Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 R 74/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 139/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am xxxxx 1956 geborene Kläger ist Diplom-Musiklehrer für die Instrumente Laute und Gitarre. Da er nach Erlangung des Diploms keine entsprechende Anstellung fand, war er seit 1992 zunächst selbständig tätig und seit dem 1. Januar 1998 bei einer Firma für Systemtechnik als technischer Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt. Die hierfür erforderlichen Kenntnisse hatte er durch das Studium der Informatik im Nebenfach und als Autodidakt erworben. In dieser Tätigkeit wurde er im April 2006 arbeitsunfähig. Am 15. August 2008 begehrte er von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, er leide seit dem 22. April 2006 an massiven Depressionen.
Gegenüber dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. gab der Versicherte in der auf Veranlassung der Beklagten am 17. März 2008 durchgeführten Untersuchung an, zur Krankschreibung habe geführt, dass er an einem Montagmorgen nicht mehr aus dem Bett gekommen sei und sich gesagt habe, da gehe er nicht mehr hin. Zuvor habe er sechs Monate lang praktisch nahezu durchgearbeitet gehabt, auch am Wochenende. Der Firma sei es auch schlecht gegangen, so dass man an jedem Monatsende um sein Geld gebangt habe. Dann sei er einfach nicht mehr hingegangen und habe sich krankschreiben lassen. Nach Auslaufen des Krankengeldes am 26. Oktober 2007 lebe er von den Mieteinkünften eines ihm gehörenden Vierfamilienhauses, dessen eine Wohneinheit er selbst bewohne. Zwei Jahre vor der Untersuchung bei Dr. H. sei die Ehefrau, so der Kläger gegenüber Dr. H., aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, weil er ein Verhältnis mit seiner Nachbarin angefangen habe, die auch jetzt noch seine Freundin sei. Zum Tagesablauf heißt es bei Dr. H.: Er stehe meist um 08.30 Uhr auf, mache sich seinen Tee. Dann habe er sich angewöhnt, einfach Musik zu machen, spiele Konzertgitarre, da ihm das am besten tue. Das mache er 4 – 5 Stunden am Tag. Zwischendurch erledige er das, was man erledigen müsse. Haushalt etc. versorge er selbst und ohne Hilfen. Abends koche er meist. Dann komme die Freundin von der Arbeit, man verbringe den Abend gemeinsam. Er gehe "physikalisch gesehen" zwischen 22.00 und 23.00 Uhr ins Bett, schlafe aber nicht gleich ein. Hobbys seien Fotografieren und Musik. Früher habe er auch gern gelesen. Dr. H. stellte eine neurotisch getönte Versagenshaltung fest. Vermittelt worden sei auch eine leicht schizoide Tönung, die aber nicht sicher gegen die neurotisch getönte Versagenshaltung abzugrenzen gewesen sei. Möglicherweise habe auch eine zurückliegende ausgeprägtere Symptomatik bestanden, vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstruktur mit schizoiden Komponenten und einer Überlastung am Arbeitsplatz. Auf der Basis der aktuellen Informationen lasse sich aber eine relevante Leistungsminderung nicht konstatieren. Es bestehe aus nervenärztlicher Sicht ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Tätigkeiten, die dem Ausbildungs-grad entsprächen.
Während der Trennungszeit wurde der Kläger von seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau auf Trennungsunterhalt in Anspruch genommen und auch durch Versäumnisurteil vom 26. Januar 2006 zur Zahlung von Trennungsunterhalt in Höhe 630,00 EUR verurteilt. Demgegenüber machte er geltend, weder arbeits- noch erwerbsfähig zu sein. Seit 1. Februar 2009 schuldet der Kläger aufgrund eines mit seiner geschiedenen Ehefrau geschlossenen gerichtlichen Vergleichs keinen Trennungsunterhalt mehr.
Mit Bescheid vom 7. Mai 2008 und Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger könne nach der Einschätzung von Dr. H. vollschichtig auf dem Arbeitsmarkt tätig sein. Festgestellt worden sei lediglich eine neurotisch getönte Versagenshaltung nach depressiver Episode, eine Persönlichkeits¬störung und ein Zustand nach Arbeitsplatzüberlastung. Damit könne die letzte Tätigkeit weiterhin ausgeübt werden.
Der Versicherte hat gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten fristgerecht Klage erhoben und zur Begründung auf ein Gutachten der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. vom 21. Dezember 2008 verwiesen, welches in dem Familienrechtsstreit mit seiner Ehefrau erstellt worden sei. Dort sei er für erwerbsunfähig gehalten worden. Er sei auch nicht bereit, an einer von der Beklagten angebotenen Maßnahme der Rehabilitation teilzunehmen, weil dies nach Einschätzung der ihn behandelnden Psychotherapeutin für kontraproduktiv gehalten werde.
