L 7 AS 62/14 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AS 1758/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 62/14 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei unbezifferten Klagebegehren, die auf höhere Leistungen nach dem SGB II wegen geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe ab 2011 gerichtet sind, ist für die Berechnung des Beschwerdewertes von Beträgen auszugehen, die einem Mehrbetrag von 15 % der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechen (Fortführung der Rechtsprechung des Senats; SächsLSG, Beschluss vom 15.04.2014 - L 7 AS 1126/13 B PKH).
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 15. November 2013 wird verworfen.

Gründe:

I.

Die Klägerinnen begehren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren, in dem höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.07.2013 streitig sind.

Mit Bewilligungsbescheid vom 15.01.2013 bewilligte das beteiligte Jobcenter den Klägerinnen für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis 31.07.2013 Leistungen in Höhe von 738,84 EUR. Als Bedarf für Unterkunft und Heizung wurden 420,00 EUR monatlich anerkannt. Der Widerspruch, den der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen damit begründete, die in Ansatz gebrachte Regelleistung sei verfassungswidrig und der Bescheid dahingehend unter einen Vorbehalt zu stellen, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2013 zurückgewiesen (W-07804-00755/13).

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen am 15.04.2013 beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben und unter Bezugnahme auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Fragen geltend gemacht, die in Ansatz gebrachten Regelsätze seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Außerdem deckten die in der Regelleistung für Haushaltsstrom beinhalteten Anteile den monatlichen Stromabschlag nicht. Die Klägerinnen hätten einen Anspruch gemäß § 21 Abs. 6 SGB II in Höhe der Differenz der nicht gedeckten Stromkosten gegenüber dem Beteiligten. Zugleich hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe und seine Beiordnung beantragt und am 17.05.2013 den ausgefüllten Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zu 1 nebst Anlagen vorgelegt. Ferner hat er gerügt, die Einkommensanrechnung sei nicht nachvollziehbar und monatlich zahle die Klägerin zu 1 einen Riesterrentenbeitrag. Der Bescheid leide an Begründungsmängeln. Es werde das Ruhen des Verfahrens beantragt. Der Beteiligte ist der Klage entgegengetreten; insbesondere seien die Aufwendungen für Haushaltsenergie vollumfänglich aus dem monatlichen Regelbedarf zu bestreiten. Einkommen würde nicht angerechnet, so dass es auf den Riesterrentenbeitrag nicht ankomme.

Nachdem sich der Beteiligte mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt hat, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 30.10.2013 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Mit Beschluss vom 15.11.2013 hat es die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kammer sehe keine Anhaltspunkte für eine fehlende Vereinbarkeit des Regelbedarfs für Alleinstehende im streitgegenständlichen Zeitraum mit der Verfassung. Den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 sei der Gesetzgeber mit der Neufestsetzung des Regelbedarfs für Alleinstehende in dem Zeitraum ab 01.01.2011 gerecht geworden. Die Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende sei nicht evident zu niedrig. Mit Urteil vom 28.03.2013 habe das Bundessozialgericht (BSG) zudem die Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für Erwachsene in einem Paarhaushalt mit Kind und für Kinder bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres bejaht. Ein Anspruch auf Ausgleich der nicht von den in der Regelleistung enthaltenen Anteilen gedeckten Stromkosten nach § 21 Abs. 6 SGB II bestehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Dass die Kläger die monatlichen Stromabschläge nicht über die Regelleistung decken könnten, hätten diese noch nicht einmal vorgetragen. Es sei ihnen zumutbar, den überschießenden Strombetrag über Einsparungen im Hinblick auf andere Anteile der Regelleistung zu kompensieren. Die Berechnung der monatlichen Leistungen sei rechnerisch korrekt und nachvollziehbar. Die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens sei korrekt ermittelt. Die zugrunde gelegten Bedarfe einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung seien in richtiger Höhe zugrunde gelegt. Gegen diesen Beschluss sei die Beschwerde statthaft.

