S 3 R 904/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 3 R 904/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 535/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Der Bescheid vom 03.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2012 wird aufgehoben.
2) Es wird festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen bei der Klägerin ab dem 01.08.2009 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung besteht.
3) Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers und des Beigeladenen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH bei einer Minderheitsbeteiligung.

Der am 06.07.1944 geborene Beigeladene war von 1974 bis 1990 Gewerkschaftssekretär, anschließend bis 31.03.2004 Geschäftsführer der IG Metall. Vom 1.4.2004 bis zum 30.11.2005 befand er sich in Altersteilzeit, ab dem 1.12.2005 in der vorgezogenen Altersrente.

Der weitere Gesellschafter und (spätere) Geschäftsführer der Klägerin (Herr P.) war Mitarbeiter einer Gesellschaft, welche Dienstleistungen und Unterstützungen für Mitbestimmungsgremien anbot. Nach Übernahme dieser Gesellschaft durch einen neuen Eigentümer sahen er - und einige seiner Arbeitskollegen –, dass sie in diesem Umfeld ihre Vorstellungen von der inhaltlichen Tätigkeit nicht mehr verwirklichen konnten. Bereits aus diesem Arbeitsverhältnis bestand ein reger Austausch mit den Beigeladenen. Am 10.01.2006 wurde durch den Beigeladenen, Frau K. als ehemalige Kollegin von Herrn P. und Prof. K. die Wert.Arbeit GmbH aus einer Vorratsgesellschaft begründet. Frau K. hielt 35 % an dieser Gesellschaft, Professor K 10 % und der Beigeladene 55 %.

Nach den Angaben im Verfahren hielt der Beigeladene Anteile auch für Herrn P., welcher zu diesem Zeitpunkt noch seinen Arbeitsvertrag bei der vorherigen Gesellschaft erfüllte. Im Gesellschaftsvertrag wurde vorgesehen, dass die Gesellschaft gemeinschaftlich durch die Geschäftsführer vertreten wird, ein Alleinvertretungsrecht allerdings eingeräumt werden könne. Beschlüsse der Gesellschafter sind mit 51 % der Stimmen zu treffen. Geschäftsführer waren zu Beginn Frau K und der Beigeladene.

Mit dem Beigeladenen wurde ein Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung geschlossen. Nachdem sein Vertrag bei dem vorherigen Arbeitgeber ausgelaufen war, wurde am 23.05.2006 ein Geschäftsführervertrag zwischen der Klägerin und Herrn P geschlossen. Mit notariellem Übertragungsvertrag von Juli 2006 übertrug der Beigeladene 35 % seiner Gesellschaftsanteile auf Herrn P. Professor K. übertrug seinen Anteil auf eine von ihm vertretene (weitere) GmbH. Mit notariellem Übertragungsvertrag von Oktober 2007 wurden die von Frau K gehaltenen Anteile auf den Beigeladenen, Herrn P sowie i.H.v. 13,33 % auf die GmbH selbst übertragen.

Hintergrund war, dass Frau K. mit einigen Mitarbeitern an einem weiteren Standort in Berlin tätig war. Dieser Standort wurde rechtlich verselbstständigt. Mit Übertragungsvertrag vom 12.12.2007 schied die von Professor K vertretene GmbH als Gesellschafterin aus; ihre Anteile wurden auf die Klägerin übertragen. Herr P übertrug seine Anteile zum Teil auf die GmbH und zum Teil auf den Beigeladenen, so dass sich zu diesem Zeitpunkt die Verhältnisse wie folgt darstellten: Herr P 50 %, der Beigeladene 25 %, die GmbH selbst 25 %. Mit – nicht notariellem – Vertrag vom selben Tag vereinbarten Herr P und der Beigeladene wörtlich: "Es soll eine Gleichgewichtung der Interessen der natürlichen Gesellschaft erreicht werden. ( ) Die Stimmen der GmbH sollen ausschließlich durch den Beigeladenen ausgeübt werden." Zu August 2009 erreichte der Beigeladene das Regelalter der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Klägerin schloss am 01.08.2009 mit dem Beigeladenen einen Geschäftsführervertrag. Beginn des Vertragsverhältnisses war der 1.8.2009. Vereinbart wurde eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende; eine Kündigung sei zugleich eine Abberufung durch die Gesellschafterversammlung. Der Beigeladene sei nicht an Weisungen gebunden. Er solle mit der Hälfte seiner Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Der Verdienst betrug 1500 Euro brutto. Er bestimme Dauer und Zeitpunkt seines Urlaubs selbst, nehme aber mindestens sechs Wochen. Im Krankheitsfall bestehe eine Lohnfortzahlung für sechs Wochen; für zwölf Monate werde Krankengeldzuschuss gezahlt.

