L 10 U 5379/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 4081/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5379/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26.11.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

Der 1961 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Bäcker (1976 bis 1979) bis 1981 im erlernten Beruf. Im Anschluss an den nachgeholten Realschulabschluss arbeitete der Kläger ab 1983 für die Firma G. (künftig Arbeitgeber), zunächst im Labor-, Forschungs- und Entwicklungsbereich, ab Februar 1987 dann als Konfektionierer am Schneidwerk im Produktionsbereich. Seit einem Unfall im August 2010 ist der Kläger arbeitsunfähig.

Am 30.07.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit. Er trug vor, an seinem Arbeitsplatz werde Blattgelatine produziert. Durch das Abziehen der einzelnen Gelatine-Bahnen vom Nylonnetz entstehe ein "bratzelnder" Lärm. Der Kläger gab weiterhin an, als Schutzmaßnahme bestehe eine Plexiglasscheibe zur Schalldämmung. Im Rahmen ihrer Ermittlungen befragte die Beklagte die behandelnden Ärzte. Die HNO-Ärztin Dr. A.-W. berichtete von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Tinnitus beidseits und teilte mit, der Kläger habe ihr gegenüber angegeben, im Lärm zu arbeiten, dabei jedoch konsequent Gehörschutzkapseln zu tragen. Der HNO-Arzt Dr. S. berichtete von einer Hochtoninnenohrschwerhörigkeit rechts, einer pancochleären Schwerhörigkeit links mit Hochtonverlust sowie einem Tinnitus aurium beidseits; die Ursache sei jeweils unklar. Der Arbeitsgeber teilte mit, der Kläger sei an seinem Arbeitsplatz als Konfektionierer im Bereich des Schneidwerks seit Februar 1987 bis auf Weiteres keinen Lärmeinwirkungen von 85 dB ausgesetzt gewesen; vielmehr habe der Beurteilungspegel 82 dB betragen. Er verwies hierzu auf einen Messbericht der vormaligen BG Chemie vom Juli 1996 (Bl. 33 ff. VA) sowie einem Lärmmessbericht vom Oktober 2003 des Ingenieurbüros G. , welchen der Arbeitgeber veranlasst hatte (Bl. 42 ff. VA). Der Beklagte veranlasste weiterhin eine eigene Lärmermittlung durch den Geschäftsbereich Prävention (Bl. 48 ff. VA). Dieser ermittelte auf Grund von Messungen im März 2010 am Dünnblatttrockner, unmittelbar am Schneidwerk bei geöffneter Abdeckung, einen Tages-Lärmexpositionspegel von 85,1 dB (A) sowie bei geschlossener Abdeckung von 80,1 dB (A). Die weiteren Messorte am Dünnblatttrockner lagen unter 80 dB (A). Im März 2010 erstattete Dr. B. , HNO-Facharzt, eine Anzeige wegen des Verdachts einer BK-Lärmschwerhörigkeit unter Beifügung eines Hörtests. Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit ab, nachdem keine andauernde Lärmeinwirkung mit einem Beurteilungsschallpegel von mindestens 85 dB bestanden habe. Mit am 11.10.2010 zur Post aufgegebenem Widerspruchsbescheid vom 07.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am Montag, den 15.11.2010 Klage erhoben. Er habe seine Tätigkeit zunächst ohne jeglichen Gehörschutz durchgeführt. Später sei unbrauchbare Watte zur Verfügung gestellt worden. Die Umlenkwalze sei bis 2003 ohne Abdeckung betrieben worden; auch später sei die Haube während der Arbeitszeit meistens offen gestanden. Die Hörstörung sei zwischen 1997 und 1999 erstmalig aufgetreten und habe sich langsam stetig entwickelt. Das Sozialgericht hat nach Beiziehung von Befundunterlagen der behandelnden Ärzte ein Gutachten von Amts wegen bei Dr. Z. , Facharzt für Hals-, Nasen-, und Ohren-Heilkunde, in Auftrag gegeben. Der Sachverständige hat beim Kläger, gestützt auf eine ambulante Untersuchung im Juni 2011, eine hochgradige Schwerhörigkeit beidseits mit besonderer Beteiligung des Tieftonbereichs sowie einen Tinnitus im tiefen und höheren Frequenzbereich diagnostiziert. Der Hörschwellenverlauf, die Hörschwellenkonfiguration sowie ggf. die messtechnischen Daten durch den TAD würden gegen die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung dieser Gesundheitsstörungen sprechen. Die Progredienz der Hörverminderung vor allem im tiefen und mittleren Frequenzbereich spreche vielmehr für eine anlagebedingte, endogene Veränderung. Mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat, gestützt auf das Gutachten des Dr. Z. , einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen berufsbedingtem Lärm und der Schwerhörigkeit des Klägers als nicht wahrscheinlich erachtet.

