L 6 KR 475/14 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 4 KR 1054/14 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 475/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 9. April 2014 wird zurück gewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Begehren, von der An-tragsgegnerin als gesetzliche Krankenkasse im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Gewährung von häuslicher Krankenpflege (Behandlungspflege) im Sinne von § 37 Abs. l des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in einem Umfang von 24 Stunden am Tag an 7 Tagen in der Woche im Wege der Sachleistung nach § 2 Abs. 2 Satz l SGB V zu erhalten, fort.

Die am 8. Mai 2006 geborene Antragstellerin leidet an verschiedenen schweren Erkrankungen und ist bei der Antragsgegnerin familienversichert.

Die behandelnden Ärzte der Antragstellerin verordneten ihr unter dem 11. Dezember 2013 häusliche Krankenpflege (Behandlungspflege) nach § 37 Abs. l SGB V in einem Umfang von 24 Stunden am Tag an 7 Tagen in der Woche. Die ärztliche Verordnung ging am 20. Dezember 2013 bei der Antragsgegnerin ein. Diese teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 9. Januar 2014 mit, dass vor einer Entscheidung über den Antrag auf häusliche Krankenpflege aufgrund gesetzlicher Verpflichtung eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) eingeholt werden müsse. Weiter wurde ausgeführt: " ... Natürlich unterstützen wir sie in der Zwischenzeit und übernehmen bereits jetzt die Kosten für die verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen. Diese Kostenübernahme gilt längstens bis zum Ende des Verordnungszeitraums. ( ...) Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass von der Behandlungspflege die Hälfte des Zeitaufwandes für die Grundpflege reduziert um die verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegmaßnahmen abzuziehen ist. "

Hiergegen legte die Antragstellerin unter dem 5. Februar 2014 Widerspruch ein und wies mit weiterem Schreiben vom 6. März 2014 auf die Vorschrift des § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V so-wie darauf hin, dass die Antragsgegnerin bei Einholung eines Gutachtens des MDK bis spätestens 13. Februar 2014 über ihren Antrag auf Behandlungspflege hätte entscheiden müssen.

Der MDK stellte in seinem Gutachten vom 18. März 2013 nach einem Hausbesuch bei der Antragstellerin fest, dass die medizinische Notwendigkeit einer häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) nach § 37 Abs. l SGB V in einem Umfang von 24 Stunden am Tag an 7 Tagen in der Woche nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden könne. Daraufhin bewilligte die Antragsgegnerin ihr mit Bescheid vom 26. März 2014 häusliche Krankenpflege (Be-handlungspflege) gemäß § 37 Abs. l SGB V vom 1. Januar bis zum 31. März 2014 in einem Umfang von 22 Stunden sowie ab dem 1. April 2014 in einem Umfang von 20,5 Stunden pro Tag an 7 Tagen in der Woche im Wege der Sachleistung nach § 2 Abs. 2 Satz l SGB V. Dabei zog die Antragsgegnerin vom dem gesamten Pflegebedarf in einem Umfang von 24 Stunden für die Zeit ab dem 1. April 2014 insgesamt 3,5 Stunden ab, da diese Zeit dem Grundpflegebedarf zuzurechnen sei, der im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI von der gesetzlichen Pflegekasse zu erbringen sei. Die Antragstellerin beziehe von der gesetzlichen Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe III des SGB XI.

Auch hiergegen legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29. März 2014 Widerspruch ein.

Die Antragstellerin hat am 30. März 2014 beim Sozialgericht Altenburg (SG) Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat sie die Ansicht geäußert, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, der Antragstellerin häusliche Krankenpflege (Behandlungspflege) im Sinne von § 37 Abs. l SGB V in einem Umfang von 24 Stunden am Tag an 7 Tagen in der Woche im Wege der Sachleistung nach § 2 Abs. 2 Satz l SGB V zu gewähren.

