L 8 SO 1450/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 15 SO 44/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 1450/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe zu Lebzeiten des Antragstellers entscheidungsreif gewesen, steht der Bewilligung nicht entgegen, dass nach dem Tod des Antragstellers die Prozesskostenhilfe aufgrund ihrer höchstpersönlichen Rechtsnatur nicht mehr bewilligt werden kann (Anschluss an Thüringer LSG, Beschluss vom 21.09.2004 - L 6 RJ 964/02 und BSG, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 1 RA 25/87 - m.w.N.; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 73a Rn. 13h m.w.N.).

2. Die Prozesskostenhilfe und anwaltliche Beiordnung für die verstorbene Klägerin endet aufgrund der höchstpersönlichen Rechtsnatur im Zeitpunkt des Eintritts ihres Todes (Anschluss an BSG, 2. Dezember 1987 - 1 RA 25/87; Sächsisches LSG, Beschluss vom 24. Oktober 2012 - L 3 AL 39/12 B ER; beide juris).

3. Der Beginn der Bewilligung und anwaltlichen Beiordnung ist nicht zu bestimmen, weil die Höhe der Rahmengebühr nach § 14 RVG keiner zeitlichen Einschränkung für das Verfahren unterliegt, zu dem der Anwalt beigeordnet ist, wenn dem Antragsteller selbst keine übernahmefähigen Kosten entstanden sind (Anschluss an: Thüringer LSG, Beschluss vom 18. März 2011 - L 6 SF 1418/10 B, juris m.w.N.).
Auf die Beschwerde der Rechtsnachfolger der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 3. Juli 2012 aufgehoben und der Klägerin für die erste Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Rechtsanwalts O. K. in. H. zum 22. Januar 2012 bewilligt.

Gründe:

Die am 20. August 2012 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der am 22. Januar 2012 verstorbenen Klägerin - für deren Rechts-nachfolger - gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Nord-hausen (SG) vom 3. Juli 2012, ihnen zugestellt am 23. Juli 2012, ist zulässig.

Insbesondere sind die anwaltlichen Prozessbevollmächtigten befugt, Verfahrenshandlungen für die Rechtsnachfolger der Klägerin vorzunehmen. Die Prozessvollmacht wirkt nach dem Ableben der Klägerin gegenüber den Rechtsnachfolgern fort (§ 73 Abs. 5 S. 7 SGG i.V.m. § 86 ZPO), ohne dass es ihrer persönlichen Identifizierung bedarf (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 86 ZPO Rn. 8 m.w.N.). Einen Antrag auf Aussetzung des Rechtsstreits nach § 202 SGG i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO haben sie nicht gestellt.

Dabei sind die Rechtsnachfolger verfahrensrechtlich befugt, Beschwerde gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen, obwohl sie allenfalls der Klägerin selbst für den Zeitraum bis zu ihrem Ableben bewilligt werden kann (vgl. zum Streitstand: Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 73a Rn. 13h). Soweit materiell der verstorbenen Klägerin eine solche Rechtsposition zustehen kann, müssen die allein noch nach § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähigen Rechtsnachfolger befugt sein, verfahrensrechtlich diese Rechtsposition durchzusetzen.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung liegen vor.

Gemäß § 114 S. 1 ZPO, der über die Verweisungsnorm des § 73a Abs. 1 S. 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, ist einem Beteiligten auf Antrag Prozesskostenhilfe zu be-willigen, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Pro-zessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Haben grundsätzlich hinreichende Erfolgsaussichten im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags auf PKH vorzuliegen, kommt es für die weiteren Anspruchsvoraussetzungen hinge-gen auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss an (§ 202 SGG i.V.m. § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Diese liegen zum danach maßgeblichen Zeitpunkt vor. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits im Januar 2012 verstorben ist. Auch soweit vertreten wird, es handele sich bei der Prozesskostenhilfe um einen höchstpersönlichen Anspruch, der nach dem Tode der unbemittelten Person, nicht mehr geltend gemacht werden könne (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 1 RA 25/87, juris m.w.N.; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 73a Rn. 13h m.w.N.), gilt das nach Auffassung des Senats nicht, wenn der PKH-Antrag bereits vor dem Tode des Antragstellers entscheidungsreif gewesen ist (Anschluss an Thüringer LSG, Beschluss vom 21. September 2004 - L 6 RJ 964/02; LSG Chemnitz, Beschluss vom 24. Oktober 2012 - L 3 AL 39/12 B ER; beide juris). Dabei setzt das im Gegensatz zur Rechtsprechung des Senats in anderen Fallkonstellationen nicht weiter voraus, dass der Antragsteller auf eine rechtzeitige Entscheidung über den PKH-Antrag hingewirkt hat (vgl. Thüringer Landesozialgericht, Beschluss vom 9. Februar 2011 - L 4 AS 60/11 B und 1. Juli 2008 - L 9 B 64/07 AS jeweils mit m.w.N.). Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, vorsorglich im Hinblick auf einen möglicherweise eintretenden Tod auf eine zeitnahe Entscheidung über den PKH-Antrag hinzuwirken.

Entscheidungsreife ist regelmäßig gegeben, wenn der Antrag entsprechend den Vorgaben in § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 117 ZPO insbesondere unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der erforderlichen Belege gestellt ist und die übrigen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt haben (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Das ist vorliegend zu dem Zeitpunkt der Fall gewesen, zu dem der Beklagte sich erstmals ge-genüber dem SG zur Klageschrift - welche den PKH-Antrag enthalten hat - geäußert hat (Schriftsatz des Beklagten vom 10. Mai 2011, eingegangen bei dem SG am 12. Mai 2011).

Der Maßstab für die darüber hinaus geforderten Erfolgsaussichten ist im Lichte der grund-rechtlich garantierten Rechtsschutzgleichheit zu bestimmen. Sie folgt aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG. Gefordert ist hiernach eine Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines Unbemittelten mit denen eines Bemittelten, der seine Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes jedenfalls unter Zuhilfenahme aller verfahrens-rechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen instanzgerichtliche Entscheidungen durchzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2006 – 2 BvR 626/06 - und vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88; beide juris; stRspr). Ein höherer Wahrscheinlichkeitsgrad kann erforderlich sein, um die Prozessführung nicht mutwillig erscheinen zu lassen, wenn die Bedeutung des Rechtsschutzzieles sonst völlig außer Verhältnis zum verbleibenden Prozesskostenrisiko steht.

Hinreichende Erfolgsaussichten sind anzunehmen, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage weder angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellter Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347 (359)) noch höchstrichterlich geklärt ist. Nur so verbleibt dem Unbemittelten die Möglichkeit seinen klärungsbedürftigen Rechtsstandpunkt zumindest im Hauptsacheverfahren zu vertreten und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2006 – 2 BvR 626/06 u.a., NVwZ 2006, 1156 m.w.N.).

Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidungssreife des Antrages auf Prozesskostenhilfe.

Im Zeitpunkt der Entscheidungsreife im Mai 2011 ist durchaus in Betracht gekommen, dass die Sterbegeldversicherung der Klägerin aus Härtegesichtspunkten nach § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII nicht vorrangig zu verwerten ist. Eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu hat jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Die anderslautende Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 19/10 R, juris) und des Senats (Urteil vom 23. Mai 2012 - L 8 SO 85/11, juris) ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen.

Die anwaltliche Beiordnung erfolgt nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO. Sie ist erforderlich, weil die Gegenseite sich im Rechtsstreit rechtskundiger und prozesserfahrener Mitarbeiter bedient, deren Kenntnis- und Erfahrungsstand dem Kläger ohne anwaltliche Hilfe nicht zur Verfügung steht (vgl. zum Maßstab: BVerfG, 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10, NJW 2011, 2039 m.w.N.).

Der Beginn der Bewilligung und anwaltlichen Beiordnung ist nicht zu bestimmen, weil die Höhe der Rahmengebühr nach § 14 RVG keiner zeitlichen Einschränkung für das Verfahren unterliegt, zu dem er beigeordnet ist (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 18. März 2011 - L 6 SF 1418/10 B, juris m.w.N.), und dem Antragsteller selbst keine übernahmefähigen Kosten entstanden sind.

Die Prozesskostenhilfe und anwaltliche Beiordnung für die verstorbene Klägerin endet aufgrund der höchstpersönlichen Rechtsnatur im Zeitpunkt des Eintritts ihres Todes (BSG, 2. Dezember 1987 - 1 RA 25/87; Sächsisches LSG, Beschluss vom 24. Oktober 2012 - L 3 AL 39/12 B ER; beide juris). Nur deswegen kommt es bei der Bedürftigkeitsprüfung ausschließlich auf ihre persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und nicht der ihrer Rechtsnachfolger an.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Bewilligungsverfahren wie das Haupt-sacheverfahren kostenfrei ist (§ 183 SGG) und eine Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten ausgeschlossen ist (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 4 ZPO, für Be-schwerdeverfahren: § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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