L 11 R 1487/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 5738/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1487/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14.02.2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 6.448,56 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Beitragsnachforderung für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis 31.12.2007 in Höhe von 13.855,76 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe weiterer 11.938,50 EUR, dh insgesamt 25.794,26 EUR.

Der Antragsteller zog am 01.09.2002 von A., Hessen, nach K ... Am 01.10.2002 meldete er beim Gewerbeamt K. ein Einzelunternehmen "M. D. e.K" für Mietwagenverkehr (ab 15.11.2005 zusätzlich Taxenverkehr) an.

Seit dem Jahr 2005 wurde gegen den Antragsteller wegen des Verdachts von Manipulation an den Kilometerständen der Fahrzeuge, der Beschäftigung von nicht angemeldeten Arbeitnehmern und der nicht ordnungsgemäßen Führung von Dokumentationslisten ermittelt. Ein im gleichen Jahr eingeleitetes Ermittlungsverfahren des Hauptzollamts L. bezüglich der genannten Tatbestände wurde aufgrund mangelnder Beweise zunächst eingestellt.

Nach dem Verkauf eines Mietwagens durch die Firma des Antragstellers wurde bei Wartungsarbeiten an dem Fahrzeug im Jahr 2008 anhand der Fahrzeughistorie der V. AG festgestellt, dass die Kilometerleistung manipuliert war. Zur Zeit der durchgeführten Manipulation war das Fahrzeug im Besitz des Antragstellers. Die Verkehrspolizei O. ermittelte daher gegen den Antragsteller ua wegen des Verdachts des Missbrauchs von Wegstreckenzählern. Aufgrund einer Anzeige der Polizei wurde am 19.05.2009 gegen den Antragsteller ein Steuerstrafverfahren eingeleitet. Insoweit erfolgte eine Untersuchung der Polizei und der Steuerfahndung am 29.07.2009.

Im Zuge der Ermittlungen konnte bei 13 Fahrzeugen die Manipulation der Kilometerzähler anhand von Reparatur-, Verkaufsrechnungen uä nachgewiesen werden. Die Fahrzeuge wiesen auf nachfolgenden Rechnungen niedrigere Kilometerstände auf, als in der Rechnung zuvor. Die Manipulation der Kilometerzähler wurde auch von einigen Fahrern bestätigt, die in ihren Aussagen angaben, dass die Fahrzeuge plötzlich geringere Laufleistungen aufwiesen.

Im strafrechtlichen Bericht vom 20.01.2011 ging die Steuerfahndung des Finanzamts F. - Land davon aus, dass der Antragsteller im Zeitraum 2002 bis einschließlich 2008 Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer sowie den Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 29.900,00 EUR verkürzt habe.

Das Amtsgericht O. hat in der Sitzung vom 11.05.2011 den Antragsteller wegen Betrugs in vier Fällen, wegen Anstiftung zum Missbrauch von Wegstreckenzählern in acht Fällen, in drei Fällen tateinheitlich mit versuchtem Betrug und in einem weiteren Fall tateinheitlich mit Betrug sowie wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verurteilt. Die Mitangeklagten Mu. D. und S. Y. wurden freigesprochen. Insoweit ging das Amtsgericht O. davon aus, dass der Antragsteller in seinem Unternehmen ein auf Täuschung und Manipulation von Wegstreckenzählern basierendes System etabliert habe, mittels dessen er sich gegenüber anderen Mitbewerbern in der Taxi- und Mietwagenbranche einen nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteil erschlich. Dieses System habe darauf basiert, dass die aufgrund der Vorgaben des Personenbeförderungsgesetzes notwendige Dokumentation der Einzelbeförderung bewusst manipuliert wurde, um einen nicht unerheblichen Teil der Fahrten buchmäßig nicht zu erfassen. Um diese Manipulation zu verdecken, seien zusätzlich bei einem Großteil der eingesetzten Mietwagenflotte unter Zuhilfenahme eines unbekannten Täters, der das Knowhow und die technische Ausstattung dafür besaß, die Kilometerbestände an den Fahrzeugen systematisch manipuliert worden, indem diese massiv zurückgedreht wurden. Schließlich seien von dem Antragsteller die Mietfahrzeuge nach einer gewissen Zeit im Namen der Firma mit den manipulierten Tachoständen veräußert worden, wobei die Einkäufer dadurch bewusst über den wahren Verkehrswert der Fahrzeuge getäuscht wurden. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Nach der Verurteilung durch das Amtsgericht O. hat der Antragsteller nach seinem Vortrag das M.unternehmen aufgegeben und ist seitdem bei seinem Bruder teilzeitbeschäftigt.