Mit der am 20.12.2013 beim Sozialgericht und am 08.01.2014 beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingegangenen Beschwerde wendet sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen gegen den ihm am 21.11.2013 oder am 25.11.2013 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts zur Ablehnung von Prozesskostenhilfe. Der Beschluss sei grob rechtswidrig. Der Klage könne der Erfolg nicht versagt werden. Wegen der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen sei die Beiordnung zudem notwendig. Das Sozialgericht habe sich mit der Problematik überhaupt nicht auseinander gesetzt und die dazu eingeholten Gutachten nicht beachtet, ebenso wenig, dass es vorliegend nicht um den Regelbedarf für Alleinstehende gehe. Verwunderlich sei, dass ein Ruhen des Verfahrens für zweckmäßig befunden, nunmehr aber die Erfolgsaussicht der Klage verneint worden sei.

Die Klägerinnen beantragen sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.11.2013 aufzuheben und ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

Er trägt vor, der erforderliche Beschwerdewert von mehr als 750,00 EUR sei nicht erreicht. Außerdem fehle dem Prozesskostenhilfebegehren bereits das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerinnen insoweit den Ausgang des sog. unechten Musterverfahrens abwarten könnten.

Dem Senat hat die Gerichtsakte einschließlich des Prozesskostenhilfebeihefts vorgelegen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 15.11.2013 ist nicht zulässig. Sie ist schon nicht statthaft, da der Beschwerdewert von mehr als 750,00 EUR nicht erreicht ist.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1, 3 Nr. 2b Sozialgerichtsgesetz (SGG) n.F. i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG mangels Erreichen der Berufungssumme ausgeschlossen.

§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2b SGG in der Fassung des Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-NOG) vom 19.10.2013 (BGBl. I S. 3836 ff.) ist gemäß Art. 17 Abs. 1 BUK-NOG seit dem Tag nach seiner Verkündung, mithin seit dem 25.10.2013 in Kraft. Diese ohne Übergangsregelung zum 25.10.2013 eingeführte Fassung des § 172 SGG findet im vorliegenden Fall Anwendung, da der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 15.11.2013 stammt (vgl. zur Rechtslage vor dem 25.10.2013: SächsLSG, Beschluss vom 18.11.2013 – L 7 AS 287/11 B PKH, juris).

Nach § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2b SGG n.F. ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf auch nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung die Berufung nach wie vor der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die – wie hier – eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, den Betrag von 750,00 EUR nicht übersteigt und es sich nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr handelt.

Bei unbezifferten Klageanträgen hat das Berufungs- bzw. Beschwerdegericht den Wert des Beschwerdegegenstandes selbst zu ermitteln (BSG, Urteil vom 14.08.2008 – B 5 R 39/07 R, RdNr. 11 ff. und Urteil vom 02.06.2004 – B 7 AS 38/03 R; SächsLSG, Beschluss vom 15.01.2014 – L 2 AS 2080/13 B PKH; SächsLSG, Beschluss vom 05.03.2014 – L 8 AS 1557/13 B PKH; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, RdNr. 15b). Bei der Berechnung ist von der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers auszugehen. Das gilt dann nicht, wenn offensichtlich ist, dass der Beschwerdewert missbräuchlich auf einen über 750,00 EUR hinausgehenden Betrag gewählt worden ist, um die Berufungssumme zu überschreiten, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes darf nicht willkürlich durch überhöhte Wertangaben eines in diesem Umfang offensichtlich nicht bestehenden Anspruchs erreicht werden (Frehse in Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 144 RdNr. 8a m.w.N.).