In dem Gutachten der Frau Dr. F. vom 21. Dezember 2008 geht diese von einem anhaltend mittelgradigen, ausgeprägten depressiven Syndrom mit Einschränkung der Vitalgefühle, Antriebsverminderung, Interessenverlust, sozialem Rückzug und diffusem Angsterleben aus. Zusätzlich sei an eine tiefergehende Störung der Persönlichkeit zu denken, deren diagnostische Zuordnung ihr aber ohne weitere Exploration nicht möglich sei. Der Untersuchte sei weiterhin nicht arbeitsfähig.
Das Sozialgericht hat den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Diplompsychologen Prof. Dr. M. untersuchen und begutachten lassen. Dieser ist in seinem schriftlichen Gutachten vom 8. Juli 2010 zu der Einschätzung gelangt, dass die Leistungsfähigkeit gegenwärtig durch keinerlei Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt sei. Eine depressive Episode habe sich bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. H. so weit zurückgebildet gehabt, dass eine quantitative Leistungsminderung nicht mehr gegeben gewesen sei. Zu einer entscheidenden Besserung sei es nach dem Abschluss des Scheidungsverfahrens gekommen. Durchaus könne es – je nach Stand des "Scheidungskrieges" – zwischenzeitlich zu vorübergehenden Verschlimmerungen gekommen sein. Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung hätten sich bei seiner Unter-suchung nicht gezeigt. Der hiervon abweichenden Einschätzung der Frau Dr. F. könne er sich nicht anschließen. Ihre Einschätzung lasse sich nicht zwangslos aus den von ihr erhobenen Befunden ableiten. Gehe man vom aktuellen Zustand aus, so finde sich keine psychische Störung mehr. Offensichtlich habe der Untersuchte vor dem Hintergrund der seinerzeitigen depressiven Krise beschlossen, sein Leben fortan anders zu gestalten. Dies stehe ihm frei, sei aber nicht im engeren Sinne als krankheitswertig aufzufassen.
Durch Gerichtsbescheid vom 22. September 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich hierbei maßgeblich auf die Einschätzung von Prof. Dr. M. bezogen. Auf die Entscheidung, die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. September 2011 zugestellt worden ist, wird Bezug genommen.
Am 7. Oktober 2011 hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, auch unter Morbus Parkinson und unter einem Asperger-Syndrom zu leiden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2009 zu verurteilen, ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach einem Leistungsfall vom 15. Januar 2008 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts und verteidigt ihren Bescheid.
Das Berufungsgericht hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt, der den Kläger am 19. September 2012 untersucht hat. Diesem gegenüber hat er angegeben, dass vor 2 ½ Jahren eine krampfartige Bewegungsstörung in der rechten Hand eingesetzt habe. Man habe ihm zunächst einen Parkinson "anhängen" wollen. Nun sei geklärt, dass er keinen Parkinson habe. Es stehe fest, dass bei ihm eine Beschäftigungsdystonie der rechten Hand bestehe, eine Musikerkrankheit. Er übe jetzt auch wieder drei Stunden täglich Gitarre. Auf die letzte Tätigkeit angesprochen erklärte er gegenüber Dr. L., er habe schließlich eines Montags beschlossen, dort nicht wieder hinzugehen, nachdem er bereits vorher einmal zusammengebrochen sei und drei Tage im Krankenhaus habe verbringen müssen. Zum Tagesablauf gab er gegenüber Dr. L. an, er verbringe die Tage so, dass er zwischen 6.00 und 7.00 Uhr aufstehe. Er schlafe nicht so gut, wache meist gegen 4.00 Uhr noch einmal auf, brauche auch Zeit zum Einschlafen. Deshalb gehe er manchmal schon um 9.00 Uhr ins Bett. Nach dem Aufstehen habe er sein "Pensum", wie das Üben auf der Gitarre, ein großes Thema sei auch die Gartenarbeit, den halte er in Ordnung. Man koche gemeinsam. Am Wochenende mache er viel mit seiner Freundin. Man habe durchaus einen Freundes- und Bekanntenkreis.