Am 14.03.2013 hörte die Beklagte den Antragsteller zu der beabsichtigten Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2007 in Höhe von insgesamt 56.544,52 EUR an, wobei hierin Säumniszuschläge in Höhe von 26.173,00 EUR enthalten waren. Nach den Ermittlungen der Autobahn- und Verkehrspolizei O. und der Steuerfahndung F. stehe fest, dass der Antragsteller in erheblichem Umfang Umsätze seines Mietwagen- und Taxiunternehmens zu niedrig angemeldet habe. Um dies zu verschleiern, seien bei einer Vielzahl von Fahrzeugen die Tachostände manipuliert und die tatsächlichen Arbeitszeiten der Fahrer den manipulierten Einsatzzeiten der Fahrzeuge angepasst worden. Hieraus abgeleitet und nach den vorliegenden Zeugenaussagen hätten eine Vielzahl von Fahrern Schwarzlohnzahlungen erhalten. Da über diese Zahlungen keine Aufzeichnungen existierten, seien sie geschätzt worden. In Abänderung des von der Steuerfahndung angesetzten Gewinns würden die bisher nicht versteuerten Betriebseinnahmen auf Grundlage der anhand der von Steuerfahndern erhobenen Beweismittel, des Urteils des Amtsgerichts O. vom 11.05.2011 und der von dem Antragsteller nachgereichten Unterlagen und der telefonischen Absprache mit ihrem Steuerberater vom 25.10.2011 geschätzt.

Mit Schreiben vom 08.04.2013 nahm der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Stellung. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens seien keineswegs Fehlkilometer eingeräumt worden. Die Verständigung mit dem Finanzamt O. sei lediglich eine pragmatische Lösung gewesen, um die Streitigkeiten zur Vermeidung langwieriger Gerichtsverfahren einvernehmlich zu beenden. Soweit entsprechende Fahrkilometer nicht berücksichtigt würden, habe das Personal im Übrigen nicht zusätzlich gearbeitet. Sämtliche in Rede stehenden Fehlkilometer seien während der regulären Arbeitszeiten zurückgelegt worden. Dies betreffe natürlich auch Leerfahrten. Das Fahrpersonal werde pauschal nach Arbeitszeit bezahlt und nicht unter Berücksichtigung der zurückgelegten Fahrkilometer. Im Übrigen seien auch keine Schwarzlohnzahlungen erfolgt. Grundsätzlich sei eine Reihe von Fahrern nach den jeweiligen Schichten in bar entlohnt worden. Dies sei doch in den Gewerben üblich und es könne keineswegs der Schluss gezogen werden, dass Sozialversicherungsleistungen nicht ordnungsgemäß geleistet worden seien.

Mit Bescheid vom 03.07.2013 forderte die Antragsgegnerin aufgrund der nach § 28p Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durchgeführten Betriebsprüfung im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren des Hauptzollamts L. für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2007 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 25.794,26 EUR nach. In der Nachforderung seien Säumniszuschläge in Höhe von 11.938,50 EUR enthalten. Nach den Ermittlungen der Autobahn- und Verkehrspolizei O. und der Steuerfahndung F. stehe fest, dass der Kläger in erheblichem Umfang Umsätze seines Mietwagen- und Taxiunternehmens zu niedrig angemeldet habe. Um dies zu verschleiern, sei bei einer Vielzahl von Fahrzeugen die Tachostände manipuliert und die tatsächlichen Arbeitszeiten der Fahrer den manipulierten Einsatzzeiten der Fahrzeuge angepasst worden. Hieraus und nach den vorliegenden Zeugenaussagen hätten eine Vielzahl von Fahrern Schwarzlohnzahlungen erhalten. Insoweit seien die Zahlungen mangels Aufzeichnungen geschätzt worden. Aufgrund der Ausführungen des Bevollmächtigten sei bezüglich der Höhe des Nachforderungsbetrags eine nochmalige Überprüfung des Sachverhalts vorgenommen worden. Der in der Anhörung festgelegten Nachforderungsbetrag sei dahingehend geändert worden, dass den geschätzten Personalkosten des Finanzamts - nunmehr mit Abzug der geschätzten Leerfahrten - gefolgt werde.

