L 10 R 3511/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 867/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3511/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 09.07.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.

Der am 1963 geborene Kläger, der ohne erlernten Beruf blieb, zog 1980 in die Bundesrepublik zu und arbeitete in der Folgezeit u. a. als Maschinenbediener und Staplerfahrer. Die zuletzt vollschichtig ausgeübte Tätigkeit für eine Autospeditionsfirma endete im Jahr 2003 auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung. Seitdem bezieht der Kläger - von wenigen kurzen Unterbrechungen abgesehen - durchgehend Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Krankengeld, Arbeitslosengeld II). Nach einer Bauchspeicheldrüsenteilresektion im August 2010 mit zahlreichen nachfolgenden Komplikationen durchlief der Kläger im Dezember 2010 eine stationäre Rehabilitation in der Fachklinik S. , W ... Im Entlassungsbericht vom Januar 2011 wurde bei dem Kläger eine Pankreasfibrose, eine Pankreaslinksresektion mit zahlreichen Komplikationen sowie ein pankreopriver Diabetes Mellitus diagnostiziert. Beim Abschlussgespräch gab der Kläger ein normales Allgemeinbefinden an. Der Leistungseinschätzung im Entlassungsbericht zufolge ist ihm seine letzte Tätigkeit als Fabrikarbeiter nur noch unter drei Stunden zumutbar. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen und unter Vermeidung von Wirbelsäulenzwangshaltungen und Überkopfarbeiten könne er sechs Stunden und mehr arbeitstäglich ausüben. Dabei sollten Toiletten in genügender Zahl in erreichbarer Nähe vorhanden sein.

Am 04.08.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste daraufhin zwei Gutachten, darunter eine nervenfachärztliche Begutachtung durch Dr. W ... Dieser gelangte in seinem Gutachten auf Grundlage einer ambulanten Untersuchung im September 2011 zur Diagnose einer chronischen Pankreatitis, eines Zustandes nach wiederholten Dick- und Dünndarmoperationen sowie eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der psychische Befund sei ohne eindeutige psychopathologische Störungen. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Vermeidung von schwerem Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen bei der Arbeit und Überkopfarbeiten vollschichtig leisten. Arbeiten, die eine hohe Konzentration und sehr große Zuverlässigkeit erfordern, erscheinten nicht möglich. In einem Gutachten mit ambulanter Untersuchung im August 2011 gelangte die Ärztin für Anästhesie und Sozialmedizin Dr. S. unter Berücksichtigung des nervenfachärztlichen Gutachtens zu den Diagnosen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus, eines Zustands nach Pankreasteilresektion, von rezidivierenden Bauchschmerzen bei Verwachsungen nach Dick- und Dünndarmteilresektionen, von rezidivierenden Gelenksbeschwerden, aktuell Sulcus-ulnaris-Syndrom links, von rezidivierenden Lumbalbeschwerden bei degenerativen Veränderungen und einer rezidivierenden depressiven Störung, zur Zeit leicht. Unter Berücksichtigung des nervenfachärztlichen Gutachtens kam Dr. S. zu einem wenigstens sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wobei die Arbeiten möglichst im Wechselrhythmus, ohne einseitige Körperhaltungen, ohne häufiges Bücken und möglichst in geschlossenen Räumen durchgeführt werden sollten. Akkordarbeiten und Arbeiten in Nachtschicht sollten vermieden werden. Mit Bescheid vom 20.10.2011 und Widerspruchsbescheid vom 01.02.2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht erfülle.