Gegen den dem Kläger am 04.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 27.12.2012 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, gerade die Beeinträchtigung im Tieftonbereich spreche dafür, dass nicht nur eine beginnende Lärmschwerhörigkeit vorliege, sondern bereits eine ausgeprägte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26.11.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2010 zu verpflichten, eine Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen, insbesondere in Form von Verletztenrente.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, nach dem Gutachten von Dr. Z. würden mehr Argumente gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit als dafür sprechen.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat eine Begutachtung durch Prof. Dr. R. , Leiter des Zentrums für Musikermedizin am Universitätsklinikum Freiburg, veranlasst. Der Sachverständige hat in seinem Hals-Nasen-Ohren-fachärztlichen Gutachten, beruhend u. a. auf einer Untersuchung des Klägers im Oktober 2013, bei diesem eine Schwerhörigkeit mit begleitendem Tinnitus diagnostiziert. Es seien sowohl die tiefen und mittleren als auch die hohen Frequenzen betroffen. Er schließe sich der Einschätzung des Dr. Z. an, wonach keine ausreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Schwerhörigkeit und der Tinnitus durch die berufliche Lärmexposition verursacht oder verschlimmert worden sind. Der Kläger hat dem Sachverständigen eine als "Gutachten" bezeichnete betriebsinterne Beurteilung im Rahmen des innerbetrieblichen Verbesserungswesens vom Februar 2003 vorgelegt, wonach die - auf Anregung des Klägers - erfolgte Installation einer Schallschutzhaube zu einer beachtlichen Lärmreduzierung im Bereich des Schneidwerks geführt habe (zu den Einzelheiten vgl. Bl. 56 Senatsakte).

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist in erster Linie die Anerkennung einer BK 2301 der Anlage 1 zur BKV. Die insoweit erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidungen. Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 3) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer BK als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles und damit auf eine Berufskrankheit übertragbar BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 20).

Soweit der Kläger daneben die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von "Entschädigung", insbesondere in Form von Verletztenrente, begehrt, ist die Klage unzulässig (vgl. - auch zum Nachfolgenden - BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5). Denn über die Gewährung von Sozialleistungen ist vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren zu befinden, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, gegen den die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), weil auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zwischen Versicherungsfall - siehe die Definition der Versicherungsfälle in §§ 7 ff. des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) - und Leistungsfall - vgl. die §§ 26 ff. SGB VII - zu unterscheiden ist. Eine derartige Entscheidung der Beklagten liegt nicht vor. Im angefochtenen Bescheid ist die vom Kläger begehrte Leistung mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr entschied die Beklagte nur über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301.

Aber auch soweit die Klage zulässig ist, hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg; das Sozialgericht hat die Klage auch insoweit zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 13.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Erkrankung des Klägers als BK 2301 anzuerkennen. Denn das Vorliegen einer solchen BK ist beim Kläger nicht festzustellen. BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte in Folge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV auch die Lärmschwerhörigkeit.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann beim Kläger das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV nicht festgestellt werden.

So ist schon nicht erwiesen, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Chemiearbeiter bei der Firma G. - und nur für diese Zeit kommt eine relevante Lärmbelastung überhaupt in Betracht - einer belangvollen, und damit den für die Entwicklung von Hörstörungen maßgeblichen Grenzwert von 85 dB (A) überschreitenden Lärmexposition ausgesetzt wurde. Eine Lärmschwerhörigkeit setzt aber eine ausreichend hohe und ausreichend lange Lärmbelastung voraus (vgl. - auch zum Nachfolgenden - Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur BK 2301 vom 01.07.2008, GMBl. 2008, S. 798). So besteht bei einem Tages-Lärmexpositionspegel von mehr als 90 dB (A) und langandauernder Einwirkung für einen be¬trächtl¬ichen Teil der Betroffenen die Gefahr einer Gehörschädigung. Gehörschäden werden im Übrigen bereits durch langjährigen Lärm verursacht, dessen Tageslärmexpositionspegel einen Wert von 85 dB (A) erreicht oder überschreitet. Lag dagegen die Lärmexposition durchweg unter 85 dB (A), so ist eine Lärmschwerhörigkeit ausgeschlossen, es sei denn, der Geräuschpegel enthält stark hochfrequente Frequenzanteile, die für das Gehör besonders schädigend sind (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 329).