Aufgrund einer Anmeldung des Beigeladenen durch das Lohnabrechnungsbüro der Klägerin wurde an dieses ein Fragebogen zur Statusfeststellung versandt. Dort wurde am 12.01.2010 angegeben, dass die Arbeitszeit des Beigeladenen 10-15 Stunden wöchentlich betrage. Das Vorliegen eines Weisungsrechts wurde verneint. Es wurde angegeben, dass vom Beigeladenen das Stimmrecht zu Gunsten eines Dritten ausgeübt werde. Die Alleinvertretungsberechtigung eines der beiden Geschäftsführer wurde in diesem Fragebogen verneint. Ferner wurde angegeben, dass eine Kündigungsfrist bestehe, dass ein festes Gehalt gezahlt werde und eine Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 03.03.2010 das Vorliehen einer abhängigen Beschäftigung ab dem 01.08.2009 fest. Gegen eine abhängige Beschäftigung würde sprechen, dass kein Weisungsrecht bestehe. Für eine abhängige Beschäftigung allerdings, dass der Stimmenanteil in der GmbH ( 50 % sei. Zudem sei eine gleich bleibende Vergütung vereinbart.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass der Beigeladene daher keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen könne. Die 25 % Eigenanteil der GmbH, welcher der Beigeladene entsprechend des Vertrages vom 12.12.2007 stimmrechtlich ausüben solle, könnten nicht ausgeübt werden, weil dieses Stimmrecht gemäß § 33 GmbHG ruhe. Die Arbeitsleistung des Beigeladenen bleibe daher fremdbestimmt, da sie sich in die von der Gesellschafterversammlung vorgegebene Ordnung fügen müsse. Herr P und der Beigeladene vereinbarten am 17.03.2010 in einer "Zusatzvereinbarung zum Stimmrechtsvertrag vom 12.12.2007", dass "zur Klarstellung" jeder ein Stimmrecht von 50 % erhalten solle und gleichberechtigt sei; keiner solle überstimmt werden können. Dies würde seit dem 12.12.2007 so gehandhabt. Darauf nahm der Widerspruch vom 23.03.2010 Bezug.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass jeder Gesellschafter über eine Sperrminorität verfüge. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2011 als unbegründet zurück. Der Stimmbindungsvertrag binde nur die beiden Gesellschafter untereinander im Innenverhältnis. Ein abredewidrig gefasster Gesellschafterbeschluss sei dennoch wirksam. Einem solchen Vertrag könne daher nicht die gleiche Wirkung wie einer körperschaftlichen Regelung zukommen.

Dagegen hat die Klägerin am 13.07.2011 beim Sozialgericht Duisburg Klage erhoben. Im Rahmen des Klageverfahrens erließ die Beklagte am 02.05.2012 einen ergänzenden Bescheid, mit welchem sie klarstellte, dass die Versicherungspflicht lediglich in der Krankenversicherung und Pflegeversicherung bestünde, nicht aber in der Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Das Gericht hat am 21.12.2012 einen Erörterungstermin durchgeführt. Für die Klägerin nahm Herr P. als Geschäftsführer Stellung. Er führte aus, dass das wirtschaftliche Interesse die Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge für den Beigeladenen sei. Während er selbst Vollzeit für die Klägerin tätig sei, sei der Beigeladene mit einem Drittel bis Viertel einer Vollzeittätigkeit dort engagiert.

Der Beigeladene könne in eigener Regie über seinen Einsatz bestimmen. Der Gesellschaftsanteil von 25 % durch die GmbH selbst werde vorsorglich gehalten, damit dieser an einen dritten Gesellschafter übergehen könnte. Sollte der Beigeladene sich aus Altersgründen aus dem Gesellschaft zurückziehen, könne dieser Gesellschafter die weiteren 25 % übernehmen, so dass beide Gesellschafter gleiche Anteile hielten. Jeder Geschäftsführer sei vertraglich alleinvertretungsbefugt. Die Klägerin habe vier Angestellte. Im Stimmbindungsvertrag habe man einen Einigungszwang festschreiben wollen, um das besondere Vertrauensverhältnis zueinander zum Ausdruck zu bringen. Ein schriftlicher Geschäftsführervertrag sei vor dem 1.8.2009 nicht geschlossen worden, obwohl der Beigeladene von Beginn an Geschäftsführer gewesen sei. Der Umfang seiner Tätigkeit oder ihre grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung hätten sich seit der Gesellschaftsgründung nicht verändert. In gewisser Weise gebe es eigenständige Geschäftsfelder. Dem Beigeladenen obliege Akquise und die Entwicklung neuer Produktfelder. So werde versucht, das Angebot der Gesellschaft auch auf den sozialen Bereich zu erstrecken. Dazu würden etwa Kontakte zu kirchlichen Sozialeinrichtungen genutzt, welche der Beigeladene noch aus Zeiten des Arbeitskampfes Rheinhausen habe. Die Entwicklung dieses Produktfeldes werde von dem Beigeladenen wahrgenommen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschriften vom 21.12.2013 und 25.03.2014 Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte die Gesamtumstände nicht zutreffend gewürdigt habe. Die Stimmrechtsvereinbarung werde – unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung – tatsächlich so gelebt. Die gleich bleibende Vergütung für den Beigeladenen erklären sich daraus, dass es sich bei der Gesellschaft um eine relativ kleine GmbH handele, die auf der Ausgabenseite Sicherheit benötige.