Hiergegen legte der Antragsteller am 29.07.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung wird vorgetragen, dass keine Schwarzgeldzahlungen an Arbeitnehmer oder Fahrer erfolgt seien. Soweit im Einzelfall einer der Fahrer angegeben habe, er habe Schwarzgeld erhalten, so beziehe sich diese Aussage auf den Erhalt von Bargeld. Dies sei nicht weiter bedeutsam, da regelmäßig geringfügig Beschäftigte ihr Arbeitsentgelt in bar erhalten hätten. Ein geringfügig Beschäftigter könne ohne Einblick in die Buchungsunterlagen seines Arbeitgebers überhaupt keine verlässliche Aussage dahingehend treffen, ob Schwarzgeldzahlungen geleistet wurden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2013 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei ersichtlich, dass der Antragsteller Schwarzgeldzahlungen an seine Mitarbeiter geleistet habe. Hinsichtlich der Höhe der Schwarzgeldzahlungen sei in die von der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Freiburg - Land geänderten Gewinnschätzungen für die Jahre 2003 bis 2007 in der erniedrigten Form zugrunde gelegt worden.

Hiergegen hat der Antragsteller am 20.12.2013 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben (Aktenzeichen S 4 R 58783/13). Zugleich hat er einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 03.07.2003 bzw der Klage vom 20.12.2013 gestellt.

Mit Beschluss vom 14.02.2014 hat das SG den Antrag abgelehnt. Erhebliche Gründe für ein Obsiegen in der Hauptsache lägen nach summarischer Prüfung und nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht vor. Die Feststellungen und Einschätzungen der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller bei einer Vielzahl von Fahrzeugen die Tachostände manipuliert und die tatsächlichen Arbeitszeiten der beschäftigten Fahrer den manipulierten Einsatzzeiten der Fahrzeuge anpasste, erscheine glaubhaft. Die Antragsgegnerin könne ihre Einschätzung auf vorliegende Zeugenaussagen stützen, nachdem mehrere Fahrer Schwarzlohnzahlungen erhielten. Soweit über die Schwarzlohnzahlungen keine Aufzeichnungen existierten, könne die Antragsgegnerin eine Schätzung nach § 28f Abs 2 SGB IV vornehmen. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit Empfangsbekenntnis am 20.02.2014 zugestellt.

Am 19.03.2014 hat der Antragsteller Beschwerde beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung wird vorgetragen, dass die von der Beklagten vorgenommene Berechnung unzulässig sei. Es würden eine Reihe von Abrechnungsunterlagen existieren. Anhand dieser Unterlagen ließe sich ermessen, welcher Beschäftigungsumfang der Arbeitnehmer bestanden habe. Diesen Beschäftigungsumfang habe die Beklagte nicht festgestellt. Soweit sich die Beklagte auf die Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht in O. berufe, können hieraus keine Schwarzgeldzahlungen an die Arbeitnehmer gefolgert werden. Selbst wenn man aber zu dem Ergebnis käme, dass eine Entlohnung von eliminierten Kilometern durch Schwarzgeldzahlungen erfolgt wäre, hätte eine Hochrechnung bezüglich dieses Kilometer/Zeitaufwand angestellt werden müssen. Dies hätte sodann in Relation zu den ordentlich abgerechneten Entlohnungen gestellt werden müssen, um so festzustellen, ob dies gegebenenfalls unter Berücksichtigung der regelmäßigen und versteuerten Gesamtkilometer zu einem Defizit geführt hätte. Soweit sich die Antragsgegnerin im Übrigen auf Zeugenaussagen ehemaliger Fahrer des Antragstellers berufe, werde übersehen, dass Grundlage für die Einschätzung der ehemaligen Angestellten die Auszahlung ihrer Entlohnung in bar gewesen sei. Allein hierauf könne jedoch nicht die Annahme von Schwarzgeldzahlungen gestützt werden. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass die Zahlung von rund 26.000,00 EUR nicht leistbar wäre, mit der Folge, dass der Antragsteller beabsichtige, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, um sein Insolvenzverfahren mit sich daran anschließender Restschuldbefreiung durchzuführen. Derzeit sei der Antragsteller lediglich bei seinem Bruder teilzeitbeschäftigt zu einem Monatsbrutto von 500,00 EUR.