Die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der BG Chemie, im Juni 1996 durchgeführten Lärmmessungen ergaben einen sogenannten ortsbezogenen Beurteilungspegel von 81 dB (A) je Tagesschicht für die Arbeitsbereiche des Klägers. Auch im Rahmen einer durch das Ingenieurbüro G. im Auftrag des Arbeitgebers durchgeführten Lärmmessung im Herbst 2003 konnte an keinem der Arbeitsbereiche des Klägers ein Lärmpegel von wenigstens 85 dB (A) festgestellt werden. Die vom Präventionsdienst der Beklagten im März 2010 durchgeführte Lärmermittlung am Arbeitsplatz bestätigte diese Messergebnisse. So ergaben die durchgeführten Messungen im Arbeitsbereich des Klägers einen gemittelten Tageslärmexpositionspegel von maximal 80 dB (A) im Normalbetrieb. Lediglich unmittelbar am Schneidwerk des Dünnblatttrockners, bei geöffneter Abdeckung, wurde ein Tageslärmexpositionspegel von 85,1 dB (A) ermittelt. Selbst wenn man dem Vortrag des Klägers folgend aber davon ausgehen will, dass die Schutzabdeckung am Schneidwerk regelmäßig entfernt war bzw. vor 2003 eine solche Schutzabdeckung gar nicht vorhanden war und er - entgegen seiner Angaben gegenüber Dr. A.-W. - nicht regelmäßig einen ausreichenden Gehörschutz trug, so ist zu berücksichtigen, dass die Trocknungs- und Verpackungsanlage pro Schicht von vier Beschäftigten bedient wurde, die sich ständig an den einzelnen Arbeitsplätzen abwechselten (vgl. hierzu den Bericht zur Lärmermittlung des Präventionsdienstes der Beklagten). Damit ist aber ausgeschlossen, dass der Kläger die gesamte Tagesarbeitsschicht in unmittelbarer Nähe des Schneidwerks (mit geöffneter bzw. nicht vorhandener Abdeckung) verbrachte und die auf den Tag gemittelte Lärmexposition wenigstens 85 dB (A) betrug. Dabei sind für den Senat keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die von der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin sowie vom Arbeitgeber ermittelten Lärmwerte nicht zutreffend nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft ermittelt wurden. Dem entsprechend bedarf es keines weiteren arbeitstechnischen Gutachtens. Die Richtigkeit der von der Beklagten bzw. vom Arbeitgeber ermittelten Lärmwerte wird insbesondere nicht durch ein vom Kläger vorgelegtes "Gutachten" vom Februar 2003 im Rahmen des innerbetrieblichen Verbesserungswesens in Frage gestellt. Denn aus den spärlichen Angaben in diesem Schreiben ("ohne Schallschutz: 87 dB (A), mit Schallschutzhaube: 82 dB (A)") geht schon nicht hervor, ob es sich hierbei um den Tageslärmexpositionspegel handelt. Auch den vom Kläger vorgetragenen höheren Lärmwerten fehlt es an der gebotenen Validierung: weder ist ersichtlich, in welcher Weise der Kläger diese ermittelte, noch an welchen Messpunkten. Vor diesem Hintergrund kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger einer Tages-Lärmexposition von wenigstens 85 dB (A) oder mehr ausgesetzt war.

Der Kläger war auch keinem besonderen Impulslärm ausgesetzt. Solche sehr kurzen Spitzenschalldruckpegel sind gesondert zu betrachten, weil sich der Entschädigungsmechanismus von dem einer chronischen Lärmeinwirkung niedriger Intensität unterscheidet (Merkblatt a.a.O.). Voraussetzung ist indes, dass es sich um Schallereignisse mit einer Intensität von mehr als 137 dB (C) handelt, weil nur dann die Gefahr einer direkten mechanischen Schädigung des Innenohrs besteht (Merkblatt a.a.O.). In keinem der drei vorgenommenen Lärmermittlungen konnten indes Spitzenschalldruckpegel mit mehr als 110 dB (C) ermittelt werden (Höchstwert im Rahmen der Lärmermittlung 1996: 107 dB (C), im Rahmen der Lärmermittlung im März 2010: 110 dB (C)). Zusammenfassend fehlt es danach bereits an einer ausreichend hohen und ausreichend langen Lärmexposition als Voraussetzung für die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit.