Mit Beschluss vom 9. April 2014 hat das SG der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es komme im vorliegenden Fall keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht, da § 13 Abs. 3a SGB V nur einen Kostenerstattungsan-spruch jedoch keinen Sachleistungsanspruch nach sich ziehe. Für eine einstweilige Anordnung gebe es bereits keinen Anordnungsgrund, da es der Antragstellerin zuzumuten sei, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Diese beziehe geleichzeitig Leistungen nach der Pflegestufe III und somit ihre Pflege vollumfänglich sichergestellt sei. Zudem bestehe kein Anordnungsanspruch.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 5. April 2014 zugestellten Beschluss hat die Antrag-stellerin am 14. April 2014 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass sie keinen Antrag nach § 86b Abs. 2 Satz 2 gestellt habe. Vielmehr habe sie die Feststellung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, dass der mit Schreiben vom 29. März 2014 erhobene Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. März 2014 aufschiebende Wirkung entfalte und die Antragsgegnerin daher verpflichtet sei, ihr bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 26. März 2014, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2014 häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche zu gewähren und sie von den Kosten dieser Leistungen freizustellen. Grund für das alleinige Begehren einer Feststellung sei der Umstand, dass die ärztlich verordnete Sachleistung kraft Gesetzes genehmigt sei. Eine Auslegung ihres eindeutigen Antrags sei damit weder angezeigt noch geboten, weshalb das SG über einen von ihr nicht gestellten Antrag entschieden habe. Zudem habe das SG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da ihr die beantragte Akteneinsicht erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung gewährt worden sei. Zur Sache hat sie geltend gemacht, dass die Antragsgegnerin mit ihrem Schreiben vom 9. Januar 2014 gerade noch keine Entscheidung über ihren An-trag getroffen habe. Zudem sei § 13 Abs. 3a SGB V auch auf Sachleistungen anwendbar, da dessen Satz 6 eine Genehmigungsfiktion enthalte, die nicht voraussetze, dass ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch bestehe. Auch komme eine Anrechnung von Zeiten der Grund-pflege auf den Leistungsanspruch der Antragstellerin nicht in Betracht. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 17. Juni 2010 (Az.: B 3 KR 7/09 R) einen solchen Rechtssatz nicht aufgestellt, vielmehr sei diese Entscheidung in sich widersprüchlich. Das BSG sei auch nicht befugt, einen solchen Rechtssatz aufzustellen, da es bereits an einer gesetzlichen Regelungslücke fehle.

Die Antragstellerin beantragt ausdrücklich:

1. Der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 09.04.2014, Az. S 4 KR 1054/14 ER, wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass der mit Schreiben vom 29.03.2014 erhobene Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.03.2014 auf-schiebende Wirkung entfaltet, und dass die Antragsgegnerin daher verpflichtet ist, der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 26.03.2014, längstens jedoch bis zum 30.06.2014 häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche zu gewähren und die Antragstellerin von den Kosten dieser Leistungen freizustellen.

3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in beiden Rechtszügen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht ist ihr Schreiben vom 9. Januar 2014 als vorläufiger Bescheid anzusehen. Auch sei die Dringlichkeit einer gerichtlichen Regelung nicht erkennbar, da die pflegerische Versorgung der Antragstellerin im Einklang mit den vom BSG entwickelten Grundsätzen sichergestellt sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Ge-richtsakten des Antrags- bzw. Beschwerdeverfahrens sowie auf den Inhalt der Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nach §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, denn die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Er-lass der begehrten einstweiligen Anordnung.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Dabei ist der Antrag nach Absatz 2 – wie im vorliegenden Fall – schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).

Da das Begehren der Antragstellerin ausdrücklich allein auf eine Feststellung gerichtet ist, kommt hier entgegen der Auffassung der Vorinstanz ausschließlich der Erlass einer Siche-rungsanordnung in Betracht. Voraussetzung für deren Erlass ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung eines auf die vorläufige Aufrechterhaltung eines streitigen Rechtsverhältnisses gerichteten Anordnungsanspruches sowie eines Anordnungsgrundes. Der erforderliche Anordnungsanspruch verlangt grundsätzlich die – wenn auch in der Regel nur summarische – Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache. Ist ein Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet, ist auch das Vorliegen eines Anordnungs-anspruchs grundsätzlich zu bejahen (vgl. Keller in MeyerLadewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rdnr. 16c und 29). Ein Anordnungsgrund liegt bei der Sicherungsanordnung immer dann vor, wenn die Gefahr der Rechtsvereitelung oder der Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes droht (vgl. Keller in Meyer-La¬dewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 27a). Da es hier um die Sicherung des Status quo geht und vom Senat lediglich bestandsschützende einstweilige Maßnahmen getroffen werden können, ist das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache grundsätzlich nicht tangiert.