Der Kläger beantragt daher,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 29.07.2013 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.07.2013 unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Freiburg vom 14.02.2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie die Akten des Verfahrens vor dem Amtsgericht O. Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Beschwerde des Antragstellers ist nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG ausgeschlossen, da angesichts des Beschwerdewerts auch in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Beschwerde ist zudem form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).

Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Zu den Entscheidungen, die unter § 86a Abs 2 Nr 1 SGG fallen, gehören auch Bescheide des Rentenversicherungsträgers, die - wie hier - auf der Grundlage von § 28p SGB IV nach einer Prüfung beim Arbeitgeber ergehen (Beschlüsse des Senats vom 19.07.2012, L 11 R 1789/12 ER-B, 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, mwN und vom 29.07.2010, L 11 R 2595/10 ER-B, alle veröffentlicht in juris).

Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor den Interessen des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl Beschlüsse vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B, und 10.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, juris). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei Beitragsstreitigkeiten ernstliche Zweifel im Sinne des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG nur dann vorliegen, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (vgl Beschluss des Senats vom 28.06.2010, L 11 R 1903/10 ER-B, nv). Andernfalls wäre in Beitragsangelegenheiten angesichts der vielfach in vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch ungeklärten Verhältnisse eine Aussetzung der Vollziehung häufig durchsetzbar, was die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger beeinträchtigen könnte (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.07.2004, L 5 B 2/04 KR ER mwN, juris). Insoweit müssen erhebliche Gründe für ein Obsiegen in der Hauptsache sprechen, damit die in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG vorgenommene gesetzliche Risikoverteilung geändert werden kann (Beschluss des Senats vom 19.07.2012, L 11 R 1789/12 ER-B, Juris). Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheids ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsachentscheidung (Beschlüsse des Senats vom 03.08.2012, L 11 KR 2566/12 ER-B, juris; 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, juris; LSG Baden-Württemberg 20.03.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris).

Nach dem gegenwärtigen Stand ist es für den Senat nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 03.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2013 Erfolg haben wird.

Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Beitragsbescheids ist § 28p Abs 1 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstige Pflichten nach dem SGB IV erfüllen und erlassen im Rahmen dessen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in den einzelnen Sozialversicherungszweigen. Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gelten nach § 253 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 174 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie § 60 Abs 1 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28R SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach §§ 1 Abs 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch für die Arbeitsförderung. Nach § 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu zahlen. Als Arbeitsentgelt gelten gemäß § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahme besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Um das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht sowie gegebenenfalls die Höhe der zu entrichtenden Beiträge feststellen zu können, war es schon immer eine selbstverständliche Pflicht des Arbeitgebers, hierüber geeignete Aufzeichnungen anzufertigen. Diese Pflicht ist seit 1989 ausdrücklich in § 28f Abs 1 Satz 1 SGB V normiert (Baier, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 28f SGB IV Rdnr 3).

Nach § 28f Abs 2 Satz 3 SGB IV kann der Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Entgelte geltend machen und zudem nach Satz 3 der Vorschrift die Höhe der geschuldeten Arbeitsentgelte schätzen, soweit er diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln und einen bestimmten Beschäftigten zuordnen kann (sogenannter Beitragssummenbescheid). Grundvoraussetzung eines Vorgehens nach § 28f Abs 2 SGB IV ist dabei, dass der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann. Diese Voraussetzung der Verletzung der Aufzeichnungspflicht gilt nicht nur für den in Satz 1 der Vorschrift geregelten sogenannten Lohnsummenbescheid, sondern ist auch Voraussetzung für die Schätzungsbefugnis des Satzes 3 (LSG Rheinland-Pfalz 14.08.2012, L 6 R 223/12b ER; LSG Schleswig-Holstein 20.04.2012, L 5 KR 9/12b ER mwN; juris).

Nach summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber seiner Aufzeichnungs- und Nachweispflicht nicht nachgekommen ist, weshalb die Antragsgegnerin berechtigt war, eine Schätzung nach § 28f Abs 2 SGB IV vorzunehmen. Durch die Schwarzlohnzahlungen an die Mitarbeiter sind abzuführende Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt worden. Gleichzeitig liegen keine entsprechenden Unterlagen vor, sodass die Beklagte zur Schätzung befugt war.