Streitgegenstand im Klageverfahren beim Sozialgericht sind nach dem Klageantrag des Prozessbevollmächtigten die Leistungsgewährung nach dem SGB II für die zwei Klägerinnen in der Zeit vom 01.01.2013 bis 31.01.2013, also für einen Monat. Der streitige Leistungsanspruch ist bisher nicht beziffert worden. Soweit die Klägerinnen die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung für den streitigen Zeitraum geltend machen und sich hierzu auf die Verfahren beim Bundesverfassungsgericht beziehen, ohne dies weiter zu präzisieren, kann der Senat nur die dort zur Frage der Verfassungswidrigkeit der ab 2011 geltenden Regelbedarfe eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen der Sozialverbände berücksichtigen (vgl. Beschluss des Senats vom 15.04.2014 – L 7 AS 1126/13 B PKH, juris). Darin werden z.B. für 2013 Regelleistungen für Alleinstehende, die 50,00 EUR bis 60,00 EUR über dem gesetzlich vorgesehenen Regelsatz von monatlich 382,00 EUR liegen, als existenzsichernd angesehen. Übereinstimmend gelangen die Gutachter zu maximal 15% höheren Werten für die verschiedenen Regelbedarfsstufen. Bezogen auf den Bedarf von Kindern und Jugendlichen führt die Diakonie aus, dass die Kinderregelsätze bei der Rechtsänderung in 2011 nicht hätten stagnieren dürfen, sondern für Kinder unter 6 Jahren um 11 EUR, für Kinder von 6 bis 13 Jahren um 37 EUR und für Kinder von 14 bis 17 Jahren um 31 EUR hätten erhöht werden müssen (so z.B. Stellungnahme der Diakonie Deutschland vom 20.08.2013 in den Verfahren 1 BvG 10/12 und 1 BvG 12/12, S. 18). Da eine überschlägige Berechnung insoweit ausreichen kann (BSG, Urteil vom 02.06.2004 – B 7 AL 38/03 R, juris, RdNr. 13), geht der Senat bei unbezifferten Klageanträgen, die auf höhere Leistungen wegen geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe ab 2011 gerichtet sind, derzeit von Beträgen aus, die einem Mehrbetrag von 15 % der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechen.

Hieraus resultiert im vorliegenden Verfahren ein Wert für höhere Regelbedarfe von 360,00 EUR (6 Monate x 60,00 EUR) sowie dementsprechend 43,20 EUR (6 Monate x 7,20 EUR) als (weiteren) Mehrbedarf für Alleinerziehende für die Klägerin zu 1. Für die 2003 geborene Klägerin zu 2, für die die Regelbedarfsstufe 5 maßgeblich ist, errechnen sich Mehrleistungen von 240,00 EUR (6 Monate x 40,00 EUR). Für den geltend gemachten Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II könnte allenfalls der monatlich fällige Abschlag für Strom in Höhe von 31,00 EUR, wie er den hier vorliegenden Kopien der Kontoauszüge der Klägerin zu 1 zu entnehmen ist, abzüglich des im Regelbedarf enthaltenen Anteils für Haushaltsenergie hinzukommen. Für die Regelbedarfsstufe 1, die für die Klägerin zu 1 maßgeblich ist, beträgt dieser Anteil schon 29,69 EUR (7,7720 %); zu berücksichtigen sind weitere 10,79 EUR nach der Regelbedarfsstufe 5 (Fortschreibung der Werte von 2011 für 2013, siehe z.B. Rundschreiben des Sozialministeriums Baden-Württemberg vom 24.10.2011, Az.: 42-5011.3-28). In der Summe errechnet sich damit eine geltend gemachte Beschwer durch den angegriffenen Bewilligungsbescheid vom 15.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2013 vom maximal 643,20 EUR. Damit wird auch bei für die Klägerinnen günstigster Betrachtung der Beschwerdewert gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,00 EUR für eine zulassungsfreie Berufung nicht erreicht.

Die Zulässigkeit der Beschwerde der Klägerinnen folgt schließlich auch nicht aus der Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts. Eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung kann kein Rechtsmittel schaffen, das vom Gesetz nicht vorgesehen ist (st.Rspr.). Daher ist die Beschwerde zu verwerfen.

Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei gemäß § 183 SGG. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 202 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Anders Brügmann Wagner
Rechtskraft
Aus
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