Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 25 AL 944/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 63/12 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung erledigt ist. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist zum einen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und die Rückforderung von Leistungen streitig, zum anderen die Frage, ob der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2007 wirksam zurückgenommen hat.
Mit der Klage, die zuletzt von den Rechtsanwälten P. aufgrund einer mit Datum vom 10. Januar 2006 erteilten Prozessvollmacht weiter betrieben worden ist, hatt sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 gewandt, mit der die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für Zeiten zwischen dem 7. Januar und dem 31. Dezember 2004 zurückgenommen sowie die Erstattung von 7.121,16 Euro Arbeitslosenhilfe und 1.089,54 Euro Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verlangt hat. Mit Urteil vom 27. September 2007 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben die Rechtsanwälte P. am 8. Januar 2008 Berufung beim Landessozialgericht Hamburg (LSG) eingelegt. Mit Schreiben vom 20. März 2008, bei Gericht als Telefax eingegangen am gleichen Tag und im Original am 25. März 2008, ist die Berufung von den Rechtsanwälten P. zurückgenommen worden. Einem Telefonvermerk vom 25. März 2008 zufolge hat der Kläger an diesem Tag bei Gericht angerufen und erklärt, die Rücknahme sei vorschnell erfolgt. Die Berufung solle auf keinen Fall zurückgenommen werden. In einem späteren Telefonat hat er angegeben, dass er die Vollmacht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rücknahme bei Gericht eingegangen sei, widerrufen habe. Mit Schreiben vom 6. April 2008 hat der Kläger schließlich "sofortigen Widerspruch" gegen die Berufungsrücknahme erklärt. Mit Schreiben vom 15. Mai 2008 haben die Rechtsanwälte P. mitgeteilt, dass der Kläger von ihnen nicht mehr vertreten werde. Von diesem Zeitpunkt an ist der Kläger postalisch nicht mehr zu erreichen gewesen. Er hat sich lediglich noch einmal mit einem Telefax vom 27. Januar 2010 bei Gericht gemeldet, das ohne eine Adressangabe von einem Call-Shop am 28. Januar 2010 abgesandt worden ist, und hat Fristverlängerung für die Berufungsbegründung beantragt. Zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. April 2011 hat der Senat den Kläger deshalb durch öffentliche Zustellung geladen.
Der Senat hat die Berufung durch Urteil vom 27. April 2011 mit der Begründung zurückgewiesen, dass sich die Berufung durch die wirksame Zurücknahmeerklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. März 2008 erledigt habe. Dies folge aus § 156 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG.) Danach bewirke die Zurücknahme den Verlust des Rechtsmittels. Die Zurücknahme hätten die Rechtsanwälte P. als Prozessbevollmächtigte des Klägers wirksam erklärt. Dies gelte selbst dann, wenn der Kläger, wie von ihm behauptet, den Mandatsvertrag zum Zeitpunkt der Abgabe der Zurücknahmeerklärung bereits gekündigt habe. Denn selbst wenn die Rechtsanwälte P. im Innenverhältnis zum Kläger nicht mehr befugt gewesen sein sollten, für den Kläger Prozesserklärungen abzugeben, so gölten sie kraft der ihnen erteilten und dem Gericht bekannt gemachten Prozessvollmacht im Außenverhältnis zum Gericht doch noch als dessen Prozessbevollmächtigte. Damit müsse sich der Kläger die Prozessführung durch die Rechtsanwälte P. zurechnen lassen. Dies schließe die Erklärung über die Rücknahme der Berufung, die von der erteilten Prozessvollmacht gedeckt gewesen sei, ein. Ein Widerruf oder – wie von dem Kläger formuliert – ein Widerspruch gegen die Rücknahme sei nicht möglich.