Im Übereinstimmung mit dem Urteil des Amtsgerichts O. vom 11.05.2011 ist davon auszugehen, dass der Antragsteller in seinem Unternehmen ein auf Täuschung und Manipulation von Wegstreckenzählern basierendes System etabliert hat, mit dessen er sich gegenüber anderen Mitbewerbern in der Taxi- und Mietwagenbranche einen nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteil erschlich. Dieses System basierte darauf, dass die aufgrund der Vorgaben des Personenbeförderungsgesetzes notwendige Dokumentation der Einzelbeförderung bewusst manipuliert wurde, um einen nicht unerheblichen Teil der Fahrten buchmäßig nicht zu erfassen. Um diese Manipulation zu verdecken, wurden zusätzlich bei einem Großteil der eingesetzten Mietwagenflotte unter Zuhilfenahme eines Dritten die Kilometerstände an den Fahrzeugen systematisch manipuliert, indem diese massiv zurückgedreht wurden. Dies ergibt sich aus den Ermittlungen der Polizeidirektion O. Danach wurden bewusst bei den zu führenden Dokumentationslisten Personenbeförderungsfahrten weggelassen. Die daraus resultierenden Einnahmen wurden als Schwarzgeld einbehalten. Teilweise wurden bis zu 40% der monatliche Fahrten und die damit verbundenen Einnahmen von den Dokumentationslisten gestrichen. Da mit den Mietwagen weitaus mehr tatsächliche Fahrten durchgeführt wurden, als in den Dokumentationslisten aufgeführt, wurden die Kilometerstände der Mietwagen den gefälschten Dokumentationslisten angepasst. Ferner wurde der Personaleinsatz der Beschäftigten buchungstechnisch reduziert. Die Arbeitszeiten des Fahrpersonale entsprachen den gefälschten Dokumentationslisten sowie den manipulierten Kilometerständen. Festangestelltes Fahrpersonal erhielt zum offiziellen Festlohn einen zusätzlichen Schwarzbetrag. Ferner wurden offiziell angemeldete Teilzeitbeschäftigte im Umfang eines Vollzeitbeschäftigten eingesetzt. Der Differenzbetrag wurde schwarz ausbezahlt.

Diese Feststellungen sind für den Senat nachvollziehbar und schlüssig und lassen sich anhand der durchgeführten Beweiserhebung nachvollziehen. So haben mehrere Mitarbeiter des Antragstellers entsprechende Schwarzgeldzahlungen bestätigt. Darüber hinaus wurden bei den Fahrzeugen zahlreiche Tachomanipulationen festgestellt.

Soweit der Antragsteller vorträgt, dass die Zeugen lediglich von Bargeldauszahlungen auf Schwarzgeldzahlungen schließen würden und daher die Zeugenaussagen keine Beweiswirkung hätten, ist davon auszugehen, dass den Zeugen durchaus der Unterschied zwischen einer Barauszahlung und einer Schwarzgeldzahlung bewusst ist. Insoweit ist nach den vorliegenden Unterlagen auch nicht davon auszugehen, dass mehrere Arbeitnehmer fälschlicherweise von Schwarzgeldzahlungen berichteten.

Da der Antragsteller keine Unterlagen über die tatsächlich erfolgten Schwarzgeldzahlungen vorlegen konnte, war die Antragsgegnerin zur Überzeugung des Senats auch berechtigt, das Arbeitsentgelt für den Zeitraum 2003 bis einschließlich 2007 gemäß § 28f Abs 2 SGB IV zu schätzen. Die von der Beklagten dabei vorgenommene Berechnungsmethode ist aus Sicht des Senats aufgrund der vorliegenden schriftlichen Unterlagen nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. So beruhen die Schätzungen der Antragsgegnerin auf den im Rahmen des Steuerverfahrens ermittelten und mit dem Antragsteller für den Zeitraum 2003 bis 2007 vereinbarten Gewinnzahlen. Es erscheint daher im Rahmen der summarischen Prüfung sachgerecht, diese auch bei der Schätzung nach § 28f Abs 2 SGB IV zugrunde zu legen. So hat der Antragsteller gerade angegeben, dass eine Vereinbarung mit der Steuerbehörde deshalb erfolgte, um eine angemessene und unkomplizierte Nacherhebung der Steuern vorzunehmen. Dies entspricht auch dem Gedanken des § 28f Abs 2 SGB IV.

