L 11 KR 2666/14 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 3564/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2666/14 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.05.2014 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren S 8 KR 3564/13 vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG). In der Hauptsache geht es um die Gewährung von Krankengeld (Krg) für den Zeitraum 06.05. bis 01.07.2012.

Die 1985 geborene Klägerin war ab 01.10.2011 bei der Zahnarztpraxis Dr H. versicherungspflichtig beschäftigt. In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde das Arbeitsverhältnis im Vergleichswege zum 30.04.2012 aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung beendet (Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Ludwigsburg, 26 Ca 801/12). Ab 01.02.2012 bezog die Klägerin Leistungen der Grundsicherung für Abeitsuchende vom Jobcenter Landkreis Ludwigsburg.

Ab 16.04.2012 wurde die Klägerin vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr R. bis 22.04.2012 arbeitsunfähig krank geschrieben (Diagnosen: generalisierte Angststörung F41.1 und Anpassungsstörung F43.2). Am 27.04.2012 bescheinigten die Hausärzte der Klägerin Dres M./H. Arbeitsunfähigkeit (AU) vom 25.04. bis 06.05.2012 (Diagnosen: akute Belastungsreaktion F 43.0). Dr R. stellte am 10.05.2012 eine neue Erstbescheinigung aus für den Zeitraum 07.05 bis 10.06.2012 (Diagnose: schwere depressive Episode F 32.2 und Angststörung F 41.9) und am 12.06.2012 eine Folgebescheinigung bis 01.07.2012 (F 32.2 und F 41.9). Ab 02.07.2012 nahm die Klägerin nach eigenen Angaben eine neue Beschäftigung auf.

Ab 01.05.2012 gewährte die Beklagte der Klägerin Krg. Mit Bescheid vom 26.06.2012 lehnte die Beklagte die Weitergewährung über den 06.05.2012 hinaus ab. Mangels Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krg könne für die ab 10.05.2012 bestehende AU kein Krg gewährt werden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2013 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 16.10.2013 zum SG erhobene Klage, für welche die Klägerin die Gewährung von PKH beantragt. Zwar sei ihr erst am 10.05.2012 AU vom 07.05.2012 bis 10.06.2012 bescheinigt worden, sie habe aber erst für den 10.05.2012 einen Termin bei Dr R. erhalten. Im Übrigen sei sie so schwer psychisch krank gewesen, dass sie sich nicht um die Krankmeldungen habe kümmern können.

Mit Beschluss vom 09.05.2014 hat das SG den PKH-Antrag abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin sei nur bis 06.05.2012 mit Anspruch auf Krg versichert gewesen. Bis 30.04.2012 sei die Klägerin als versicherungspflichtig Beschäftigte gemäß § 5 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) versichert gewesen, dieser Versicherungsschutz setze sich nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V aufgrund des Bezugs von Krg bis zum 06.05.2012 fort. Seit dem 07.05.2012 bestehe kein Versicherungsschutz mehr mit Anspruch auf Krg. Aufgrund der Bescheinigung vom 10.05.2012 habe frühestens ab 11.05.2012 ein Krg-Anspruch ausgelöst werden können. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin als Bezieherin von Arbeitslosengeld II nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V ohne Anspruch auf Krg versichert gewesen. Dieses Versicherungsverhältnis habe Vorrang vor dem nachgehenden Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V. Es liege auch kein Ausnahmefall vor, in dem die unterbliebene ärztliche Feststellung der AU rückwirkend nachgeholt werden könne. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Klägerin daran gehindert gewesen sein könnte, alles in ihrem Verantwortungsbereich Mögliche zu unternehmen, um vor Ablauf des AU-Zeitraums eine rechtzeitige Verlängerung über den 06.05.2012 hinaus zu erreichen. Es sei schon nicht ersichtlich, warum sie nicht vor dem 06.05.2012, einem Sonntag, bei sich abzeichnender weiterer AU einen Arzt aufgesucht habe. Dass sie bei Dr R. erst am 10.05.2012 einen Termin bekommen habe, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin hätte einen anderen Vertragsarzt oder ihre Hausärzte aufsuchen können. Der Hinweis, sie sei wegen einer Antriebshemmung dazu nicht in der Lage gewesen, überzeuge nicht. Immerhin sei die Klägerin in der Lage gewesen, am 16.04., 27.04. und 10.05.2012 einen Arzt aufzusuchen.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 12.05.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 12.06.2012 eingelegte Beschwerde der Klägerin. Es gehöre zur Symptomatik der Depression, dass die Betroffenen antriebslos seien und ihren Alltag nicht mehr regeln könnten. Deshalb könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, sie hätte bereits am 06.05.2012 oder früher einen Arzt aufsuchen können. Dr R. habe am 10.05.2012 rückwirkend eine schwere depressive Episode bescheinigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist gemäß § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 172 SGG), sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat für das Klageverfahren vor dem SG keinen Anspruch auf PKH.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (vgl Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 04.02.1997, 1 BvR 391/93 NJW 1997, 2102, 2103). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Rechtsschutzverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl BVerfG NJW 1997, 2102, 2103; Bundesgerichtshof NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 1998 - VI B 120/98 (juris)) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl BVerfG NJW-RR 2002, 1069; NJW 2003, 2976, 2977).

Unter Beachtung der og Grundsätze hat die Rechtsverfolgung der Klägerin vor dem SG keine hinreichende Erfolgsaussicht. Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für die Gewährung von Krg und die dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung umfassend und zutreffend dargestellt und überzeugend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Krg für die Zeit vom 07.05. bis 02.07.2012 hat. Denn ein neuer Anspruch auf Krg konnte erst aufgrund der AU-Bescheinigung von Dr R. vom 10.05.2012 entstehen. Am Folgetag, dem 11.05.2012 war die Klägerin aber nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen und die Beschwerde aus den dort genannten Gründen zurückverwiesen (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).

Die verspätete AU-Feststellung wird von der Klägerin nicht bestritten, sie beruft sich jedoch darauf, dass in ihrem Ausnahmefall eine durchgehende ärztliche Feststellung der AU entbehrlich sei. § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V ist indes grundsätzlich strikt zu handhaben, denn mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender AU sollen beim Krg Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden (BSG 18.03.1966, 3 RK 58/62, BSGE 24, 278 = SozR Nr 16 zu § 182 RVO). Nur in engen Grenzen hat die Rechtsprechung des BSG Ausnahmen hierzu anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der AU durch Umstände verhindert oder verzögert worden sind, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1 mwN). Hat der Versicherte (1.) alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan, um seine Ansprüche zu wahren, wurde er (2.) daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert (zB durch die Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes und des MDK), und macht er (3.) - zusätzlich - seine Rechte bei der Kasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend, kann er sich auf den Mangel auch zu einem späteren Zeitpunkt berufen (BSG 08.11.2005 aaO).

Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe bei Dr R. erst für den 10.05.2012 einen neuen Termin erhalten. Insoweit hätte sie allerdings auch ihre Hausärzte, die die AU-Bescheinigung bis 06.05.2012 ausgestellt haben, oder einen anderen Arzt wegen Bescheinigung der AU über den 06.05.2012 hinaus aufsuchen können. Dass der Klägerin offensichtlich die rechtlichen Folgen einer Lücke der ärztlich bescheinigten AU nicht klar waren, spielt insoweit keine Rolle. Insoweit fällt auf, dass auch die nachfolgende AU-Bescheinigung wieder verspätet ist: Nach Ende der AU am 10.06.2012 wurde erst am 12.06.2012 Dr R. wieder aufgesucht. Die Obliegenheit Versicherter, die AU vor Ablauf jedes Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich feststellen zu lassen, entfällt jedoch weder deshalb, weil der letzte Tag der bescheinigten Frist – wie hier – auf einen Sonntag fällt, noch weil der betreffende Arzt den Versicherten unzutreffend oder gar nicht rechtlich beraten hat (BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 6).

Auch bei Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit fällt die unterbliebene rechtzeitige ärztliche Feststellung der AU nicht in den Verantwortungsbereich des Versicherten (BSG 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4). Hierfür bestehen allerdings im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte. Allein eine mit einer schweren Depression (die allerdings erst am 10.05.2012 festgestellt wurde) einhergehende Antriebsstörung ist mit Handlungsunfähigkeit oder Geschäftsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand ein vorübergehender ist, ist nicht geschäftsfähig (§ 104 Nr 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Der bürgerlich-rechtliche Begriff der Geschäftsunfähigkeit und der verwaltungsverfahrensrechtliche Begriff der Handlungsunfähigkeit iS von § 11 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sind identisch (BSG 22.05.2003, B 12 KR 20/02 R, juris RdNr 24 mwN). Die entsprechenden Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Die Klägerin war während des Zeitraums, in dem die schwere Depression bescheinigt wurde überdies in der Lage, an der Verhandlung des Arbeitsgerichts am 27.05.2012 teilzunehmen, die mit einem Vergleich endete. Insoweit spricht auch nichts dafür, dass die Klägerin nicht zu einem Zeitpunkt vor dem 06.05.2012 – wie zuvor und danach auch – einen Arzt hätte aufsuchen können.

Nach alledem ist der Beschluss des SG nicht zu beanstanden, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen ist.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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