Hinsichtlich der von der Antragstellerin zunächst begehrten Feststellung, "dass der mit Schreiben vom 29.03.2014 erhobene Widerspruch ( ) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.03.2014 aufschiebende Wirkung entfaltet" fehlt es bereits an dem auch für den Erlass einer Sicherungsanordnung erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Durch die begehrte Feststellung, dass ihr Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, könnte die Antragstellerin keinerlei rechtlichen Vorteil erlangen. Bei dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. März 2014 handelt es sich nicht um einen belastenden Verwaltungsakt, dessen Vollziehung durch den Eintritt der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gehemmt würde, sondern um einen begünstigenden Verwaltungsakt, der erst einen rechtlichen Vorteil einräumt. Auch der Umstand, dass dieser Verwaltungsakt der Antragstellerin nicht alles gewährt, was diese begehrt, und damit insoweit eine belastende Wirkung entfaltet, führt zu keinem anderen Ergebnis, da auch der noch fehlende Teil dessen, was die Antragstellerin beantragt hat - im vorliegende Falle die Gewährung von häuslicher Krankenpflege im Umfange von 24 Stunden täglich anstatt nur 22 bzw. 20,5 Stunden täglich -, durch den Eintritt der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs nicht gewährt würde.

Aber auch die im Wege der einstweiligen Anordnung daneben begehrte Feststellung, "dass die Antragsgegnerin ( ) verpflichtet ist, der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 26.03.2014, längstens jedoch bis zum 30.06.2014 häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche zu gewähren und die Antragstellerin von den Kosten dieser Leistungen freizustellen" kann der Senat mangels Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht treffen. Ungeachtet der Frage, ob dieser Feststellungsantrag nicht aus Gründen der Subsidiarität gegenüber der hier ebenfalls in Betracht kommenden, von der Antragstellerin jedoch ausdrücklich nicht gewünschten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG als unzulässig zu betrachten wäre, fehlt es ihm jedenfalls an dem Vorliegen des erforderlichen Anordnungsgrundes und damit an der Eilbedürftigkeit. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe Teil II des angefochtenen Beschlusses des SG. Die Antragstellerin hat mit ihrer Beschwerde hiergegen nichts geltend gemacht, so dass der Senat mit der Antragsgegnerin ebenfalls davon ausgeht, dass die Antragstellerin die erforderliche Pflege erhält und die Frage, zu wessen Lasten, also gänzlich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, wie von der Antragstellerin begehrt, oder aber zu geringen Teilen auch zu Lasten der sozialen Pflegeversicherung, im Rahmen des Hauptsacheverfahrens geklärt werden kann, nachdem eine Rechtsvereitelung erkennbar nicht zu befürchten ist. Selbst wenn die von der sozialen Pflegeversicherung zu tragenden Kosten des hälftigen Zeitaufwands für die reine Grundpflege wegen der Begrenzung der Sachleistungen nach der zuerkannten Pflegestufe nicht ausreichend sein sollten, um den gesamten Pflegeaufwand abzudecken und die Antragstellerin den verbleibenden Rest deshalb aus eigenen Mitteln aufzubringen hätte, ist nichts dafür ersichtlich, dass dies für die Antragstellerin unzumutbar wäre, zumal es im Hinblick auf die sehr begrenzte Zeitspanne (bis 31. März 2014 zwei Stunden täglich und seit 1. April 2014 dreieinhalb Stunden täglich) nicht wahrscheinlich ist, dass die hierfür entstehenden Kosten den Höchstbetrag für die pflegerischen Sachleistungen übersteigen.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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