrift vom 10.07.2010).
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10.08.2007 zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 12.10.2010 beim SG Klage (S 11 U 5213/10) mit dem Ziel, in Rente nach einer MdE um 35 v.H., mindestens um 25 v.H., über den 31.10.2006 hinaus zu gewähren. Der Kläger berief sich auf das Gutachten von Professor Dr. W. vom 03.05.2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 16.05.2007. Diese Klage nahm der Kläger in der öffentlichen Sitzung des SG am 31.03.2011 zurück (Niederschrift vom 31.03.2011).
Am 05.04.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 19.10.2006 gemäß § 44 SGB X. Der Kläger bezog sich auf das Gutachten mit ergänzender Stellungnahme von Professor Dr. W ...
Mit Bescheid vom 19.05.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 19.10.2006 ab. Hiergegen legte der Kläger am 20.06.2011 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die sich aus dem Unfallfolgezustand ergebende MdE sei korrekt bewertet worden. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass von den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen zur Bemessung der MdE abgewichen worden sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 19.08.2011 Klage beim SG. Er berief sich zur Begründung auf die Vorgänge der bereits durchgeführten Klageverfahren. Im vorliegenden Rechtsstreit sei die Auslegung des Vergleichs vom 20.06.2007 streitig. Er sei der Auffassung, dass ihm aufgrund dieser Vorgänge ein Anspruch auf Rente nach einer MdE um 35 v.H. zustehe. Der Kläger berief sich auf das Gutachten von Professor Dr. W. und seiner ergänzenden Stellungnahme, der ab 01.11.2006 die MdE mit 25 v.H. eingestuft habe.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Gutachten aus den Jahren 2005 und 2007 hätten im Rechtsstreit beim SG S 7 U 2229/06 vorgelegen. Was mit der Annahme des Vergleichs am 20.06.2007 richtig gewesen sei, könne jetzt nicht unrichtig sein.
Mit Urteil vom 13.03.2013 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen des §§ 44 SGB X lägen nicht vor. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sei die Einschätzung der MdE auf unbestimmte Zeit, wie sie bereits in dem Gerichtsverfahren S 7 U 2229/06 streitig gewesen sei. Nach dem Gutachten von Professor Dr. W. ergebe sich ab 01.11.2006 keine MdE von mindestens 35 v.H., sondern Professor Dr. W. habe unter Berücksichtigung der MdE von 15 v.H. auf urologischem und 10 v.H. auf orthopädischem Gebiet addierend die MdE auf 25 v.H. eingeschätzt. Dieser Einschätzung sei die Beklagte zutreffend nicht gefolgt. Auch nebeneinander bestehende Funktionseinschränkungen seien nicht zu addieren, sondern als Gesamtbild zu würdigen. Eine Gesamt-MdE von 35 v.H. komme nicht in Betracht. Auch eine MdE von 25 v.H. scheide aus. Ergänzend sei anzuführen, dass es sich hier nicht um eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen handele, die bei einer Änderung der MdE von mehr als 5 v.H. zu erörtern wäre.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.03.2013 zugestellte Urteil richtet sich die vom Kläger am 17.04.2013 eingelegte Berufung. Er hat zur Begründung im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, ihm sei nach dem Gutachten von Professor Dr. W. eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 25 v.H. zu bewilligen. Nicht festzustellen sei, ob Professor Dr. W., wie von der Beklagten behauptet, eine einfache Addition durchgeführt habe. Dass bei einer integrierenden Gesamtschau der MdE die Gesamt-MdE immer niedriger als die Summe der Einzelschäden sei, wie vom SG angenommen, sei nicht zwingend. Richtig sei, dass die nebeneinander bestehenden Funktionseinschränkungen als Gesamtbild zu würdigen seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. März 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Zurücknahme des Bescheids vom 19. Oktober 2006 zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. ab dem 1. November 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Rechtsstreit ist in der nichtöffentlichen Sitzung am 25.03.2014 durch den Berichterstatter mit den Beteiligten erörtert worden. Im Termin am 25.03.2014 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Auf die Niederschrift vom 25.03.2014 wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die im vorliegenden Verfahren angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Gerichtsakten des SG S 7 U 2229/06, S 8 U 4008/08 und S 11 U 5213/10 sowie des Landessozialgerichts Baden-Württemberg L 10 U 4116/09 und drei Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.
Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Es kann deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von mindestens 25 v.H. ab dem 01.11.2006, wie der Kläger im Berufungsverfahren zuletzt beantragt hat. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2006 ist nicht rechtswidrig und der streitgegenständliche Bescheid vom 19.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2011 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m. w. H.).
Diese Voraussetzungen des § 44 SGB X sind beim Kläger nicht erfüllt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 25 v.H. ab dem 01.11.2006 zu. Der Bescheid vom 19.10.2006 ist, zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt seines Ergehens, nicht rechtswidrig.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).
Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 23 und 27; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; BSG Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R -; BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr. 1; Burchardt in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, Stand 2005, § 56 RdNr. 71). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R - veröffentlicht in juris m. H. auf BSG, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; Urteil vom 18. März 2003 a.a.O.).
Hiervon ausgehend sind die Folgen des von der Beklagten beim Kläger anerkannten Arbeitsunfalls vom 30.10.2003 mit einer Gesamt-MdE um 20 v.H. zu entschädigen, wie die Beklagte im Bescheid vom 19.10.2006 zutreffend entschieden hat.
Nach dem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten orthopädischen Zweiten Rentengutachten von Dr. P. vom 16.05.2006 lagen auf orthopädischem Gebiet als bestehende Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.10.2003 eine nicht verschobene Schambeinfraktur beidseits sowie eine nicht verschobene Sitzbeinastfraktur rechts mit chronifizierter Becken-Schmerzsymptomatik rechtsbetont vor. Die Schambeinastfraktur beidseits war knöchern verheilt. Dies galt in geringer Fehlhaltung vermutlich auch für die Sitzbeinfraktur rechts (röntgenologisch kein sichtbarer Pseudarthrosespalt). Es lag eine funktionelle Störung des Kreuzdarmbeingelenkes rechts (Hypomobilität) ohne peripher neurologische Ausfälle oder Nervenwurzelreizsymptomatik vor. Dr. P. beschreibt in seinem Gutachten weiter ein flüssiges Gangbild zu ebener Erde ohne sichtbares Hinken, eine freie Beweglichkeit der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke beidseits ohne wesentliche Einschränkung der Funktion der (Lenden-)Wirbelsäule. Nach den im versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen bestehen auf orthopädisch Gebiet damit keine verbliebenen Unfallfolgen, die eine MdE von über 10 v.H. rechtfertigen (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Berufsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 8.8.2.2, Seite 579). Insbesondere liegt eine instabile Beckenringfraktur nicht vor. Hiervon geht auch Dr. P. in seinem Gutachten vom 16.05.2006 aus, der auf seinem Fachgebiet die MdE mit 10 v.H. bewertet hat.
Als weitere verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.10.2003 bestanden beim Kläger nach dem urologischen Gutachten von Professor Dr. H. vom 29.08.2006 eine im Vergleich zur Vorbegutachtung vom 13.07.2005 deutlich rückläufige Blasenentleerungsstörung in Form einer Pollakisurie (vermehrtes Wasserlassen tagsüber), Anwarten von Miktion, mehrzeitiger Miktion und kleinen Miktionsmengen. Eine infravesikale Obstruktion bestand nicht. Eine mangelhafte Beckenbodenrelaxation unter Miktionsverhältnissen war nicht mehr nachweisbar und Folgezustände einer Harnröhrenverletzung mit stärkerer Beeinträchtigung der Miktion bestanden nicht mehr. Fortbestehend war außerdem eine erektile Dysfunktion ohne vaskuläre Störung. Von unfallbedingten geringgradigen Miktionsbeschwerden und einer unfallbedingten, gut behandelbaren erektilen Dysfunktion geht auch Professor Dr. W. in dem vom SG im Klageverfahren S 7 U 2229/06 eingeholten Gutachten vom 03.05.2007 aus. Eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung des Klägers durch die erektile Dysfunktion hat Prof Dr. W. in seinem Gutachten verneint. Beide Gutachter bewerten auf urologischem Gebiet übereinstimmend die MdE um 15 v.H. Diese übereinstimmende Bewertung entspricht den im versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O., Nr. 15.2.5., Seite 983, und 5.13 Seite 268). Insbesondere lagen eine Blasenschwäche schweren Grades bzw. eine Balseninkontinenz nicht vor. Die erektile Dysfunktion rechtfertigt eine MdE von 10 bis 20 v.H. Verbliebene Unfallfolgen, die nach den genannten Erfahrungssätzen eine MdE von 20 (oder mehr) rechtfertigen, beschreiben Professor Dr. H. und Professor Dr. W. in ihren Gutachten nicht.