Dr. L. erhob einen in allen Anteilen völlig unauffälligen psychopathologischen Befund. Es ergäben sich weder Hinweise auf eine relevante Persönlichkeitsstörung noch auf eine relevante Depression. Mit Ausnahme einer diskreten feinmotorischen Behinderung der rechten Hand hätten sich seitens des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets Leistungseinschränkungen nicht ausmachen lassen. Der Kläger könne bei erhaltener Wegefähigkeit regelmäßig vollschichtig Tätigkeiten verrichten.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt worden, der den Kläger am 30. August 2013 untersucht hat. Ihm gegenüber gab der Kläger zum Tagesablauf an, gegen 6.00 Uhr morgens aufzuwachen. Dann mache er sich als Ostfriese eine Kanne Tee. Bald fange er mit Musikübungen an. Er spiele täglich Gitarre, etwa 2 ½ Stunden, dabei müsse er wiederholt Pausen einlegen. Da im Hause nur Musiker wohnten, sei das Spielen von Instrumenten kein Problem. Zwischendurch erledige er den Haushalt oder den Einkauf oder sehe fern, esse auch eine Kleinigkeit. Manchmal beschäftige er sich im Garten. Abends treffe er seine Freundin. Er gehe relativ früh schlafen. Aufgrund seiner Schlafstörungen komme er nur auf 6 Stunden pro Nacht. Weiter gab der Kläger an, zu befürchten, im Fall der Zuweisung eines Jobs sehr schnell das Gefühl der Entfremdung zu entwickeln. Es würde sehr rasch zu einer Überforderung mit den auf ihn einfallenden Reizen kommen, die fremde Umgebung würde ein Problem darstellen. Dr. H. gelangt zu der Einschätzung, dass aus gutachterlicher Sicht die Beschwerden und Symptome des Probanden nicht unter einem spezifischen Syndrom subsumiert werden könnten. Dies dürfte aus seiner Sicht auch die Erklärung für die verschiedenen diagnostischen Annahmen und Überlegungen der Vorgutachten sein. Der Proband beschreibe einerseits eine Depressivität, welche aber nie das Ausmaß einer so genannten Majoren Depression erreicht habe. Hierzu passend sei es nie zu einer entsprechenden Medikation gekommen. Man könne von einer Dysthymia (früher neurotische Depression, depressive Persönlichkeitsstörung) sprechen, die eine chronische Grundhaltung darstelle, welche in Krisensituationen exazerbiere. Die beschriebenen Derealisations- und Depersonalisationsphänomene könnten hierdurch aber nicht sicher erklärt werden. Sie seien am ehesten als Gating deficit (Reizfilter¬störung) zu erklären. Zusammenfassend müsse von einer nicht spezifizierbaren psychischen Störung ausgegangen werden. Maßgeblich sei indessen nur, dass diese Störung Krankheitswert habe. Hierdurch könne der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich zumutbare Arbeiten leisten. Es könne retrospektiv nicht genau terminiert werden, seit wann die Einschränkungen in diesem Ausmaß bestehen. Wahrscheinlich hätten sie ihre Anfänge mit der psychischen Dekompensation im Jahre 2006. Aufgrund der Dynamik seien wesentliche Änderungen im Leistungsvermögen seit Antragstellung im Jahre 2008 unwahrscheinlich. Er widerspreche der Einschätzung des Vorgutachters, dass nur eine diskrete psychische Minderbelastbarkeit vorliegt. Der Vorgutachter habe die Derealisations- und Depersonalisationsphänomene nicht in seine Bewertung einfließen lassen.
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat sich mit Blick auf die Ausführungen von Dr. H. am 6. Februar 2014 Prof. Dr. M. schriftlich dahingehend geäußert, dass der Kläger die Derealisations- und Depersonalisationsphänomene gegenüber Dr. H. deutlicher schildere als ihm gegenüber. Jedoch folge selbst dann, wenn man ihr Vorliegen trotz Fehlen entsprechender Anknüpfungstatsachen unterstelle, hieraus noch kein Krankheitswert. Denn wenn der Kläger angebe, diese Phänomene bereits seit Kindheit zu haben, dann hätten sie ihm immerhin eine längere Berufstätigkeit, zumal im EDV-Bereich ermöglicht. Möglich sei nach allem, dass bei dem Kläger eine leichte Form der Agoraphobie vorliege. Jedoch gelinge es ihm ganz offensichtlich ohne große Anstrengungen solche Situationen zu vermeiden. Jedenfalls ergebe sich insgesamt keine überzeugende Evidenz für eine krankheitswertige Agoraphobie oder eine krankheitswertige dissoziative Symptomatik.
Hierzu hat sich auf Anforderung des Klägers Dr. H. schriftlich am 26. Februar 2014 im Wesentlichen dahingehend geäußert, dass Derealisations- und Depersonalisations-phänomene ihrer Natur nach nicht zu beweisen seien. Deshalb habe er in seinen Ausführungen das entsprechende "Syndrom" auch in Anführungszeichen gesetzt. Es sei entscheidend, dass die Feststellung krankheitswertiger Störungen getroffen werde, nicht jedoch, dass diese Störungen diagnostisch exakt zugeordnet würden. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass sein Gutachten auf der Untersuchung des Klägers beruhe, dasjenige des Prof. Dr. M. jedoch auf einer vier Jahre zurückliegenden Untersuchung.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat auf Antrag des Klägers Dr. H. angehört. Er hat im Wesentlichen ausgeführt, dass er zwar bei dem Kläger vier Störungsbilder festgestellt habe, nämlich eine neurotische Depression, eine agoraphobische Angstsymptomatik, ein Depersonalisations- und Derealisationsphänomen und eine Reizüberflutung (gating defizit), jedoch könne er eine konkrete Diagnose nach dem ICD-10 nicht stellen. Auch habe Prof. Dr. M. Recht, wenn er sage, dass der Kläger mit diesen Störungen sogar erfolgreich berufstätig gewesen sei. Gleichwohl sei aber sicher, dass der Kläger nicht mehr leistungsfähig ist, weil er bei ihm weder Aggravation noch Simulation habe feststellen können. Bei Störungen wie den festgestellten sei es so, dass irgendwann "die Batterie leer sei". Dann sei die Erschöpfung so groß, dass keine Erwerbsfähigkeit mehr gegeben sei.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Übrigen wird auf die Sitzungs-niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Akte der Beklagten ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist auch im Übrigen zulässig, namentlich innerhalb der Frist des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG eingelegt worden. Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Dem Kläger steht eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nicht zu. Das Berufungsgericht hat sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) ebenso wenig wie zuvor schon die Beklagte und das Sozialgericht davon überzeugen können, dass der Kläger erwerbsgemindert ist. Denn es lässt sich nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit, d.h. im Vollbeweis, feststellen, dass er durch Krankheit daran gehindert ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich in seiner letzten Tätigkeit erwerbstätig zu sein. Dies haben mit Ausnahme von Dr. H. sämtliche im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren befragten Ärzte unter Hinweis darauf festgestellt, dass sich wesentliche krankhafte Befunde nicht erheben ließen. Vielmehr hat sich nach ihrer Einschätzung eine aufgrund lebensgeschichtlicher Einflüsse eingetretene depressive Episode noch vor Stellung des Rentenantrages so weit zurückgebildet, dass – so Dr. H. – eine quantitative Leistungsminderung nicht mehr gegeben war bzw. – so Dr. L. und Prof. Dr. M. – sich eine Störung von Krankheitswert bei der jeweiligen Untersuchung gar nicht mehr feststellen ließ. Auf die hiervon abweichende Einschätzung von Dr. H. lässt sich die Feststellung eines auch nur teilweise aufgehobenen Leistungsvermögens nicht gründen. Denn seiner Einschätzung mangelt es schon an einer Diagnose, die sie nachvollziehbar und vor allem überprüfbar macht. Insbesondere bei psychischen Störungen müssen die Erkrankungen nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen validiert werden, um Verfälschungs-tendenzen entgegen zu wirken. Von daher kommt einem Gutachten, dem es an einer solchen Einordnung fehlt, ein geringerer Beweiswert zu als anderen. Denn für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast in gesteigerter Weise (vgl. BSG vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R, vom 1.7.1964 - 11/1 RA 158/61 = BSGE 21, 189 = SozR Nr. 39 zu § 1246 RVO und BSG vom 21.10.1969 - 11 RA 219/66 = SozR Nr. 76 zu § 1246 RVO). Dies gilt hier umso mehr, als Dr. H. der Einschätzung des Prof. Dr. M., der Kläger habe trotz des festgestellten Depersonalisations- und Derealisationsphänomens und einer Reizüberflutung (gating defizit) sogar sehr erfolgreich erwerbstätig sein können, ausdrücklich zustimmt und damit zu erkennen gibt, dass die beschriebenen Störungen Erwerbsfähigkeit nicht in jedem Falle ausschließen. Kann mithin ein Arzt die Störung nicht diagnostizieren und so verobjektivieren, dann ist der Beweis ihres Vorliegens jedenfalls dann nicht erbracht, wenn andere Mediziner aufgrund gleicher Befundlage nur von allenfalls geringfügigen Störungen ausgehen, die das Leistungsvermögen nicht mindern. Dies geht mit Blick auf die Verteilung der objektiven Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Erwerbsminderung zu Lasten des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der am xxxxx 1956 geborene Kläger ist Diplom-Musiklehrer für die Instrumente Laute und Gitarre. Da er nach Erlangung des Diploms keine entsprechende Anstellung fand, war er seit 1992 zunächst selbständig tätig und seit dem 1. Januar 1998 bei einer Firma für Systemtechnik als technischer Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt. Die hierfür erforderlichen Kenntnisse hatte er durch das Studium der Informatik im Nebenfach und als Autodidakt erworben. In dieser Tätigkeit wurde er im April 2006 arbeitsunfähig. Am 15. August 2008 begehrte er von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, er leide seit dem 22. April 2006 an massiven Depressionen.
Gegenüber dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. gab der Versicherte in der auf Veranlassung der Beklagten am 17. März 2008 durchgeführten Untersuchung an, zur Krankschreibung habe geführt, dass er an einem Montagmorgen nicht mehr aus dem Bett gekommen sei und sich gesagt habe, da gehe er nicht mehr hin. Zuvor habe er sechs Monate lang praktisch nahezu durchgearbeitet gehabt, auch am Wochenende. Der Firma sei es auch schlecht gegangen, so dass man an jedem Monatsende um sein Geld gebangt habe. Dann sei er einfach nicht mehr hingegangen und habe sich krankschreiben lassen. Nach Auslaufen des Krankengeldes am 26. Oktober 2007 lebe er von den Mieteinkünften eines ihm gehörenden Vierfamilienhauses, dessen eine Wohneinheit er selbst bewohne. Zwei Jahre vor der Untersuchung bei Dr. H. sei die Ehefrau, so der Kläger gegenüber Dr. H., aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, weil er ein Verhältnis mit seiner Nachbarin angefangen habe, die auch jetzt noch seine Freundin sei. Zum Tagesablauf heißt es bei Dr. H.: Er stehe meist um 08.30 Uhr auf, mache sich seinen Tee. Dann habe er sich angewöhnt, einfach Musik zu machen, spiele Konzertgitarre, da ihm das am besten tue. Das mache er 4 – 5 Stunden am Tag. Zwischendurch erledige er das, was man erledigen müsse. Haushalt etc. versorge er selbst und ohne Hilfen. Abends koche er meist. Dann komme die Freundin von der Arbeit, man verbringe den Abend gemeinsam. Er gehe "physikalisch gesehen" zwischen 22.00 und 23.00 Uhr ins Bett, schlafe aber nicht gleich ein. Hobbys seien Fotografieren und Musik. Früher habe er auch gern gelesen. Dr. H. stellte eine neurotisch getönte Versagenshaltung fest. Vermittelt worden sei auch eine leicht schizoide Tönung, die aber nicht sicher gegen die neurotisch getönte Versagenshaltung abzugrenzen gewesen sei. Möglicherweise habe auch eine zurückliegende ausgeprägtere Symptomatik bestanden, vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstruktur mit schizoiden Komponenten und einer Überlastung am Arbeitsplatz. Auf der Basis der aktuellen Informationen lasse sich aber eine relevante Leistungsminderung nicht konstatieren. Es bestehe aus nervenärztlicher Sicht ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Tätigkeiten, die dem Ausbildungs-grad entsprächen.
Während der Trennungszeit wurde der Kläger von seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau auf Trennungsunterhalt in Anspruch genommen und auch durch Versäumnisurteil vom 26. Januar 2006 zur Zahlung von Trennungsunterhalt in Höhe 630,00 EUR verurteilt. Demgegenüber machte er geltend, weder arbeits- noch erwerbsfähig zu sein. Seit 1. Februar 2009 schuldet der Kläger aufgrund eines mit seiner geschiedenen Ehefrau geschlossenen gerichtlichen Vergleichs keinen Trennungsunterhalt mehr.
Mit Bescheid vom 7. Mai 2008 und Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger könne nach der Einschätzung von Dr. H. vollschichtig auf dem Arbeitsmarkt tätig sein. Festgestellt worden sei lediglich eine neurotisch getönte Versagenshaltung nach depressiver Episode, eine Persönlichkeits¬störung und ein Zustand nach Arbeitsplatzüberlastung. Damit könne die letzte Tätigkeit weiterhin ausgeübt werden.
Der Versicherte hat gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten fristgerecht Klage erhoben und zur Begründung auf ein Gutachten der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. vom 21. Dezember 2008 verwiesen, welches in dem Familienrechtsstreit mit seiner Ehefrau erstellt worden sei. Dort sei er für erwerbsunfähig gehalten worden. Er sei auch nicht bereit, an einer von der Beklagten angebotenen Maßnahme der Rehabilitation teilzunehmen, weil dies nach Einschätzung der ihn behandelnden Psychotherapeutin für kontraproduktiv gehalten werde.
In dem Gutachten der Frau Dr. F. vom 21. Dezember 2008 geht diese von einem anhaltend mittelgradigen, ausgeprägten depressiven Syndrom mit Einschränkung der Vitalgefühle, Antriebsverminderung, Interessenverlust, sozialem Rückzug und diffusem Angsterleben aus. Zusätzlich sei an eine tiefergehende Störung der Persönlichkeit zu denken, deren diagnostische Zuordnung ihr aber ohne weitere Exploration nicht möglich sei. Der Untersuchte sei weiterhin nicht arbeitsfähig.
Das Sozialgericht hat den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Diplompsychologen Prof. Dr. M. untersuchen und begutachten lassen. Dieser ist in seinem schriftlichen Gutachten vom 8. Juli 2010 zu der Einschätzung gelangt, dass die Leistungsfähigkeit gegenwärtig durch keinerlei Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt sei. Eine depressive Episode habe sich bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. H. so weit zurückgebildet gehabt, dass eine quantitative Leistungsminderung nicht mehr gegeben gewesen sei. Zu einer entscheidenden Besserung sei es nach dem Abschluss des Scheidungsverfahrens gekommen. Durchaus könne es – je nach Stand des "Scheidungskrieges" – zwischenzeitlich zu vorübergehenden Verschlimmerungen gekommen sein. Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung hätten sich bei seiner Unter-suchung nicht gezeigt. Der hiervon abweichenden Einschätzung der Frau Dr. F. könne er sich nicht anschließen. Ihre Einschätzung lasse sich nicht zwangslos aus den von ihr erhobenen Befunden ableiten. Gehe man vom aktuellen Zustand aus, so finde sich keine psychische Störung mehr. Offensichtlich habe der Untersuchte vor dem Hintergrund der seinerzeitigen depressiven Krise beschlossen, sein Leben fortan anders zu gestalten. Dies stehe ihm frei, sei aber nicht im engeren Sinne als krankheitswertig aufzufassen.
Durch Gerichtsbescheid vom 22. September 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich hierbei maßgeblich auf die Einschätzung von Prof. Dr. M. bezogen. Auf die Entscheidung, die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. September 2011 zugestellt worden ist, wird Bezug genommen.
Am 7. Oktober 2011 hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, auch unter Morbus Parkinson und unter einem Asperger-Syndrom zu leiden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2009 zu verurteilen, ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach einem Leistungsfall vom 15. Januar 2008 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts und verteidigt ihren Bescheid.
Das Berufungsgericht hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt, der den Kläger am 19. September 2012 untersucht hat. Diesem gegenüber hat er angegeben, dass vor 2 ½ Jahren eine krampfartige Bewegungsstörung in der rechten Hand eingesetzt habe. Man habe ihm zunächst einen Parkinson "anhängen" wollen. Nun sei geklärt, dass er keinen Parkinson habe. Es stehe fest, dass bei ihm eine Beschäftigungsdystonie der rechten Hand bestehe, eine Musikerkrankheit. Er übe jetzt auch wieder drei Stunden täglich Gitarre. Auf die letzte Tätigkeit angesprochen erklärte er gegenüber Dr. L., er habe schließlich eines Montags beschlossen, dort nicht wieder hinzugehen, nachdem er bereits vorher einmal zusammengebrochen sei und drei Tage im Krankenhaus habe verbringen müssen. Zum Tagesablauf gab er gegenüber Dr. L. an, er verbringe die Tage so, dass er zwischen 6.00 und 7.00 Uhr aufstehe. Er schlafe nicht so gut, wache meist gegen 4.00 Uhr noch einmal auf, brauche auch Zeit zum Einschlafen. Deshalb gehe er manchmal schon um 9.00 Uhr ins Bett. Nach dem Aufstehen habe er sein "Pensum", wie das Üben auf der Gitarre, ein großes Thema sei auch die Gartenarbeit, den halte er in Ordnung. Man koche gemeinsam. Am Wochenende mache er viel mit seiner Freundin. Man habe durchaus einen Freundes- und Bekanntenkreis.
Dr. L. erhob einen in allen Anteilen völlig unauffälligen psychopathologischen Befund. Es ergäben sich weder Hinweise auf eine relevante Persönlichkeitsstörung noch auf eine relevante Depression. Mit Ausnahme einer diskreten feinmotorischen Behinderung der rechten Hand hätten sich seitens des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets Leistungseinschränkungen nicht ausmachen lassen. Der Kläger könne bei erhaltener Wegefähigkeit regelmäßig vollschichtig Tätigkeiten verrichten.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt worden, der den Kläger am 30. August 2013 untersucht hat. Ihm gegenüber gab der Kläger zum Tagesablauf an, gegen 6.00 Uhr morgens aufzuwachen. Dann mache er sich als Ostfriese eine Kanne Tee. Bald fange er mit Musikübungen an. Er spiele täglich Gitarre, etwa 2 ½ Stunden, dabei müsse er wiederholt Pausen einlegen. Da im Hause nur Musiker wohnten, sei das Spielen von Instrumenten kein Problem. Zwischendurch erledige er den Haushalt oder den Einkauf oder sehe fern, esse auch eine Kleinigkeit. Manchmal beschäftige er sich im Garten. Abends treffe er seine Freundin. Er gehe relativ früh schlafen. Aufgrund seiner Schlafstörungen komme er nur auf 6 Stunden pro Nacht. Weiter gab der Kläger an, zu befürchten, im Fall der Zuweisung eines Jobs sehr schnell das Gefühl der Entfremdung zu entwickeln. Es würde sehr rasch zu einer Überforderung mit den auf ihn einfallenden Reizen kommen, die fremde Umgebung würde ein Problem darstellen. Dr. H. gelangt zu der Einschätzung, dass aus gutachterlicher Sicht die Beschwerden und Symptome des Probanden nicht unter einem spezifischen Syndrom subsumiert werden könnten. Dies dürfte aus seiner Sicht auch die Erklärung für die verschiedenen diagnostischen Annahmen und Überlegungen der Vorgutachten sein. Der Proband beschreibe einerseits eine Depressivität, welche aber nie das Ausmaß einer so genannten Majoren Depression erreicht habe. Hierzu passend sei es nie zu einer entsprechenden Medikation gekommen. Man könne von einer Dysthymia (früher neurotische Depression, depressive Persönlichkeitsstörung) sprechen, die eine chronische Grundhaltung darstelle, welche in Krisensituationen exazerbiere. Die beschriebenen Derealisations- und Depersonalisationsphänomene könnten hierdurch aber nicht sicher erklärt werden. Sie seien am ehesten als Gating deficit (Reizfilter¬störung) zu erklären. Zusammenfassend müsse von einer nicht spezifizierbaren psychischen Störung ausgegangen werden. Maßgeblich sei indessen nur, dass diese Störung Krankheitswert habe. Hierdurch könne der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich zumutbare Arbeiten leisten. Es könne retrospektiv nicht genau terminiert werden, seit wann die Einschränkungen in diesem Ausmaß bestehen. Wahrscheinlich hätten sie ihre Anfänge mit der psychischen Dekompensation im Jahre 2006. Aufgrund der Dynamik seien wesentliche Änderungen im Leistungsvermögen seit Antragstellung im Jahre 2008 unwahrscheinlich. Er widerspreche der Einschätzung des Vorgutachters, dass nur eine diskrete psychische Minderbelastbarkeit vorliegt. Der Vorgutachter habe die Derealisations- und Depersonalisationsphänomene nicht in seine Bewertung einfließen lassen.
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat sich mit Blick auf die Ausführungen von Dr. H. am 6. Februar 2014 Prof. Dr. M. schriftlich dahingehend geäußert, dass der Kläger die Derealisations- und Depersonalisationsphänomene gegenüber Dr. H. deutlicher schildere als ihm gegenüber. Jedoch folge selbst dann, wenn man ihr Vorliegen trotz Fehlen entsprechender Anknüpfungstatsachen unterstelle, hieraus noch kein Krankheitswert. Denn wenn der Kläger angebe, diese Phänomene bereits seit Kindheit zu haben, dann hätten sie ihm immerhin eine längere Berufstätigkeit, zumal im EDV-Bereich ermöglicht. Möglich sei nach allem, dass bei dem Kläger eine leichte Form der Agoraphobie vorliege. Jedoch gelinge es ihm ganz offensichtlich ohne große Anstrengungen solche Situationen zu vermeiden. Jedenfalls ergebe sich insgesamt keine überzeugende Evidenz für eine krankheitswertige Agoraphobie oder eine krankheitswertige dissoziative Symptomatik.