Unbeschadet dessen sprechen aber auch Art, Ausmaß und Entwicklung der Schwerhörigkeit beim Kläger gegen die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung. Dies hat das Sozialgericht auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. Z. zutreffend entschieden. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung, die er sich in vollem Umfang zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Die im Verlaufe des Berufungsverfahrens durchgeführte Beweisaufnahme rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Vielmehr stehen die von Prof. Dr. R. erhobenen Befunde sowie dessen Einschätzung in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. Z ... Darüber hinaus weist Prof. Dr. R. zutreffend auf ein Missverhältnis zwischen der Schwerhörigkeit in dem Ausmaß, wie sie der Kläger entwickelt hat, und der Lärmexposition - selbst bei einem unterstellten Tages-Lärmexpositionspegel von knapp oberhalb von 85 dB (A) -hin. Unabhängig davon, ob der Kläger regelmäßig Gehörschutz trug, steht fest, dass selbst bei fehlendem Gehörschutz die Lärmpegel nicht so ausgeprägt gewesen wären, dass sich daraus eine Schwerhörigkeit in dem beim Kläger vorhandenen Ausmaß hätte entwickeln können. Denn die beim Kläger vorliegende, ausgeprägte Schwerhörigkeit aufgrund von Lärmexpositionen ist sehr selten und wird nur bei exzessiven und langanhaltenden Pegelexpositionen erreicht (so Prof. Dr. R. ). Ein solch auffälliges Missverhältnis zwischen Schwere der Hörstörung und Intensität der Lärmexposition spricht eher für degenerative Prozesse (Merkblatt a.a.O.). Nachvollziehbar erachtet Prof. Dr. R. es für unwahrscheinlich, dass sich selbst bei einem Lärmpegel über 85 dB (A) eine Schwerhörigkeit in dem beim Kläger vorhandenen Ausmaß lärmbedingt gebildet haben könnte. Somit würden auch bei zugunsten des Klägers unterstellter relevanter Lärmexposition die nichtarbeitsbedingten Anteile der Schwerhörigkeit ganz erheblich überwiegen. Ein sicheres Abgrenzen dieser Anteile wäre nicht möglich, weshalb auch für diesen Fall mangels hinreichend wahrscheinlich gemachter Kausalität eine Lärmschwerhörigkeit abzulehnen wäre (Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit - Königssteiner Empfehlung, herausgegeben von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Stand März 2012, S. 29).

Ist bereits nach dem bisher Ausgeführten die erforderliche Lärmexposition zu verneinen bzw. die Kausalität der arbeitsbedingten Lärmexposition für die Schwerhörigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich, erscheint viel eher eine solche Kausalität unwahrscheinlich, kann dahin gestellt bleiben, ob beim Kläger eine Innenohrschwerhörigkeit vorliegt. Die Lärmschwerhörigkeit ist stets eine Schallempfindungsschwerhörigkeit vom Haarzelltyp, d. h. eine Innenohrschwerhörigkeit und keine Schallleitungsstörung (Merkblatt a.a.O.). Bereits Dr. Z. ist in einer Gesamtschau der Befunde weniger von einem Innenohrproblem, sondern eher von einem zentralen Geschehen ausgegangen. Auch Prof. Dr. R. hat vor dem Hintergrund eines positiven Nachweises von TEOAE (transitorisch evozierte otoakustische Emissionen) als Hinweis auf eine normale Funktion der Haarzellen sowie des Nachweises einer normalen Interpeaklatenz sich letztlich nicht vom Vorliegen einer reinen Innenohrschwerhörigkeit überzeugen können. Vor dem Hintergrund, dass eine Lärmschwerhörigkeit bereits aus den vorgenannten Gründen abzulehnen ist, bedarf diese Frage letztlich keiner endgültigen Klärung.

Liegt damit schon kein lärmbedingter Hörverlust vor, so kommt auch ein lärmbedingter Tinnitus nicht in Betracht. Den letzteren gibt es nicht ohne ersteren (vgl. Königsteiner Empfehlung a.a.O., Seite 29).

Inwieweit die Gesundheitsstörungen des Klägers und die im Rahmen des Verfahrens vom Kläger vorgetragenen weiteren Gesundheitsstörungen Gegenstand anderer Berufskrankheiten bzw. Arbeitsunfälle sein könnten, ist nicht streitgegenständlich und daher nicht zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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