L 8 KR 244/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 91/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 244/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21.06.2011 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 15.277,05 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Krankenhausvergütung und dabei um die Frage, ob Beatmungsstunden auf einer Intermediate-Care-Station abzurechnen sind.

Bei der 1929 geborenen Patientin QQ., die bei der Klägerin versichert ist, war bei einem Zustand nach Reanimation und schwerer infektexazerbierter COPD (chronisch obstruktiver Lungenerkrankung) mit begleitender Pneumonie eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) und eine Beatmung im St. Josefskrankenhaus in Potsdam vorgenommen worden. Von dort wurde die Versicherte zur Entwöhnung der Beatmung (sogenanntes Weaning) in das von der Beklagten betriebene Johanniter-Krankenhaus im Fläming verlegt. Zunächst befand sich die Versicherte dort vom 06.04.2006 bis 13.04.2006 auf der integrierten Intermediate-Care-Station und wurde über ein Tracheostoma mit Hilfe eines Beatmungsgerätes im druckunterstützten Modus bei absoluter Sauerstoffabhängigkeit 168 Stunden beatmet. Vom 13.04.2006 bis zum 03.05.2006 wurde die Versicherte in der Intensivstation des Krankenhauses weiter behandelt und dabei 426 Stunden beatmet. Nach Entfernung der Trachealkanüle erfolgte am 03.05.2006 die Verlegung auf die pulmonologische Normalstation bis zum 16.05.2006.

Die Beklagte stellte der Klägerin einen Betrag in Höhe von 37.681,14 EUR auf der Grundlage der G-DRG Fallpauschale A09D in Rechnung. Als Hauptdiagnose wurde "Chronisch respiratorische Insuffizienz, andernorts nicht klassifiziert" mit dem ICD-Code J96.1 angegeben. Die Klägerin bezahlte die Rechnung.

Am 03.07.2006 leitete die Klägerin ein Überprüfungsverfahren ein. Nachdem der eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenkasse (MDK) in dem Gutachten vom 11.05.2005 die Beatmungsstunden auf der Basis des Arztbriefes nicht nachvollziehen konnte, legte die Beklagte die Dokumentation der Beatmung vor. Es fand eine Krankenhausbegehung durch den MDK statt. Im MDK-Gutachten vom 13.11.2007 konnte die Gutachterin Dr. EE. nur die Beatmungsstunden nachvollziehen, die auf der Intensivstation durchgeführt wurden. Die Beatmungsstunden während des Aufenthalts auf der Intermediate-Care-Station seien aufgrund der dort fehlenden intensivmedizinischen Versorgung nicht anzurechnen. Durch die Reduktion der Beatmungsstunden ergebe sich die G-DRG Fallpauschale A11E. Die Klägerin forderte die Beklagte daraufhin zur Korrektur der Rechnung auf. Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen war, erhob die Klägerin am 08.02.2008 Klage zum Sozialgericht Potsdam mit dem Klageantrag, die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.277,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Sie stützte sich dabei auf das weitere, im Klageverfahren eingeholte MDKGutachten vom 22.10.2010 von RR. Das Sozialgericht Potsdam verwies die Klage mit Beschluss vom 23.12.2009 an das örtlich zuständige Sozialgericht Frankfurt am Main. Das Sozialgericht Frankfurt am Main holte das Sachverständigengutachtens des Dr. TT., Leitender ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Freiburg, vom 15.10.2010 ein und hörte die Beteiligten nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid an.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Klägerin kein Rückzahlungsanspruch zustehe. Die Beklagte habe ihrer Rechnung über den Betrag von 37.681,14 EUR in zutreffender Weise eine DRG A09D zugrunde gelegt. Dieses Ergebnis ergebe sich aus dem umfassenden und überzeugenden Gutachten von Dr. TT. Danach sei gemäß der speziellen Kodierrichtlinie 1001 der Deutschen Kodierrichtlinien des Jahres 2006 maschinelle Beatmung wie folgt definiert:
"Maschinelle Beatmung (künstliche Beatmung) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Setzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet." "Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese anstelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden."