Gegen die Bewertung der Teil-MdE auf orthopädischem und urologischem Gebiet hat sich der Kläger im Berufungsverfahren im Übrigen auch nicht gewandt.
Sonstige dauerhafte Unfallfolgen bestanden nicht und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Dies gilt - nach dem Gutachten der Nervenärztin J. - wegen temporär bestehender Störungen auf psychiatrischem Gebiet.
Neue Gesichtspunkte, die eine dem Kläger günstigere Bewertung der MdE zum Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides vom 19.10.2006 rechtfertigen, sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Ausgehend von einer bestehenden MdE um 10 v.H. auf orthopädischem Gebiet und einer MdE um 15 v.H. auf urologischem Gebiet ist die Bewertung des Gesamt-MdE durch die Beklagte im Bescheid vom 19.10.2006 mit 20 v.H. seit dem 01.11.2006 nicht zu beanstanden. Der davon abweichenden Ansicht von Professor Dr. W., auf die sich der Kläger beruft, kann nicht gefolgt werden. Professor Dr. W. addiert bei seiner Gesamt-Bewertung der MdE von 25 v.H. die auf orthopädischem Gebiet bestehende MdE von 10 v.H. und die auf urologischem Gebiet bestehende MdE von 15 v.H. Anders ist seine Gesamt-Bewertung der MdE von 25 v.H. nicht verständlich. Nach der Rechtsprechung des Senates ist eine Addition von aus unterschiedlichen Unfallfolgen sich ergebenden MdE-Werten zwar nicht ausgeschlossen. Eine Addition kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn keine Überschneidungen bestehen. Letzteres ist jedoch beim Kläger der Fall. Dr. P. berücksichtigt als verbliebene Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet - auch - eine chronifizierte Becken-Schmerzsymptomatik, die nach dem Gutachten von Professor Dr. W. auch zu einer Beeinträchtigung der Spontanmiktion führt. Weiter kommt es zu Überlagerungen hinsichtlich des im Bescheid vom 19.10.2006 als Unfallfolge anerkannten Belastungsdefizits im ehemaligen Verletzungsbereich des Beckens sowie den Miktionsbeschwerden und der erektilen Dysfunktion.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2006 erweist sich damit als rechtmäßig. Ein Anspruch auf Dauerrente nach einer MdE von über 20 v.H. steht dem Kläger nicht zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aufgrund des im Klageverfahren S 7 U 2229/06 geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs, wonach sich die Beklagte verpflichtete, anstelle der Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v.H. ab 28.04.2005 bis zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit eine Rente nach einer MdE von 35 v.H. zu bezahlen. Dieser Vergleich betrifft die - mit Bescheid vom 10.11.2005 bewilligte - Rente als vorläufige Entschädigung, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist. Unabhängig davon kam der Vergleich erst nach Ergehen des Bescheides vom 19.10.2006 durch die Erklärung des Klägers an das SG am 23.07.2007 zustande, und vermag damit die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 19.10.2006 zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt seines Ergehens nicht zu begründen.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor
Rechtskraft
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