S 8 SO 60/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 60/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen ein Auskunftsersuchen des Beklagten.

Der am 00.00.1964 geborene Kläger ist der Sohn der am 00.00.1941 geborenen Frau S T. Eine weitere Tochter der Frau S T ist die am 00.00.1977 geborene Frau L T. Die Frau S T bezieht seit dem 01.08.2012 Leistungen zur Hilfe zur Pflege bei dem Beklagten.

Mit dem hier streitgegenständlichen Auskunftsersuchen vom 01.10.2012 forderte der Beklagte den Kläger auf, als unterhaltspflichtige Person Auskunft zu erteilen über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Hiergegen legte der Kläger am 14.10.2012 Widerspruch ein. Die finanzielle Bedürftigkeit habe die Mutter wissentlich und selbstverschuldet über Jahrzehnte durch Aufnahme von Krediten und Ratenkäufen verursacht. Die daraus resultierende Altersarmut oder Versorgungslücke habe sie billigend in Kauf genommen. Die Gelder seien ausschließlich der Frau L T und ihren Angehörigen zu Gute gekommen. So habe die Mutter der Schwester mehrere Wohnungseinrichtungen und die anschließenden Zwangsräumungen aufgrund von Mietschulden finanziert. Auch 2011 habe die Mutter bereits unter staatlicher Betreuung noch einen vollstreckbaren Titel für die Schwester übernommen. Die aus dieser Misere entstandenen Schulden hätten das Renteneinkommen auf einen Mindestbehalt reduziert, eine Tatsache, die der Kläger nicht verschuldet habe und wovon er auch nicht profitiert habe. Nach der Scheidung der Eltern sei er im Alter von elf Jahren bei seinem Vater aufgewachsen. Der Kontakt zur Mutter sei selten gewesen. Finanzielle Unterstützung durch die Mutter habe es seitdem auch nicht mehr gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Auskunftsersuchen stütze sich auf § 117 Abs. 1 SGB XII. Danach seien die Unterhaltspflichtigen verpflichtet, dem Träger über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu erteilen. Als Sohn der Frau S T sei der Kläger Unterhaltsverpflichteter gemäß § 1601 f BGB. Ob tatsächlich eine Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung bestünde, sei für die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens nicht erforderlich. Dies zu entscheiden sei den Zivilgerichten vorbehalten. Die Auskunft sei notwendig zur Feststellung, ob und wenn ja in welcher Höhe eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Mutter tatsächlich bestehe. Auch die Prüfung, ob eine unbillige Härte vorliege, sei im Zusammenhang mit der Auskunftserteilung vorzunehmen. Zweck der Auskunftspflicht sei es, dem Träger die Feststellung zu ermöglichen, ob und in welchem Umfang eine Unterhaltsverpflichtung bestünde. Der Kläger komme abstrakt als Unterhaltsschuldner in Betracht, weshalb die Auskunftspflicht bestehe.

Am 18.12.2012 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 01.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid des Beklagten vom 01.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da der Bescheid rechtmäßig ist.

Rechtsgrundlage für das Auskunftsersuchen des Beklagten ist § 117 Abs. 1 SGB XII. Gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII haben die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB XII es erfordert. Dabei haben sie gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.

Die Auskunftspflicht gemäß § 117 Abs. 1 SGB XII entsteht bereits dann, wenn die Relevanz der begehrten Auskünfte für die Prüfung des Leistungsbegehrens einerseits und möglicher Unterhaltsansprüche des Hilfebedürftigen andernfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Das Auskunftsersuchen ist also dann rechtswidrig, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch besteht (sogenannte Negativevidenz). Denn die Auskunftspflicht des § 117 SGB XII soll die eigentliche Prüfung der unterhaltsrechtlichen Fragen erst ermöglichen und bei Ungewissheit einer Unterhaltsverpflichtung zur Sachverhaltsaufkärung gerade beitragen. Die abschließende Prüfung dieser unterhaltsrechtlichen Fragen obliegt den Zivilgerichten. Eine Negativevidenz kann damit nur dann vorliegen, wenn ein Anspruch von vorn herein, d.h. ohne nähere Prüfung, offensichtlich ausgeschlossen ist. Nur wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht, darf eine Auskunft vom (vermeintlich) Unterhaltspflicht-igen nicht verlangt werden; es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen. Eine Ausnahme kann nur bei erkennbar sinnlosen Auskunftsverlangen gegeben sein, wenn offensichtlich ist, dass die betreffende Person als Unterhaltsschuldner des Sozialhilfeempfängers nicht in Betracht kommt; eine solche Offensichtlichkeit ist jedoch dann nicht gegeben, wenn sich dies erst nach Aufklärung des Sachverhaltes oder Ermittlung des vermeintlich schlüssigen Sachvortrages beantworten lässt. (vgl. zum Vorstehenden Blüggel in juris-PK, 2. Aufl. 2014, § 117 Rn. 28).