Hierzu hat sich auf Anforderung des Klägers Dr. H. schriftlich am 26. Februar 2014 im Wesentlichen dahingehend geäußert, dass Derealisations- und Depersonalisations-phänomene ihrer Natur nach nicht zu beweisen seien. Deshalb habe er in seinen Ausführungen das entsprechende "Syndrom" auch in Anführungszeichen gesetzt. Es sei entscheidend, dass die Feststellung krankheitswertiger Störungen getroffen werde, nicht jedoch, dass diese Störungen diagnostisch exakt zugeordnet würden. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass sein Gutachten auf der Untersuchung des Klägers beruhe, dasjenige des Prof. Dr. M. jedoch auf einer vier Jahre zurückliegenden Untersuchung.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat auf Antrag des Klägers Dr. H. angehört. Er hat im Wesentlichen ausgeführt, dass er zwar bei dem Kläger vier Störungsbilder festgestellt habe, nämlich eine neurotische Depression, eine agoraphobische Angstsymptomatik, ein Depersonalisations- und Derealisationsphänomen und eine Reizüberflutung (gating defizit), jedoch könne er eine konkrete Diagnose nach dem ICD-10 nicht stellen. Auch habe Prof. Dr. M. Recht, wenn er sage, dass der Kläger mit diesen Störungen sogar erfolgreich berufstätig gewesen sei. Gleichwohl sei aber sicher, dass der Kläger nicht mehr leistungsfähig ist, weil er bei ihm weder Aggravation noch Simulation habe feststellen können. Bei Störungen wie den festgestellten sei es so, dass irgendwann "die Batterie leer sei". Dann sei die Erschöpfung so groß, dass keine Erwerbsfähigkeit mehr gegeben sei.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Übrigen wird auf die Sitzungs-niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Akte der Beklagten ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist auch im Übrigen zulässig, namentlich innerhalb der Frist des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG eingelegt worden. Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Dem Kläger steht eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nicht zu. Das Berufungsgericht hat sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) ebenso wenig wie zuvor schon die Beklagte und das Sozialgericht davon überzeugen können, dass der Kläger erwerbsgemindert ist. Denn es lässt sich nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit, d.h. im Vollbeweis, feststellen, dass er durch Krankheit daran gehindert ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich in seiner letzten Tätigkeit erwerbstätig zu sein. Dies haben mit Ausnahme von Dr. H. sämtliche im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren befragten Ärzte unter Hinweis darauf festgestellt, dass sich wesentliche krankhafte Befunde nicht erheben ließen. Vielmehr hat sich nach ihrer Einschätzung eine aufgrund lebensgeschichtlicher Einflüsse eingetretene depressive Episode noch vor Stellung des Rentenantrages so weit zurückgebildet, dass – so Dr. H. – eine quantitative Leistungsminderung nicht mehr gegeben war bzw. – so Dr. L. und Prof. Dr. M. – sich eine Störung von Krankheitswert bei der jeweiligen Untersuchung gar nicht mehr feststellen ließ. Auf die hiervon abweichende Einschätzung von Dr. H. lässt sich die Feststellung eines auch nur teilweise aufgehobenen Leistungsvermögens nicht gründen. Denn seiner Einschätzung mangelt es schon an einer Diagnose, die sie nachvollziehbar und vor allem überprüfbar macht. Insbesondere bei psychischen Störungen müssen die Erkrankungen nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen validiert werden, um Verfälschungs-tendenzen entgegen zu wirken. Von daher kommt einem Gutachten, dem es an einer solchen Einordnung fehlt, ein geringerer Beweiswert zu als anderen. Denn für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast in gesteigerter Weise (vgl. BSG vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R, vom 1.7.1964 - 11/1 RA 158/61 = BSGE 21, 189 = SozR Nr. 39 zu § 1246 RVO und BSG vom 21.10.1969 - 11 RA 219/66 = SozR Nr. 76 zu § 1246 RVO). Dies gilt hier umso mehr, als Dr. H. der Einschätzung des Prof. Dr. M., der Kläger habe trotz des festgestellten Depersonalisations- und Derealisationsphänomens und einer Reizüberflutung (gating defizit) sogar sehr erfolgreich erwerbstätig sein können, ausdrücklich zustimmt und damit zu erkennen gibt, dass die beschriebenen Störungen Erwerbsfähigkeit nicht in jedem Falle ausschließen. Kann mithin ein Arzt die Störung nicht diagnostizieren und so verobjektivieren, dann ist der Beweis ihres Vorliegens jedenfalls dann nicht erbracht, wenn andere Mediziner aufgrund gleicher Befundlage nur von allenfalls geringfügigen Störungen ausgehen, die das Leistungsvermögen nicht mindern. Dies geht mit Blick auf die Verteilung der objektiven Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Erwerbsminderung zu Lasten des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
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