Aus dieser Definition ergebe sich zur Überzeugung des Gerichtes nicht, dass eine maschinelle Beatmung verneint werden könne, weil keine intensivmedizinische Versorgung gegeben sei, es sein denn, es erfolge eine Beatmung über Maskensysteme. Die Versicherte sei jedoch über ein Tracheostoma beatmet worden und nicht über ein Maskensystem. Aus der Kodierempfehlung 146 der Sozialmedizinischen Expertengruppe Vergütung und Abrechnung (SEG 4), die wie folgt laute:
"Für den Sonderfall von heimbeatmeten Patienten, die über ein Tracheostoma beatmet werden, ist analog zur Regelung zu intensivmedizinisch versorgten Patienten, bei denen die maschinelle Beatmung über Maskensysteme erfolgt, vorzugehen. Dies bedeutet, dass die Beatmungszeiten nur zu erfassen sind, wenn es sich im Einzelfall um einen "intensivmedizinisch versorgten Patienten" handelt."

könne die Klägerin keinen Rückzahlungsanspruch herleiten. Bei der Versicherten habe keine Heimbeatmung vorgelegen. Außerdem ließen sich Sonderfälle ihrem Wesen nach nicht verallgemeinern. Die einfache und im Wesentlichen am Wortlaut orientierte Interpretation der Kodierrichtlinie 1001 entspreche dem vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsatz, Vergütungsregelungen streng nach Wortlaut für die routinemäßige Anwendung in zahlreichen Behandlungsfällen handhabbar zu machen, weil es sich um ein "lernendes System" handele, bei dem die Vertragsparteien berufen seien, Unrichtigkeiten und Fehlsteuerungen mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen.

Gegen diesen ihr am 24.06.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.07.2011 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass von dem Sachverständigen Dr. TT. und ihm folgend von dem Sozialgericht der Inhalt der Kodierrichtlinie 1001 verkannt worden sei.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21.06.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 15.277,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie fühlt sich durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und verweist auf die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts.

Im Erörterungstermin am 15.11.2012 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 16.11.2012 die Berufung dem Berichterstatter des achten Senats übertragen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Klägerin vorgelegten Verwaltungsakte, die Patientenakte sowie die Gerichtsakte, deren Inhalt Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die von der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid erhobene Berufung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden. Mit Beschluss vom 16.11.2012 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Entscheidung des Senats konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen, § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG.

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte. Die hier im Streit stehende Krankenhausvergütung ist zutreffend mit der Fallpauschale G-DRG A09D abgerechnet worden.

Dies hat das Sozialgericht ausführlich und zutreffend unter Darlegung des Regelungsgehaltes des § 109 Abs. 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) und der Deutschen Kodierrichtlinien dargetan. Der Senat macht sich insoweit die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts zu Eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf diese. Die Berufungsbegründung der Klägerin erschöpft sich im Wesentlichen in einer Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus der ersten Instanz. Die Stichhaltigkeit und Rechtserheblichkeit dieses Vorbringens hat das Sozialgericht bereits zutreffend verneint.

In Ergänzung wird auf folgendes hingewiesen: Voraussetzung für die Eingruppierung der stationären Behandlung eines Versicherten in eine G-DRG-Fallgruppe (German Diagnosis Related Groups-Systems) ist die Verschlüsselung einer Hauptdiagnose und gegebenenfalls von behandlungsrelevanten Nebendiagnosen nach dem ICD-Schlüssel für die Diagnosen nach der deutschen Anpassung der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme für die Zwecke des § 275 SGB V sowie der wesentlichen am Patienten durchgeführten Leistungen (Prozeduren). Für Letzteres ist der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) für die Zwecke des § 301 SGB V anzuwenden. Zur Gewähr einer einheitlichen Verschlüsselung ist auf das Regelwerk Deutsche Kodierrichtlinien (DRK) zurückzugreifen. Dieses gibt vor, wie aus den Diagnosen und Prozeduren sowie dem Alter, Geschlecht, Gewichtsangabe bei Neugeborenen, Zahl der Stunden maschineller Beatmung, der Krankenhausverweildauer und der Entlassungsart die DRG-Ermittlung über einen vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) erstellten und veröffentlichten Algorithmus (festgelegt in Definitionshandbüchern) zu erfolgen hat. Dieser Algorithmus ist in EDV-Programmen, so genannten DRG-Groupern implementiert, die vom InEK zertifiziert werden und über Schnittstellen von Krankenhäusern und Krankenkassen in die EDV-Systeme eingebunden werden können.

