L 13 AS 2952/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 2490/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2952/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Juni 2014 S 17 AS 2490/14 ER abgeändert.

Der Beklagte wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vom 1. August 2014 bis 30. September 2014 vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ein Drittel ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Beschwerde ist auch - soweit ihr der Senat stattgegeben hat - begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Hinsichtlich des Begehrens auf vorläufige Gewährung von Leistungen kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange der Antragsteller. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Auflage 2012, § 86b Rn. 42).

Eine Regelungsanordnung im Sinne der Verpflichtung zur vorläufigen Leistung kann auch bei Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II wegen mangelnder Mitwirkung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergehen, da bei Leistungen zum Lebensunterhalt nur so effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind der Antragstellerin, der bis 31. Juli 2014 Leistungen bewilligt sind, im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende auch für die Zeit vom 1. August 2014 bis zum 30. September 2014 weiter zu gewähren.

Zunächst ist festzustellen, dass die Mitwirkungsobliegenheiten des SGB I (§§ 60 ff.) auch im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Anwendung finden, soweit keine bereichsspezifischen Mitwirkungsobliegenheiten anwendbar sind (BSG vom 28. März 2013 - B 4 AS 42/12 R = SozR 4-1200 § 60 RdNr. 14; vom 19. September 2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr. 13). Ob dies auch für die Mitwirkung bei einer ärztlichen Untersuchung gilt, ist umstritten (vgl. den zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg , L 1 AS 10/14 ER-B, vom 28. Januar 2014 m.w.N).

Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen, denn die Versagensbescheide vom 12. Mai 2014 und 4. Juli 2014, die nach den vorliegenden Schreiben der Antragstellerin als mit Widerspruch angefochten anzusehen sind, wobei über die Widersprüche noch nicht entschieden ist, dürften nach vorläufiger Prüfung rechtswidrig sein. Denn die Klägerin wurde vor Erlass der Bescheide nicht mit angemessener Fristsetzung auf die Mitwirkungspflicht und die Verpflichtung zur Teilnahme an der ärztlichen Untersuchung und die Möglichkeit der Versagung hingewiesen (§ 66 Abs. 3 SGB I). Das Schreiben vom 3. April 2014 forderte lediglich zur Abgabe einer Erklärung über die ärztliche Schweigepflicht auf, die indes schon vorlag. Die Einbestellung der Antragstellerin durch die Ärztin Dr. W. vom 16. April 2014 auf den 30. April 2014 ("wie üblich mit Rechtsfolgenbelehrung") genügt hierfür nicht, zumal die Antragstellerin behauptet, diese Einladung nicht erhalten zu haben. Diese "Rechtsfolgenbelehrung" und die schriftliche Einladung der Ärztin Dr. W. ist auch nicht in die Verwaltungsakten eigeheftet. Sollte es sich bei der "Rechtsfolgebelehrung" um das lose in der Umschlagseite von Band V der Verwaltungsakten befindliche und per Fax am 8. Mai 2014 an die Sachbearbeiterin beim Antragsgegner übermittelte Schriftstück handeln, dürfte dies im Übrigen keinen ausreichenden Hinweis im Sinne von § 66 Abs. 3 SGB I darstellen, zumal Dr. W. nicht befugt sein dürfte, die Versagung der Leistung anzukündigen ("beabsichtige ich, die Leistung zu versagen"). Auch vor Erlass des Versagensbescheids vom 4. Juli 2014 wurde kein Hinweis gemäß § 66 Abs. 3 SGB I erteilt.

Damit ist der Antragsgegner nicht auf Grund der Versagensbescheide vom 12. Mai 2014 und 4. Juli 2014 berechtigt, die Leistungen zu verweigern.

Im Übrigen ist der Antragsgegner auch nicht auf Grund der Bestimmung des § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu Verweigerung der Leistung berechtigt, denn die Antragstellerin wurde insoweit nicht auf Rechtsfolgen des § 32 SGB II (Möglichkeit der Minderung der Leistung um 10 Prozent) hingewiesen und hat sich hierauf bei seiner Entscheidung auch nicht gestützt.

Eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage ist hier allerdings noch nicht möglich, weil die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin noch nicht geklärt ist. Angesichts der vorliegenden ärztlichen Äußerungen bedarf es insoweit einer weiteren Klärung durch ein Gutachten. Ein Anordnungsanspruch gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist damit zum jetzigen Zeitpunkt nicht glaubhaft. Es ist daher eine Folgenabwägung vorzunehmen.

Diese führt dazu, dass der Antragstellerin für einen begrenzten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorläufig zuzusprechen sind. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass es vorliegend um die Sicherung des Existenzminimums geht. Abgesehen von der Erwerbsfähigkeit sind die anderen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, insbesondere die Hilfebedürftigkeit, nicht zweifelhaft. Dass die Antragstellerin über Einkommen oder Vermögen verfügt, ist nicht ersichtlich. Von daher müsste die Antragstellerin entweder einen Anspruch auf Sozialhilfe oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Der Senat hat weiter berücksichtigt, dass die Ermittlungsmöglichkeiten (§ 20 SGB X) des Antragsgegners insofern noch nicht ausgeschöpft sind, als hier noch ein Gutachten einzuholen sein dürfte. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass sich die Antragstellerin bislang nachhaltig weigert, insofern mitzuwirken und sich untersuchen zu lassen. Insofern bleibt es dem Antragsgegner unbenommen, gemäß §§ 60 ff SGB I zu verfahren, allerdings wird er dann insbesondere auch § 66 Abs. 3 SGB I zu beachten haben (vgl. im Übrigen auch Bayerisches LSG Beschluss vom 31. August 2012, L 7 AS 601/12 B ER in juris).

Bei der Dauer der vorläufigen Leistung hat der Senat berücksichtigt, dass die Klärung der Erwerbsfähigkeit noch weitere Zeit in Anspruch nehmen wird, was allerdings allein von der Antragstellerin zu vertreten ist. Bis Ende September sollte aber genug Zeit bestehen, dass die Antragstellerin ihrer Obliegenheit, sich untersuchen zu lassen, nachkommt und ein ärztliches Gutachten erstellt werden kann.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG, wobei zu berücksichtigen war, dass die Antragstellerin nicht in vollem Umfang mit ihrem Begehren Erfolg hatte und die verzögerte Sachaufklärung allein zu vertreten hat.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochtenen werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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