Gegen die mit jenem Urteil ausgesprochene Nichtzulassung der Revision hat der Kläger am 1. Juli 2011 Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) erhoben. Zur Begründung hat er sich darauf bezogen, dass die öffentliche Zustellung der Ladung fehlerhaft erfolgt sei. Der Verfahrensmangel könne ursächlich für eine unzutreffende Entscheidung des LSG gewesen sein. Er sei postalisch unter einer dem Gericht per Melderegisterauskunft bekannt gewordenen Adresse (D., H.) zu erreichen gewesen. Zusammen mit der Mandatskündigung gegenüber seinen ehemaligen Rechtsanwälten P. vom 17. März 2008 habe er dem LSG mit Schreiben vom gleichen Tage mitgeteilt, dass er das Mandatsverhältnis gekündigt habe. Womöglich sei nur deshalb eine Zuordnung des Schreibens zur Verfahrensakte nicht durchführbar gewesen, weil er das betreffende Aktenzeichen nicht angegeben habe.
Das BSG hat das Urteil des Senats vom 27. April 2011 mit Beschluss vom 29. August 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entscheidung des LSG an einem wesentlichen Verfahrensmangel leide. Eine öffentliche Zustellung sei nach § 185 ZPO nur zulässig, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich sei. Unbekannt sei der Aufenthalt, wenn er allgemein und nicht nur dem Zustellungsveranlasser nicht bekannt sei; insoweit genügten in der Regel ergebnislose Anfragen an das als zuständig anzusehende Einwohnermeldeamt sowie Nachforschungen über bekannte Telefonnummern oder E-Mail-Adressen. Dem LSG habe ausweislich der beigezogenen Akten eine Mobil-Telefonnummer aus dem Jahr 2009 vorgelegen, und es hätten keine Anhaltspunkte bestanden, dass diese Telefonnummer nicht mehr aktuell gewesen sei. Daher hätte für das LSG Veranlassung bestanden, sich zunächst telefonisch an den Kläger zu wenden, bevor der Weg der öffentlichen Zustellung hätte gewählt werden dürfen. Die öffentliche Zustellung sei nur als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, ein Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Weil dem Kläger durch die Vorgehensweise des LSG die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt worden sei, könne die Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen. Ein Fall, dass sich der Verfahrensmangel unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf das Ergebnis – Wirksamkeit der Berufungsrücknahme – auswirken könne, liege nicht vor.
Nach der Zurückverweisung durch das BSG trägt der Kläger nunmehr vor, er habe das vorgelegte Schreiben vom 17. März 2008 sowohl per Telefax als auch per Post an das LSG gesandt und könne den Telefaxversand und den Einwurf des Schreibens in den Briefkasten durch Aussage der Zeugin H. beweisen. Es sei möglich, dass das Telefax und der Brief in den Machtbereich des Landessozialgerichts gelangt, aber einer falschen Akte zugeordnet worden seien. Auf diesen Umstand hätte der Kläger im Jahr 2011 in der mündlichen Verhandlung hinweisen können; zu diesem Zeitpunkt sei eine Aufklärung noch möglich gewesen. Die Mandatskündigung müsse daher als bekannt vorausgesetzt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, das das Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der im Sitzungsprotokoll vom 18. Juni 2014 aufgeführten Unterlagen verwiesen, die vollständig vorgelegen haben und Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens kommt nicht in Betracht, denn dieses Verfahren ist durch die eindeutige Rücknahmeerklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 20. März 2008 wirksam beendet worden. Die Rücknahmeerklärung bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (vgl. § 156 Abs. 3 S. 1 SGG).