Der Kläger hat hiergegen und mit dem Ziel der Erlangung von Rente wegen voller Erwerbsminderung am 01.03.2012 das Sozialgericht Karlsruhe angerufen und auf eine Stellungnahme von Dr. H.-P. , Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom Januar 2011 verwiesen, wonach der Kläger unter Unruhe, Ängstlichkeit, vermindertem Durchhaltevermögen und reduziertem Antrieb leide. Das Sozialgericht hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin E. hat mitgeteilt, die Depression des Klägers habe sich mit häufigeren, langanhaltenden Schüben verschlimmert. Der Kläger sei aber in der Lage, einer körperlich leichten und nervlich wenig belastenden Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nachzugehen. Beigefügt hat er seiner Stellungnahme einen Bericht des Universitätsklinikums H. , Sektion Pankreaschirurgie, vom August 2012, in welchem berichtet wird, man habe den Kläger weitgehend beschwerdefrei, bei konstantem Gewicht, gutem Appetit und regelrechtem Stuhlgang ohne behandlungsbedürftige Schmerzen gesehen. Dr. H.-P. hat mitgeteilt, der Kläger leide an einer depressiven Stimmungslage mit Grübelneigung, Antriebsminderung, ausgeprägter innerer Unruhe, Interessenverlust, Rückzugsneigungen, Ein- und Durchschlafstörungen, Insuffizienzgefühlen sowie deutlich verstärktem Schmerzerleben und sei deshalb nicht mehr in der Lage, einer körperlich leichten und nervlich wenig belastenden Tätigkeit wenigstens sechs Stunden täglich nachzugehen.

Das Sozialgericht hat sodann von Amts wegen eine Begutachtung auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet durch Dr. S. veranlasst. Dieser hat beim Kläger auf Grundlage der ambulanten Untersuchung im Februar 2013 auf seinem Fachgebiet depressive Verstimmungen im Sinne von Anpassungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und belastender sozialer Situation, differenzialdiagnostisch Probleme in Verbindung mit den ökonomischen Verhältnissen, Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus ulnaris links bei aktenkundigem Engpasssyndrom des Ellennerven ohne relevante motorische Ausfälle sowie rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne sensomotorische Ausfälle diagnostiziert. Es liege ein arbeitstägliches Leistungsvermögen für eine leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeit ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit von ca. acht Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche unter Vermeidung von Früh- oder Spätschicht, von Tätigkeiten mit vermehrten psychischen Belastungen wie bspw. vermehrte emotionale Belastungen oder erhöhtes Konfliktpotential, von Zwangshaltungen der Wirbelsäule und von Tätigkeiten mit häufigem Bücken vor.

Mit Urteil vom 09.07.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Gericht hat sich dabei zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. S. gestützt.

Der Kläger hat gegen das ihm am 18.07.2013 zugestellte Urteil am 14.08.2013 Berufung eingelegt, welche nicht begründet worden ist.

Er beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.07.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 20.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten (2 Band) Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind (Abs. 2 Satz 1 der Regelung).

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die von ihm begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht erfüllt, weil er zumindest leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen und möglichst in geschlossenen Räumen - zu vermeiden sind Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeiten, schweres Heben, Tragen von Lasten, einseitige Körperhaltungen, häufiges Bücken, Akkordarbeiten, Arbeiten in Nacht-, Früh- oder Spätschicht, Arbeiten, die eine hohe Konzentration und sehr große Zuverlässigkeit erfordern, Tätigkeiten mit vermehrten psychischen Belastungen - noch mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche ausüben kann. Dabei sollten Toiletten in genügender Zahl in erreichbarer Nähe vorhanden sein. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Lediglich ergänzend sind noch folgende Ausführungen veranlasst: Nach den Bekundungen sämtlicher Ärzte wie auch seinen eigenen Angaben leidet der Kläger an Beeinträchtigungen auf nervenfachärztlichem, ferner auch internistischem und orthopädischem Gebiet.