Ein Unterhaltsanspruch der Frau S T gegen den Kläger ist hier gemäß § 1601 BGB denkbar. Gemäß § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie einander zum Unterhalt verpflichtet, sodass der Kläger als Sohn der Frau S T als Unterhaltspflichtiger in Betracht kommt. Ein solcher Unterhaltsanspruch ist auch nicht offensichtlich ausgeschlossen. Insbesondere ist nicht ohne jede weitere Sachaufklärung ersichtlich, dass die Unterhaltspflicht gemäß § 1611 BGB ausgeschlossen ist. Gemäß § 1611 Abs. 1 S. 1 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässig hat oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Gemäß § 1611 Abs. 1 S. 2 BGB entfällt die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, muss in einem zivilrechtlichen Verfahren gegebenenfalls nach weiterer Beweisaufnahme über das Verhältnis des Klägers zu seiner Mutter geklärt werden. Dort ist weiter zu klären, inwiefern die Ausgaben der Mutter, auch für die Schwester des Klägers, ein sittlich zu missbilligendes Verhalten darstellen; es ist eine umfassende Billigkeitsprüfung vorzunehmen unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände. Auch ist dort weiter zu klären, ob die Frau S T ihre Unterhaltspflicht gegenüber dem Kläger gröblich vernachlässigt hat. Allein die Tatsache, dass das Sorgerecht für den Kläger dessen Vater übertragen wurde, reicht für diese Feststellung nicht aus. Auch hier ist eine weitere Prüfung aller Einzelfallumstände erforderlich.

Die geforderte Auskunft ist auch zur Durchführung der Aufgaben des Trägers der Sozialhilfe erforderlich, da dieser nur mithilfe der Angaben des Klägers zur Prüfung in der Lage ist, ob dieser seiner Mutter zum Unterhalt verpflichtet ist und hier ein gemäß § 94 SGB XII überleitungsfähiger Anspruch besteht, der zur Verwirklichung des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII von dem Träger geltend zu machen ist.

Ausschluss- bzw. Härtefallgründe gemäß § 94 Abs. 1 S. 2-4 und Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 SGB XII sind ebenfalls nicht ersichtlich. Nach dieser Vorschrift ist ein Auskunftsersuchen dann entbehrlich, wenn bei dem gesetzlichen Übergang von Ansprüchen Ausschluss- oder Härtefallgründe vorliegen, denn gegebenenfalls bedarf es der Ermittlung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen dann von vornherein nicht (LSG NRW, Urteil vom 07.05.2012, Az.: L 20 SO 32/12). Gemäß § 94 Abs. 1 S. 2 SGB XII ist der Übergang des Anspruchs ausgeschlossen, soweit der Unterhaltsanspruch durch laufende Zahlung erfüllt wird. Gemäß § 94 Abs. 1 S. 3 SGB XII ist der Anspruch auch ausgeschlossen, wenn die unterhaltspflichtige Person zum Personenkreis des § 19 gehört oder die unterhaltspflichtige Person mit der leistungsberechtigten Person vom zweiten Grad an verwandt ist; der Übergang des Anspruchs des Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel gegenüber Eltern und Kindern ist ausgeschlossen. Gemäß § 94 Abs. 1 S. 4 gilt Gleiches für Unterhaltsansprüche gegen Verwandte ersten Grades einer Person, die schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres betreut. Gemäß § 94 Abs. 3 S. 1 SGB XII gehen Ansprüche nicht über, soweit die unter-haltspflichtige Person Leistungsberechtigte nach dem Dritten und Vierten Kapitel ist oder bei Erfüllung des Anspruchs würde (Nr. 1) oder der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde (Nr. 2).

Der Kläger ist nicht selbst leistungsberechtigt nach dem SGB XII. Es liegt auch keine unbillige Härte vor. Eine solche liegt dann vor, wenn die Inanspruchnahme des Unterhaltsverpflichteten aus der Sicht des Sozialhilferechts soziale Belange vernachlässigen würde, d.h. wenn in dieser Situation von dem Unterhaltspflichtigen üblicherweise nicht (mehr) erwartet werden kann, nun (auch noch) im Hinblick auf den Unterhaltsanspruch in die Pflicht genommen zu werden (LSG NRW, Urteil vom 07.05.2012, Az.: L 20 SO 32/12). Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen eine nachhaltige Störung des Familienfriedens eintritt, die das weitere Verbleiben des Hilfebedürftigen im Familienverband erschwert (LSG NRW, a.a.O.). Es müssen Umstände vorliegen, denen nicht schon im Rahmen des § 1611 BGB Rechnung getragen wird und die gerade aus dem Blickwinkel des Sozialrechts eine Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Gründe sind hier vom Kläger nicht vorgetragen oder sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich. Dem Verhältnis des Klägers und seiner Mutter wird bereits im Rahmen der Vorschrift des § 1611 BGB Rechnung getragen. Gründe, die darüber hinaus eine Inanspruchnahme des Klägers aus dem Blickwinkel des Sozialrechts als unzumutbar erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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