Der Kläger muss die Erklärung seiner Prozessbevollmächtigten gegen sich gelten lassen. Die von einem Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO -). Gemäß § 73 Abs. 6 SGG i.V.m. § 81 ZPO ermächtigt die Prozessvollmacht zu allen Prozesshandlungen, u.a. zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Verzichtsleistung auf den Streitgegenstand, d.h. durch Zurücknahme eines Rechtsmittels (vgl. nur Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011 § 81 Rn. 4). Dies folgt auch aus dem Wortlaut der Vollmacht, mit der der Kläger seine ehemals bevollmächtigten Rechtsanwälte P. ausdrücklich zur Einlegung und zur Rücknahme von Rechtsmitteln bevollmächtigt hat. Weisungen im Innenverhältnis zwischen Mandant und Prozessbevollmächtigten beeinträchtigen die Wirksamkeit von Prozesserklärungen nicht (vgl. BSG, Urteil v. 2. September 2009 - B 12 P 2/08 R, SozR 4-3300 § 110 Nr. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73 Rn. 73). Deshalb steht die Behauptung, dass das Mandatsverhältnis am 20. März 2008 bei Abgabe der Rücknahmeerklärung nach dem Vortrag des Klägers bereits "erloschen" gewesen sei, der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung nicht entgegen. Der Vollmachtgeber muss vielmehr dem Prozessbevollmächtigten das Mandat entziehen und dem Gericht von dem Erlöschen der Vollmacht Kenntnis geben. Die Kündigung einer Prozessvollmacht durch den Vollmachtgeber wird erst mit der entsprechenden Mitteilung an das Gericht wirksam (BSG Urteil v. 18. November 1997 – 2 RU 45/96, SozR 3-1500 3 156 Nr. 1).
Dass dies der Fall war, kann nicht festgestellt werden. Keines der als Anlagen BF 1 und BF 2 vorgelegten Schreiben vom 17. März 2008 befindet sich bei den Akten des vorliegenden Verfahrens. Dass eines dieser Schreiben überhaupt und darüber hinaus vor dem 20. März 2008 beim LSG eingegangen ist, hat der Senat ebenfalls nicht festzustellen vermocht. Soweit der Kläger die Möglichkeit erwähnt hat, dass wegen der fehlenden Angabe des Aktenzeichens das Schreiben möglicherweise falsch zugeordnet worden sei, hält der Senat dies für theoretisch denkbar, aber fernliegend. Eine Zuordnung eines Scheibens ohne Angabe eines Aktenzeichens zur betreffenden Prozessakte wäre, wie dies auch mit dem weiteren Schreiben vom 27. Januar 2010 geschehen ist, unter Zuhilfenahme der Gerichtssoftware "Eureka-Fach" erfolgt. Vor dem LSG war seinerzeit nur das vorliegende Verfahren des Klägers anhängig, ein weiteres von ihm vor dem Sozialgericht Hamburg anhängiges Verfahren (S 25 AL 632/03) wurde bereits am 18. Mai 2006 durch Zurücknahme beendet und enthält das Schreiben vom 17. März 2008 ebenfalls nicht.
Die Berufung kann sich nicht darauf stützen, den Beweis des Zugangs des Schreibens vom 17. März 2008, mit dem eine Mandatskündigung gegenüber den ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers dem Gericht bekannt gegeben worden sei, durch Zeugenbeweis über die Absendung eines Fax oder den Einwurf eines Briefes am 17. März 2008 führen zu können. Denn selbst dann, wenn die Zeugin glaubhaft aussagen würde, dass sie gesehen habe, dass das Schreiben an diesem Tag per Telefax an das Gericht abgesandt oder ein an das Gericht adressierter Brief eingeworfen worden sei, in dem sich genau das Schreiben vom 17. März 2008 befunden habe, wäre durch diese Aussage kein Beweis über den erforderlichen rechtzeitigen Zugang dieses Schreibens beim Gericht geführt.
Es ist ein allgemeiner Grundsatz, dass der Beweis der Absendung eines einfachen Briefes per Post keinerlei Beweis (auch nicht in Form eines Anscheinsbeweises) für dessen Zugang darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 - B 13 R 4/06 R, SozR 4-2600 § 115 Nr. 2 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Beweislast für den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs von Schriftstücken liegt beim Beteiligten auch bei der Übermittlung durch ein Telefax (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 64 Rn. 6a). Zwar ist dabei das Vorliegen eines "OK"-Vermerks im Sendebericht ein Beleg für das Zustandekommen der Verbindung, falls eine Manipulation des Sendeberichts ausgeschlossen ist (Keller a.a.O. Rn. 6b). Ein Sendebericht mit "OK"-Vermerk ist aber nicht vorgelegt worden. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass ein solcher Sendebericht existiere. Die angekündigte Aussage der Zeugin kann somit als wahr unterstellt werden, weil durch sie ein Nachweis des Zugangs des Schreibens vom 17. März 2008 nicht möglich ist. Auf die ohnehin bestehenden erheblichen Zweifel des Senats an den erstmals vor dem BSG vorgetragenen und später nachgeschobenen Behauptungen des Klägers kommt es deshalb schon nicht mehr an.
Durch das Schreiben des Klägers vom 6. April 2008 konnte die Berufungsrücknahme der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. März 2008 auch nicht widerrufen werden. Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung sind auf eine gestaltende Prozesshandlung nach allgemeiner Meinung nicht anwendbar (Leitherer in Meyer-Ladewig a.a.O. § 102 Rn 7c). Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Formerfordernisse unterliegt die Rücknahme dem Prozessrecht und nicht dem materiellen Recht. Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung ist nur gemäß § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 579, 580 ZPO möglich. Es liegen aber vorliegend weder die dort genannten Nichtigkeits- noch Restitutionsgründe vor. Umstände, die hierauf schließen lassen könnten, werden vom Kläger auch nicht vorgetragen.
Es ist daher festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die wirksame Erklärung der Bevollmächtigten beendet worden ist. Der Senat kann daher über den vom Kläger geltend gemachten materiellen Anspruch nicht mehr entscheiden, weil das Verfahren in der Hautsache erledigt ist (§ 156 SGG).
Die Kostenentscheidung umfasst die Kosten für das Vor-, Klage-, Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist zum einen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und die Rückforderung von Leistungen streitig, zum anderen die Frage, ob der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2007 wirksam zurückgenommen hat.
Mit der Klage, die zuletzt von den Rechtsanwälten P. aufgrund einer mit Datum vom 10. Januar 2006 erteilten Prozessvollmacht weiter betrieben worden ist, hatt sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 gewandt, mit der die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für Zeiten zwischen dem 7. Januar und dem 31. Dezember 2004 zurückgenommen sowie die Erstattung von 7.121,16 Euro Arbeitslosenhilfe und 1.089,54 Euro Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verlangt hat. Mit Urteil vom 27. September 2007 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben die Rechtsanwälte P. am 8. Januar 2008 Berufung beim Landessozialgericht Hamburg (LSG) eingelegt. Mit Schreiben vom 20. März 2008, bei Gericht als Telefax eingegangen am gleichen Tag und im Original am 25. März 2008, ist die Berufung von den Rechtsanwälten P. zurückgenommen worden. Einem Telefonvermerk vom 25. März 2008 zufolge hat der Kläger an diesem Tag bei Gericht angerufen und erklärt, die Rücknahme sei vorschnell erfolgt. Die Berufung solle auf keinen Fall zurückgenommen werden. In einem späteren Telefonat hat er angegeben, dass er die Vollmacht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rücknahme bei Gericht eingegangen sei, widerrufen habe. Mit Schreiben vom 6. April 2008 hat der Kläger schließlich "sofortigen Widerspruch" gegen die Berufungsrücknahme erklärt. Mit Schreiben vom 15. Mai 2008 haben die Rechtsanwälte P. mitgeteilt, dass der Kläger von ihnen nicht mehr vertreten werde. Von diesem Zeitpunkt an ist der Kläger postalisch nicht mehr zu erreichen gewesen. Er hat sich lediglich noch einmal mit einem Telefax vom 27. Januar 2010 bei Gericht gemeldet, das ohne eine Adressangabe von einem Call-Shop am 28. Januar 2010 abgesandt worden ist, und hat Fristverlängerung für die Berufungsbegründung beantragt. Zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. April 2011 hat der Senat den Kläger deshalb durch öffentliche Zustellung geladen.
Der Senat hat die Berufung durch Urteil vom 27. April 2011 mit der Begründung zurückgewiesen, dass sich die Berufung durch die wirksame Zurücknahmeerklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. März 2008 erledigt habe. Dies folge aus § 156 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG.) Danach bewirke die Zurücknahme den Verlust des Rechtsmittels. Die Zurücknahme hätten die Rechtsanwälte P. als Prozessbevollmächtigte des Klägers wirksam erklärt. Dies gelte selbst dann, wenn der Kläger, wie von ihm behauptet, den Mandatsvertrag zum Zeitpunkt der Abgabe der Zurücknahmeerklärung bereits gekündigt habe. Denn selbst wenn die Rechtsanwälte P. im Innenverhältnis zum Kläger nicht mehr befugt gewesen sein sollten, für den Kläger Prozesserklärungen abzugeben, so gölten sie kraft der ihnen erteilten und dem Gericht bekannt gemachten Prozessvollmacht im Außenverhältnis zum Gericht doch noch als dessen Prozessbevollmächtigte. Damit müsse sich der Kläger die Prozessführung durch die Rechtsanwälte P. zurechnen lassen. Dies schließe die Erklärung über die Rücknahme der Berufung, die von der erteilten Prozessvollmacht gedeckt gewesen sei, ein. Ein Widerruf oder – wie von dem Kläger formuliert – ein Widerspruch gegen die Rücknahme sei nicht möglich.
Gegen die mit jenem Urteil ausgesprochene Nichtzulassung der Revision hat der Kläger am 1. Juli 2011 Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) erhoben. Zur Begründung hat er sich darauf bezogen, dass die öffentliche Zustellung der Ladung fehlerhaft erfolgt sei. Der Verfahrensmangel könne ursächlich für eine unzutreffende Entscheidung des LSG gewesen sein. Er sei postalisch unter einer dem Gericht per Melderegisterauskunft bekannt gewordenen Adresse (D., H.) zu erreichen gewesen. Zusammen mit der Mandatskündigung gegenüber seinen ehemaligen Rechtsanwälten P. vom 17. März 2008 habe er dem LSG mit Schreiben vom gleichen Tage mitgeteilt, dass er das Mandatsverhältnis gekündigt habe. Womöglich sei nur deshalb eine Zuordnung des Schreibens zur Verfahrensakte nicht durchführbar gewesen, weil er das betreffende Aktenzeichen nicht angegeben habe.
Das BSG hat das Urteil des Senats vom 27. April 2011 mit Beschluss vom 29. August 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entscheidung des LSG an einem wesentlichen Verfahrensmangel leide. Eine öffentliche Zustellung sei nach § 185 ZPO nur zulässig, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich sei. Unbekannt sei der Aufenthalt, wenn er allgemein und nicht nur dem Zustellungsveranlasser nicht bekannt sei; insoweit genügten in der Regel ergebnislose Anfragen an das als zuständig anzusehende Einwohnermeldeamt sowie Nachforschungen über bekannte Telefonnummern oder E-Mail-Adressen. Dem LSG habe ausweislich der beigezogenen Akten eine Mobil-Telefonnummer aus dem Jahr 2009 vorgelegen, und es hätten keine Anhaltspunkte bestanden, dass diese Telefonnummer nicht mehr aktuell gewesen sei. Daher hätte für das LSG Veranlassung bestanden, sich zunächst telefonisch an den Kläger zu wenden, bevor der Weg der öffentlichen Zustellung hätte gewählt werden dürfen. Die öffentliche Zustellung sei nur als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, ein Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Weil dem Kläger durch die Vorgehensweise des LSG die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt worden sei, könne die Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen. Ein Fall, dass sich der Verfahrensmangel unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf das Ergebnis – Wirksamkeit der Berufungsrücknahme – auswirken könne, liege nicht vor.
Nach der Zurückverweisung durch das BSG trägt der Kläger nunmehr vor, er habe das vorgelegte Schreiben vom 17. März 2008 sowohl per Telefax als auch per Post an das LSG gesandt und könne den Telefaxversand und den Einwurf des Schreibens in den Briefkasten durch Aussage der Zeugin H. beweisen. Es sei möglich, dass das Telefax und der Brief in den Machtbereich des Landessozialgerichts gelangt, aber einer falschen Akte zugeordnet worden seien. Auf diesen Umstand hätte der Kläger im Jahr 2011 in der mündlichen Verhandlung hinweisen können; zu diesem Zeitpunkt sei eine Aufklärung noch möglich gewesen. Die Mandatskündigung müsse daher als bekannt vorausgesetzt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, das das Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der im Sitzungsprotokoll vom 18. Juni 2014 aufgeführten Unterlagen verwiesen, die vollständig vorgelegen haben und Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens kommt nicht in Betracht, denn dieses Verfahren ist durch die eindeutige Rücknahmeerklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 20. März 2008 wirksam beendet worden. Die Rücknahmeerklärung bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (vgl. § 156 Abs. 3 S. 1 SGG).
Der Kläger muss die Erklärung seiner Prozessbevollmächtigten gegen sich gelten lassen. Die von einem Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO -). Gemäß § 73 Abs. 6 SGG i.V.m. § 81 ZPO ermächtigt die Prozessvollmacht zu allen Prozesshandlungen, u.a. zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Verzichtsleistung auf den Streitgegenstand, d.h. durch Zurücknahme eines Rechtsmittels (vgl. nur Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011 § 81 Rn. 4). Dies folgt auch aus dem Wortlaut der Vollmacht, mit der der Kläger seine ehemals bevollmächtigten Rechtsanwälte P. ausdrücklich zur Einlegung und zur Rücknahme von Rechtsmitteln bevollmächtigt hat. Weisungen im Innenverhältnis zwischen Mandant und Prozessbevollmächtigten beeinträchtigen die Wirksamkeit von Prozesserklärungen nicht (vgl. BSG, Urteil v. 2. September 2009 - B 12 P 2/08 R, SozR 4-3300 § 110 Nr. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73 Rn. 73). Deshalb steht die Behauptung, dass das Mandatsverhältnis am 20. März 2008 bei Abgabe der Rücknahmeerklärung nach dem Vortrag des Klägers bereits "erloschen" gewesen sei, der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung nicht entgegen. Der Vollmachtgeber muss vielmehr dem Prozessbevollmächtigten das Mandat entziehen und dem Gericht von dem Erlöschen der Vollmacht Kenntnis geben. Die Kündigung einer Prozessvollmacht durch den Vollmachtgeber wird erst mit der entsprechenden Mitteilung an das Gericht wirksam (BSG Urteil v. 18. November 1997 – 2 RU 45/96, SozR 3-1500 3 156 Nr. 1).