Die Beschwerden auf nervenfachärztlichem Gebiet rechtfertigen keine quantitative Leistungseinschränkung. Dies entnimmt der Senat, wie bereits zuvor das Sozialgericht, dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Dr. S ... Danach haben bei dem Kläger depressive Verstimmungen im Sinne von Anpassungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und belastenden sozialen Situationen bzw. differenzialdiagnostisch bei Problemen in Verbindung mit den ökonomischen Verhältnissen vorgelegen. Zum Gutachtenszeitpunkt ist dabei der Ausprägungsgrad der psychischen Symptomatik leicht gewesen. Soweit Dr. H.-P. in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom Oktober 2012 von einer quantitativen Leistungseinschränkung bereits seit Oktober 2010 ausgegangen ist, kann dem nicht gefolgt werden. So steht diese Beurteilung der sachverständigen Zeugin schon in deutlichem Widerspruch zur Beurteilung durch Dr. W. in seinem Gutachten für die Beklagte. Er konnte bei der Befunderhebung im September 2011 keine eindeutigen psychopathologischen Störungen erheben. Der Kläger wirkte lediglich etwas verspannt und nervös. Aus der Stellungnahme von Dr. H.-P. geht vor allem aber auch nicht das Ausmaß der von ihr erhobenen psychopathologischen Störungen hervor. Sie hat über eine "depressive Stimmungslage, Grübelneigungen, Antriebsminderung, ausgeprägte innere Unruhe, Interessenverlust, Rückzugsneigung, Ein- und Durchschlafstörungen, Insuffizienzgefühle" berichtet; diesem psychopathologischen Befund lässt sich indes nicht die Ausprägung der Erkrankung sowie das konkrete Ausmaß der hieraus resultierenden Einschränkung der (beruflichen) Leistungsfähigkeit entnehmen. Dem gegenüber hat Dr. S. von einer sehr guten geistigen Flexibilität des Klägers berichtet. Kognitive Defizite relevanten Ausmaßes, insbesondere bezüglich der Denkfunktionen, haben nicht vorgelegen; ebenso hat sich keine Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung bzw. soziale Phobie gezeigt, ebensowenig Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Auffassung und der Konzentration in der Gutachtenssituation. Die affektive Resonanzfähigkeit ist nicht eingeschränkt gewesen. Eine tiefgehende oder vitale depressive Stimmungslage hat nicht vorgelegen. Auch haben sich keine relevanten Störungen der sozialen Kompetenzen und der Alltagskompetenzen gezeigt. Eine weitgehende, objektivierbare Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an den Aktivitäten des täglichen Lebens beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit hat beim Kläger nicht vorgelegen; eine auffallende Erschöpftheit ist in der Gutachtenssituation gleichfalls nicht erkennbar gewesen. Eine quantitative Leistungseinschränkung lässt sich mit diesem Befund nicht vereinbaren.

Auf internistischem Fachgebiet liegt bei dem Kläger eine chronische Pankreatitis vor sowie ein Zustand nach Pankreaslinksresektion im August 2010 vor. Hieraus resultieren indes keine quantitativen Leistungseinschränkungen. Bereits im Reha-Entlassungsbericht der Fachklinik S. wurde ausgeführt, der Kläger habe ein normales Allgemeinbefinden angegeben, abdominelle Beschwerden seien nicht mehr zu erfragen gewesen und auch ein Schmerzen/Ziehen der Operationsnarbe sei bei äußerlich reizlosen Wundverhältnissen nicht mehr aufgetreten. Im Befundbericht des Universitätsklinikums H. , Sektion Pankreaschirurgie, vom August 2012 ist von einer zufriedenstellenden Nachsorgesituation beim Kläger berichtet worden. Der Kläger hat sich danach weitgehend beschwerdefrei gezeigt; behandlungsbedürftige Schmerzen haben nicht mehr bestanden. Im Hinblick auf den auf Grund der Bauchspeicheldrüsenentzündung im Oktober 2010 manifest gewordenen Diabetes mellitus waren die Blutzuckerlangzeitmarker bei Begutachtung durch Dr. S. im oberen Normbereich, was auf eine ausreichende Diabeteseinstellung hinweist. Den internistischen Beschwerden wird danach durch die genannten qualitativen Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen, ohne dass hieraus auch eine quantitative Einschränkung resultieren würde.

Den von Dr. S. diagnostizierten Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus ulnarus links wird angesichts fehlender relevanter motorischer Ausfälle durch die bereits genannten qualitativen Leistungseinschränkungen gleichfalls ausreichend Rechnung getragen; hieraus resultierende Beschwerden hat der Kläger im Rahmen der Befragung durch Dr. S. auch nicht vorgetragen. Gleiches gilt im Übrigen für die rezidivierenden Lumbalbeschwerden bei degenerativen Veränderungen. Dr. S. stellte insofern eine freie Wirbelsäulenbeweglichkeit bei mäßigen degenerativen Veränderungen der unteren Wirbelsäule fest. Eine über die bereits dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen hinausgehende Leistungseinschränkung qualitativer oder gar quantitativer Art resultiert hieraus nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved