S 6 KR 846/03

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 846/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8/14 KR 277/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
verb. mit S 6 KR 845/03
Die Bescheide der Beklagten vom 04.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 und vom 11.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 werden geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten für das Anlegen von Kompressionsverbänden in der Zeit vom 01.04.2003 bis 20.08.2003 und für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen in der Zeit vom 21.08.2003 bis 31.12.2003 gegenüber der DRK Sozialstation C-Stadt in Höhe von insgesamt 1.964,30 Euro freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu ¾ zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Freistellung von Kosten für das Anlegen von Kompressionsverbänden sowie für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen im Rahmen häuslicher Krankenpflege streitig.

Die 1927 geborene Klägerin ist bei der Beklagten kranken- und pflegeversichert. In einem Pflegegutachten des MDK vom 26.06.2002 (Untersuchungstag 18.06.2002) gelangte der Gutachter Dr. D. zu der Beurteilung, bei der Klägerin seien die Voraussetzungen für die Pflegestufe II erfüllt. Ein Hilfebedarf bestehe unter anderem beim Aufstehen und Zubettgehen von 6 Minuten, beim Ankleiden von 10 Minuten und beim Entkleiden von 5 Minuten.

Am 25.03.2003 verordnete der behandelnde Hausarzt E. im Rahmen einer Folgeverordnung für die Zeit vom 01.04.2003 bis 30.06.2003 unter anderem das Anlegen von Kompressionsverbänden 1 x täglich/7 x wöchentlich. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin leide an einer starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Als Diagnosen gab er an: Diabetes, Gangrän, Globalinsuffizienz, koronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, Ödeme beider Beine, transurethraler Blasenverweilkatheter. Die Klägerin sei nicht in der Lage, die Leistungen selbst durchzuführen.

Durch Bescheid vom 04.04.2003 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen mit der Begründung ab, hierbei handele es sich um krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, die nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden dürften. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes. Danach dürften die Kosten für verschiedene Maßnahmen der Behandlungspflege nicht von den Trägern der Krankenversicherung übernommen werden, wenn Pflegebedürftige bereits entsprechende Leistungen aus der Pflegeversicherung erhielten. Maßnahmen der Behandlungspflege, die mit einer Verrichtung der Grundpflege in einem notwendigen zeitlichen Zusammenhang stehen würden, fielen in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung.

Die Klägerin erhob Widerspruch am 14.04.2003 mit dem Begehren, die Kosten für das Anlegen von Kompressionsverbänden an beiden Beinen für die Zeit ab dem 01.04.2003 zu übernehmen. Die Verbände seien notwendig und von dem Hausarzt auch verordnet worden.

Die Beklagte holte eine Bescheinigung des Herrn E. vom 04.06.2003 ein. Darin führte er aus, die Klägerin benötige zur Unterstützung des venösen Rückflusses und Lymphabflusses dringend Kompressionsverbände. Eine inhaltsgleiche Bescheinigung stellte Herr E. unter dem 30.06.2003 aus.

Darüber hinaus verordnete Herr E. am 30.06.2003 auch für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.12.2003 das Anlegen von Kompressionsverbänden 1 x täglich bzw. 7 x wöchentlich. Er gab erneut an, die Klägerin leide aufgrund ihrer Erkrankungen an einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie die Leistungen nicht selbst durchführen könne.

Durch Bescheid vom 11.07.2003 lehnte die Beklagte auch für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.12.2003 eine Kostenübernahme für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab. Sie wiederholte die in dem Bescheid vom 04.04.2003 gegebene Begründung.

Die Klägerin erhob Widerspruch am 24.07.2003 und trug unter anderem vor, das Sachleistungsbudget im Rahmen der Pflegeversicherung sei bereits ohne das Anlegen der Kompressionsverbände erschöpft. Der entsprechende Zeitaufwand sei im Pflegegutachten auch nicht berücksichtigt worden.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte Herr E. mit Schreiben vom 20.08.2003 mit, anstelle von Kompressionsverbänden könne die Versorgung auch mit Kompressionsstrümpfen der Klasse II ab sofort erfolgen. Als relevante Diagnose gab er an: schwerste Stauungsdermatitis mit postthrombotischem Syndrom.