Dass dies der Fall war, kann nicht festgestellt werden. Keines der als Anlagen BF 1 und BF 2 vorgelegten Schreiben vom 17. März 2008 befindet sich bei den Akten des vorliegenden Verfahrens. Dass eines dieser Schreiben überhaupt und darüber hinaus vor dem 20. März 2008 beim LSG eingegangen ist, hat der Senat ebenfalls nicht festzustellen vermocht. Soweit der Kläger die Möglichkeit erwähnt hat, dass wegen der fehlenden Angabe des Aktenzeichens das Schreiben möglicherweise falsch zugeordnet worden sei, hält der Senat dies für theoretisch denkbar, aber fernliegend. Eine Zuordnung eines Scheibens ohne Angabe eines Aktenzeichens zur betreffenden Prozessakte wäre, wie dies auch mit dem weiteren Schreiben vom 27. Januar 2010 geschehen ist, unter Zuhilfenahme der Gerichtssoftware "Eureka-Fach" erfolgt. Vor dem LSG war seinerzeit nur das vorliegende Verfahren des Klägers anhängig, ein weiteres von ihm vor dem Sozialgericht Hamburg anhängiges Verfahren (S 25 AL 632/03) wurde bereits am 18. Mai 2006 durch Zurücknahme beendet und enthält das Schreiben vom 17. März 2008 ebenfalls nicht.
Die Berufung kann sich nicht darauf stützen, den Beweis des Zugangs des Schreibens vom 17. März 2008, mit dem eine Mandatskündigung gegenüber den ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers dem Gericht bekannt gegeben worden sei, durch Zeugenbeweis über die Absendung eines Fax oder den Einwurf eines Briefes am 17. März 2008 führen zu können. Denn selbst dann, wenn die Zeugin glaubhaft aussagen würde, dass sie gesehen habe, dass das Schreiben an diesem Tag per Telefax an das Gericht abgesandt oder ein an das Gericht adressierter Brief eingeworfen worden sei, in dem sich genau das Schreiben vom 17. März 2008 befunden habe, wäre durch diese Aussage kein Beweis über den erforderlichen rechtzeitigen Zugang dieses Schreibens beim Gericht geführt.
Es ist ein allgemeiner Grundsatz, dass der Beweis der Absendung eines einfachen Briefes per Post keinerlei Beweis (auch nicht in Form eines Anscheinsbeweises) für dessen Zugang darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 - B 13 R 4/06 R, SozR 4-2600 § 115 Nr. 2 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Beweislast für den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs von Schriftstücken liegt beim Beteiligten auch bei der Übermittlung durch ein Telefax (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 64 Rn. 6a). Zwar ist dabei das Vorliegen eines "OK"-Vermerks im Sendebericht ein Beleg für das Zustandekommen der Verbindung, falls eine Manipulation des Sendeberichts ausgeschlossen ist (Keller a.a.O. Rn. 6b). Ein Sendebericht mit "OK"-Vermerk ist aber nicht vorgelegt worden. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass ein solcher Sendebericht existiere. Die angekündigte Aussage der Zeugin kann somit als wahr unterstellt werden, weil durch sie ein Nachweis des Zugangs des Schreibens vom 17. März 2008 nicht möglich ist. Auf die ohnehin bestehenden erheblichen Zweifel des Senats an den erstmals vor dem BSG vorgetragenen und später nachgeschobenen Behauptungen des Klägers kommt es deshalb schon nicht mehr an.
Durch das Schreiben des Klägers vom 6. April 2008 konnte die Berufungsrücknahme der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. März 2008 auch nicht widerrufen werden. Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung sind auf eine gestaltende Prozesshandlung nach allgemeiner Meinung nicht anwendbar (Leitherer in Meyer-Ladewig a.a.O. § 102 Rn 7c). Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Formerfordernisse unterliegt die Rücknahme dem Prozessrecht und nicht dem materiellen Recht. Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung ist nur gemäß § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 579, 580 ZPO möglich. Es liegen aber vorliegend weder die dort genannten Nichtigkeits- noch Restitutionsgründe vor. Umstände, die hierauf schließen lassen könnten, werden vom Kläger auch nicht vorgetragen.
Es ist daher festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die wirksame Erklärung der Bevollmächtigten beendet worden ist. Der Senat kann daher über den vom Kläger geltend gemachten materiellen Anspruch nicht mehr entscheiden, weil das Verfahren in der Hautsache erledigt ist (§ 156 SGG).
Die Kostenentscheidung umfasst die Kosten für das Vor-, Klage-, Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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