Bei der Anwendung der Vergütungsregelungen ist zu beachten, dass diese für die routinemäßigen Abwicklungen von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen sind. Diese Funktion können sie nur dann effektiv erfüllen, wenn sie streng nach dem Wortlaut angewandt werden, wobei die vereinbarten Anwendungsregeln zu befolgen sind. Würde zusätzlich im Einzelfall noch – wie im vorliegenden Fall von der Klägerin geltend gemacht - eine medizinische und rechtliche Bewertung vorzunehmen sein, ist eine funktionsgerechte Handhabung nicht mehr gegeben (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 17.06.2010, B 3 KR 4/09 R mit weiteren Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung). Zeigt sich jedoch in der Abrechnungspraxis, dass die Abrechnungsregeln zu Unstimmigkeiten führen, so ist es Aufgabe der Vertragsparteien, diese entsprechend weiterzuentwickeln und anzupassen.

Aus dem Fallpauschalenkatalog Version 2006 ergeben sich die folgenden hier im Streit stehenden G-DRG-Ziffern mit entsprechender Beschreibung:

• G-DRG A09D: Beatmung ( 499 und ( 1000 Stunden ohne komplexe OR Prozedur, ohne Polytrauma, ohne komplizierende Prozeduren.

• G-DRG A11E: Beatmung ) 249 und ( 500 Stunden ohne komplexe OR-Prozedur, ohne bestimmte OR-Prozedur, ohne komplizierende Prozeduren.

Damit wird ersichtlich, dass es für die Auswahl zwischen beiden Ziffern entscheidend auf die Anzahl der Beatmungsstunden ankommt. Die Definition der maschinellen Beatmung ergibt sich aus der Kodierrichtlinie 1001 der Deutschen Kodierrichtlinien des Jahres 2006 (siehe Tatbestand). Nach dieser Definition wird die maschinelle Beatmung nicht auf intensivmedizinisch versorgte Patienten beschränkt. Der Wortlaut enthält dazu keine Anknüpfungspunkte. Die Ausführungen in der Kodierrichtlinie 1001 zur Maskenbeatmung sind für den vorliegenden Fall irrelevant, da die Versicherte über ein Tracheostoma beatmet wurde. Es ist zulässig, aus diesen Ausführungen zur Maskenbeatmung den Umkehrschluss zu ziehen, dass bei nicht-intensivmedizinisch versorgten Personen eine Maskenbeatmung nicht erfolgen kann. Die Schlussfolgerung, bei nichtintensivmedizinisch versorgten Personen könne jedoch gar keine Beatmung erfolgen, ist logisch nicht zutreffend. Die von der Klägerin angeführte Kodierempfehlung 146 der Sozialmedizinischen Expertengruppe Vergütung und Abrechnung (SEG 4; siehe Tatbestand) ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da sie nach dem eindeutigen Wortlaut den Sonderfall von heimbeatmeten Patienten regelt. Die Versicherte wurde jedoch im Krankenhaus der Beklagten und nicht daheim beatmet. Im Ergebnis sind damit die Beatmungsstunden auf der Intermediate-Care-Station und die auf der Intensivstation zu berücksichtigen (insgesamt 594 Stunden) und ergeben mit den – hier unstreitigen - Diagnosen und Prozeduren die G-DRG A09D.

Im Übrigen schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. TT. an. So ist es für den Senat auch medizinisch nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin die Beatmungsstunden auf der Intermediate-Care- Station der Beklagten nicht für die DRG-Ermittlung berücksichtigen will. Die Beatmung ist ausreichend dokumentiert und fand zudem in einer Spezialklinik statt, die sich auf die Entwöhnung von der Beatmung (Weaning) im Bereich der Pulmologie spezialisiert hat.

Der Anregung der Klägerin im Berufungsverfahren, Herrn Dr. ZZ., der als Berater und Sachverständiger für das DRG-System tätig sei, zur Auslegung der Kodierrichtlinie 1001 zu befragen, ist der Senat nicht gefolgt. Wie bereits dargestellt, hält der Senat die Auslegung der Kodierrichtlinie durch den gerichtlichen Sachverständigen für nachvollziehbar und schlüssig. Auch sieht der Senat keinen Grund, an der Qualifikation des Sachverständigen zu zweifeln, zumal dieser bekanntermaßen an der Erstellung der ersten Version der Deutschen Kodierrichtlinien 2002 zur Einführung des G-DRG-Systems mitgearbeitet hat und sich als Leiter der Abteilung Medizincontrolling eines großen Universitätsklinikums in der beruflichen Praxis auch weiterhin mit dem DRG-System befasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3 sowie § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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