Durch getrennte Widerspruchsbescheide vom 29.10.2003 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin gegen den Bescheid vom 04.04.2003 sowie gegen den weiteren Bescheid vom 11.07.2003 zurück. Zur Begründung führte sie jeweils aus, das Anlegen von Kompressionsverbänden sei verordnungsfähig, wenn aus anatomischen Gründen angepasste Kompressionsstrümpfe nicht möglich seien. Hier habe der behandelnde Arzt E. bescheinigt, dass anstelle von Kompressionsverbänden die Versorgung mit Kompressionsstrümpfen möglich sei. Sie habe deshalb die verordnete Leistung, nämlich das Anlegen von Kompressionsverbänden, nicht genehmigen können. Der behandelnde Arzt sei auch nicht berechtigt gewesen, die Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu verordnen.

Gegen beide Bescheide hat die Klägerin am 25.11.2003 getrennt Klage erhoben (S 6 KR 846/03 und S 6 KR 845/03). Sie begehrt die Freistellung von den Kosten für das Anlegen von Kompressionsverbänden in der Zeit vom 01.04.2003 bis 30.11.2003 und für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen in der Zeit vom 01.12.2003 bis 31.12.2003 gegenüber der DRK Sozialstation C-Stadt in Höhe von insgesamt 2.654,04 EUR und trägt vor, die Notwendigkeit der Kompressionsverbände ergebe sich aus der Verordnung von Herrn E. Im Übrigen handele es sich bei dem An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II grundsätzlich um eine verordnungsfähige Maßnahme der häuslichen Krankenpflege. Der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sei nicht zu folgen bzw. diese treffe den vorliegenden Sachverhalt nicht. Der Verweis auf die Leistungen der Pflegeversicherung sei sachwidrig. Dementsprechend habe der Gesetzgeber das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Klasse II auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen sie, eindeutig der häuslichen Krankenpflege zugeordnet. Ergänzend legt die Klägerin eine Kostenaufstellung der DRK Sozialstation C. in C-Stadt vom 25.05.2004 über die erbrachten Leistungen in der Zeit von April bis Dezember 2003 vor.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 sowie des Bescheides vom 11.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 zu verurteilen, sie von den Kosten für das Anlegen von Kompressionsverbänden in der Zeit vom 01.04.2003 bis 30.11.2003 und für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen in der Zeit vom 01.12.2003 bis 31.12.2003 gegenüber der DRK Sozialstation C-Stadt in Höhe von insgesamt 2.654,04 Euro freizustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin erhalte Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II. Dem Gutachten vom 18.06.2003 sei zu entnehmen, dass die Klägerin zweimal täglich beim An- und Entkleiden des gesamten Körpers einen Hilfebedarf habe. Bei der täglichen Hilfe beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe handele es sich daher um eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, für die ein separater Anspruch auf häusliche Krankenpflege nicht bestehe, weil es an der Notwenigkeit einer gesonderten Leistung der Krankenversicherung fehle. Insoweit sei auf die Entscheidung des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 30.10.2001, Az. B 3 KR 2/01 R) hinzuweisen. Soweit die Klägerin auf die erfolgte Gesetzesänderung hingewiesen habe, sei diese mit Wirkung vom 01.01.2004 in Kraft getreten. Das geänderte Recht gelte deshalb erst ab diesem Zeitpunkt. Für die streitbefangenen Zeiträume bleibe es jedoch bei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes.

Durch Beschluss vom 02.02.2004 sind beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klagen sind zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden.

Die Klagen sind auch überwiegend begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von den Kosten für das Anlegen von Kompressionsverbänden in der Zeit vom 01.04.2003 bis 20.08.2003 und für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen in der Zeit vom 21.08.2003 bis 31.12.2003 gegenüber der DRK Sozialstation in C-Stadt in Höhe von insgesamt 1.964,30 EUR. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 04.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 und vom 11.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 sind insoweit rechtswidrig.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der bis zum 31.12.2003 geltenden und hier anzuwendenden Fassung erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Dabei besteht nach § 37 Abs. 3 SGB V der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

Der Anspruch auf Behandlungspflege im Sinne der vorstehenden Vorschrift erstreckt sich unter anderem auf das Anlegen von Kompressionsverbänden. Dies ergibt sich aus den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V in der am 14.05.2000 in Kraft getretenen und am 24.03.2003 geänderten Fassung. Nach Nr. 31 des Verzeichnisses der verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Anlage zu den Richtlinien) ist das Anlegen eines Kompressionsverbandes verordnungsfähig, wenn aus anatomischen Gründen angepasste Kompressionsstrümpfe nicht möglich sind.

Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2003 bis 20.08.2003 erfüllt. Hier hat der Hausarzt der Klägerin, Herr E., zunächst in den Verordnungen vom 25.03.2003 und 30.06.2003 für die Zeiträume vom 01.04.2003 bis 30.06.2003 und 01.07.2003 bis 31.12.2003 das Anlegen von Kompressionsverbänden verordnet. Mit Bescheinigungen vom 04.06.2003 und 30.06.203 hat Herr E. die Verordnungen bekräftigt. Sodann hat er mit Schreiben vom 20.08.2003 die Nachfrage der Beklagten, ob anstelle von Kompressionsverbänden die Versorgung der Klägerin mit Kompressionsstrümpfen möglich sei, bejaht. Notwendig seien Strümpfe der Kompressionsklasse II. Dies gelte ab "sofort". Damit steht für die Kammer fest, dass für die Zeit bis zum 20.08.2003 das Anlegen von Kompressionsverbänden notwendig und für die Zeit ab dem 21.08.2003 das Anziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II ausreichend war. Soweit die Beklagte demgegenüber im Termin zur mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, aus dem Schreiben von Herrn E. sei zu folgern, dass die verordneten Kompressionsverbände von Anfang an, mithin bereits ab dem 01.04.2003 nicht erforderlich waren, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin unter Ödemen in beiden Beinen leidet bzw. litt, was sich aus den beiden Verordnungen von Herrn E. ergibt. Im Falle der Notwendigkeit von Kompressionsmaßnahmen entspricht es bei noch vorhandenen Schwellungen aufgrund von Wasseransammlungen in den Beinen üblicher Therapie, die Beine zunächst mit Kompressionsverbänden zu versorgen, bis sich die Wasseransammlungen zurückgebildet haben. Jedes andere Vorgehen wäre nicht fachgerecht und würde im Übrigen auch unnötige Kosten verursachen. Kompressionsstrümpfe werden nach Maß gefertigt. Wird das Maß bei noch bestehenden Schwellungen genommen, so liegt auf der Hand, dass die Kompressionsstrümpfe nach Rückgang der Schwellungen nicht mehr eng genug anliegen und keine Kompressionswirkung mehr entfalten. Dementsprechend erfolgt bei noch vorhandenen Ödemen die Behandlung zunächst mit Kompressionsverbänden. Erst nach dem Abklingen der Ödeme können Kompressionsstrümpfe angewendet werden. Bei der Klägerin waren mithin wegen bestehender Ödeme Kompressionsstrümpfe aus anatomischen Gründen nicht möglich, sodass sie die entsprechende Voraussetzung nach Nr. 31 des den genannten Richtlinien anliegenden Verzeichnisses erfüllte. Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass Herr E. mit seinem Schreiben vom 20.08.2003 zum Ausdruck bringen wollte, dass hier das Anziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II von Anfang an, mithin bereits ab dem 01.04.2003 ausreichend war. In diesem Fall hätte er auch nicht "sofort" angekreuzt, sondern in die Rubrik "Datum" den maßgeblichen rückwirkenden Zeitpunkt genannt. Insgesamt steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass für die Klägerin während der Zeit vom 01.04.2003 bis 20.08.2003 die medizinische Notwendigkeit bestand, Kompressionsverbände an beiden Beinen zu tragen. Damit steht zugleich aber auch fest, dass das Anlegen von Kompressionsverbänden über den 20.08.2003 hinaus nicht erforderlich war, auch wenn der Pflegedienst tatsächlich die Verbände bis einschließlich November 2003 angelegt hat und erst ab Dezember 2003 zu dem Anziehen von Kompressionsstrümpfen übergegangen ist.

Die entsprechenden Kosten belaufen sich auf 1.488,16 EUR, was sich aus der von der Klägerin vorgelegten Kostenaufstellung der DRK Sozialstation in C-Stadt vom 25.05.2004 ergibt. Danach sind für die Monate April bis Juli 2003 30 bzw. 31 Tage und für August 2003 20 Tage, mithin insgesamt 142 Tage anzusetzen. Der Einzelpreis für das Anlegen eines Kompressionsverbandes beträgt 5,24 EUR, sodass für beide Beine ein Betrag von 10,48 EUR anzusetzen ist. Für 142 Tage ergibt sich mithin ein Betrag von 1.488,16 EUR. Von diesen Kosten hat die Beklagte die Klägerin der DRK Sozialstation gegenüber freizustellen (vgl. zum Freistellungsanspruch BSG, Urteil vom 20.05.2003, Az.: B 1 KR 9/03 R = SozR 4-2500 § 13 Nr. 1). Insoweit hat die Klägerin die entsprechenden Rechnungsbeträge noch nicht beglichen. Vielmehr hat der Pflegedienst bis zur Entscheidung des Rechtsstreits auf die Geltendmachung der Forderung verzichtet, was dieser im Schreiben vom 25.05.2004 bestätigt hat.

Darüber hinaus erstreckt sich der Anspruch auf Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch auf das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Klasse II. Insoweit sieht das Leistungsverzeichnis der Richtlinien über die Verordnung häuslicher Krankenpflege das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen der Kompressionsklasse II bis IV vor.
Die Leistung ist nach dem Verzeichnis nur verordnungsfähig bei Patienten mit
• einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen nicht fachgerecht anziehen können oder
• einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen fachgerecht anziehen zu können (z. B. moribunde Patienten) oder
• einer so starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit und Realitätsverlust, dass die Compliance bei der Therapie nicht sichergestellt ist.
Dies muss aus der Verordnung hervorgehen.

Hier ist die zweite der genannten alternativen Voraussetzungen für die Zeit vom 21.08.2003 bis 31.12.2003 erfüllt. Der Klägerin war es aufgrund ihrer körperlichen Leistungseinschränkung unmöglich, die Kompressionsstrümpfe selbst anzuziehen. Dies hat Herr E. in den beiden Verordnungen vom 25.03.2003 und 30.06.2003 bestätigt. Die Bestätigung ist angesichts der bei der Klägerin vorliegenden krankhaften Zustände auch schlüssig und nachvollziehbar. Im übrigen konnte hier das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe auch nicht von dem Ehegatten der Klägerin übernommen werden, was Herr E. in den beiden Verordnungen ebenfalls bestätigt hat.

Die auf den genannten Zeitraum entfallenden Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe errechnet sich wie folgt: Für den Monat August 2003 sind 11 Tage und für die Monate September bis Dezember 2003 30 bzw. 31 Tage anzusetzen. Insgesamt ergeben sich 133 Tage. Der Einzelpreis für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen beträgt pauschal für beide Beine 3,58 EUR. Die Gesamtkosten betragen mithin 476,14 EUR. Auch von diesen Kosten hat die Beklagte die Klägerin der DRK Sozialstation gegenüber freizustellen. Hierbei ist ohne Bedeutung, dass während der Zeit vom 21.08.2003 bis 30.11.2003 die Klägerin tatsächlich keine Kompressionsstrümpfe getragen, sondern der Pflegedienst weiterhin Kompressionsverbände angelegt hat. Da es sich hierbei um die kostenaufwändigere Leistung gehandelt hat, muss die Beklagte die Klägerin von den entsprechenden Kosten nur teilweise in Höhe des Aufwandes für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen freistellen.

Der Freistellungsanspruch der Klägerin beläuft sich mithin insgesamt auf 1.964,30 EUR (1.488,16 EUR Kompressionsverbände und 476,14 EUR Kompressionsstrümpfe).

Der Anspruch der Klägerin scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten nicht daran, dass für die Zeit bis zum 31.12.2003 an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 30.10.2001, Az.: B 3 KR 2/01 R = SozR 3-2500 § 37 Nr. 3) sowie daran festzuhalten sei, dass die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung unter bestimmten Voraussetzungen die Notwendigkeit häuslicher Krankenpflege entfallen lasse. Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes nicht und hat sich hierbei von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Das Bundessozialgericht ist in der genannten Entscheidung zwar zunächst davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen sei, wenn der Betroffene pflegebedürftig sei und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhalte. Insbesondere werde die Behandlungssicherungspflege durch die gleichzeitige Gewährung von Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung nicht ausgeschlossen. Sodann gelangte das Bundessozialgericht jedoch zu dem Schluss, dass der Anspruch eines Pflegebedürftigen auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege aber ausgeschlossen sei, wenn die benötigten Maßnahmen der Behandlungspflege bereits bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden seien. Insoweit scheide ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung aus, weil es an der Notwendigkeit einer gesonderten Leistung der Krankenversicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V fehle. Dies gelte, wenn es sich um eine Maßnahme handele, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch, Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) sei oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stehe.

Dieser Schlussfolgerung vermag die Kammer nicht zuzustimmen. Es geht hier um das Konkurrenzverhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierzu hat der Gesetzgeber eine nach Auffassung der Kammer eindeutige Regelung getroffen. In § 13 SGB XI, der das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungen regelt, ist in den Abs. 1 und 3 SGB XI zunächst bestimmt, in welchen Fällen Leistungen der Pflegeversicherung anderen Sozialleistungen vorgehen. In Absatz 2 dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber dagegen geregelt, dass Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt bleiben. Dies kann nur bedeuten, dass die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nicht dazu führen kann, dass Leistungen im Rahmen häuslicher Krankenpflege nach dem SGB V abgelehnt werden. Vielmehr gehen die Leistungen der häuslichen Krankenpflege denjenigen der Pflegeversicherung vor (so auch Kasseler Kommentar, § 13 SGB XI, Rdnr. 7). Hierbei ist weiter § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB XI zu berücksichtigen, wonach der Anspruch auf Pflegeleistungen bei häuslicher Pflege ruht, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege nach dem SGB V auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht. Die Vorschrift erfasst zwar den hier nicht gegebenen Fall der Gewährung von Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege. Gleichwohl stellt auch diese Vorschrift das Konkurrenzverhältnis klar, indem ein Vorrang zu Gunsten der Leistungen aus der Krankenversicherung geregelt wird. Insgesamt steht damit für die Kammer fest, dass der Gesetzgeber eine umfassende Regelung geschaffen hat, die gegenteiliges Richterrecht nicht zulässt.

Wenn aber Leistungen der sozialen Pflegeversicherung Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verdrängen können, so ist konsequenterweise von folgendem auszugehen: Besteht zwischen einer Leistung der häuslichen Krankenpflege und einer Leistung der sozialen Pflegeversicherung ein Zusammenhang derart, dass eine Maßnahme der häuslichen Krankenpflege untrennbarer Bestandteil einer Pflegeverrichtung ist oder dass die Maßnahme mit der Pflegeverrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht, so besteht vorrangig ein Anspruch gegen die Krankenversicherung auf Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung/-freistellung. Im Rahmen der Pflegeversicherung ist sodann zu prüfen, ob der entsprechende Aufwand bei der Ermittlung der Pflegestufen unberücksichtigt bleiben muss.

Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes reagiert und die Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V mit Wirkung ab dem 01.01.2004 ergänzt, indem er folgenden Halbsatz angefügt hat: " ; der Anspruch umfasst das Anziehen und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist." Soweit die Beklagte hierzu die Auffassung vertreten hat, der Gesetzgeber habe damit die bestehende Rechtslage geändert und diese gelte erst für die Zeit ab Inkrafttreten am 01.01.2004, ist dem nicht zu folgen. Vielmehr ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass der Gesetzgeber lediglich den bereits vor dem 01.01.2004 bestehenden Rechtszustand klargestellt hat. Bereits vor dem 01.01.2004 war unter Anwendung des § 13 Abs. 2 SGB XI der Aufwand für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Klasse II vorrangig über die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V im Rahmen der Krankenversicherung abzurechnen. Es handelt sich bei der Gesetzesergänzung im Übrigen um ein durchaus ungewöhnliches Vorgehen, weil der Gesetzgeber in § 37 SGB V, der ansonsten eine abstrakte Regelung darstellt, den konkreten Fall des Anziehens und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen ausdrücklich aufgenommen hat. Auch hieraus ist abzuleiten, dass die Gesetzesergänzung die unmittelbare Folge der - nicht gewollten - Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist.

Nach alledem war der Klage überwiegend stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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