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 03.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2012 festzustellen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen bei der Klägerin ab dem 01.08.2009 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung besteht.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass der Beigeladene keinen maßgeblichen Einfluss in der Gesellschafterversammlung habe. Daran ändere auch der Stimmbindungsvertrag nichts. Dieser wirke nur zwischen den Parteien und nicht körperschaftlich. Zudem könne dieser Vertrag jederzeit gekündigt werden. Er sei nicht notariell beurkundet, so dass die Vereinbarung einem Gesellschafterbeschluss nicht gleichkomme. Wenn gleiche Stimmenzahl gewünscht sei, dann hätte dies in dem Gesellschaftervertrag ab dem 01.08.2009 auch so vereinbart werden können. Hinsichtlich der weiteren Einzel des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungsklage- und Feststellungsklage zulässig. Das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, betrifft zwar ein Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen, d.h. nicht ein Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten. Das Rechtsverhältnis im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG muss jedoch nicht zwingend zwischen Hauptbeteiligten des Rechtsstreits bestehen, sondern es kann sich auch um eine Rechtsbeziehung eines Beteiligten zu einem Dritten, damit auch zu einem Beigeladenen des Rechtsstreits handeln (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg.), SGG, 2012, § 55 Rn. 7).

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der Beigeladene im streitigen Zeitraum ab 01.08.2009 die Tätigkeit als Geschäftsführer nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat und damit keine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung besteht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV.

Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber besteht. Persönliche Abhängigkeit erfordert eine Eingliederung in den Betrieb und die Unterordnung unter einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers. Insbesondere bei Diensten höherer Art kann dieses Weisungsrecht erheblich eingeschränkt und zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein.
Auch bei Diensten höherer Art muss eine fremdbestimmte Dienstleistung verbleiben, d.h. die Dienstleistung muss zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (BSG, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20; BSG, SozR 3-4100 § 104 Nr. 8).
Demgegenüber ist die selbständige Tätigkeit in erster Linie durch das eigene Unternehmerrisiko, durch das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (BSG, SozR 3-2400 § 7 Nr. 8). Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.

Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, z.B. auch die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist (BSG, 29.08.2012, B 12 R 14/10 R, Rn. 16). Ausgangspunkt ist dabei zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarung ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung bestehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, 29.08.2012, B 12 R 14/10 R, Rn. 16).

Die Kammer hat nach den Erläuterungen durch die Klägerin und den Beigeladenen in den beiden stattgefundenen Terminen keine Zweifel daran, dass beide Gesellschafter tatsächlich gleichberechtigt die Entscheidungen der Klägerin treffen.

Dies ergibt sich bereits aus der Gründungsidee der Klägerin:
Der Beigeladene konnte aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit – wie er im Termin überzeugend verdeutlicht hat – das Netzwerk schaffen, welches für die Tätigkeit der zu gründenden Gesellschaft erforderlich war. Diese Praxis stellt sich auch als rechtlich zulässig dar:

Nach Überzeugung der Kammer greifen die Einwände der Beklagten hinsichtlich der fehlenden körperschaftlichen Wirkung und der jederzeitigen Kündbarkeit des Stimmbindungsvertrages in diesem konkreten Fall nicht durch.

Die Kammer wertet die zivilgerichtliche Rechtsprechung, welche zu solchen Stimmbindungsverträgen ergangen ist, die von allen Gesellschaftern unterschrieben wurden, so, dass diesen Verträgen ausnahmsweise eine körperschaftliche Wirkung zukommt. So heißt es in der Entscheidung BGH, 20.01.1983, II ZR 243/81: "Verletzt ein Gesellschafter ein solches mit einem Mitgesellschafter getroffenes Abkommen, in dem er abredewidrig abstimmt, so ist zwar der auf diese Weise zustandegekommene Beschluss grundsätzlich nicht anfechtbar, vielmehr der Streit um die Rechtsfolgen des Verstoßes unter den an der Bindung Beteiligten und nicht mit der Gesellschaft auszutragen.

Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Beschluss gegen eine von allen Gesellschaftern eingegangene Bindung verstößt. Haben alle Gesellschafter eine die Gesellschaft betreffende Angelegenheit unter sich einverständlich geregelt, so ist diese Regelung – auch ohne Bestandteil der Satzung zu sein - zumindest solange zugleich als eine solche der Gesellschaft zu behandeln, als dieser nur die aus der Abrede Verpflichteten angehören."
So liegt es hier: Die Stimmrechtsvereinbarung wurde durch den Beigeladenen und dem weiteren Gesellschafter unterzeichnet; neue Gesellschafter sind – noch – nicht hinzugekommen. Auch handelt es sich bei der getroffenen Stimmrechtsvereinbarung nicht lediglich um eine allgemeine, präambelartige Klausel (siehe zu dieser Einschränkung OLG Stuttgart, 7.2.2001. 20 U 52/97 = NJOZ 2001, 335 ff).
Auch in der Literatur werden abredewidrige Gesellschafterbeschlüsse bei einer solchen Stimmrechtsvereinbarung, die den o.g. genannten Kriterien entspricht, für anfechtbar gehalten (Piehler, DStR 1992, S. 1654 ff. (1659); Zöllner, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbHG, 2013, § 47 Rn. 118).
Die überstimmten Gesellschafter müssen sich nicht auf eine Klage gegen die abredewidrig stimmenden Gesellschafter verweisen lassen, sondern können den Beschluss vielmehr durch Klage gegen die Gesellschaft selbst anfechten (BGH. 20.01.1983, II ZR 243/81).

Dem stehen auch nicht die von der Beklagten in das Verfahren eingeführten sozialgerichtlichen Entscheidungen entgegen: Dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts, 28.01.2014, L 6 KR 699/11 lag eine Veränderung der Gesellschafterzusammensetzung nach Abschluss des Stimmbindungsvertrages zu Grunde. Zudem wird die gesellschaftsrechtliche Auswirkung eines Stimmbindungsvertrages unter Bezugnahme auf das saarländische OLG, 24.11.2004, 1 U 202/04 verneint. Diese Entscheidung hat in Leitsatz 2 allerdings die hier vertretene Auffassung zum Ausdruck gebracht, in dem es heißt, dass die abredewidrige Stimmabgabe nicht deshalb unwirksam ist, weil die Stimmbindungsvereinbarung nur mit einem Teil der Gesellschafter geschlossen wurde. Auch in der Entscheidung des LSG Hamburg, 04.09.2013, L 2 R 111/12 bestand die Stimmbindung nicht mit allen Gesellschaftern. In der Entscheidung LSG Baden-Württemberg, 22.01.2014,L 5 R 2148/1313 wird eine Änderung der Verhältnisse (erst) für den Zeitpunkt angenommen, zu welchem sich die mit Stimmbindungsvertrag getroffene Vereinbarung auch im Gesellschaftsvertrag niedergeschlagen hat; warum dies allerdings nicht bereits zuvor so war, wird nicht ausgeführt; eine Auseinandersetzung mit der zivilgerichtlichen Rechtsprechung findet nicht statt. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Zöllner, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbHG, 2013, § 47 Rn. 117 ausführt, dass eine Stimmrechtsvereinbarung nur schuldrechtliche Wirkung hat, übersieht sie die Einschränkung: Ausnahmsweise ist Mangelhaftigkeit bei Verstoß gegen einen alle Gesellschafter verpflichtenden Stimmbindungsvertrag zu bejahen (aaO., Rn. 118).

Aus Sicht der Kammer greift auch nicht der Einwand durch, die Stimmbindungsvereinbarung sei jederzeit kündbar. Dies gilt grundsätzlich, allerdings richtet sich die Kündigung einer Stimmrechtsvereinbarung § 723 BGB, nach welcher eine Kündigung nicht zur Unzeit geschehen darf. Unzeit liegt vor, wenn der Kündigender zwar nach § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB kündigungsberechtigt ist, aber einen Zugangszeitpunkt wählt, der auf die gesellschaftlich relevanten Interessen der Mitgesellschafter keine Rücksicht nimmt (Münchener Kommentar, § 723 BGB, Rn. 53). Dies wäre der Fall, wenn der weitere Gesellschafter den Stimmbindungsvertrag etwa unmittelbar vor der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung allein deshalb kündigt, weil er befürchtet, eine Position unter Fortgeltung des Stimmbindungsvertrages nicht durchsetzen zu können.
Der Beigeladene kann daher nach Überzeugung der Kammer hier aufgrund des Stimmbindungsvertrages trotz seiner Minderheit an den Anteilen ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern. Dies gilt allerdings nur, solange eine Veränderung der Gesellschafterzusammensetzung nicht stattfindet.
Eine abhängige Beschäftigung war damit nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 197a SGG iVm. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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