Die Beitragsforderung ist auch für die Jahre 2003 bis 2007 nicht verjährt.

Nach § 25 Abs 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen und der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt entstanden ist. Ansprüche auf vorsätzliche vorenthaltene Beiträge verjähren in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Ein vorsätzliches Vorenthalten im Sinne von § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV liegt nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, auch bei sogenannten bedingtem Vorsatz vor (BSG 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr 7). Dies ist gegeben, wenn der Beitragsschuldner die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Ansprüche auf Beiträge verjähren gemäß § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV auch dann in 30 Jahren, wenn der Vorsatz zu ihrer Vorenthaltung bei Fälligkeit der Beiträge noch nicht vorlag, der aber noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist (BSG 30.03.2000 aaO). Zutreffend verweist die Antragsgegnerin in der Begründung des angefochtenen Bescheids darauf hin, dass der Antragsteller vorsätzlich die zu zahlenden Beiträge durch die Schwarzgeldzahlungen vorenthalten hat und daher die 30-jährige Verjährungsfrist einschlägig ist.

Danach fällt die Interessenabwägung vorliegend zu Gunsten der Antragsgegnerin aus. Der Gesetzgeber hat in den Fällen des § 86a Abs 2 Nr 1 SGG durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug höher eingeschätzt als das Interesse des Betroffenen einer Nichtzahlung von Beiträgen, um die Finanzierungsgrundlage und damit die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn bereits bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ohne Weiteres ausgesetzt würde.

Die Vollziehung des Beitragsbescheids bedeutet für den Antragsteller auch keine unbillige Härte. Zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs schließt sich der Senat in ständiger Rechtsprechung der vom LSG Nordrhein-Westfalen für die Vollziehung von Beitragsbescheiden vertretene Rechtsauffassung an (LSG Nordrhein-Westfalen 10.01.2012, L 8 R 774/11 ER-B, juris; Senatsbeschlüsse vom 16.08.2013, L 11 R 3031/13 ER und vom 04.09.2013, L 11 R 2315/13 ER-B). Danach führen allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für die Antragsteller verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausschluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Aus demselben Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein keine unbillige Härte. Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wieder gut zu machende Nachteile durch eine Zahlung müssen vom Antragsteller substantiiert dargelegt werden. Diese müssen darüber hinaus auch noch das Interesse an der aktuellen Einziehung der Förderung überwiegen. Das Interesse an einer zeitnahen Durchsetzbarkeit der Beitragsforderung kann oft gerade dann hoch sein, wenn der Antragsteller behauptet, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. Gerade in einer solchen Situation sind die Versicherungsträger gehalten, die Beiträge rasch einzutreiben, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung sicherzustellen (vgl Senatsbeschluss vom 04.09.2013, L 11 R 2315/13 ER-B).

Allein aus der vom Antragsteller vorgetragenen drohenden Insolvenz kann insoweit nach Auffassung des Senats keine unbillige Härte hergeleitet werden. Darüber hinaus ist eine drohende Zahlungsunfähigkeit durch den Antragsteller aber auch nicht glaubhaft gemacht. So wurden dem Senat auf mehrmalige Nachfrage lediglich aktuelle Gehaltsnachweise vorgelegt. Inwieweit darüber hinaus der Antragsteller über Vermögen verfügt, lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen. Schließlich aber gilt es auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bislang noch nicht vorgetragen hat, dass er eine Stundung der Beiträge beantragt hat. Ein solcher Antrag wäre zur Überzeugung des Senats vorrangig zu stellen, bevor von einer unbilligen Härte ausgegangen werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren erfolgt nach § 197a SGG iVm §§ 47 Abs 2 Satz 1, 52 Abs 3, 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Es entspricht der Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz einen geringeren Streitwert anzunehmen als im Hauptsacheverfahren. In Beitragsstreitigkeiten der vorliegenden Art bemisst der Senat inzwischen den Streitwert nach einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (vgl Beschluss vom 16.08.2013, L 11 R 3031/13 ER), dies sind hier ein Viertel von 25.794,26 EUR, also 6.448,56 EUR.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved